Da hat sie sich wieder mal ausgezeichnet, die österreichische Fußball-Funktionärs-Gilde.
Man kann nur „herzlich gratulieren“, wie eindrucksvoll man die Vorurteile des eigenen schlechten Rufs beziehungsweise des „Haifischbeckens“ ÖFB bestätigen kann.
Leo Windtner ist angesichts seiner angestrebten Wiederwahl als ÖFB-Präsident also mit Gegenwind konfrontiert.
Stand heute erscheint die Variante, dass der Oberösterreicher am 18. Juni zum dritten Mal zum ranghöchsten Fußball-Funktionär des Landes gewählt wird, trotz aller Aufregung die wahrscheinlichste zu sein.
Aber spätestens jetzt scheint klar, dass bezüglich dieser – vermeintlich klaren - Wahl erhöhte Wachsamkeit erforderlich ist, womöglich sollten sogar die Alarmglocken schrillen.
Warum? Obwohl der 66-Jährige seit Wochen und Monaten – offiziell – als einziger Kandidat auf dieses Amt feststeht, bekam man immer wieder nebenbei zu hören, dass Alfred Ludwig angeblich diverse Landespräsidenten bearbeiten würde und auch eine Mehrheit auf seiner Seite hätte.
Kann stimmen, muss keinesfalls stimmen, im Fußball-Business wird viel geredet, ein klassisches Gerücht eben.
Seit dieser Woche könnte man sich zumindest seinen Teil denken.
Bei der Abstimmung im Wahlausschuss stimmten nur drei von zehn Mitgliedern (neun Landespräsidenten plus Bundesliga-Boss Hans Rinner) für Windtner, die übrigen sieben entzogen ihm vorerst das Vertrauen.
Die wahre Motivlage? Unklar!
Ein Schuss vor den Bug? Mag sein. Aber kann man sich dümmere Zeitpunkte als jetzt, wo es für das Nationalteam um alles oder nichts geht, aussuchen, um solch denkbar unnötige Unruhe zu stiften?
Interessant die Reaktionen: Ludwig beeilte sich festzustellen, dass er Pensionist sei und dies auch bleiben wolle – man kann seiner Freizeit-Gestaltung und vor allem Fußball-Österreich nur wünschen, dass das Motto „Ein Mann, ein Wort“ zum Tragen kommt.
Rinner wiederum betonte, dass Windtner „nichts Dramatisches“ nachzujustieren hätte. Aus diversen Wortmeldungen von Landespräsidenten kann man herauslesen, dass noch Forderungen offen sind.
Diese sind wohl einerseits vor allem personeller Natur und andererseits geht es tendenziell um mehr Macht und Mitspracherecht.
Burgenlands Verbandsboss Gerhard Milletich spricht etwa davon, „künftig zeitgerecht in personelle Entscheidungen“ eingebunden werden zu wollen. In den „OÖN“ ist zu lesen, dass dies bis zur Teamchef-Wahl geht. Die angebliche Forderung, Sportdirektor Willi Ruttensteiner vor die Tür zu setzen, weil er bei einigen Landespräsidenten nicht beliebt sei, steht ohnehin im Raum.
Geht’s noch?! Wenn das stimmt, kommt man nicht umhin, von gefährlichen Drohungen zu sprechen.
Bei allem Verständnis dafür, dass Eitelkeit und Machtspielchen in gewissen Kreisen offenbar zum guten Ton gehören: Aber je weniger so mancher Landespräsident gerade in Nationalteam-Angelegenheiten mitzureden hat, umso besser.
Ausnahmen bestätigen die Regel und dies soll kein Pauschalurteil über alle neun Landes-Bosse sein, aber teilweise handelt es sich hier um Herrschaften, die sicherlich große Fußball-Fans sind, aber über deren Fachkenntnis auf Profi-Ebene sich getrost streiten ließe. Sollten sie also wirklich – nur als Beispiel – großes Mitspracherecht bei der Kür eines Teamchefs haben?
Man lässt sich sein Auto ja auch nicht zwangsläufig von einem Verkehrspolizisten reparieren. Der hat zwar auch viel mit Autos zu tun, aber kennt er sich tatsächlich aus? Manche vielleicht, aber dieses Risiko ist es nicht wert.
Nicht umsonst kennt die breite Öffentlichkeit die Mehrzahl der Namen dieser neun Herrschaften kaum. Ihre Expertise ist beim Thema Profi-Fußball komischerweise nie gefragt.
Medial führen sie ein Schattendasein. Aber vielleicht ist ja genau das das Problem.
Und wenn doch, dann kommen bisweilen kuriose Wortspenden wie jene des immer noch amtierenden Tiroler Präsidenten Josef Geisler in einem Interview bei „ballverliebt“ im August 2011 kurz vor der Ablöse von Didi Constantini heraus, in dem er allen Theoretikern, in deren Hände das Nationalteam keinesfalls fallen dürfe, den Kampf ansagte:
„Ich persönlich bin der Meinung, dass die Mannschaft am besten aufgehoben ist bei den Praktikern, die im Moment die Verantwortung haben, also Herrn Constantini und Herrn Zsak. Denn wie heißt es so schön: 'Grau ist alle Theorie' – sie bringt den Fußball sicherlich nicht weiter.“
Den Hinweis, dass die aktuelle Spielergeneration die beste seit langer Zeit sei, konterte er wiefolgt: „Kommen Sie mir jetzt nicht damit, dass unsere Nachwuchsarbeit so toll wäre, mit all den modernen Mitteln wie diesen High-Tech-Zahnspangen in Kolumbien (Anm., bei der damaligen U20-WM). Was haben die denn damit erreicht? Gar nichts, nicht einmal ein Tor haben sie geschossen. Und die U21 ist letztes Jahr auch gescheitert.“
Hm. So schlecht hat sich Österreichs Fußball in den Folgejahren dann doch nicht geschlagen – und zwar mit einem Teamchef, der das genaue Gegenteil von Constantini ist, auch die erfolgreichere Spielerkarriere betreffend. Von der immer besseren Ausbildung der rot-weiß-roten Kicker ganz zu schweigen.
Nicht falsch verstehen: Österreichs Fußball gehört organisiert, Statuten gehören erstellt und deren Einhaltung überwacht, Fußball als Breitensport gehört abgewickelt, der Amateurbereich ist ein wichtiger – dafür braucht es Funktionäre und in diesen Agenden wird sicherlich auch von vielen Landespräsidenten wertvolle Arbeit geleistet.
Aber bitteschön Finger weg vom Profi-Business!
Schon klar, dass hier der Wunsch der Vater des Gedankens ist. Und ähnlich wie in der Politik, wo auch nicht alle mit dem Einfluss der Landeshauptleute glücklich sind, werden auch viele Landespräsidenten keinen freiwilligen Machtverlust hinnehmen, wenn sie aktuell sogar um mehr kämpfen.
Stellt sich die Frage, wie groß das Mitspracherecht sein soll und ob es wirklich personelle Wünsche wie das Ruttensteiner-Aus gibt.
Dass intern hinter verschlossenen Türen darüber diskutiert und um Einfluss gefeilscht wird, wie offenbar bei besagter Sitzung vergangenen Freitag geschehen, ist ein normaler Vorgang – so weit so unspektakulär.
Fest steht nur: Irgendjemand, wer auch immer, hatte allergrößtes Interesse daran, dass diese Unstimmigkeiten sowie das für Windtner negative Abstimmungs-Ergebnis an die Öffentlichkeit gelangen.
Dass Windtner durch die aktuelle Debatte enorm beschädigt ist, liegt auf der Hand, alleine schon, weil man ihm ab sofort jede Personalentscheidung als Zugeständnis, um an der Macht bleiben zu dürfen, auslegen kann und vermutlich auch auslegen wird.
Man muss nicht alles gut finden, was der Oberösterreicher in seinen bisherigen acht Jahren als ÖFB-Präsident geleistet hat – so hätte etwa die große Strukturreform des ÖFB auch ein wenig mutiger ausfallen können (Zugeständnis?). Aber ob etwa die Installierung von Marcel Koller als Teamchef unter vielen Präsidenten möglich gewesen wäre? Man erahnt die Antwort.
Gerade im Nationalteam-Bereich ist in seiner Amtszeit einiges weitergegangen. Dass er schon vor seiner Inthronisierung als ÖFB-Boss ein engagierter Kämpfer für eine Verbesserung der Ausbildung im Nachwuchs war und diesbezüglich als Steigbügelhalter Ruttensteiners diente, war für den Aufschwung des ÖFB-Teams nachhaltig förderlich.
Luft nach oben gibt es immer. Dies ist allerdings auch eine Frage der Alternativen. Offiziell sind keine anderen – und vor allem besseren – Anwärter auf das Amt bekannt.
Dass der Name Erwin Pröll ins Spiel gebracht wurde, wirkt eher wie ein Ablenkungsmanöver. Die Installierung eines „Grüß-Augusts“ aus der Politik (egal von welchem), damit dieser irgendein Amterl hat, wäre zwar typisch österreichisch, ist aber zutiefst abzulehnen und de facto die zweitschlechteste Variante.
Die schlechteste? Eine Rückkehr von Ludwig.
Die wäre das reaktionärste Zeichen überhaupt in einer Phase, in der die neuen starken Männer im operativen Geschäft, Bernhard Neuhold und Thomas Hollerer, beginnen, den ÖFB „durchzulüften“. Denn wer glaubt, der passionierte Machtmensch würde sich im Fall der Fälle nicht intensiv ins Tagesgeschäft einmischen, kennt ihn eher schlecht bis gar nicht.
Man muss Ludwig natürlich Glauben schenken, wenn er schwört, dass er Pensionist bleiben und keine Funktion im Fußball mehr einnehmen möchte. In dieser Angelegenheit wortbrüchig zu werden, würde ohnehin ein schlechtes Licht auf ihn werfen.
Aber in diesem Zusammenhang ist es nicht uninteressant, dass man dieser Tage auch gerne folgendes Szenario – vermutlich ausschließlich von notorischen Verschwörungstheoretikern erfunden – zu hören bekommt:
Verliert das ÖFB-Team am 11. Juni in Irland, könnte es für Teamchef Marcel Koller eng werden – alleine das ist schon ein denkbar unschöner Gedanke.
Entsprechend brenzlig könnte für Windtner eine Woche später am 18. Juni die Hauptversammlung in Salzburg werden – und für diese könnte sehr wohl auch verspätet noch ein Kandidat gemeldet werden.
Fällt Windtner durch, muss man nur eins und eins zusammenzählen, um zu erahnen, dass auch Ruttensteiner Geschichte sein könnte.
Präsident weg, Sportdirektor weg, Teamchef weg – ein Machtvakuum, wie es im Buche steht. Es würde die Stunde der Landespräsidenten schlagen, und ob es zu weit hergeholt ist, auf die Idee zu kommen, dass in dieser Konstellation jemand nach dem „Mister ÖFB“ als „Retter des österreichischen Fußballs“ ruft, der sich dann halt zu dessen Wohle „breitschlagen“ und „überreden“ ließe?
Diese Frage möge jeder für sich selbst beantworten.
So unrealistisch diese Gedankenspiele auf den ersten Blick sein mögen, das Wichtigste ist, diesen ultimativen Worst Case auch tatsächlich mit aller Kraft zu verhindern.
Und auch wenn Windtners Wiederwahl nach wie vor das wahrscheinlichste Szenario ist, unterschätzen sollte man die aktuellen Vorgänge nicht.
Denn unterm Strich könnte es dabei auch um eines gehen: Die Zukunft des österreichischen Fußballs und speziell jene des Nationalteams.