Mattighofen mag nur knapp 7.000 Einwohner haben. In der Motorrad-Welt ist die oberösterreichische Gemeinde aber eine Art Metropole - als Heimat des größten europäischen Herstellers.
KTM ist im Offroad seit Jahrzehnten ein "Big Player", 18 Dakar-Siege sind nur ein Zeugnis davon. Auf der Straße wird seit 2003 mitgewirkt, seit 2017 auch in der MotoGP - und seit 2020 stehen in der "Königsklasse" die ersten Siege zu Buche, mittlerweile vier an der Zahl.
Damit hat Orange Österreich auf der Zweirad-Landkarte endgültig groß eingetragen. Und der Weg soll bei den ersten Siegen nicht enden: Bis mindestens 2026 wird das MotoGP-Engagement auf jeden Fall fortgeführt, das ist längst klar. Ein Zeitraum, in dem auch WM-Titel folgen sollen.
Motorsport-Direktor Pit Beirer spricht im LAOLA1-Interview über die ersten MotoGP-Schritte zum Status quo und die nächsten Hoffnungen:
LAOLA1: KTM als Sieger-Team, gegenwärtig zwei Rennen: Wo lässt sich Österreich in der großen MotoGP-Welt verorten?
Pit Beirer: Wir haben hundert österreichische Mitarbeiter im Paddock und am Sachsenring mal durchgezählt: Mit allen Rahmenserien standen da 74 KTMs. 16 Moto3-Bikes, vier MotoGP-Bikes, das sind schonmal 20, plus zwei Cups dazu – wir sind im Fahrerlager schon wahrnehmbar. Aber was du in den kleinen Klassen tust, wird nicht so groß wahrgenommen. Wenn du dich in die MotoGP reintraust, wirst du daran gemessen. Da verkaufen wir uns bisher auch gut. Das Projekt hat jetzt vier Siege stehen - wir sind angekommen. Die kopflastige Japaner-Vorherrschaft ist nicht mehr da, es ist mit Ducati, Aprilia und uns gut durchgemischt. Da haben wir die rot-weiß-roten Farben sehr gut mit reingebracht.
LAOLA1: Im vierten vollen MotoGP-Jahr gab es die ersten Siege. Wo liegt KTM im eigenen Zeitplan damit?
"Es waren so viele Nebenschauplätze. Erst seit einem Jahr machen die Mitarbeiter primär das, was sie eigentlich machen sollten: Das Motorrad verbessern."
Beirer: Ich habe den Verantwortlichen schon beim Beschluss des Einstiegs um Geduld gebeten. Aber fünf Jahre sind ein realistischer Plan, um in der Klasse anzukommen. Die Siege letztes Jahr kamen definitiv früher als erwartet. Umso schwieriger war der Saisonstart im fünften Jahr, als wir anfangs kaum in die Top Ten reingekommen sind. Das lief auch nicht wie erwartet. Du kannst den Masterplan daheim an die Toilettentür nageln, denn er bringt dir genau nichts. Du musst auf Sicht liefern. Wir haben das Rennen gut angenommen und sind auf Augenhöhe mit den Konkurrenten.
LAOLA1: Wird der nächste Schritt zu Titeln wohl noch einmal so groß wie jener zu den ersten Siegen?
Beirer: Der Step wird nochmal genauso brutal wie alles, was bisher war. Darauf muss man die Mannschaft einschwören. Das ist auch von den Fahrern abhängig, aber ich bin überzeugt, dass wir fantastische Fahrer haben. Wir dürfen technisch nicht hinter die Konkurrenz kommen, vielleicht machen wir auch einmal einen Schritt vor ihnen. Das haben wir noch in allen Sportarten irgendwann hingebracht. Früher war die Rede davon, dass die letzte Sekunde die schwierigste wird. Aber wir fahren seit zwei Jahren in der letzten Sekunde! Uns haben in Katar zwei Zehntel gefehlt und wir sind nicht in die Top Ten gefahren. Du bist hier auf einer dünnen Eisdecke unterwegs. Aber wenn wir nochmal einen kleinen Schritt machen können, wird es vielleicht spannend.
LAOLA1: Was waren die Key Learnings in den Jahren, die man machen musste, um den Anschluss zu schaffen?
Beirer: Da hatten wir nicht das eine "Aha-Erlebnis". Es geht darum, jeden Montag von der Strecke heimzufahren, in den Spiegel zu schauen und fehlende Leistung nie nur bei den Fahrern zu suchen. Das Chassis ist noch nicht da, der Motor, das Fahrwerk, die Gabel - egal, welches Detail. Montags muss jeder Abteilungsleiter an den Tisch und auf die Suche, wo finden wir das nächste Zehntel? Ohne irgendwelche Ausreden zu suchen. Ehrlich und nüchtern zu analysieren, war ein wichtiges Projekt. Du musst versuchen, die besten Leute um dich zu scharen. Mike Leitner (Race Manager, Anm.) ist ein unglaublicher Aufdecker der Schwachstellen. Das Schlimmste im Rennsport ist, nichts zu verändern. Dann wirst du nicht besser. Wir haben viele sogenannte Masterpläne in den Müll geschmissen. Trotz schlimmster Momente, etwa, als es mit Johann Zarco überhaupt nicht lief, haben wir nie den Glauben an das Projekt verloren. Aber wir schwimmen immer noch im wilden Wasser, hatten noch nie die Zeit, durchzuschnaufen.
LAOLA1: Millionen Details gibt es in der Formel 1 auch, dennoch gibt es dort immer wieder dominante Phasen eines Herstellers. Warum ist das in der MotoGP nicht der Fall?
(Text wird unterhalb fortgesetzt)
Beirer: Es ist immer die Frage: Was lässt das Reglement zu? Wie weit kann sich ein Hersteller bewegen? Hier hat die Dorna (MotoGP-Veranstalter, Anm.) die letzten acht Jahre gute Schritte gesetzt, damit keiner zu weit weg galoppieren konnte. Man nicht zig Sensoren auf das Motorrad packen und es zu einem fahrenden Roboter machen durfte. Die 24 Fahrer machen sich das unter sich aus und von außen kann keiner eingreifen. Du musst eine Entscheidung vor dem Rennen treffen und dann fahren die Fahrer ohne äußere Einflüsse los. Das bringt extrem spannenden Motorsport.
LAOLA1: Das Commitment zur MotoGP ist bis 2026 ausgesprochen. Was ist in den nächsten Jahren von KTM zu erwarten?
Beirer: Wir haben nie einen Hehl daraus gemacht, dass ganz tief drin bei uns der Wunsch schlummert, MotoGP-Weltmeister zu werden. Dass der Weg steinig wird, haben wir erwartet. Es war aber nicht schlimmer als vorgestellt – es war hart, aber auch cool. Was wir in Österreich in kurzer Zeit an Motorrad-Technologie entwickelt haben, ist unglaublich. Alleine diesen Technologie-Sprung für die Firma geschafft zu haben, war gewaltig. Wir haben bei der Dakar sieben Fehlversuche gehabt. Wir werden auch hier am Ball bleiben, bis es soweit ist. Der Vorstand hat uns das Vertrauen für weitere fünf Jahre ausgesprochen. Damit haben wir einen ganz klaren Plan. Unsere Leute hatten bis hierher auch eine echte Mammutaufgabe mit viel Strukturarbeit: Wir haben die Motorsportabteilung aufbauen dürfen, wir haben LKWs und eine Werkstatt gebaut, ein Testteam geformt, die Kinder der Mitarbeiter aus Spanien, Italien und England in den Schulen integriert… es waren so viele Nebenschauplätze. Erst seit einem Jahr machen die Mitarbeiter primär das, was sie eigentlich machen sollten: Das Motorrad verbessern. Wir haben uns für den harten Weg entschieden, konnten nichts abkupfern, fahren ein eigenes Chassis und einen eigenen Motor. Der nächste Schritt wird kommen. Und wenn wir den machen, wird es der Konkurrenz nichts bringen, unsere Garage abzufotografieren, weil sie nichts auf ihre Bikes umlegen können. Was bisher ein Nachteil war, soll eine Stärke des Projekts werden: Dass wir unser eigenes Ding machen. In diesem Jahr schon vom Titel zu sprechen, wäre vermessen, aber mit Miguel Oliveira sollen wir schon in Richtung Top drei der WM blicken.
LAOLA1: Kann der betriebene Aufwand in Wert für die Marke übersetzt werden?
Beirer: Ich denke schon. Als wir uns für das MotoGP-Projekt entschieden haben, war klar: Die Gewinne des Konzerns könnten mal zwei, drei Jahre leiden. Am Anfang ging es um 20 Millionen Euro Investment pro Saison, jetzt sind wir beim Doppelten. Aber wir haben in keinem dieser Jahre eine Gewinnreduzierung erlebt. Die Firma ist schneller gewachsen, als der MotoGP-Einsatz gekostet hat. Das ist eine große Antwort. Ich hoffe doch, dass der MotoGP-Einsatz selbst da einen Anteil an Werbung dazu beigetragen hat. Mit der Größe, die wir als Firma haben, können und müssen wir es mit den anderen Großen aufnehmen – und da gehört die MotoGP eben dazu. Wir fühlen uns hier wohl und sind gekommen, um zu bleiben.