Es gibt unangenehme Wahrheiten. Etwa, wenn einen die Mitarbeiter als nicht gerade tollen Arbeitgeber einstufen. Das Thema schweigt man dann gerne mal tot.
Nicht so der SV Lafnitz. Als die Spielergewerkschaft vor einigen Wochen ihre "Tabelle der anderen Art" veröffentlichte, bekam von allen 28 Profi-Teams des Landes nur der FC Wacker Innsbruck eine schlechtere Bewertung von den eigenen Spielern.
Vor allem in den Bereichen "medizinische Betreuung im Verein" und "angemessene Ausrüstung" ist die Benotung verheerend – 3 bzw. 2 von 10 möglichen Punkten.
"Sind nicht umsonst der Dorfklub"
Trainer Philipp Semlic spricht dieses Ranking von selbst an. "Wir können uns von der Infrastruktur und der Struktur im Verein nicht mit den ganz Großen in der 2. Liga vergleichen. Wir können nur mit der Art und Weise, wie wir mit den Jungs arbeiten, wie wir sie entwickeln wollen, und welches Klima wir im Verein haben, punkten. Sonst haben wir in der Liga eigentlich nichts verloren. Wir sind nicht umsonst der Dorfklub", sagt er.
Eine andere Wahrheit ist die "klassische" Tabelle. In der Vorsaison wurden die Steirer Vierter, im Jahr davor Fünfter. Nur ein einziger Klub hat in den vergangenen beiden Spielzeiten mehr Siege gefeiert als der SV Lafnitz, der FC Blau-Weiß Linz.
Doch wie passt das zusammen? Warum macht der Klub aus der 1.435-Seelen-Gemeinde so viel mehr aus seinen Möglichkeiten als die Konkurrenz?
Der Dreijahres-Plan
Es könnte daran liegen, dass die Oststeirer einen Plan haben. Klar, den hat jeder Klub, aber die Lafnitzer ziehen ihn seit Jahren konsequent durch. Im Jänner 2020 holten die Lafnitzer Semlic aus der Akademie Sturm Graz, wo er die U18 coachte. Er folgte Ferdinand Feldhofer nach, den der WAC abgeworben hatte.
Während des Corona-Lockdowns entwickelte der Verein einen Dreijahres-Plan. Seither wird dieser durchgezogen. In Grundzügen sieht er so aus: Der SV Lafnitz will Spieler aus der Region, die sich mit der Gegend identifizieren und den Verein gleichzeitig als Sprungbrett sehen, sich also entwickeln wollen.
Semlic beschreibt die finale Ausbaustufe, die in der Saison 2022/23 umgesetzt werden soll: "Wir wollen den Spielern, die wir zwei Jahre bei den Amateuren mitentwickelt haben, den Sprung zur Profimannschaft ermöglichen und ihnen möglichst viel Spielzeit geben. Wir wollen durch Spielerverkäufe Ablösesummen in junge Spieler aus den Akademien refinanzieren. Die Ausbildungsentschädigungen in den Akademien sind für den SV Lafnitz große Summen."
"Wir wollen, dass sich das ganze System amortisiert bzw. auch nachhaltig ist. Wir wollen bei den Profis nur noch vereinzelt Spieler dazuholen, die in unsere Philosophie passen, die wir auch weiterentwickeln können", so der Coach. Mit Stefan Trimmel und Justin Strodl aus der AKA Burgenland sowie Julian Schwarz aus der Admira-Akademie wurden diesen Sommer drei Talente geholt. Mit Elias Neubauer hat ein 20-Jähriger den Sprung aus der 2. Mannschaft zu den Profis geschafft, wird nun regelmäßig eingesetzt.
Unabhängiger von Bernhard Loidl werden
Dass der Aufstieg des SV Lafnitz ganz eng mit dem Namen Bernhard Loidl verbunden ist, ist bekannt. Rund 700 Mitarbeiter hat sein Unternehmen "Licht Loidl GmbH". Seit 2010 ist er Obmann des Vereins, zumindest bis 2024 wird er es bleiben.
"Jeder weiß, dass der SV Lafnitz nur dort ist, wo er ist, weil Bernhard Loidl so ein großes Herz für die Region und den Fußball hat. Ohne ihn ist es sicher schwer möglich, dieses System aufrecht zu erhalten. Aber klar, der Fußball entwickelt sich weiter, Tendenzen gehen in gewisse Richtungen. Je breiter man im Verein aufgestellt ist, umso schlauer ist es und desto nachhaltiger wird es", spricht Semlic an, dass es im Idealfall in Zukunft auch ohne die Geldbörse des Gönners gehen soll.
Wann geht Semlic?
Und es wird wohl auch bald schon ohne Semlic funktionieren müssen. Ebenso wie der Klub hat sich auch der 39-Jährige selbst entwickelt, ist einer der spannendsten Trainer des Landes geworden.
Der Steirer ist im neuen UEFA-Pro-Lizenz-Kurs des ÖFB dabei, darf also seit dem Frühjahr auch in der Bundesliga als Cheftrainer auf der Bank sitzen. Und da hätte auch fast schon der TSV Hartberg zugegriffen, als er einen Nachfolger für Kurt Russ suchte. Doch es hat noch nicht gepasst.
"Ich bin keiner, der beim erstbesten Angebot aus einer höheren Liga oder von einem anderen Verein davonlaufen möchte. Es macht mir sehr viel Spaß hier. Ich konnte mich hier weiterentwickeln, habe von Vereinsboss Bernhard Loidl alle Freiheiten bekommen, meine Art, wie ich Fußball denke, noch klarer zu definieren. Ich bin sehr, sehr dankbar"
Der 39-Jährige arbeitete als Lehrer und im Nachwuchs-Fußball, ehe er 2012 Co-Trainer in Hartberg wurde: "Zwei Personen haben mich sehr geprägt: Paul Gludovatz, der mir als sein Co in Hartberg die erste Möglichkeit im Profifußball gegeben hat, und Christian Streich, bei dem ich in Freiburg hospitieren durfte, sein Umgang mit Menschen war sehr prägend."
2017 verließ der Steirer den TSV Hartberg, heuerte in der Akademie des SK Sturm an, ehe er nach Lafnitz kam. Semlic ist ein offener, geselliger Typ, bei Kollegen beliebt, von Spielern geschätzt.
Bodenständiger, hemdsärmeliger Laptop-Trainer
Wie ihm folgende Beschreibung gefalle? Bodenständiger, hemdsärmeliger Laptop-Trainer. Er grinst: "Das trifft es ganz gut. Bodenständig definitiv, hemdsärmelig wird auch passen und Laptop-Trainer kommt auch hin. Laptop-Trainer sind ja verschrien, wobei es keinen Trainer gibt, der nicht mit Laptop arbeitet. Es geht ja nicht mehr ohne."
Wenn Semlic einen Kicker nach Lafnitz holt, führt er davor ausführliche Gespräche mit den Kandidaten, klopft ab, ob der Spieler mit den hohen Anforderungen in Training und Spiel zurechtkommen wird. Überforderung ist ein Thema.
"Lernen, Wachstum und Entwicklung passieren in allen Lebenslagen nur dann, wenn man gefordert wird. Manchmal gehört in gewissen Phasen auch eine gewisse Überforderung dazu, damit neue Synapsen gebildet werden, das sagt auch Pep Guardiola. Der Anspruch, einer Art Fußball zu spielen, ist sehr hoch", sagt der Trainer.
Semlic forciert in Lafnitz das Positionsspiel. Doch er selbst sieht das nicht so eng. Im Video spricht der Steirer über die Zukunft von Guardiola- und Red-Bull-Fußball:
(Artikel wird unter dem Video fortgesetzt)
Und überhaupt: "Der Fan kommt ins Stadion, um guten Fußball zu sehen. Ob du eine hohe Tormannkette im Spielaufbau im Halbraum hast, wird ihm völlig egal sein. Am Ende des Tages will er, dass die Mannschaft guten Fußball spielt und vielleicht auch noch gewinnt. Das muss man vereinen. Da findet jeder Trainer für sich die Wege, das zu tun. Man muss den Fußball, der für eine Region, für einen Verein steht, in einer Form auch reinbringen, nicht nur stur in seiner Denkweise sein, sondern das auf den Verein abstimmen."
100 Zweitliga-Spiele als nächstes Ziel
Es ist nur eine Frage der Zeit, bis der Coach seine Denkweise auf einen anderen Verein abstimmt. Aber er hat davor eigentlich noch ein anderes Ziel: "Ich würde gerne 100 Zweitliga-Spiele als Trainer coachen." Aktuell hält er bei 78.
Und dann? "Ich möchte mich weiterentwickeln und natürlich irgendwann den nächsten Schritt bei einem höheren Verein machen. Mein großes Ziel ist, irgendwann im Ausland zu arbeiten. Ich habe keine bevorzugte Destination. Ich ärgere mich heute immer noch, in meiner Studienzeit kein Auslandsjahr gemacht zu haben. Diese Lebenserfahrung möchte ich mit meiner Familie gemeinsam machen."
Doch zunächst will die finale Ausbaustufe des Dreijahres-Plans umgesetzt werden. "Wir handhaben es wie der SC Freiburg – wir wollen so schnell wie möglich versuchen, wieder 30 Punkte zu erreichen und dann auf die Spielerentwicklung schauen. Wir wissen, dass es in diesem Jahr der letzten Ausbaustufe, in der wir jungen Spielern eine Plattform bieten wollen, holprig sein kann. Aber wir wollen uns darauf einlassen."
Geht es mit dem Punkteschnitt von 1,5 weiter, den Lafnitz nach vier Runden hat, sind die 30 Punkte in der 20. Runde erreicht.