Da sind sie, die Warnsignale. Das lässt sich nicht verleugnen.
Wir können so viel spekulieren, wie wir wollen (und jeder Fußball-Interessierte wird es wohl auch tun), ob die jüngsten etwas holprigen Leistungen und Ergebnisse nur auf einen gewissen Testspiel-Schlendrian zurückzuführen sind, auf eine angezogene Handbremse aus Angst vor Verletzungen oder ob der Faden im ÖFB-Team doch nachhaltiger gerissen ist.
Erfahren werden wir die Antwort erst am Abend des 14. Juni beim EURO-Auftakt gegen Ungarn in Bordeaux.
Bis dahin ist alles Kaffesudleserei. Aber die ist nun mal integraler Bestandteil von diesem Business, und somit wird bestimmt jeder seine eigene Wahrheit kennen.
Meine persönliche: Ich tendiere dazu, relativ entspannt zu bleiben. Warnsignale hin, Warnsignale her.
Sicher ist der eine oder andere Schlüsselspieler noch nicht in Topform, natürlich kann einem die Art und Weise der Gegentore Sorgen bereiten, freilich gefällt es nicht, wenn Teamchef Marcel Koller einerseits seine Schützlinge auffordern muss, rechtzeitig vor dem EM-Start den Schalter im Kopf auf Turnier-Modus umzulegen und andererseits aufgrund aufkommender Zweifel beschwichtigen muss.
Trotzdem: Österreich hat keinen verletzten Stammspieler zu beklagen, spielerisch ist die Mannschaft trotz aller Problemchen nicht schlecht drauf, die eingespielte Startelf stand in diesem Kalenderjahr wenig bis gar nicht gemeinsam auf dem Platz (eigentlich nur in Halbzeit eins gegen Albanien; gegen die Türkei begann u.a. noch der gar nicht nominierte Guido Burgstaller; gegen die Niederlande wurde Martin Harnik von Marcel Sabitzer ersetzt) und Testspiele bleiben Partien, die man zwar nicht unterschätzen, aber auch nicht überbewerten sollte. Alleine die Dauer-Wechsel in Halbzeit zwei rauben ihnen den üblichen Rhythmus.
Und: Testspiele sind vor allem eine Frage der Einordnung. Ich plädiere bekanntlich gerne für ein Mittelmaß. Wertvolle Erkenntnisse mitnehmen, gewisse Detailfragen analysieren beziehungsweise daraus lernen und vor allem, sich nicht von einem wenig wunschgemäßen Ergebnis verunsichern (oder einem klaren Sieg blenden) lassen. Dieses ÖFB-Team und sein Betreuerstab sollten gefestigt genug sein, das hinzukriegen. Ein gewisses Grundvertrauen in die handelnden Personen ist mehr als angebracht.
Die Einordnung der Öffentlichkeit ist hierbei ohnehin völlig belanglos. Zwei Beispiele:
Vor der WM 1990 siegte Österreich in Spanien, fegte Ungarn vom Platz, trotzte dem amtierenden Weltmeister Argentinien ein 1:1 ab, triumphierte gegen den amtierenden Europameister Niederlande 3:2 und reiste als gefühlter Welt- und Europameister zur Endrunde nach Italien.
Ein ganz anderes Bild bot die Testspiel-Serie vor der WM 1998. Andreas Herzogs „Zehe der Nation“ limitierte das größte Talent dieser Mannschaft, die teaminterne Chemie stimmte auch nicht mehr und spätestens nach einer 0:3-Heimpleite gegen die USA war der Zauber der erfolgreichen Qualifikation verflogen. Entsprechend gedämpft war auch die Erwartungshaltung der Öffentlichkeit.
Die Moral von der Geschichte ist beide Male dieselbe: Egal ob viel zu hohe oder zu niedrige Ansprüche, Österreich trat nach der Vorrunde die Heimreise an und musste sich im Nachhinein ärgern, dass mehr drinnen gewesen wäre.
Ein Unterschied der aktuellen Mannschaft zu den beiden Vorgänger-Generationen ist die höhere Qualität.
Aber bei allem Respekt: Der Traum vom EM-Titel ist dennoch ein hochgegriffener, wenn der Großteil dieses Kaders erstmals überhaupt bei solch einem Großereignis lernen darf.
Kokettiert wird dennoch unverhohlen damit, vermutlich jeder von uns hört zumindest ein Mal pro Tag die Worte „Österreich“ und „Europameister“ in einem Atemzug – keine Ahnung, ob dies nur ein rot-weiß-rotes Phänomen ist oder es beinahe jedem Teilnehmer in seiner Heimat so geht.
Wenn’s passiert: Toll! Dann haben wir noch alle genügend Gelegenheit, um zu hyperventilieren wie davor und danach nie in unserem Leben.
Aber bis dahin helfen die jüngsten Testspiele vielleicht darin, mit einer realistischen Erwartungshaltung (Erreichen der K.o.-Runde und dann schaumamal) nach Frankreich zu reisen. Und dann hätten sie definitiv etwas Gutes.