Er ist jener Kicker, der in einer Bundesliga-Saison mit 36 Spielen 37 Mal zum Einsatz kam.
Er ist der Nationalspieler, der wegen seiner Hochzeit vom Teamchef zu Unrecht verunglimpft wurde.
Aber er ist vor allem jener Fußballer, der am Sonntag zum neunten Mal österreichischer Meister wurde – niemand gewann diesen Titel seit Einführung der Bundesliga 1974 so oft.
Andreas Ulmer: Musterprofi, Titelhamster, stiller Genießer. Bescheidenheit ist seine Tugend, große Sprüche sind nicht seine Sache. Bei LAOLA1 sind daher Wegbegleiter des 32-Jährigen am Wort.
Vater Gerhard Ulmer, Gattin Sarah Ulmer-Ganglmair, Austria Wiens Nachwuchs-Leiter Ralf Muhr, Ex-Ried-Manager Stefan Reiter und Salzburg-Sportchef Christoph Freund sprechen über eine Ausnahme-Karriere im österreichischen Fußball.
Die Ulmers und die Bundesliga
An und für sich musste es einfach so kommen, dass Andreas Ulmer Fußballer wird.
"Es ist ihm in die Wiege gelegt worden, das kann man schon sagen. Der Ball war immer dabei", erzählt Gerhard Ulmer, der selbst 299 Bundesliga-Spiele für den SK VOEST Linz absolvierte.
Eine Meisterschaft blieb ihm verwehrt, die holte Andreas‘ Onkel Fritz 1974 mit dem Klub aus der oberösterreichischen Landeshauptstadt. Der Neffe sollte Jahrzehnte später diese Bilanz nicht nur ausgleichen, nein, er sollte sie torpedieren.
Dabei waren die körperlichen Voraussetzungen gar nicht die besten. "Der klane Stoppel", wie sein Vater liebevoll sagt, gehörte vor allem in seiner Zeit beim SK Asten nicht zu den ganz Großen - zumindest körperlich.
"Er hat keine Wege gescheut"
Doch am Boden war der Jungspund bereits im Nachwuchs des SK Asten gefürchtet. "Passt’s auf den Ulmer auf", war in Jugendspielen eine gängige Floskel in der Vorbesprechung gegnerischer Teams.
"Er war nicht sehr groß, hat aber mit dem Ball umgehen und links sowie rechts schießen können. Er war nicht feig und hat keine Wege gescheut. Er hat einfach immer gerne gespielt", erinnert sich Ulmer senior, wie der Sohn die Halbfelder der heimischen Fußballplätze durchdribbelte.
Der fußballerische Aufstieg zeichnete sich auch durch Leidenschaft aus. Ulmer wechselte in den Nachwuchs des LASK und spielte in weiterer Folge auch für die U15 der Fußball-Akademie Linz – aber nicht lange.
Denn Stillstand war für Ulmer stets Rückschritt.
Er hat die Linksverteidiger-Qualität in der Austria-Ausbildung begründet, war quasi der ‚Gottvater‘ der Linksverteidiger. Nach ihm kamen Andreas Schicker, Markus Suttner, Marin Leovac und das waren lauter Ferraris, die wir gehabt haben.
Beworben und nicht gescoutet
Der damals 14-Jährige erfuhr von der Eröffnung der Frank-Stronach-Akademie in Hollabrunn. Rund um die Jahrtausend-Wende meldete sich der Nachwuchs-Fußballer dafür an.
"Er hat die Chance am Schopf gepackt, sich dafür gemeldet, um in den Genuss dieser Ausbildung zu kommen. Zu dieser Zeit gab es nur die Frank-Stronach-Akademie, das war die erste professionelle in Österreich", erinnert sich Ralf Muhr, damaliger sportlicher Leiter sowie heutiger Leiter der Austria-Akademie.
Von der Dichte dieser Ausbildungszentren, die es heute hierzulande gibt, konnte damals nur geträumt werden. Ulmer erkannte die Möglichkeit, sich dort als Fußballer zu verbessern.
Damals noch keine Maschine wie heute
Muhr: "Er wurde damals nicht gesichtet, sondern ist gekommen. Er war damals auch nicht die Maschine, die er jetzt ist. Er war ein kleinerer Spieler, aber herausragender Fußballer, einer, der wirklich gut zur Austria passte."
Diesen Weg zu gehen, davon ließ sich der Teenager damals auch nicht abbringen.
"Er war 14 Jahre, aber völlig überzeugt davon. Das wollte er machen und fertig. Er hat immer gerne gespielt und wusste, dass er dort etwas dazulernen konnte. Da musste er nicht nachdenken, denn für ihn war klar, dass er Fußballer werden möchte", erinnert sich sein Vater.
Pionier auf seiner Position
Die Akademie in Hollabrunn erforderte einen Umzug - Heimweh gab es nicht, zumindest nicht offiziell.
"Wenn er solches hatte, hat er das nicht gezeigt und die Gefühle zurückgestellt, um seinen Weg zu gehen. Da hatten wir wohl mehr Sorgen als er. Wenn er zu Hause war, hat er sich schon wieder gefreut, zurückzufahren. Er hat das Programm voll durchgezogen."
Auf seiner Position war Ulmer indes ein Pionier.
Muhr erklärt, warum: "Er hat die Linksverteidiger-Qualität in der Austria-Ausbildung begründet, war quasi der ‚Gottvater‘ der Linksverteidiger. Nach ihm kamen Andreas Schicker, Markus Suttner, Marin Leovac und das waren lauter Ferraris, die wir gehabt haben."
Hier liegt allerdings auch der Grund dafür, warum es für Ulmer bei den Austria-Profis nicht mit dem Durchbruch klappen sollte.
Der "Fluch" dieser Zeit
Muhr: "Die Konkurrenz-Situation war so wie vorher beschrieben und die anderen waren zu diesem Zeitpunkt einfach vorne. Das war der ‚Fluch‘ dieser Zeit, dass es viele Gute auf dieser Position gab."
Sieben Jahre verbrachte Ulmer im Nachwuchs, bei den Amateuren und auch den Profis der Austria.
In der violetten Meistersaison 2005/06 reichte es zwar für keinen Einsatz, der Verteidiger war aber Teil des Profi-Kaders und trug mit seiner Trainingsarbeit zum Titel bei. Die Bundesliga überreichte ihm eine Meistermedaille, nicht nur deswegen führt Ulmer diesen Titel in seiner Vita.
Doch insgesamt reichte es nur für vier Einsätze bei den Profis in der Bundeshauptstadt, immerhin 98 Einsätze stehen bei den Amateuren zu Buche, die damals auch in der Ersten Liga spielten.
"Den Großteil seiner Ausbildung hat er in der Frank-Stronach-Akademie genossen, den Eintritt in den Erwachsenen-Fußball hat er bei uns vollzogen, aber in der entscheidenden Phase zu vielen Profi-Einsätzen zu kommen - das haben wir ihm dazumals nicht bieten können", erinnert sich Muhr.
Ried wollte ihn nicht abgeben
Bei Stefan Reiter und der SV Ried war das freilich anders.
Der damalige Manager der Innviertler hatte immer wieder ein gutes Näschen für Linksverteidiger. Schicker, Thomas Schrammel oder Oliver Kragl konnten sich via Oberösterreich für höhere Aufgaben empfehlen – so auch Ulmer in seinem halben Jahr in Ried im Herbst 2008.
Nicht einmal Ausbildungsentschädigung mussten die "Wikinger" für Ulmer bezahlen und sollten ihn nur ein halbes Jahr später für kolportierte 600.000 Euro an Red Bull Salzburg verkaufen.
Auch ein Traumtor gegen Rapid sorgte dafür, dass der damalige Salzburg-Sportchef und Ex-Ried-Trainer Heinz Hochhauser Interesse an Ulmer entwickelte. Reiter wollte ihn anfangs nicht abgeben.
Ich hatte zuvor nicht wirklich mit Fußball etwas zu tun. Für mich – ich komme vom Land – war immer klar, wer Fußball spielt, arbeitet auch. Daher habe ich gefragt: Was machst du sonst noch so? Und er hat mich angeschaut und gesagt: Ich mache nur das.
"Er hat sich bei uns super wohl gefühlt und ich wollte ihn nicht wirklich abgeben. Aber dann sind auch sein Vater, sein Onkel bei mir im Büro gestanden. Wir waren immer auch ein Verein für den nächsten Schritt und das wollten wir auch leben", schildert Reiter, warum er nachgegeben hat.
Ried gehört dafür der Löwenanteil an Ulmers skurrilem Bundesliga-Rekord – er absolvierte 37 Einsätze in einer Saison mit 36 Spieltagen. Weil Salzburg im Frühjahr ein Spiel aus dem Herbst nachtrug, und Ulmer im Herbst 2008 alle Spiele für Ried (22) absolvierte sowie im Frühjahr 2009 alle für Salzburg (15), war das möglich.
"Das war genial", zeigt sich Reiter nach wie vor angetan. "Wer macht schon 36 Spiele in einer Saison? Und dann macht er 37. Ich habe ihn als Profi und Mensch immer geschätzt. Er lebt für den Fußball."
Lernen vom Ehemann
Das musste auch seine heutige Frau Sarah feststellen. Ulmer infizierte sie mit dem Fußball-Virus, denn vor dem Kennenlernen konnte sie nur ganz wenig mit dem runden Leder anfangen.
"Ich hatte zuvor nicht wirklich mit Fußball etwas zu tun. Für mich – ich komme vom Land – war immer klar, wer Fußball spielt, arbeitet auch. Daher habe ich gefragt: Was machst du sonst noch so? Und er hat mich angeschaut und gesagt: Ich mache nur das", lacht die Oberösterreicherin, die seither bei fast jedem Heimspiel anzutreffen ist und auch in dieser Saison etwa in Rom oder Marseille dabei war.
Aber nicht nur in Sachen Fußball hat die langjährige Partnerin von Ulmer gelernt. "Andi ist ein sehr strukturierter und organisierter Mensch. Er hat immer denselben Tagesablauf, steht immer zur gleichen Zeit auf, auch wenn er frei hat. Ich habe auch viel von ihm mitgenommen, punkto Organisation etwa viel gelernt."
"Status nicht künstlich entwickelt"
Auf und abseits des Platzes ist Ulmer durch und durch Profi. Die Familie ist Ulmer heilig.
"Er ist ein Familien- und kein Partymensch", bestätigt sein Vater. "Er ist zurückhaltend und kein Temperamentbügel, genießt und freut sich im Stillen. Er ist besonnen und kein Dampfplauderer."
Das kann auch Christoph Freund bestätigen. Der heutige Salzburg-Sportchef hat Ulmer in den nun mehr als neun Jahren bei Salzburg miterlebt - als Spieler und Mensch ist der fünffache ÖFB-Teamspieler hier gereift.
"Ich weiß noch, wie er zu uns gekommen ist. Er hat seinen heutigen Status nicht künstlich entwickelt, sondern ihn verdient erarbeitet."
Jeden Tag kommt Ulmer als erster zum Training (manchmal vor dem Koch, der das Frühstück macht) und geht als Letzter.
Weil er das Spiel liebt. Mehr als andere. Assistenz-Trainer Rene Maric merkte in diesem Frühjahr an: "Im Trainingslager haben wir einmal einfach so drei Stunden über Fußball gesprochen."
Ein Dreistunden-Gespräch mit Ulmer als Teilnehmer ist für die Öffentlichkeit nur schwer vorstellbar, ein hart arbeitender Ulmer hingegen nicht - das sieht man auch.
"Wedding-Gate" getrotzt
Anders ist es nicht zu erklären, dass er in dieser Saison bereits 51 Pflichtspiel-Einsätze zu Buche stehen hat.
Vater Ulmer schildert den Antrieb des Sohnemanns: "Er will immer weiterkommen und wenn du in ein gewisses Alter kommst, dann musst du automatisch mehr machen. Aber das macht er einfach."
Und auch deswegen gab der Linksverteidiger in dieser Saison sein Comeback im Nationalteam. Marcel Koller verzichtete jahrelang fast ausschließlich auf seine Dienste, ehe der Schweizer grundlos für "Wedding-Gate" sorgte.
Vor einem Jahr, als Koller bereits mit dem Rücken zur Wand stand, machte er den Stammspieler zu einem Sündenbock, weil er seine zuvor zwei Mal verschobene Hochzeit rund um ein Länderspiel ansetzte.
Nationalteam zählt mehr als das Ego
Tatsächlich war Ulmer zu diesem Zeitpunkt verletzt und nutzte deswegen die Chance, seine Sarah zur Frau zu nehmen. Die Einladungen wurden dabei so kurzfristig verschickt, dass nicht alle Freunde kommen konnten.
"In Sachen Hochzeit wurde in den letzten Jahren viel gesagt und hinein interpretiert. Ja, wir haben geheiratet und sind ein glückliches Ehepaar. Damit ist das Thema für mich vom Tisch", sagt Sarah Ulmer heute.
Jeder hätte verstanden, wenn Ulmer seine Teamkarriere damit endgültig beendet hätte. Weil ihm sein Ego aber nie im Weg stand, tat er das nicht und Franco Foda ermöglichte ihm im Herbst das Comeback.
Beflügelt legte Ulmer eine seiner stärksten Saisonen hin, die fast in einem Europacup-Finale endete. Nicht mehr zu nehmen ist ihm die neunte Meisterschaft, die seit Bundesliga-Einführung 1974 kein anderer Spieler holte. Acht gewann er mit Salzburg, fünf davon in Folge.
Und es ist noch lange nicht vorbei.
Seine Ehefrau weiß das: "Solange er seinen Traum leben kann, soll er ihn leben und ich unterstütze ihn, wo es geht. Wie viele Erwachsene können schon von sich behaupten, das zu machen, was man sich als Kind erträumt hat? Wenn Menschen ihre Traumberufe ausleben können, finde ich das cool und dann sollen sie es so lange wie möglich machen."
Titel statt Deutsche Bundesliga
Der Dauerbrenner wird nicht müde, Titel zu sammeln, hat zusätzlich auch schon fünf Cup-Erfolge gefeiert.
In Salzburg fühlt sich Ulmer richtig wohl, frühere Anfragen aus Mönchengladbach oder Stuttgart ehrten ihn, aber auch nicht mehr.
"Er wäre auch ein sehr guter Bundesliga-Profi in Deutschland geworden", ist sich Freund sicher, "aber es hat ihm hier immer sehr gut gefallen. Er ist kein Suchender, er ist längst angekommen."
Angekommen, um noch länger zu bleiben. Sein Vertrag bis 2019 ist nicht sein letzter in Salzburg. Seine Gattin sagt: "An Andis Karriereende denke ich nicht und was dann kommt, zeigt die Zukunft."
Vater Gerhard: "Die ganze Familie ist stolz, alle Freunde sind es auch. Weil es eine Ausnahme ist. Wer hätte sich gedacht, als er nach Ried gegangen ist, dass er später einmal neunfacher Meister sein wird?"
Und damit Bundesliga-"Rekordmeister". In einem Jahr kann Ulmer sein persönliches Meister-Jubiläum feiern. Und in den nächsten Jahren noch viel mehr.
Aus Liebe zum Spiel.