Wenn man im Winter einen Mann verliert, der bis dato zehn Ligatore erzielt hatte, ist man für gewöhnlich aufgeschmissen. Umso mehr, wenn man ein kleiner Verein wie der FC Dornbirn ist, der traditionell eher ein Fall für den Abstiegskampf ist.
Aktuell gibt es beim FC Dornbirn wenig Grund, aufgeschmissen zu sein. Die junge Mannschaft, die Eric Orie nach einem Komplettumbruch im Sommer zusammengestellt hat, ist konkurrenzfähig und reift immer mehr. Mit 27 Punkten nach 21 Runden steht man so gut da, wie noch nie seit dem Aufstieg. Die Abstiegsränge sind aktuell sechs Zähler entfernt, aber nach oben hin ist es ebenso eng.
Und der verlorene Zehn-Tore-Mann Renan, den man im Winter nach Südkorea abgeben musste? Von dem redet keiner mehr.
Was vor allem an einem liegt: Gustavo Balotelli, eigentlich Gustavo Santos Costa.
Im Winter aus Vietnam geholt, schlug der 26-jährige Brasilianer bei den Rothosen komplett ein. Fünf Tore aus den ersten fünf Spielen sprechen Bände. Dornbirns Balotelli gehört eher zu den Zurückhaltenden. Von seinem prominenteren Namensvetter (aktuell mit fünf Treffern in 16 Spielen für den FC Sion) unterscheidet er sich diesbezüglich deutlich. Stattdessen lässt er Taten sprechen.
"Überrascht sollte man nie sein, wenn man Spieler holt", sagt Dornbirn-Trainer Thomas Janeschitz (56) schmunzelnd über seinen neuen Goalgetter. "Wir haben uns schon sehr genau erkundigt, der Eric (Orie, Dornbirns Sportdirektor, Anm.) hat sein Netzwerk spielen lassen. Wir haben uns den Spieler natürlich oft angeschaut - auf Videos, weil das unsere Möglichkeiten auch nicht anders zulassen."
Man habe schon gesehen, dass Gustavo Fähigkeiten habe, so Janeschitz und fügt hinzu: "Dass er dann so einschlägt, ist aber nicht planbar."
"Die Österreicher sind ein bisschen wie die Japaner: Sie reden nicht so viel und sind sehr ernst."
Fußball-Reisender
Nicht nur nicht planbar – sondern auch etwas verwunderlich, wenn man sich die Vita von Gustavo anschaut. Für zehn Vereine auf drei Kontinenten stand der 26-Jährige seit 2014 unter Vertrag. Wann das mit dem Fußball denn angefangen habe? 'Long time, no?', sagt Gustavo und grinst entschuldigend. Generell lacht Gustavo viel, im Spiel ist er da wesentlich ernster.
So wirklich angefangen hat das alles, als er zum EC Bahia ging, Gustavo spricht von einem 'Big Club'. Drei Jahre stand er bei Bahia unter Vertrag, gespielt hat er dort für die Kampfmannschaft nie. Stattdessen wurde er verliehen - nach Japan. Für ihn sei das damals eine große Chance gewesen. 'Dort waren super Spieler, die Leute hatten gute Kontakte. Aber ich habe nicht oft gespielt, war erst 18. Ich bin in Japan auch in die Schule gegangen, ein bisschen spreche ich japanisch.'
Die Japaner seien ähnlich wie die Österreicher, meint Gustavo: 'People don't speak too much, they’re very serious people.'
Statt Nagoya Grampus und der J1 League ging es nach zweieinhalb Jahren zu Roasso Kumamoto in die J2 League. 'Der Präsident hat mich angerufen und gemeint, ich soll zu ihnen wechseln', so Gustavo. In 30 Spielen für den Klub erzielte Gustavo dort fünf Treffer. "Aber sie haben mich nicht gekauft, weil sie das Geld nicht hatten."
Für Gustavo begann anschließend die Odyssee so richtig. In Vietnam kam er für Ho Chi Minh City FC nur zu zwei Einsätzen, bei mehreren Teams aus Brasilien gelang ihm der Durchbruch nicht, auch ein Engagement bei Apollon Larisas in der zweiten griechischen Liga verlief nicht problemlos – auch wenn der Angreifer dort endlich zu Einsätzen kam (vier Tore und zwei Vorlagen in 20 Spielen).
"Es war fußballerisch gut - aber sie haben nicht gezahlt", so Gustavo. Auch die Covid-Pandemie funkte dazwischen, sechs Monate saß der damals 23-Jährige in Griechenland fest.
Nach einer Rückkehr nach Brasilien lief er noch für den Sai Gon FC in der vietnamesischen Liga auf, zuletzt war er bei Thanh Hoa FC unter Vertrag. Dass er überhaupt nach Dornbirn gewechselt ist, hat auch mit einem Traum zu tun.
Der Traum
„Wir hatten ein sehr gutes Angebot aus Vietnam, das Angebot von Dornbirn waren zehn Prozent davon. Er hat gesagt: 'Davi, ich will nicht zurück'", erzählt sein Berater Davi Medrado.
Gustavo, selbst gläubiger Christ, habe einen Traum gehabt. Und in diesem Traum habe er in einem Stadion in Deutschland gespielt. Und in Österreich werde ja immerhin auch Deutsch gesprochen, fügt er grinsend hinzu. "Er kommt - und jetzt läuft es gut. Vielleicht ist es ein Zeichen von Gott."
"Man weiß nicht, wie schnell sich gerade auch Brasilianer einleben. Aber das ist bei ihm sehr schnell gegangen. Er hat immerhin nie Schnee gesehen, hat nie Kälte gehabt", so Janeschitz. So ganz stimmt das zwar nicht, in Japan sei es klimatisch recht ähnlich gewesen, so Gustavo. Aber über die schnelle Eingewöhnungsphase freuen sich beide. Mit Innenverteidiger William Rodrigues habe Gustavo eine absolute Bezugsperson gefunden, erzählt Janeschitz und fügt hinzu: "Er ist spaßig, integriert, von allen geschätzt - umgekehrt ist es glaube ich genauso."
"Dass er von Anfang an getroffen hat, hilft natürlich auch", so Janeschitz. Für den es wichtig gewesen sei, einen erfahrenen Spieler zu kriegen – weil die Zeit für Eingewöhnung nicht wirklich da war. "Wir waren nahe an den Abstiegsrängen und wissen, dass die Amateurteams im Frühling besser werden - also wir haben das schon immer sehr realistisch gesehen."
Vorbild Ronivaldo
"Wenn er die Kugel in Strafraumnähe hat, hat er eine unwahrscheinliche Qualität und Treffsicherheit im Abschluss, das ist beeindruckend", meint der Trainer über seinen Stürmer. Janeschitz – 68 Treffer in 246 Bundesliga-Spielen – muss es wissen. "Er ist auch - obwohl er nicht der größte ist - im Kopfball durchaus gut."
Seine "nur" 1,77 Meter an Körpergröße macht der Brasilianer mit seiner Physis weg. "Ich weiß, dass ich viele Muskeln habe und stark bin - und den Zweikampf immer probieren kann", so Gustavo. Als Vorbild nennt dessen Berater Ronivaldo. "Der ist ja auch nicht so groß, hat aber drei, vier Saisons lang sehr viele Tore gemacht."
Verbesserungsbedarf gibt es dennoch, Janeschitz und Gustavo wissen, wo. "Sicher seine Fitness, da muss er einfach zulegen, wenn er weiter rauf will. Das ist aber vermutlich auch mit den Möglichkeiten der Klubs, bei denen er gespielt hat, zusammenhängend", so Janeschitz. Es sei jedenfalls schon wesentlich besser geworden. Auch Gustavo meint, dass er noch ein paar Wochen brauche, um bei 100 Prozent zu sein: "Dann kann ich noch mehr laufen, der Mannschaft noch mehr helfen, mehr Tore machen."
Sein Ziel sei es, in jedem Spiel zu treffen. 18 Tore in einer Saison – das habe er sich vorgenommen. Mit einer Halbsaison bei den Rothosen ist das freilich nur schwer realisierbar. Die Quote passt derzeit aber. Zweimal traf er vom Punkt, einmal per Kopf, zweimal per Rechtsschuss:
"Ich habe schon mehr probiert, im letzten Spiel gegen die Vienna (zum Spielbericht >>>) war Lukse sehr gut, sonst hätte ich vielleicht drei Mal getroffen", so Gustavo. Die Liga sei aber nicht einfach, Dornbirn habe eine junge Mannschaft.
"Jetzt wird er das halbe Jahr mal machen und schauen, wohin sein Weg dann führt", blickt der Coach in die Zukunft. Gustavo hat da schon einen konkreteren Plan: "Ich möchte in einer höheren Liga spielen, das ist das Ziel. In der nächsten Saison möchte ich zu einem Team in der Bundesliga – oder nach Deutschland." Die Situation sei gerade gut, sagen er und sein Berater.
"Das mit dem Namen ist schon lustig. Aber ich mag meinen Namen: Gustavo."
Die Beziehung zum Namen
Und die Sache mit dem Namen? Als er in der Jugend in seiner Akademiemannschaft gespielt habe, habe er die gleiche Frisur gehabt, wie Mario Balotelli früher: Einen schmalen Irokesenschnitt mit rasierten Seiten.
"Alle haben nur noch Balotelli, Balotelli, Balotelli gerufen", sagt Gustavo und meint: "I don’t like this name." Der mittlerweile auch auf Transfermarkt gelistet ist und Omnipräsenz genießt. Es sei eh okay, er finde es auch etwas lustig. Lachend fügt er hinzu: "Ich mag aber meinen Namen: Gustavo."