Die Sissi-Filme gehören zu Österreich wie der Adler auf der Fahne.
Die Trilogie über die Schicksalsjahre der österreichischen Kaiserin sind aber nicht nur romantisch, langatmig und Ursprung diverser Trinkspiele – nein, sie sind mehr.
Was allerdings nur die wenigsten wissen, sind sie auch dafür verantwortlich, dass mit Liu Jia die erfolgreichste rot-weiß-rote Tischtennis-Spielerin einst den Weg nach Österreich fand.
Heute hat die 30-Jährige Österreich bereits bei drei Olympischen Spielen (2000, 2004, 2008) vertreten. Für jene in London hat sie sich ebenfalls qualifiziert.
Flucht vor dem System
Vor über 15 Jahren war aber noch keineswegs abzusehen, dass Österreich eine künftige Europameisterin (2005) ins Haus schneit. Liu machte sich damals im chinesischen Nachwuchs einen Namen. Ihr Glück suchte sie dort allerdings vergeblich. „Ich war schon immer ein Mensch, der einen guten Instinkt hatte. Ich habe gespürt, dass mich das chinesische System tötet. Darum hatte ich mit 15 Jahren nur ein Ziel und das lautete weg aus China“, erinnert sich Liu im Gespräch mit LAOLA1.
Ungeachtet der individuellen Besonderheiten oder Bedürfnisse durchlaufen in China alle das gleiche Programm. Angesichts des unerschöpflichen Reservoirs an Talenten ein probates Mittel. Für Liu allerdings ein Albtraum.
„Ich sage nicht, dass das chinesische System schlecht ist, nur habe ich mich darin nicht wohl gefühlt“, schwächt die Linzerin ab.
Sissi vs. Privat-Koch
Aufgrund ihres unübersehbaren Talents taten sich schnell neue Optionen auf. Eine war äußerst verlockend. „Das japanische Team wollte mich unbedingt. Sie sind zu mir nach Hause gekommen, waren bei meinem Trainer – sie haben wirklich alles versucht. Sie hätten mir sogar eine Wohnung, einen Privat-Lehrer und einen Koch zur Verfügung gestellt“, verrät die gebürtige Pekingerin, die jedoch etwas anderes im Sinne hatte – und zwar Österreich.
Von dort gab es ebenso ein Angebot, allerdings bei weitem nicht so attraktiv wie jenes der Japaner. Was Liu von Österreich wusste? „Ich kannte nur die Sissi-Filme. Ich habe sie sicher 100 Mal gesehen. Die waren so romantisch und Romy Schneider so hübsch“, lacht „Susi“, die aber zu bedenken gibt, dass sie damals noch in der Pubertät steckte.
Bevor sie aber „Ja zu A“ sagen konnte, musste sie noch ihre Eltern überzeugen, die sie aufgrund der geographischen sowie kulturellen Nähe lieber nach Japan geschickt hätten. „Ich habe dafür gekämpft und letztendlich haben sie es respektiert.“
Feiner Gaumen
Mit der Reise nach Österreich war aber längst nicht alles eitel Wonne. Es wartete ein handfester Kulturschock. „Ich kam aus einer Milliardenstadt, wo rund um die Uhr, etwas los ist – und hier in Linz war um sechs Uhr alles zu. Ich bin im März nach Österreich gekommen, da war es früh dunkel und es war kein Mensch mehr auf der Straße. Das war Wahnsinn für mich!“
Doch selbst wenn die Geschäfte offen hatten: Was kaufen? „Günther (Linz-Froschberg-Obmann Renner; Anm.) hat am Anfang versucht, das beste Essen für mich aufzutreiben, aber das war nichts für mich“, schüttelt Liu grinsend den Kopf. Denn alles, was sie wollte, war Reis. „Schließlich kannte ich ja nichts anderes.“
Klingt wie Apfelsaft
Die Umstellung auf die neue Umwelt benötigte ihre Zeit. Auch umgekehrt musste sich die Umwelt erst an die chinesische Teenagerin, die noch kein Wort Deutsch sprach, gewöhnen. Alleine der Name Liu Jia stellte so manchen bereits vor eine große Herausforderung. Unter anderem auch die damalige Nummer eins Österreichs, Petra Fichtinger. Deren linguistischen Unvermögen war schließlich der Spitzname „Susi“ zu verdanken.
„Ich möchte, dass sie unbedingt die Muttersprachen beherrscht“, erklärt sie mit fester Stimme. Über Deutsch macht sie sich weniger Sorgen als um Chinesisch und Dänisch.
„Von der Erziehung her glaube ich, dass das eine sehr gute Mischung ist. Vom Typ her bin ich schon sehr diszipliniert, bei weitem kein Genussmensch. Die Kultur in Österreich finde ich eher locker, die Menschen hier genießen das Leben, was ja auch schön ist. Ich bin da ein bisschen anders, wurde auch anders erzogen. Mein Mann ist in dieser Hinsicht eine Mischung. Er ist sehr ehrgeizig. Darum glaube ich, dass wir gute Vorbilder für Anna sind. Und die österreichische Kultur wird sie ohnehin über die Schule und ihre Freunde aufsaugen.“
Mut zum Risiko
Was einem sofort auffällt: „Susi“ kann nicht über Anna reden, ohne dabei unweigerlich zu strahlen. Dieses neugewonnene Glück überträgt sich auch auf ihr Spiel und die Vorbereitung auf die Olympischen Spiele, die nicht die letzten ihrer Karriere sein sollen. „Rio 2016 habe ich mir bereits dick angestrichen.“
Nach drei schwachen Olympia-Auftritten geht sie vor London neue Wege. „Ich muss vielmehr Mut haben, auf Quantität zu verzichten. Früher habe ich mich zu Tode trainiert.“
Nun will sie vor allem im Kopf frei sein, um so ihr Spiel besser umsetzen zu können. „Außerdem möchte ich viel Zeit mit Anna verbringen, weil sie mir so viel Energie gibt. Ich merke, dass ich auch an schlechten Tagen einfach abschalten kann, wenn ich sie sehe“, spricht sie von ihrem neuen Sinn des Lebens.
„Ich weiß zwar nicht, ob ich dadurch bei den Olympischen Spielen besser spielen werde, aber ich weiß, dass es mir dann besser geht.“
Reinhold Pühringer
„Petra hatte sich kurz vor der WM verletzt“, erinnert sich Liu. „Günther hat sie im tiefsten Niederösterreich besucht und mich kurzerhand mitgenommen. Ich glaube, dort hatten sie noch nie zuvor eine Chinesin gesehen“, schmunzelt die Linkshänderin.
„Sie haben mir damals den ‚Susi‘-Apfelsaft, den es damals bei ‚Hofer‘ gab, angeboten. Petra hat gesagt: Dieses Lu…Liu Ja…kann ich nicht aussprechen, ich nenne dich ab jetzt Susi.“ In den darauffolgenden 15 Jahren ist viel passiert, doch der Spitzname ist geblieben.
Mittlerweile genießt sie in der neuen Halle in Lissfeld praktisch Hausrecht. „Ich habe einen eigenen Schlüssel, kann somit jederzeit kommen, um zu trainieren.“ Nur einen Steinwurf entfernt wohnt sie gemeinsam mit Lebensgefährte David Arvidsson und der erst wenige Monate alten Tochter Anna.
Die Mischung macht es
Als ehemaliger Tischtennis-Spieler (Liu: „In der Jugend hat er leistungsmäßig gespielt, danach hat er aufgehört.“) steht Arvidsson voll hinter den Zielen seiner besseren Hälfte. Kennengelernt hat sich das Paar in seiner dänischen Heimat. „Er ist wegen mir nach Österreich gezogen und arbeitet nun bei Linz AG.“
Chinesische Mutter, dänischer Vater, österreichisches Umfeld – wie wird da die Erziehung von Töchterchen Anna aussehen? Eine Frage, über die sich auch „Susi“ bereits Gedanken gemacht hat.