Es geht weiter Schlag auf Schlag.
Der Biathlon-Zirkus streute eine zweite Woche in Ruhpolding ein und bescherte den Fans bei toller Winter-Kulisse - endlich gab es wieder Naturschnee zu bewundern - spannende Rennen.
Für das österreichische Team lief es wie schon in der Vorwoche gut, doch nicht jeder im ÖSV-Lager hatte Grund zur Freude. International sorgten ein mögliches Sensations-Comeback, "Herr Rauschebart" und ungewohnte Buhrufe für Schlagzeilen.
Was dahintersteckt? Das erfahrt ihr wie immer in der Schießbude:
"1, 2 oder 3" heißt eine beliebte Kinderserie. "1, 2 UND 3" lautete das Motto für Simon Eder. Nach seinem Sieg aus der Vorwoche landete der 32-Jährige den nächsten Coup und wurde Zweiter im Einzel, geschlagen nur von Überflieger Martin Fourcade. Als Draufgabe gelang ihm in der Staffel mit Sven Grossegger, Julian Eberhard und Schlussläufer Dominik Landertinger ein dritter Platz. Man sollte der IBU vorschlagen, Weltcups nur noch nach Bayern zu vergeben. "Das Ansuchen würde ich unterstützen", scherzte er.
ein letztes bild aus Ruhpolding-one last pic📸 from ruhpolding! #einszweidrei #allcolors #runfastshootclean #shootfastrunclean #nextstop #antholz🇮
Posted by Simon Eder on Sonntag, 17. Januar 2016
Ich bin stinksauer, nachdem ich in den letzten Tagen in diversen Fan-Foren Kommentare über Miriam Gössner gelesen habe. "Sie ist dilletantisch", "Sie sollte aufhören" oder "Die hat ja doch nichts drauf" waren noch die harmlosesten Kommentare. Klar, sie steckt in einer kleinen Formkrise und ja, Kritik ist durchaus angebracht. Diese sollte aber konstruktiv bleiben und ein gewisses Niveau nicht unterschreiten. Was sich derzeit abspielt, hat auf keiner Kuhhaut Platz. Die 25-Jährige wird selbst nicht glücklich sein mit der aktuellen Situation. Jetzt draufzuhauen ist feige. Gössner braucht gerade jetzt die Unterstützung, denn Schulterklopfer in der Erfolgsphase hat sie genug. Ihre Reaktion ist die einzig richtige: "Es gibt schlechte Tage, aber wisst ihr was? Am nächsten Tag geht die Sonne trotzdem wieder auf!"
Die Kritik in ihrer Heimat nahm aufgrund des verkorksten Saisonstarts zu, doch Selina Gasparin ließ sich nicht beirren. Die zweifache Weltcup-Siegerin und Silbermedaillengewinnerin von Sochi behielt im Einzel am Schießstand Ruhe und Nerven und klassierte sich auf Platz fünf. Seit ihrer Rückkehr nach der Schwangerschaftspause bedeutete dies ihre mit Abstand beste Leistung. Und das, obwohl sie während des Rennens sogar stürzte. "Was für ein Tag", meinte sie hinterher und sprach trotz allem vom "perfekten Rennen".
Es ist bislang einfach nicht die Saison des Jakov Fak. Lauf- und Schießform entsprechen nicht seinen Vorstellungen, die Ergebnisse erst recht nicht. Nach seinem krankheitsbedingten Fehlen beim ersten Ruhpolding-Stopp misslang auch der zweite. Platz 36 im Einzel war zu wenig, um sich für den Massenstart zu qualifizieren. Der Vorjahres-Dritte im Gesamtweltcup rangiert derzeit an 41. Position. "Der Kampf geht weiter", lässt er sich davon aber nicht beirren. Kein Wunder, beherrscht er doch wie kaum ein anderer den perfekten Formaufbau für ein Großereignis. Sechs Medaillen bei WMs und Olympischen Spielen kommen schließlich nicht von ungefähr.
Dieses Mal mache ich im Exoten-Watch einen Abstecher nach Kasachstan. Es ist immer schön zu sehen, wenn auch kleine Teams Achtungserfolge feiern, so geschehen durch Galina Vishnevskaya. Die 21-Jährige schoss im Einzel makellos und wurde tolle 15. Damit löste sie das Massenstart-Ticket und durfte erstmals an einem solchen teilnehmen. Mit Platz 27 sammelte sie weitere Punkte. Ganz nebenbei gelangen ihr damit die beiden besten Weltcup-Ergebnisse ihrer Karriere.
Während Teamkollege Erik Lesser seinen großen Durchbruch feierte, ging die Achterbahnfahrt bei Arnd Peiffer weiter und führte ihn diesmal wieder nach unten. Im Einzel blieb er ohne Punkte, im Massenstart wurde er Vorletzter. Jetzt geht's nach Antholz, wo er immerhin schon dreimal am Stockerl stand (Sprint-Sieg 2010).
Erik Lesser, das Überraschungs-Ei. Nach einem durchwachsenen Winter ist der Deutsche, der immer dann gewinnt, wenn es keiner von ihm erwartet, gerade noch als 30. in den Massenstart gerutscht. Zuvor musste sich der Silber-Gewinner von Sochi ständig Fragen nach der WM-Norm gefallen lassen, nun ließ er alle Kritiker verstummen und feierte nach dem WM-Titel von Kontiolahti seinen zweiten Weltcup-Sieg. Sein Erfolgsrezept: Eine taktisch kluge Leistung – zu Beginn lief er etwas hinter dem Feld, um Kraft zu sparen und dem Ziehharmonika-Effekt auf dem Weg zu gehen – sowie eine tadellose Vorstellung am Schießstand. „Ich wusste, dass ich es draufhabe“, sagte Lesser. „Jetzt habe ich euch gegeben, was ihr wollt.“
Auch eine Legende erwischt mal ein rabenschwarzes Wochenende. So geschehen diesmal bei Ole Einar Björndalen, im 20km-Bewerb lief es mit vier Fehlern und Rang 44 schon alles andere als nach Wunsch, doch der Massenstart setzte dem Ganzen noch die Krone auf: Ganze ZEHN Fehler schoss der Norweger. Das heißt, die Hälfte aller Schüsse gingen daneben. Das Resultat war ein klarer letzter Platz und das mit 5:42 Minuten Rückstand. Da konnte auch der Sieg mit der Staffel, zudem er fünf der insgesamt zwölf Fehlschüsse seines Teams beisteuerte, nicht hinweg trösten.
Torstein Stenersen, der Unbekannte. Der Einzige, der neben Lesser im Massenstart ebenfalls alle 20 Scheiben abräumte, war der Schwede. Zwar belegte er nur Rang 20, doch es war schon beeindruckend, dass der 27-Jährige überhaupt dabei war. Vor diesem Wochenende war ein 42. Rang vom ersten Ruhpolding-Wochenende sein bestes Weltcup-Resultat, ganze vier Weltcup-Starts hatte er zuvor auf dem Buckel. Dann kam das Einzel, Stenersen traf alle Scheibe, flog damit als Siebenter in die Top Ten und verdiente sich sein Antreten beim Massenstart.
Ähnlich wie Björndalen lief es für Dominik Landertinger am Schießstand in dieser Woche nicht zusammen. Mit drei Fehlern im Einzel war nur Rang 24 drin, ähnliches Bild im Massenstart: Hier waren es aufgrund eines Problems mit seinem Diopter (war eingefroren) sogar fünf Fehler, die ihn als 23. erneut die Top 20 verpassen ließen. Immerhin lief es in der Staffel mit gerade einmal zwei Nachladern besser, Rang drei - und somit der lange ersehnte Podestplatz - wird ihn hoffentlich über die individuellen Bewerbe hinweg trösten.
Die Ukrainerinnen - allen voran Yuliia Dzhima und Olena Pidhrushna - wissen in diesem Winter vor allem durch Konstanz zu überzeugen und holten sich folgerichtig, gemeinsam mit Iryna Varynets und Valj Semerenko (die ihnen allerdings einen Strafrunde einbrockte) den Sieg in der Staffel. Dzhima läuft beständig in die Top Ten und Pidhrushna konnte in dieser Saison bereits zweimal aufs Stockerl klettern. Auch im Gesamtweltcup sind mit den Rängen acht (Pidhrushna) und zehn (Dzhyima) gut vertreten.
An diesem Wochenende war für Lisa Hauser einfach der Wurm drin: Nach Rang 46 im Einzel und für die sichere Schützin ungewohnte drei Fehler, musste sie im Massenstart nach weiteren fünf Fehlern aufgrund von gesundheitlichen Problemen aufgeben. Sie klagte über Atemprobleme und ein Schwindelgefühl. In der Staffel trat sie dann vorsichtshalber gar nicht erst an. Kein gutes Wochenende für die 20. des Gesamt-Weltcups. Ich wünsche ihr gute Besserung!
Karolin Horchler ersetzte am Sonntag kurzfristig die angeschlagene Staffel-Weltmeisterin Vanessa Hinz als Startläuferin der Deutschen. Der Tausch war so spontan, dass Horchler bereits auf dem Weg zum parallel stattfindenden IBU-Cup im italienischen Ridnaun war, als sie der Anruf ereilte, sie müsste zurück. Von aller Hektik war am Sonntag nichts zu spüren, Horchler machte sie ihre Sache gut, brauchte nur zwei Nachlader und übergab als Fünfte mit 22 Sekunden Rückstand.
In den Einzel-Konkurrenzen gab es für die erfolgsverwöhnten Norweger überraschend nichts zu erben. Gemeinsam waren sie dafür stark wie eh und je und triumphierten in der Staffel, obwohl sie sich zwölf Nachlader leisteten. Ole Einar Björndalen, Johannes Thingnes und Tarjei Boe sowie Emil Hegle Svendsen waren derart in Ekstase, dass sie sich zu einer kleinen Gesangseinlage hinreißen ließen.
Martin Fourcade präsentiert sich neuerdings als Rauschebart. Der Grund dahinter ist eine Wette, die der Franzose abschloss, nachdem er erstmals in seiner Karriere im Dezember ohne fehlerfreien Wettkampf blieb. "Er kommt erst ab, wenn ich wieder die Null schieße", erklärte er. Wobei das Thema in Antholz zu den Akten legen werden sollte, da er befürchtet, ansonsten nicht nach Presque Isle reisen zu dürfen. "So kann ich nicht in die USA fliegen", spielte er grinsend auf die strengen Einreisebestimmungen im Land der unbegrenzten Möglichkeiten an.
Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen ... oder auch David Komatz. Zu Saisonbeginn noch im IBU-Cup unterwegs, hat er sich über gute Resultate ein Weltcup-Ticket erkämpft. In der ersten Ruhpolding-Woche lief es noch nicht nach Wunsch, zuletzt dafür schon deutlich besser. Platz 22 im Einzel war eine deutliche Leistungssteigerung und füllte zugleich sein bis dahin leeres Punktekonto. Der 24-jährige Steirer ist am aufsteigenden Ast und lässt auf mehr hoffen.
Mit Kritik an den Laufleistungen der rot-weiß-roten Damen haben wir in den letzten Wochen nicht gespart, diese bleibt - leider - auch nach der letzten Weltcup-Station aufrecht. Die ÖSV-Ladies laufen der Konkurrenz hinterher. Wir wollen aber auch Positives in den Fokus rücken: Mit nur sechs Nachladern hat die "Not-Staffel", bestehend aus Susanne Hoffmann, Julia Schwaiger, Simone Kupfner und Susanna Kurzthaler, die drittbeste Leistung aller 22 teilnehmenden Nationen am Schießstand hingelegt. Das sollte auch entsprechend gewürdigt werden, denn die Mädels sind allesamt noch jung ("Seniorin" Hoffmann ist 21) und haben jede Menge Potenzial.
Die IBU-Cup-Herren sorgten auch in Ridnaun für gute Ergebnisse und lassen das Trainer-Team positiv auf die Weltcups in Übersee im Februar blicken, wo der eine oder andere eine Chance bekommen könnte. Tobias Eberhard als Sprint-Siebenter sorgte für das beste Resultat, doch auch Ex-Staffel-Europameister Lorenz Wäger mit den Plätzen elf (Verfolgung) und zwölf (Sprint) wusste zu überzeugen.
Für einen Schockmoment sorgte Lisa Hauser im Massenstart der Damen. Während der zweiten Runde haben die Betreuer gemerkt, dass etwas nicht stimmt. Die Tirolerin suchte den Augenkontatk mit den Trainern und fragte, was sie tun solle. Die Anweisung lautete, auszusteigen, wenn sie sich nicht fühlt. Mit Ende der dritten Runde musste sie schließlich erstmals ein Weltcup-Rennen vorzeitig beenden.
#3 - Strafrunden leistete sich Johannes Kühn als zweiter Läufer der deutschen Herren-Staffel und brachte die Lokalmatadoren damit frühzeitig um alle Chancen auf das Podest. Am Ende wurde es immerhin noch der fünfte Rang. "So ein Sch...! Staffel dahoam - und dann das", konnte er selbst nicht glauben, was da passiert war.
#6 - Platz sechs für die US-Herren-Staffel ist das beste Ergebnis seit mehr als drei Jahren. In Oberhof wurden die Herren in Stars and Stripes 2013 Fünfte.
#10 - Gabriela Soukalova feierte in Ruhpolding Sieg-Jubiläum und hat sich in der ewigen Bestenliste auf Rang 16 vorgearbeitet. Unter allen Aktiven (inklusive Darya Domracheva) ist sie bereits Dritte.
#19,75 Jahre war Österreichs Damen-Staffel im Schnitt alt. Ein derart junges Team stellte der ÖSV noch nie.
Aufmerksame Leser haben letzte Woche vielleicht schon mitbekommen, was mit Katharina Innerhofer los ist (hier geht's zur ausführlichen Story). Weitere Untersuchungen haben nun ergeben, dass sie nicht nur von einem viralen Infekt heimgesucht wurde, sondern dieser auch noch von einem bakteriellen überlagert ist. Ihr Immunsystem brach dadurch zusammen, laut Dr. Ulrich Haegele, der die Salzburgerin behandelt, "ist eine längere Wettkampfpause zwingend notwendig". "Ich vermisse sie schon", erklärte Lisa Hauser. "Es tut mir leid für sie, weil wir super auskommen und ich super gern mit ihr das Zimmer geteilt habe."
Für heftige Diskussionen und - für Biathlon-Fans völlig untypisch - Buhrufe sorgte das grande Finale der Damen-Staffel. Olena Pidhrushna und Laura Dahlmeier bogen gemeinsam auf die Zielgerade ein. Für gewöhnlich wählen die Kontrahenten unterschiedliche Bahnen, doch die Ukrainerin suchte sich dieselbe aus wie die Deutsche. Damit machte Pidhrushna der Lokalmatadorin die Tür zu und schnitt ihr den Weg ab. Der Sieg war in trockenen Tüchern. "Es war grenzwertig, aber noch korrekt", befand ZDF-Experte Sven Fischer, während die Zuschauer ihren Unmut lautstark zu verstehen gaben. Hier könnt ihr euch selbst ein Urteil bilden:
Et la victoire revient dans ce relais à... l'Ukraine ! #biathlon21 pic.twitter.com/g9OHevdHmU
— L'ÉQUIPE 21 (@lequipe21) 17. Januar 2016
Unfassbare Szenen spielten sich in der Damen-Staffel bereits davor ab. Weißrussland übernahm nach dem fünften Schießen dank Nadzeya Pisareva die Führung. Diese konnte die 27-Jährige auch im Stehendanschlag halten, ehe der Ofen aus war. Ein Infekt soll Pisareva derart geschwächt haben, dass sie auf der Strecke beinahe kollabierte. Über den Funk vernahmen die anderen Teams bereits ihre Aufgabe, doch ein Betreuer schrie ihr zu, sie solle weiterlaufen. Völlig entkräftet ließ sei eine Konkurrentin nach der anderen passieren und übergab schließlich total erschöpft als Elfte. Auch wenn die Hintergründe unklar sind, ist das Verhalten der Betreuer unverantwortlich.
Macht sie es oder macht sie es nicht? Darya Domracheva soll Medienberichten zufolge vor einem Comeback stehen und für die WM in Oslo ihre Rückkehr planen. Das Gerücht machte auch in Ruhpolding schnell die Runde. "Kornspitz"-Sportdirektor Christoph Sumann, der in dieser Funktion auch für die Weißrussin verantwortlich ist, erklärte auf Nachfrage, dass er nichts davon wüsste, sich eine Kehrtwende aber durchaus vorstellen könnte. Und was sagte Domracheva selbst? "Nur Gerüchte!" Ihr Lächeln dabei bietet Nährboden für weitere Spekulationen.
"Wir sind das Wimbledon des Biathlon" - erklärte Ruhpoldings Bürgermeister Claus Pichler. Wir schließen daraus, dass Hochfilzen die Australian Open bilden, Oberhof die French Open sind und in Antholz die US Open durchgeführt werden.
Christoph Nister / Henriette Werner