Der 29. November 2022 ist ein großer Tag für den SC Austria Lustenau: Mit dem Eintreffen des Baubescheids für das neue Reichshofstadion endet eine lange Zeit der Ungewissheit.
Schon in den 1990ern wird erstmals ein Neubau ins Spiel gebracht. 1996 wurde die neue Haupttribüne fertiggestellt, seit dem Bundesliga-Aufstieg 1997 stehen hinter den Toren Stahlrohr-Tribünen. Diese waren eigentlich nur ein Provisorium – und stehen heute noch an Ort und Stelle. Die Osttribüne gibts es wegen Anrainerbeschwerden seit 2000 nicht mehr.
Bundesligatauglich ist das alles eigentlich nicht. Derzeit spielt Lustenau mit einer Ausnahmegenehmigung im Reichshofstadion, welche es nur im Tausch gegen einen Neubau gab. Der Baubescheid bedeutet eine klare Perspektive: Um 18 Millionen Euro soll ein Stadion für 5.500 Zuschauer entstehen.
Doch damit stellt sich eine Frage: Wo spielen, solange in Lustenau die Bagger stehen? Eine Frage, die auch bei der Einreichung der Lizenzunterlagen an diesem Freitag nicht final beantwortet werden kann.
"Das würde den Verein spalten"
Die naheliegendste Option ist das Ausweichen nach Altach. Die dortige Cashpoint-Arena ist längst ein Schmuckkästchen geworden – und keine Option für die Konkurrenz, wie Altach sofort deutlich machte.
Das sorgt im Ländle nicht nur vonseiten der Fußballfans, sondern auch bei der Landespolitik für Verstimmung. "Die Kritik verstehen wir überhaupt nicht. Man muss sich immer die Frage stellen: Wer ist schuld daran, dass es so weit gekommen ist?", meint Christoph Längle, Geschäftsführer des SCR Altach, und ergänzt: "Da müssen sich andere die Frage stellen, wieso diese Drucksituation entstanden ist. Und sicher nicht der SCR Altach."
Es gibt Gründe für das Altacher Nein zum Lokalrivalen. "Bei uns geht es nicht um das Nicht-Wollen – sondern schlussendlich um das Nicht-Können", sagt Längle.
Der Eigennutzungsbedarf ist mit Profis, Juniors und der Bundesliga-Frauenmannschaft hoch. Hinzu kommen 18 Nachwuchsteams, die an Bundesliga-Spieltagen nicht am Stadion-Areal spielen dürfen. Längle sagt: "Wenn das alle 14 Tage passiert, schaffen wir es gerade so. Wenn das jede Woche ist, müssen wir mit dem Nachwuchs ausziehen - und das würde unseren Verein spalten."
Hinzu kommt, dass auch Altach ab Sommer bauen will. Ein neues Business-Gebäude mit Spieltagskabinen, Räumlichkeiten für die Geschäftsstelle und Logen soll hinter der Westtribüne entstehen – zusätzliche Heimspiele sind dafür nur hinderlich, da es auch in Altach zu kleineren Einschränkungen kommen wird.
"Wir haben uns das schon einfacher vorgestellt. Weil wir wissen, dass es zwar keine ideale Situation, aber machbar ist."
Ob man sich das alles in Lustenau einfacher vorgestellt habe? "Schon", gibt Vorstandssprecher Bernd Bösch zu. Die Suche nach dem Ausweichstadion dürfte man in Lustenau unterschätzt haben. "Weil wir wissen, dass es zwar nicht ideal, aber machbar ist, dass zwei Vereine in einem Stadion spielen."
Die Austria spricht aus Erfahrung, musste sie sich doch jahrelang die Heimat mit dem FC Lustenau teilen. Das war zwar in der 2. Liga, "aber der Spieltagsablauf unterscheidet sich abgesehen von den Zuschauerzahlen nicht so stark", erklärt Bösch, "es ist jetzt halt so. Aber ich gehe schon davon aus, dass es möglich wäre, wenn man wollen würde."
(Kein) Schritt für Schritt
Aus Altach hört man vor allem über ein Faktum Unverständnis: Dass beim Konkurrenten nicht in Etappen gebaut wird. "In Darmstadt, Karlsruhe und bei St. Pauli hat man das während des laufenden Spielbetriebs gemacht. Wieso soll das im 21. Jahrhundert nicht auch in Vorarlberg möglich sein?", fragt sich Längle.
Es ist möglich – der SCR Altach machte es ja vor. "Wahrscheinlich braucht es dazu eine gewisse Vorlaufzeit. Und wieso man diese Vorlaufzeit nicht genutzt hat, seitdem man die Ausnahmegenehmigung erteilt hat, kann ich nicht beurteilen", so Längle. Mit Weitblick könne man vieles schaffen. "Deshalb ist unser Ansatz, dass sie ihre Probleme selbst lösen müssen."
Bereits beim ersten Treffen mit Bösch hätte er dem Lustenauer geraten, in Etappen zu bauen – "denn in Altach können wir euch nicht aufnehmen." Böschs Antwort darauf, so Längle: "Wir wollen gar nicht in Altach spielen."
Die zweite Kontaktaufnahme von Lustenauer Seite gab es im Oktober 2022, anschließend kochte das Thema hoch. "Zwischen dem ersten und dem zweiten Treffen ist sehr viel Wasser den Rhein runtergeflossen. Aber ich muss auch klar sagen: Es hätte nichts daran geändert, wenn sie sich jede Woche gemeldet hätten", sagt Längle.
"In Wien würde niemand auf die Idee kommen, dass Rapid in der Generali-Arena oder die Austria im Allianz Stadion spielen soll."
Das Stadion in Altach werde nämlich, anders als in Graz oder Innsbruck, von Ehrenamtlichen betrieben. "Natürlich hätten auch die kein Verständnis, wenn wir den Erzrivalen reinlassen", fügt er hinzu. "In Wien würde niemand auf die Idee kommen, dass Rapid in der Generali-Arena oder die Austria im Allianz Stadion spielen soll", sagt Längle und spricht damit auf die Vorarlberger Sportlandesrätin Martina Rüscher an, die sich ein Altacher Entgegenkommen gewünscht hatte. "Aber auch das ist nicht das Thema - sondern der Eigenbedarf."
Dabei ist insbesondere die Sache mit dem Etappenbau gar nicht so einfach. Wie Bösch erklärt, verhindern vor allem zwei Dinge jene Lösung, die auch die Austria präferiert hätte.
Erstens: Das neue Stadion, das um die bestehende Haupttribüne gebaut wird, wird relativ klein. Gesamtkapazität: 5.500 Zuschauer. Mehr geht nicht, eine Zulassung wäre aufgrund der höheren Lärmbelästigung Wunschdenken. Das Reichshofstadion steht im Wohngebiet, Ärgernisse mit Anrainern gab es in der Vergangenheit zuhauf. "Das Minimalerfordernis für die Bundesliga sind 5000 Plätze. Wenn wir jetzt ein Drittel weniger Tribünen haben, weil wir in Etappen bauen, brauchen wir auch wieder Ausnahmen, weil wir die Kriterien nicht erfüllen", zeigt Bösch auf.
Das zweite Problem: Das Flutlicht. "In dem Moment, wo der erste Flutlichtmast abgebrochen wird, erreichen wir die erforderlichen Werte nicht mehr. In Betrieb nehmen können wir das neue Flutlicht erst, wenn auch das Dach fertig ist, weil die Scheinwerfer darin integriert sind." Das sei aufgrund der geringeren Lichtemissionen wegen der Nachbarn nötig gewesen.
Problemfeld mit Tradition
Die Stadionproblematik ist in Vorarlberg kein Phänomen der Moderne.
"Vorarlberg braucht ein modernes Stadion" war schon im November 2002 in den "Vorarlberger Nachrichten" zu lesen. Damals sollte ein Landesstadion entstehen, in dem die großen Vereine ihre Spiele austragen. 2006 erreichte die Diskussion um ebenjenes ihren Höhepunkt, insbesondere der SCR Altach – dessen "Schabelholz" für die Bundesliga nicht ausreichte und notdürftig adaptiert wurde – pochte darauf.
Der damalige Präsident der Lustenauer Austria, Hubert Nagel, sah zwar ein Problem dahingehend, dass die Identität der Vereine unter einem "Landesstadion" verloren gehe – stimmte aber grundsätzlich der Idee zu. Gut 12.000 Plätze sollte das Stadion haben, 20 Millionen Euro sollte es kosten. "Ich sehe eine riesige Chance für Vorarlberg", sagte der heutige Altacher Vize-Obmann Werner Gunz damals.
Am 2. August 2006 schrieben die "VN": "Das Landesstadion ist derzeit noch ein Keimling. Wind und Wetter ausgesetzt, von einer stattlichen Pflanze, geschweige denn Orchidee, noch weit entfernt." Das Pflänzchen vertrocknete schnell.
Das Projekt scheiterte an der Standortfrage. Langfristig sei ein Landesstadion nur mit einem FC Vorarlberg möglich, so der Tenor nach einer Machbarkeitsstudie. "Ein FC Vorarlberg ist für mich schwer vorstellbar, weil es immer Vereine mit Ambitionen geben wird. Es muss einem Klub gelingen, sich im Wettbewerb durchzusetzen und so der Verein der Vorarlberger zu werden", meinte Gunz.
"In Altach steht nicht das Landesstadion, sondern das Stadion des SCR Altach."
Es sollte mutmaßlich dem SCR Altach vorbehalten bleiben, diese Rolle als lange einziger Bundesligist zumindest teils zu übernehmen. Statt eines Landesstadions wurde die Cashpoint-Arena bundesligafit gemacht. So gab es 2007 zwar noch eine Geldstrafe in Höhe von 15.000 Euro aufgrund fehlender Sitzplätze gegen den SCR – in Altach wurde da aber schon längst im Eiltempo an der neuen Westtribüne gewerkelt.
Schritt für Schritt wurde die Arena seitdem erweitert, bietet aktuell 8.500 Zuschauern Platz. Zwei weitere Tribünen wurden neu gebaut, ein Trainings- und ein Nachwuchscampus errichtet. "In Altach steht nicht das Landesstadion, sondern das Stadion des SCR Altach", sagte Gunz im Dezember 2022 in einem Streitgespräch bei "Vorarlberg Live".
Fördern und Fordern
Der große Kritikpunkt, der häufig gegen den SCR Altach eingebracht wird, ist eine moralische Bringschuld gegenüber der Austria – da die Infrastruktur der Rheindörfler zu großen Teilen aus Steuergeldern finanziert wurde. Dass Altach – nicht zuletzt durch Ehrenpräsident Karlheinz Kopf – über gute Kontakte in die Politik verfügt, ist kein Geheimnis.
Wie eine Recherche der "NEUE" ergab, betrugen die Gesamtumbaukosten der Cashpoint-Arena ab 2006 14,650.147 Millionen Euro. Das Land Vorarlberg übernahm davon 6,649.020 Millionen Euro – was 45,38 Prozent entsprechen und die lange kolportierte Drittellösung Land/Gemeinde/Verein weit übertrifft.
"Jeder Verein kriegt Förderungen, dafür sind wir auch sehr dankbar und dazu stehen wir. Wir sind ja nicht überfördert worden", sagt Längle. "Die Förderungen haben wir gekriegt, wenn wir geliefert haben", fügt er hinzu.
Nach dem Aufstieg 2006 habe man etwa 2007 gebaut, um die Lizenzkriterien zu erfüllen. Ein Jahr nach dem Wiederaufstieg 2014 folgte die nächste Bauetappe. "Und als wir uns jeweils für das internationale Geschäft qualifiziert haben, sind die anderen Tribünen gekommen." Man müsse sich zudem den regionalökonomischen Effekt und den volkswirtschaftlichen Nutzen anschauen, der durch die Investitionen ins Stadion entstanden sei, so Längle.
Klar ist: Zur Kooperation mit Lustenau sind die Altacher trotz der Fördermillionen nicht verpflichtet – zumal Altach auch stets einen Eigenanteil zur Finanzierung geleistet hat.
Mit Plan B in die Lizenzierung
Doch wie geht es weiter für die Lustenauer Austria? Zurzeit wird an den Ausschreibungen gearbeitet. Im Herbst soll noch in Lustenau gespielt werden, ehe im November der Spatenstich stattfindet. Und dann?
"Aktueller Stand ist, dass wir mit dem Standort Innsbruck in die Lizenz gehen werden. Das heißt - und das ist für uns wichtig - dass die Frage, wo wir spielen werden, nicht entscheidend für die Lizenz ist."
"Aktueller Stand ist, dass wir eine Nutzungsvereinbarung mit Innsbruck haben, die werden wir bei der Lizenzierung vorlegen", erklärt Bösch und verdeutlicht: "Das heißt, dass die Frage, wo wir spielen werden, nicht entscheidend für die Lizenz ist. Die werden wir sowieso kriegen, wenn wir Innsbruck melden."
Das würde im Extremfall bedeuten: Heimspiele im Tivoli, rund 2,5 Autostunden vom Reichshofstadion entfernt. Zu diesem Extremfall soll es nur selten kommen, präferiert wird nämlich eine Nutzung des Bregenzer ImmoAgentur-Stadions, welches bereits Anfang des Jahrtausends Bundesliga-Fußball erlebte und ohnehin für die 2. Liga adaptiert wird. "Die entscheidende Frage ist, ob es möglich ist, in den wärmeren Monaten - zwischen März und November – in einem Stadion zu spielen, das keine Rasenheizung hat."
Spiele, bei denen eine Rasenheizung notwendig sei, würden dann in Innsbruck gespielt werden. Hinzu komme die Möglichkeit, Spieltage für Heimspiele zu blocken – um so im Winter häufiger auswärts zum Zug zu kommen. "Im besten Fall handelt es sich um ein oder zwei Spiele", gibt sich Bösch zuversichtlich, was die Option Tivoli betrifft.
Nicht nur Vorfreude
Auf gemischte Reaktionen trifft die Austria auch in Bregenz. Während SW-Bregenz-Obmann Thomas Fricke schon früh signalisierte, der Austria keine Steine in den Weg legen zu wollen, sehen Fans der Schwarz-Weißen das differenzierter. 256 Unterschriften hat eine Petition, die sich gegen die Aufnahme der Austria im Stadion richtet.
Der Grund: Nicht nur die historische Rivalität zwischen den Vereinen, sondern Bedenken wegen der Bedingungen für das eigene Team, welches in der kommenden Saison in der 2. Liga spielen soll.
Auch in der Stadtpolitik sorgte ein Querschuss für Aufregung: Bürgermeister Michael Ritsch (SPÖ) und Sportstadtrat Michael Felder (ÖVP) zeigen sich Lustenau gegenüber offen. Vizebürgermeisterin Sandra Schoch (Die Grünen) sieht die Festspielstadt hingegen primär als Ort für Kultur. "Wir müssen uns langsam überlegen, welche Zielgruppen wir ansprechen wollen und ob die Stadt diese Menschenmengen überhaupt aushält", meinte sie vor kurzem.
Daraufhin hagelte es geschlossen Kritik von allen anderen Fraktionen. Auch Bösch möchte die Aussagen "nicht überbewerten. Wenn man sich genau damit auseinandersetzt, sind die Problemfragen lösbar."
Es fallen im Falle des Ausweichens nach Bregenz ohnehin genug andere Baustellen an. Bei einer vorübergehenden Überdachung des Gästesektors oder zusätzlichen sanitären Anlagen wäre Lustenau gefordert, hinzu kommt die Stadionmiete und die noch unklare Frage, wie ein VIP-Bereich gestaltet wird. Auch das Flutlicht müsste umgerüstet werden.
"In der Vergangenheit haben wir den Antrag gestellt, uns der Stimme zu enthalten. Diese Linie möchten wir als Altach - Stand jetzt - auch beibehalten."
Noch sind das alles ohnehin hypothetische Überlegungen. Denn zunächst braucht es eine Zustimmung seitens der Bundesliga, konkret eine Zweidrittelmehrheit der Klubs, um überhaupt in Bregenz spielen zu dürfen. "Aber die Kontakte, die ich gehabt habe, waren vielversprechend. Es haben alle Verständnis, dass wir das Logische machen und nicht nach Innsbruck ausweichen wollen", so Bösch.
Wie Altach bei der Bundesliga abstimmen werde? Längle antwortet diplomatisch. "Als es in der Vergangenheit um die Ausnahmegenehmigung für Lustenau gegangen ist, haben wir den Antrag gestellt, uns der Stimme zu enthalten. Diese Linie möchten wir als Altach - Stand jetzt - auch beibehalten."
Für Lustenau sind noch viele Hürden zu meistern, so viel steht fest. Bis im neuen Stadion gespielt wird, wird noch viel Wasser den Rhein hinunterfließen.