Manchmal liegt nur ein Hauch zwischen ausgelassenen Jubelstürmen und dem Tal der Tränen.
Beim Aufstiegs-Fernduell zwischen Blau-Weiß Linz und dem GAK, das einem Hitchcock-Thriller glich, verkörperte ein Mann alles, was dieses Spiel zu bieten hatte: Christoph Schösswendter.
Es begann mit einem Eigentor, das beinahe den Aufstieg gekostet hätte und endete damit, dass Schösswendter sich nun Bundesliga-Sportdirektor nennen darf.
"Und dann passiert mir das erste Eigentor überhaupt"
Der 34-Jährige absolvierte gegen Sturm II sein letztes Profi-Spiel, ab der kommenden Saison wird er Tino Wawra als Sportdirektor in der Stahlstadt beerben.
Einige Zeit schien es so, als würde es ein bitterer Abschied für ihn werden. Denn in der 33. Minute unterlief dem erfahrenen Innenverteidiger ein Eigentor. BWL-Keeper Schmid parierte sehenswert mit dem Fuß gegen Fuseini, der Ball sprang "Schössi" ans Schienbein und der Routinier konnte nicht mehr reagieren.
"Mein ganzer Anhang ist da, die mich immer unterstützt haben. Dann passiert mir das erste Eigentor, seit ich überhaupt Fußball spiele", so der 34-Jährige nach dem Spiel gegenüber LAOLA1.
Tatsächlich: Nie zuvor unterlief ihm je ein Treffer ins eigene Netz, die Premiere hob er sich ironischerweise für den Schlussakkord auf.
Doch noch ehe der Vorhang am Ende seiner Laufbahn fiel, trat das Missgeschick schon wieder in den Hintergrund. Zunächst glich Ronivaldo für die Linzer aus, Mitrovic erzielte den Sieges- oder besser: den Aufstiegstreffer.
Niemand sprach danach mehr von jenem Eigentor, außer der ehrgeizige Innenverteidiger selbst.
Es war großes Kino im Linzer Hofmann Personal-Stadion, dass den Fans geboten wurde. Schösswendter dirigierte sein Abwehr-Orchester lautstark, dennoch stand man hinten nicht immer sicher.
Schösswendter streut seinem Team Rosen
Das sorgte für Herzrasen bei den Zuschauern. Etwa in der Schlussphase, als die “Jung-Blackies” noch beim Stand von 1:1 zweimal die Führung am Fuß hatten, aber der Kopfball von Komposch strich am Pfosten vorbei und bei einem Ilic-Schuss rettete die Latte.
Wenige Minuten darauf erzielte Mitrovic das 2:1 - Spiel gedreht. Die irre Wende, wie sie jeder gute Hollywood-Streifen braucht. “In so einem Spiel, mit solchem Druck so eine zweite Halbzeit abzuliefern ist unfassbar”, lobt Schösswendter seine (Noch-)Teamkollegen.
"Deswegen Hut ab, Hut ab, Hut ab vor dieser Mannschaft", fügt er hinzu. "Diese zweite Halbzeit hat den Charakter dieser Mannschaft und dieses Vereins perfekt widergespiegelt", sagt der Innenverteidiger.
"In so einem Spiel, mit solchem Druck so eine zweite Halbzeit abzuliefern ist unfassbar. Hut ab, Hut ab, Hut ab vor dieser Mannschaft!"
Von der Bühne auf die Tribüne
"Mehr Höhen und Tiefen innerhalb von 95 oder 100 Minuten geht nicht", spricht er die Partie an, die einer Hochschaubahn der Gefühle glich, ebenso wie die gesamte blau-weiße Spielzeit. Man ist geneigt zu sagen: Die Saison "in a nutshell", wie es im Neudeutsch heißt.
Im Spieljahr 2023/24 wird Schösswendter nicht mehr auf dem Rasen stehen, sondern neben Geschäftsführer Christoph Peschek auf der Tribüne des neuen Donauparkstadions. Vom Darsteller auf der Bühne zum Regisseur abseits davon, sozusagen.
Darauf angesprochen, wie das denn klinge, Sportdirektor eines Bundesligisten zu sein, zeigt der Ex-Deutschland-Legionär, wie sehr für ihn der Klub über allem steht: "Das klingt zwar gut, aber noch viel besser klingt: Blau-Weiß Linz in der Bundesliga!"
Blau-Weiß Linz in der Bundesliga - der Traum wurde wahr, die Heldenreise des Christoph Schösswendter fand wie in einem fast schon zum Kitsch neigenden Drehbuch einen gebührenden Abschluss mit Happy End.
Als schließlich der Vorhang fällt, stürmen die Zuschauer von den Rängen auf die Bühne, die um Fußball bekanntlich der grüne Rasen ist. Noch einmal wird der Routinier groß gefeiert.
Denn Schösswendter war nicht nur in diesem Spiel einer der Hauptdarsteller. Auch bei seinem letzten Einsatz als Profi spielte er seine Rolle, abgesehen vom Eigentor, souverän.
Das Märchen wurde wahr
Erst vor Kurzem meinte "Schössi" im LAOLA1-Talk, dass ein Meistertitel "auf jeden Fall ein krönender Abschluss" wäre. Wie ein Märchen, "dessen Ende man nicht besser schreiben könnte", meinte er zu jenem Zeitpunkt.
Nun wurde es also tatsächlich geschrieben. Und dies auf eine Art und Weise, die wohl sogar die Gebrüder Grimm neidisch werden ließe.
Oder wie es Schösswendter formuliert: "Besser geht’s net!". Denn all dies fand im Beisein von all jenen statt, die ihn über seine gesamte Laufbahn begleitet haben.
Dazu zählen vor allem sein Vater, sein Onkel und seine Frau. "Das Märchen ist heute wahr geworden", sagt der Wawra-Nachfolger. "Es sind alle meine Leute da, wir steigen auf und ich kann mich Bundesliga-Sportdirektor nennen", fasst er einen perfekten Nachmittag zusammen.
"Werde noch ein paar Tage brauchen, bis ich’s check"
So richtig realisiert habe er den wahr gewordenen Traum aber noch nicht, wie er schildert: "Ich werde wahrscheinlich trotzdem noch ein paar Tage brauchen, bis ich’s check. Es ist so unfassbar", meint er und wendet sich wieder den Feierlichkeiten zu.
Diese dürften wohl intensiv werden, wie Meistertrainer Gerald Scheiblehner bereits ankündigte: "Wir werden feiern, bis wir umfallen." Das dürfte dann aber wohl bereits Backstage geschehen.