Nach zwei Jahrzehnten Zweitklassigkeit ist der SC Austria Lustenau drauf und dran, in die Bundesliga zurückzukehren. Die Vorarlberger führen die Admiral 2. Liga an, fahren Sieg um Sieg ein und bestechen durch höchstattraktiven Fußball.
Freilich sticht bei oberflächlicher Betrachtung vor allem Haris Tabakovic mit seinen 21 Toren in 16 Partien ins Auge. Doch es ist ein anderer, der dem Spiel der Vorarlberger seinen Stempel aufdrückt: Muhammed Cham.
Der 21-Jährige hat sich in den vergangenen Monaten zu dem entwickelt, was man gemeinhin als „Unterschiedsspieler“ bezeichnet. Er ist für die überraschenden Momente auf dem Feld zuständig. Und aktuell der aufregendste Spieler der Liga.
Schwere Zeiten in der Südstadt und in Dänemark
Das war noch im Juli so überhaupt nicht zu erwarten. Denn der Österreicher ist de facto aus der zweiten dänischen Liga gekommen, hat dort mit Vendsyssel FF gerade noch den Klassenerhalt geschafft und war dort nicht einmal unumstrittener Stammspieler.
Der Youngster spricht von „den schwierigsten Momenten“ seiner bisherigen Karriere. Der Durchbruch im Profi-Fußball blieb ihm trotz unbestrittenen Talents lange versagt.
Ausgebildet wurde Cham in Deutschland. Schon als Kind übersiedelt er mit seiner Familie von Wien nach Hannover, spielt dort im Nachwuchs, wechselt dann in die Talenteschmiede des VfL Wolfsburg. Bis in die zweite Mannschaft schafft er es, dort läuft es aber nicht rund, im Sommer 2019 holt ihn die Admira zurück nach Österreich.
"Mir war bewusst, dass ich in Dänemark von der Bildfläche verschwinden werde, aber mir hat das gut getan"
In der Südstadt lässt „Mo“ sein Talent vor allem im Training immer wieder mal aufblitzen, Trainer Klaus Schmidt setzt ihn unregelmäßig ein, unter Zvonimir Soldo sieht er dann im Frühjahr kaum noch Land. Der Kicker, der grundsätzlich schon als schüchterner, zurückhaltender Typ gilt, zieht sich immer mehr zurück.
Da kommt im Spätsommer 2020 das Angebot von Clermont Foot gerade recht. Die Admira kassiert noch ein wenig Ablöse, Cham macht einen Neustart, wird zum damaligen Partner-Klub nach Dänemark verliehen.
Auch wenn die Zeit im Norden auf den ersten Blick kein großer Erfolg war, hat der Offensivspieler sie genutzt. „Ich habe im letzten Jahr, als ich in Dänemark war, wirklich sehr viel gearbeitet. Mir war bewusst, dass ich von der Bildfläche verschwinden werde, aber mir hat das gut getan. Ich habe an meinen Schwächen gearbeitet und meine Stärken verbessert“, erzählt er.
Plötzlich macht es Klick
Im Sommer verleiht in Clermont Foot erneut, diesmal zu Partner-Verein Austria Lustenau. Und plötzlich macht es Klick. „Ich bin ein sehr gläubiger Mensch. Ich nenne es ‚God’s Timing‘ – Gott ist in den richtigen Zeitpunkten immer für dich da“, sagt Cham.
Mit Trainer Markus Mader findet er jenen Förderer, den er gebraucht hat. Cham kann seine Stärken ausspielen. Er schwärmt: „Der Trainer lässt mir meine Freiheiten. Mir ist bewusst, dass ich ihn manchmal in den Wahnsinn treibe. Die Mannschaft und er lassen mich dieses gewisse Risiko nehmen.“
Es ist genau diese Unberechenbarkeit, diese Spielfreude, die die Lustenauer in der Offensive auszeichnet. Brandon Baiye in einer eher defensiven Rolle, davor Cham, Michael Cheukoua und wahlweise Bryan Silva Teixeira oder Wallace sowie an vorderster Front der eiskalte Vollstrecker Tabakovic – da wird kombiniert, gedribbelt, ja, gezaubert.
"Im Spiel gegen den Ball hat er eine großartige Entwicklung hinter sich"
Mader erklärt seine Herangehensweise so: „Die sind ja wie kleine Kinder – die stehen in der Kabine und jonglieren, spielen die Bälle an die Wand. Der Ball steht im Mittelpunkt, die wollen spielen. Wir lassen sie dann auch laufen. Es bringt nichts, die Spieler immer nur in ein taktisches Korsett zwängen zu wollen. Man darf ihnen nicht ihre Kreativität nehmen. Nach vorne haben sie Freiheiten, sie dürfen nur nicht die defensive Absicherung vergessen.“
Und genau da habe sich Cham laut seinem Coach auch wesentlich verbessert: „Im Spiel gegen den Ball hat er eine großartige Entwicklung hinter sich. Wenn ich daran denke, wie viel er und seine Kollegen vorne anlaufen, wie viele Kilometer sie in der ersten Pressingreihe abspulen, ist das aller Ehren wert.“
Zum Zehner umfunktioniert
Auch die Position des nunmehrigen U21-Teamspielers hat sich verändert. Mader berichtet: „Er ist als rechter Außenspieler zu uns gekommen, wir haben aber nach kurzer Zeit gesehen, dass er auf der Zehn spielen und unser Spielmacher werden kann. Das war ein guter Schachzug.“
Elf Tore und neun Assists stehen zu Buche. Das bedeutet eine Torbeteiligung alle 76 Spielminuten. An 44 Prozent der Lustenauer Tore war Cham direkt beteiligt. Platz drei in der Torschützenliste hinter Tabakovic und Wackers Ronivaldo, Platz zwei in der Scorerliste hinter Tabakovic. Es läuft.
Chams Saison 2021/22
| Spiele | Tore | Assists | Minuten |
|---|---|---|---|
| 18 | 11 | 9 | 1.513 |
„Wenn du glücklich bist, spielst du deinen besten Fußball. Das ist bei mir zurzeit der Fall“, sagt Cham trocken.
Mader streicht hervor, dass sich sein Schützling nicht zuletzt abseits des Sportlichen weiterentwickelt hat: „Er ist als schüchterner Junge gekommen und ist mittlerweile eine Führungspersönlichkeit innerhalb des Teams, er übernimmt Verantwortung am Platz, genießt innerhalb der Mannschaft ein hohes Standing.“
Bereits im Winter hat der eine oder andere Verein die Fühler nach der Nummer 10 der Lustenauer Austria ausgestreckt. Unter anderem der FC St. Gallen soll großes Interesse gehabt haben. Spätestens im Sommer steht eine zukunftsträchtige Entscheidung an.
Die Leihzeit endet, der Vertrag bei Clermont Foot, das auf dem besten Weg ist, die Klasse in Frankreichs Ligue 1 zu halten, läuft noch. „Der Weg zu Clermont Foot in die Ligue 1 ist der nächste logische Schritt. Sollte er es sich anders überlegen und bei uns in Lustenau bleiben, hätten wir natürlich auch nichts dagegen“, grinst Mader.
Cham hält sich bedeckt: „Ich bin zu 100 Prozent auf Lustenau konzentriert. Ich möchte, dass wir unsere Ziele erreichen. Was nach der Saison passiert, wird passieren. Im Fußball kann alles schnell gehen.“
Wer wüsste das besser als er selbst nach diesen aufregenden Monaten…
VIDEO: Die Zwarakonferenz nimmt Muhammed Cham in den Fokus, der Kicker verrät, woher seine fantastische Schusstechnik kommt
