Es sind Tage, die als unrühmlich in die lange Historie des SK Rapid eingehen werden. Der beliebteste Fußball-Klub Österreichs zerbröckelt an allen Ecken und Enden, kein Stein bleibt auf dem anderen.
Seit dem blamablen Europacup-Aus gegen den FC Vaduz, Vorletzter der 2. Schweizer Liga, sind in Wien-Hütteldorf Chaos-Tage angesagt.
Den Überblick zu behalten, ist schwer. Mehrmals täglich reißen neue Gräben auf, die Gemengelage der Interessen verschiedenster Gruppierungen und Personen ist unübersichtlich.
Fakten geschaffen haben bisher nur zwei Personen: Martin Bruckner und Christoph Peschek. Sie haben mit ihren Rückzugsankündigungen bzw. Rücktritten die Flucht nach vorne angetreten. Was bleibt, sind viele Fragen und ein Macht-Vakuum.
Vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung
Dabei schien vor nicht einmal zwei Wochen die Welt noch in Ordnung. Mit Ende der Bewerbungsfrist für die kommende Wahl zum Rapid-Präsidenten war nur eine Liste eingelangt – jene des amtierenden Präsidenten Bruckner.
Die Sache schien geritzt, nur ein Kandidat, kein Wahlkampf. Mit Schaudern erinnern sich noch alle Rapidler an 2019 zurück, als neben Bruckner auch Roland Schmid – und zunächst auch Michael Tojner – in den Wahlkampf gezogen war.
Bruckner sagte am Sonntag zu seiner nun doch nicht stattfindenden Kandidatur: "Ich habe mit wirklich interessanten Menschen aus Politik und Wirtschaft gesprochen und von einigen eine Zusage bekommen – jedoch verbunden mit der Bitte, ihren Namen erst dann zu nennen, wenn es fix ist, dass es zu keinem Wahlkampf kommt."
2019 endete ein wochenlanges Hauen und Stechen mit einem knappen Sieg Bruckners (53 Prozent der Stimmen) und einem Riss, der durch den Verein gegangen war.
Bruckner gelang es seither nie, diesen Riss zu kitten. "Wir sind mit einer Gegen-alles-und-für-nix-Situation im Verein konfrontiert. Dann wird es schwierig. Zum Tanzen brauchst du einen Zweiten", stellte Bruckner am Sonntag fest. Er sei mit all seinen "Aktivitäten gegen eine Wand" gelaufen.
Wer wird neuer Präsident?
Nun wird Bruckner doch nicht mehr zu Wahl antreten. Ende November soll sein Nachfolger gewählt werden. Offiziellen Kandidaten gibt es keinen.
Doch wer könnte einer werden? Der langjährige Klubservice-Leiter Andy Marek, dem zuletzt immer wieder Ambitionen auf das Amt nachgesagt wurden, hat schon abgewunken. "Meine Lebensplanung schaut ganz anders aus. Vor 2025 geht das nicht", sagt er. Die kommende Präsidentschafts-Periode würde nach aktuellem Stand übrigens im November 2025 enden.
Bruckners Vorgänger Michael Krammer mag auch nicht mehr. "Ich trete sicher nicht mehr an", stellt er im "Kurier" klar. Und auch die Legende Hans Krankl hat abgesagt, wenngleich dem TV-Experten sowieso keine Chancen auf eine Mehrheit zugerechnet werden hätten können.
Bleibt ein Name, der in den vergangenen Tagen immer auftaucht: Steffen Hofmann. Er soll innerhalb des Klubs viele Unterstützer haben, bestätigte dem "Kurier" zuletzt: "Ja, wir basteln eine Liste."
Er sei "vor langer Zeit von vielen Leuten auf dem Rapid-Umfeld gefragt" worden, ob er bereit wäre, anzutreten. Auch Tojner, der mit seinem Konzern "VARTA" zuletzt als großzügiger Sponsor aufgetreten ist, soll ihn unterstützen. Tojner hätte übrigens 2019 am liebsten Andreas Herzog als Sportchef installiert, wenn er Präsident geworden wäre.
Die Rolle des Werner Kuhn
Auch mit diversen Wirtschafts-Kapitänen sollen von Hofmann bzw. dessen Unterstützern bereits Gespräche geführt worden sein. Und genau da kommt Werner Kuhn ins Spiel. Der 68-Jährige werkt seit 1995 in diversen Funktionen bei Rapid, lange Zeit als Manager. Eigentlich "werkte", denn seit Samstag tut er das nicht mehr.
Sein Vertrag als Konsulent zur Sponsoren-Akquise wurde gekündigt. Am Sonntagabend nach der Heimniederlage gegen den SK Sturm wurde Kuhn das von Bruckner und Peschek unterzeichnete Kündigungsschreiben ausgehändigt. Unter Aufsicht eines Securitys musste er sofort sein Büro räumen.
Die offizielle Begründung: Man wolle sich auf dem Sektor der Sponsoren-Akquise "breiter aufstellen", eine "Kooperation mit einem internationalen Sportrechtevermarkter" eingehen.
Tatsächlich soll Kuhn zuletzt im Hintergrund eifrig an der "Liste Hofmann" mitgearbeitet haben. Für den "Kurier" steht er "als inoffizieller Wahlhelfer von Steffen Hofmann" im Verdacht. Die scheidenden Bosse dürften darüber not amused gewesen sein.
Kuhn galt bis dahin eigentlich als jener Mann, der interimistisch für den zurückgetretenen Peschek hätte übernehmen können. Wer nun neuer Geschäftsführer Wirtschaft werden soll, steht in den Sternen. Der scheidende Peschek plädierte zuletzt "für einen geordneten Übergang". "Ewigkeiten" solle das aber nicht dauern.
Sei’s drum. Warum sich eine potenzielle "Liste Hofmann" nicht klassisch beim Wahlkomitee beworben hat, ist aktuell ungeklärt. Das Wort "Palastrevolution" macht die Runde. Der Zeitpunkt: suboptimal.
Hofmann gilt jedenfalls als Favorit der Fanszene. Dass diese in Hütteldorf in Sachen Vereinspolitik ein gewichtigeres Wörtchen mitzureden hat als bei den meisten anderen Klubs ist kein Geheimnis.
Probleme innerhalb der Fanszene
Doch auch der harte Kern der Anhängerschaft ist alles andere als vereint. Während sich ein Teil nach dem Schlusspfiff im Heimspiel gegen Vaduz den Weg zur Präsidentenloge bahnte, um dem Vorstand einen Rücktritt nahezulegen, waren andere Teile über diese Vorgehensweise nicht gerade glücklich.
Auf der Tribüne selbst eskalierte eine Auseinandersetzung zwischen dem Fanclub "Alte Garde" und einer anderen Gruppierung, ein Beteiligter trug gröbere Verletzungen davon. Daraufhin wurde der "Alten Garde" am Sonntag von mehreren Gruppierungen gewaltsam der Zutritt in den "Block West" verwehrt, ihr "Graffiti" auf selbigem behelfsmäßig überklebt.
"Mittlerweile befürchte ich eine tektonische Plattenverschiebung"
Die innerhalb der Kurve einst so mächtige Hooligan-Gruppierung sei auf der Fantribüne des Allianz Stadions nicht mehr erwünscht, heißt es. Das letzte Wort in dieser Causa dürfte aber noch nicht gesprochen sein, auch in der Szene reißen Gräben auf.
Und dann wäre da noch jene Tätigkeit, zu deren Zweck der Verein SK Rapid ja eigentlich besteht: das Fußballspielen. Und darin waren die Grünen zuletzt nicht sonderlich gut. Nur zwei Siege aus fünf Bundesliga-Runden, das bereits erwähnte Europacup-Aus noch vor der Gruppenphase, der schmeichelhafte Cup-Aufstieg gegen Treibach dank eines Treffers in der Nachspielzeit – es läuft nicht.
Man könnte meinen, Trainer Ferdinand Feldhofer profitiere aktuell vom Chaos in der Klub-Führung, denn über seinen Job wird aktuell auffallend wenig diskutiert. Doch auch er ist freilich schon angezählt. Im Cup gegen Allerheiligen sollte Rapid am Donnerstag kein Ausrutscher passieren.
In Hütteldorf stellt man sich jedenfalls auf weitere Wochen des Chaos ein, die Komplexität der vorherrschenden Situation wird keine rasche Lösung zulassen.
Oder wie es Bruckner im "Kurier" ausdrückt: "Mittlerweile befürchte ich eine tektonische Plattenverschiebung. Das wird schlimmer als rund um den Platzsturm 2011."