Wenn am Wochenende die Formel 1 in Bahrain in ihre Saison 2021 startet, ist die allgemeine Erwartungshaltung wieder: Lewis Hamilton muss erst einmal geschlagen werden.
Der letzte Mann, dem das gelang, hat sein aktives Kapitel in der "Königsklasse" längst beendet: Nico Rosberg, Weltmeister 2016.
Seit seinem Rücktritt, gleich im Anschluss an den einzigen Titelgewinn, hat sich der Deutsche komplett einem neuen Mittelpunkt in seinem Leben verschrieben: Der Mobilitätswende.
Der 35-Jährige ist riesiger Verfechter der Elektro-Mobilität. Er hat bereits finanziell in die Formel E investiert und wird als Teambesitzer der neuen Rallye-Serie Extreme E, die in Kürze in ihre Premieren-Saison startet, auch wieder Kontrahent von Lewis Hamilton - der Brite besitzt ebenfalls ein Team.
Auf mehreren Ebenen dem Thema verschrieben
Auch abseits des Motorsports ist Rosberg in diesem Bereich aktiv. Zusammen mit seinem Vater Keke Rosberg betreibt er die Firma "Team Rosberg Engineering", die Erfahrungen aus dem Rennsport in die Serienproduktion übertragen soll. Dazu investierte er in das E-Scooter-Startup "Tier" und das Klima-Startup "Planetly".
Auch auf aktionistischer Seite ist Rosberg schon tätig geworden. Er war Sprecher auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos 2019, wo er sich zur Klimakrise äußerte, nahm bei "Fridays for Future" teil und ist Mitbegründer des "GreenTech Festival" in Berlin, das 2019 erstmals stattfand.
"Dieses Versprechen habe ich mir noch während meiner Formel-1- Karriere gegeben: Nach der ego-getriebenen Phase würde eine kommen, in der ich etwas fürs große Ganze tue. Ich spürte, dass etwas fehlte", meinte Rosberg erst gegenüber dem "Red Bulletin Innovator".
Und er ist überzeugt: Die Formel 1 muss in eine elektrische Zukunft gehen.
Selbst der neue F1-Weg nicht nachhaltig genug?
"Wenn die ganze Welt Elektro-Autos oder Autos mit Wasserstoffantrieb fährt, dann kann die Formel 1 nicht am Verbrennungsmotor festhalten. Das würde keinen Sinn machen", sagte Rosberg schon am Weltwirtschaftsforum vor zwei Jahren.
"Und in der Formel 1 läuft alles sehr, sehr schnell ab. Selbst wenn es darum geht, Entscheidungen zu treffen."
Untermauert wird diese Ansicht durch den Blick zurück, was sich allein in den letzten zehn Jahren auf technischer Seite in der Königsklasse getan hat. Die Antriebe verbrauchen um ein Vielfaches weniger Sprit, verbauen hochkomplizierte zusätzliche Hybrid-Komponenten - und haben Leistung wie Geschwindigkeit gegenüber den 2000er-Jahren dennoch klar gesteigert.
"Sport hat eine unglaubliche Emotionalität, und die sollte man für das große Ganze nutzen: Gutes tun, die große Masse auf den richtigen Weg leiten, Vorbild sein."
So gesehen sind derartige Zeiträume nicht utopisch. Auch mit Blick in die Zukunft blickend: 2030 will die Königsklasse völlig klimaneutral agieren. Auf welchem Weg genau, ist noch nicht festgelegt.
Klar scheint, dass die Hinwendung zu alternativen Antriebsformen vorerst noch ein zu großer Schritt sein wird. Weder Elektro- noch Wasserstoff-Antriebe werden in diesem Zeitraum weit genug entwickelt sein, um die nötige Performance liefern zu können.
Viel besser vorstellbar ist, dass die Formel 1 den Ansatz konsequent weiterverfolgt, der schon jetzt begonnen hat: Der Umstieg auf alternative Kraftstoffe. Schon 2023 soll nur mehr mit Bio-Kraftstoffen gefahren werden - noch nicht abzusehen, was sieben Jahre später der Stand der Dinge sein könnte.
Formel 1 wird eher auf Verbrenner setzen
Im Interview mit "Motorsport-Total.com" ist Mercedes-Teamchef Toto Wolff jedenfalls noch davon überzeugt, dass es für die Formel 1 abseits des Verbrenner-Motors noch lange keine ernste Alternative geben wird, die angestrebte Nachhaltigkeit auf anderem Wege erreicht werden muss.
"Selbst die dynamischsten Daten zeigen, dass wir nicht 2025 30 Prozent Elektroautos haben werden, sondern 2030. Wir sehen gerade einen großen Push für Biobenzin und synthetischen Treibstoff, was die Emissionen von Benzinern enorm reduziert, solange die Energie aus nachhaltigen Quellen kommt. Daher glaube ich nicht, dass man heute seriös einschätzen kann, wo die Autoindustrie im Jahr 2030 stehen wird", so der Wiener.
"Und es gibt Premiumhersteller wie Daimler, die weiterhin in Verbrennungsmotoren investieren, weil diese in Kombination mit nachhaltigen Treibstoffen einen viel besseren CO2-Fußabdruck hinterlassen als manche der heutigen Elektroautos, für deren Produktion Kohle oder Gas als Energiequelle dienen."
Botschaft über Emotion vermitteln
Im Bereich alternativer Antriebsformen wird der Fokus also weiterhin bei anderen Rennserien bleiben, die sich voll und ganz darauf verschrieben haben.
Ob die Formel 1 dadurch nicht irgendwann komplett obsolet wird, ist noch schwer abzusehen. Wie die Zukunft der Mobilität in ihrer Gänze.
"Wir werden – jedenfalls in der westlichen Welt – überwiegend komplett emissionsfrei unterwegs sein, und zwar tatsächlich, nicht nur rechnerisch mithilfe von Kompensationsmassnahmen. Darüber hinaus wird es Mobilitätsketten geben. Wir werden eine einzige Mobilitäts-App haben, ein Von-A-nach-B-Abo, so wie Netflix. Dieses Mobilitäts-Netflix wird mir die Transportkette bereitstellen", zeichnet Rosberg sein Bild der Zukunft.
Über die reichweitenstarke Plattform des Motorsports sollen Schritte gesetzt und Grundsteine gelegt werden, diese Zukunft überhaupt erst breitenfähig zu machen und in den Köpfen festzusetzen. Teilweise findet auch der gute, alte Technologie-Transfer statt - so wurden Elektro-Motoren für die breite Masse von Formel-E-Teams mitentwickelt.
Formel 1, Formel E, Extreme E - sie alle erreichen jedenfalls ein unterschiedliches Publikum.
"Sport hat eine unglaubliche Emotionalität, und die sollte man für das große Ganze nutzen: Gutes tun, die große Masse auf den richtigen Weg leiten, Vorbild sein."
Und eines Tages, so ist Rosberg überzeugt, wird man auf die Gegenwart zurückblickend, wie man es heute auf die Zeit ohne Sicherheitsgurte tut. "Wir werden froh sein, dass die Wende gekommen ist, und sagen, dass es viel sinnvoller ist als damals."