Am 23. September 2010, genau vor einem Jahr, beendete Österreichs Schwimm-Star Mirna Jukic überraschend ihre beeindruckende Bilderbuch-Karriere.
Jetzt spricht die Dritte der Olympischen Spielen 2008 erstmals ausführlich im LAOLA1-Interview über ihre aktive Zeit, das fehlende Kribbeln danach und den Wunsch, "normal" sein zu können.
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Im zweiten Teil klärt Jukic über Schulterklopfer, Selbstzweifel, Bruder Dinko und Ex-Freund Melzer auf.
LAOLA1: Mirna, genau vor einem Jahr hast du deine Karriere beendet. Was waren die eigentlichen Beweggründe für deinen überraschenden und vor allem frühen Rücktritt?
Mirna Jukic: Dafür gab es einige. Zum einen war ich immer der Meinung aufzuhören, wenn es am schönsten ist, und man am Höhepunkt seiner Karriere steht. Nach so vielen Aufs und Abs war es der richtige Weg. Nachdem ich die Olympiamedaille um den Hals hatte, sagte mein Vater: „Von mir aus kannst du deinen Badeanzug aufhängen und brauchst ihn nie wieder in die Hand nehmen.“ Dieser Satz hat mich in meiner Entscheidung gestärkt und mir gezeigt, dass ich in erster Linie seine Tochter bin und er zufrieden ist, mit dem wie und wer ich bin und was ich geleistet habe. Der Zeitpunkt, eine neue Karriere zu starten, ist der Richtige. Ich bin 25 Jahre jung und bereit für die Karriere nach der Karriere.
LAOLA1: Dein Vater ist als dein Trainer in deinem Leben sehr präsent. War es oft schwierig oder nervig?
Jukic: Ich habe das immer als etwas Gutes gesehen. Für meinen Vater war ich immer die kleine Prinzessin, er hat auf mich aufgepasst und immer in meinem Sinne gehandelt. Ich habe lernen müssen, an den Tagen, an denen ich Frühtraining hatte, nicht allzu lang auf zu bleiben, um meine Leistungsfähigkeit nicht zu beeinträchtigen.
LAOLA1: Hast du dich in der Zeit des Leistungssports auch etwas ausleben können, oder bleibt ein Gefühl, etwas verpasst zu haben?
Jukic: Ich habe immer nach dem Motto "Arbeit, Ordnung, Disziplin" gearbeitet. Ich hatte immer eine Ordnung in meinem Leben, alles war oder ist geplant. Ich wusste, Schule, Hausübungen, Training müssen erledigt werden. Ich habe immer versucht, Hausaufgaben so früh wie möglich zu machen, um dann möglichst viel Zeit mit meinen Freunden verbringen zu können. Spontanität war jedoch schwierig. Zu sagen, ich fliege jetzt einfach für drei Tage weg, war als Leistungssportler nicht drin. Ich habe in meiner aktiven Karriere so viele großartige Menschen kennenlernen dürfen, diese Zeit hat mich um ein Stück reicher gemacht. In den letzten zwei Jahren konnte ich meine Zeit genießen. Hätte ich mir gedacht, etwas aufholen zu müssen, wäre das der beste Zeitpunkt dafür gewesen. Im Endeffekt bin ich draufgekommen, dass ich nicht besonders viel anders gemacht habe als zuvor.
LAOLA1: In einem Interview war zu lesen, dass du nach der aktiven Zeit die schönen Seiten des Lebens genießen willst. Hast du dieses Vorhaben bislang verwirklichen können?
Jukic: Als Leistungssportler steht man doch immer ein bisschen unter Druck, es gibt Erwartungen, die du erfüllen musst. Dieses Gefühl war in der letzten Zeit erstmals weg. Ich konnte eine ganz normale Studentin sein, die zwei oder drei Mal auf die Uni geht und zu Hause nichts tut. Das ging mir schnell auf die Nerven, man kommt sich bald sinnlos vor. Für mich war das ein großer Lernprozess, da ich versuchen musste, mich anders zu beschäftigen. Zum Glück bin ich jung und kann mich noch besser auf das Leben einstellen.
LAOLA1: Viele Sportler erkennen das erst zu spät oder gar nicht und laufen dem Karriere-Ende hinterher.
LAOLA1: Hast du dein sportliches Potenzial zu 100 Prozent ausgeschöpft? War das Erfolgskonzept Vater-Tochter der richtige Weg?
Jukic: Mein Vater und ich haben in unserer Zusammenarbeit alles ausgeschöpft, was zum Ausschöpfen war. Mir wäre eigentlich nur verblieben, einen neuen Trainer zu suchen. Ich weiß genau, was es heißt, sich auf Großereignisse vorbereiten zu müssen. Bei einem neuen Trainer-Team weiß man nie, wie man darauf reagiert und ob einem die Umstellung gut tut. Somit war für mich diese Überlegung hinfällig. Mein Vater und ich sind seit meinem 10. Lebensjahr ein Team, die Zusammenarbeit mit ihm als Trainer hatte sicher seine Vor- und Nachteile. Ein riesiger Vorteil war, dass er als mein Vater immer gewusst hat, wann ich schlafen gehe, wie lange ich schlafe, wie lange ich in der Schule war, etc. Er passte das Training genau meinem Alltag an. Ein anderer Trainer hat seinen Plan, da kommst du ins Training und musst ihn ausführen, dem ist es wurscht, was sich alles in deinem Leben abgespielt hat. Ich hatte die große Chance und das Glück, in meinem Vater den perfekten Trainer zu finden.
Jukic: Vielen fehlt der Kick beim Wettkampf. Ich hingegen habe nicht das Gefühl wieder ins Becken reinspringen zu wollen. Es kribbelt nicht, weil ich genau weiß, was dahinter steckt, auf dem Startsockel zu stehen und bei einem Großereignis zu schwimmen. Ich habe 13 Jahre dafür gearbeitet, um dann eine Olympiamedaille um den Hals hängen zu haben. Wenn dir das einmal bewusst wird, kann der Moment schnell in der Enttäuschung enden. Das will ich mir einfach nicht mehr antun. Ich versuche, weiterhin im Schwimmsport dabei zu sein, um nicht alles auf einmal zu verlieren und meine Freunde und Kollegen weiterhin zu sehen.LAOLA1: Verstehst du Markus Rogan, der sich das antut, obwohl er weiß, dass er an gewissen Leuten nicht vorbeikommt?
Jukic: Ich kann ihn verstehen, er ist ein Wettkampftyp und ein Kämpfer. Er ist noch nicht bereit, diesen Kick aus seinem Leben verschwinden zu lassen und liebt es, sich zu messen. Markus sucht im Sport die Selbstbestätigung.
LAOLA1: Ist diese Entscheidung auch von der persönlichen Entwicklung abhängig?
Jukic: Ich bin kein Maßstab, mein Leben hat mich sehr geprägt. Den Krieg im Alter von fünf Jahren mitzuerleben, den Umzug in ein Land, deren Sprache ich nicht kann, ohne Mutter - diese Dinge zwingen einen einfach dazu, schneller erwachsen zu werden und etwas anders zu ticken als eine durchschnittliche 25-jährige junge Frau.
LAOLA1: Würdest du sagen, dass du heute ein normales Leben lebst und eine normale Studentin sein kannst?
Jukic: Der Wunsch, „normal“ sein zu können oder zu dürfen, ist da, doch ich werde von der Öffentlichkeit als „Superstar“ wahrgenommen. Ich weiß nicht, wann oder ob das je aufhört. Für mich ist es wichtig, mit mir selbst und dem was ich mache, zufrieden sein zu können. Ich kann und will es der Öffentlichkeit nicht immer recht machen.
LAOLA1: Was würde dich am heutigen Stand glücklich machen?
Jukic: Alles kann eigentlich so bleiben wie es ist, es taugt mir. Das Gesamtpaket stimmt, wenn meine Familie gesund ist, ich jene Menschen an meiner Seite habe, auf die ich mich verlassen kann und ich einen Job habe, der mich erfüllt. Irgendwann werden auch der richtige Mann und Kinder in meinem Leben da sein, aber bis dahin ist noch Zeit.
LAOLA1: Du hast so viele Projekte und neue Aufgaben, die auf dich zukommen. Wirst du dem Schwimmsport treu bleiben?
Jukic: Es wär egoistisch von mir, nichts für den Schwimmsport zu tun. Ich möchte gerne dem Nachwuchs mein Wissen und meine Erfahrung weitergeben. Ich habe begonnen, im OSV in der Nachwuchs- und Jugendarbeit zu arbeiten. Ich möchte ihnen zu verstehen geben, dass man nicht immer selber Fehler machen muss, sondern von Fehlern anderer viel lernen kann. Ich war gerade mit dem Jugendkader unterwegs. Wir versuchen momentan eine Beziehung aufzubauen, damit sie mich nicht als den “Superstar“ sehen, sondern wissen, dass ich für sie da bin, wenn es zwickt.
LAOLA1: In deiner Heimatstadt Vukovar engagierst du dich für ein Schwimmbad-Projekt.
Jukic: Als ich zwölf Jahre alt war, habe ich ein Interview für eine kroatische Zeitung gegeben, in dem sie gesagt haben, dass sie eines Tages ein Schwimmbad in meiner Heimatstadt für mich bauen werden. Leider ist daraus nie etwas geworden. Aber wieso kann ich nicht etwas dafür tun, um anderen kleinen Mirnas die Chance zu geben, große Schwimmerinnen zu werden?
LAOLA1: Hast du das Gefühl, wenn du so über deine Projekte sprichst, du musst dem Schwimmverband etwas zurückgeben?
Jukic: Nicht müssen, ich will. Meine Eltern haben mir gelehrt, niemanden etwas zurückgeben zu müssen. Seit zwölf Jahren führen meine Eltern eine Wochenendbeziehung, nur damit mein Bruder und ich unseren Traum leben können. Ich weiß nicht, wie ich ihnen je dafür danken kann. Meine Eltern sagen immer: „Das Einzige, was wir von Euch verlangen, ist, dass ihr eines Tages euren Kindern die richtigen Werte vermittelt, mehr wollen wir nicht. Wir sind eure Eltern, wir würden alles für euch tun." Das ist bedingungslose Liebe.
LAOLA1: Im Moment bleiben die "kleinen Mirnas" aus. Welche Struktur fehlt im Verband?
Jukic: Markus, Maxim, mein Bruder und ich sind alles Projekte einer Einzelarbeit. Leider! Es muss einiges in den Grundstrukturen verändert werden. Nicht nur im Schwimmsport, sondern in allen Sportarten. Das Problem in Österreich ist, dass jeder Trainer von sich glaubt, er ist der Beste, viele mögen einander nicht und streiten. Man kann nicht aus jedem Sportler einen Superstar machen, leider sind viele nicht in der Lage zuzugeben, dass sie versagt haben.
Jukic: Es gibt genügend Sportler, die wieder beginnen. Manche haben Kinder, sind verheiratet und fangen wieder an. Ich kann es nicht verstehen. Viele wissen nicht, was sie nach ihrer Karriere machen sollen, genau das wollte ich vermeiden. Mein Ziel war es irgendwann so weit zu sein, dass ich sagen kann: „Okay, ich bin auch ohne Schwimmen etwas wert." Schlechte Phasen waren keine Seltenheit. Ich bin oft dagesessen und habe mir überlegt, was ich eigentlich kann. Um nicht in ein tiefes Loch zu fallen, muss ich bewusst durchs Leben gehen. Wichtig dabei ist es sich einzugestehen, dass es einem schlecht geht und man Hilfe annehmen darf. Es gibt so viele Möglichkeiten, man muss über seinen Schatten springen und rund um sich die guten Dinge erkennen. Ich will mich nicht nur übers Schwimmen definieren, es gibt so viel mehr im Leben.
LAOLA1: Spielt der Faktor, im Sport einmal ganz oben gewesen zu sein, eine große Rolle, weshalb viele wieder durchstarten wollen?
LAOLA1: Glaubst du, du hättest mit einer Karriere in Kroatien Gold holen können, alleine wegen der Mentalität und dem sportlichen Umfeld?
Jukic: Obwohl mir sehr viele Steine in den Weg gelegt wurden, habe ich immer weitergekämpft, da ich genau gewusst habe, für was ich hart arbeite. Ich will das gar nicht in Frage stellen, ich weiß, warum ich nach Österreich gekommen bin. Viele geben sich mit Mittelmäßigkeit zufrieden. Ich wollte besser sein als irgendein Durchschnitt, egal in welchem Land ich lebe.
Das Interview führte Patricia Kaiser
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