Am Freitag sorgte der LASK für eine Transfer-Sensation: Die Linzer verpflichteten Weltmeister Jérôme Boateng.
Der 35-jährige Innenverteidiger unterschreibt in Linz für zwei Jahre, das Medienecho ist selbstredend riesig, Boateng in der heimischen Sport-Journaille mit großem Abstand das Thema Nummer eins.
Die Karriere und das Leben des Jérôme Boateng sind geprägt von viel Licht. Aber wo viel Licht ist, gibt es oftmals auch viel Schatten. Diese überlagerten in den letzten Jahre sein zweifelsohne beeindruckendes sportliches Wirken.
LAOLA1 blickt auf die bisherige Karriere des 35-Jährigen zurück und beleuchtet auch, warum sein Leben abseits des Sports in der jüngeren Vergangenheit so sehr in den Blickpunkt der Öffentlichkeit rückte.
Vom kleinen Käfig ins große Olympiastadion
(Artikel wird unter dem Video fortgesetzt)
Seine ersten Schritte als Fußballer machte der Sohn einer deutschen Mutter und eines ghanaischen Vaters in Berlin. Zunächst kickte er nur im Hinterhof und im Käfig mit Freunden, erst im Alter von zehn Jahren trat er erstmals einem Verein bei.
Bei diesem handelte es sich um Tennis Borussia Berlin, das zu jener Zeit unter Kult-Trainer Winfried Schäfer sogar in der 2. Bundesliga spielte. Sein Talent fiel aber schnell auf und so wechselte er knapp 14-Jährig zum großen Hertha BSC, wo sein Halbbruder Kevin-Prince (beide haben den gleichen Vater) schon seit dem siebenten Lebensjahr spielte.
Dort dienten sich beide Seite an Seite bis zu den Profis hoch, am 25. Spieltag der Saison 2006/07 standen sie gegen Borussia Mönchengladbach erstmals gemeinsam bei einem Bundesliga-Spiel auf dem Rasen.
Kurz zuvor durfte Jerome sein erstes Karriere-Highlight erleben: Gegen den HSV bejubelte er den ersten Sieg als Profi, im heimischen Olympiastadion zeigte er beim 2:1-Heimsieg eine bärenstarke Leistung.
Danach trennten sich ihre Wege, Kevin-Prince hatte seine beste Zeit bei der AC Milan, spielte auch bei Tottenham und Barcelona. Jerome schloss sich dem HSV an, wurde dort zum Leistungsträger und drang mit den Hanseaten bis ins Halbfinale der Europa League vor.
Zudem feierte er 2009 sein Debüt im DFB-Nationalteam, das allerdings recht unglücklich verlief. Nach 69 Minuten war das Spiel nach einer Gelb-Roten Karte vorzeitig zu Ende. Es war der erste Ausschluss eines Debütanten überhaupt in der DFB-Historie. Das sollte seinen Aufstieg aber kaum bremsen.
Erfolglos bei City, "Goldene Jahre" bei Bayern
Seine starken Leistungen brachten ihm im Frühsommer 2010 ein gut dotiertes Engagement bei Manchester City ein, wo er zum neuen Nebenmann des nunmehrige Bayern-Coaches Vincent Kompany aufgebaut werden sollte.
Das Gespann harmonierte schon beim HSV sehr gut, Trainer Roberto Mancini freut sich damals über "eine ausgezeichnete Verpflichtung. Er ist ein junger Spieler, der bereits ein sehr hohes Niveau hat".
Nur: Daraus werden sollte nichts, von seinem Fünfjahresvertrag erfüllte Boateng nur eines. Er konnte sich nicht durchsetzen, was auch Verletzungen geschuldet war, und suchte den Weg zurück nach Deutschland, wo ihn Bayern München dankend aufnahm.
Die Zeit beim deutschen Rekordmeister sollte zu einem zehnjährigen sportlichen Höhenflug für ihn werden. Neun Meistertitel, zwei Champions-League-Siege sowie fünf Pokal-Triumphe standen am Ende zu Buche. Gekrönt von der Auszeichnung zu Deutschlands Fußballer des Jahres 2016.
In den zehn Jahren stets an seiner Seite: ÖFB-Star David Alaba, mit dem er 274 Mal gemeinsam am Platz stand.
Die Zeit dort hätte allerdings schon früher enden können. Als Boateng in der Saison 2018/19 immer inkonstanter wurde, riet ihm Uli Hoeneß in seiner unvergleichlichen Manier öffentlich zu einem Wechsel. "Ich glaube, für ihn wäre es besser, wenn er mal andere Luft genießen könnte. [...] Er wirkt wie ein Fremdkörper", meinte Hoeneß damals.
Unter Hansi Flick feierte Boateng an der Seite des zum Innenverteidiger umfunktionierten Alaba aber eine Renaissance, in der Saison 2019/2020 holte Bayern das Quadruple und verlor dabei nur ein Spiel, in dem Boateng und Alaba die Innenverteidigung bildeten.
Zu Besuch bei Gina-Lisa Lohfink
Im DFB-Team war Boateng zu diesem Zeitpunkt längst eine unverzichtbare Größe geworden, wurde an der Seite von BVB-Star Mats Hummels zum Schrecken aller Stürmer. Auf dem Weg zum WM-Titel 2014 war das Duo speziell ab der K.o.-Phase schier unüberwindbar.
Legendär bleibt der 7:1-Sieg über Brasilien im Halbfinale vor 60.000 entgeisterten Anhängern der "Selecao". Die Krönung erlebte er im Finale, das Deutschland 1:0 gegen Argentinien gewann und er Lionel Messi 90 Minuten lang aus dem Spiel nahm.
Der damals 26-Jährige war beim WM-Triumph mittlerweile zum Führungsspieler geworden, es schien, als habe er Eskapaden früherer Jahre hinter sich gelassen - wie etwa 2012, als er von Teamchef Jogi Löw einen öffentlichen Rüffel bekam. Boateng hatte sich unmittelbar vor EM-Start mit Model Gina-Lisa Lohfink in einem Hotel getroffen.
Davor und danach fiel Boateng mit mehreren Verkehrsdelikten auf, crashte etwa 2014 und 2020 mit seinen Sportwägen, glücklicherweise kamen dabei weder andere noch er selbst zu ernsthaftem Schaden.
Sportlich jedoch war ihm wenig vorzuwerfen, gab er gar das klassische Bild des Musterprofis ab, der sich, gestählt in den Berliner Fußballkäfigen, alles erarbeiten musste. In Interviews wirkte er bescheiden, zurückhaltend, fast schüchtern. Eigenschaften, die er im Privatleben nicht immer so zu zeigen schien.
Gauland polemisiert auf Boatengs Kosten
So richtig für Aufsehen außerhalb des Fußballplatzes sorgte der Name Jérôme Boateng erstmals 2016, was allerdings noch mehr zum Bild das "Musterschülers" beitragen sollte.
Denn der damalige AfD-Vize Alexander Gauland sagte hinter verschlossene Türen: "Die Leute finden ihn als Fußballspieler gut, aber sie wollen einen Boateng nicht als Nachbarn haben", was eine Welle der Solidarität mit dem Nationalspieler zur Folge hatte.
Bis vor wenigen Jahren galt Boateng als Inbegriff von Fleiß, harter Arbeit und als Beispiel, was mit dem nötigen Maß davon alles möglich ist. Seine früheren Ausrutscher abseits des Platzes wurden ihm verziehen, schließlich hatte er es in seiner Jugend auch nicht immer leicht.
Boatengs juristischer Spießrutenlauf
Sein Image litt aber spätestens mit den Vorwürfen von Sherin S., Mutter seiner beiden Töchter. Sie beschrieb Boateng als aufbrausend, aggressiv - und offenbar mit einem Hang zu körperlicher Gewalt.
Der Fall ging vor Gericht, die Anklage lautete auf Körperverletzung und Beleidigung, man warf ihm vor, Sherin S. "geschlagen, geboxt, ihr in den Kopf gebissen, sie auf den Boden geschleudert und dabei heftig beleidigt zu haben", wie der Spiegel zitierte. Es gilt die Unschuldsvermutung.
Im September 2021 wurde er vom Amtsgericht München im Fall Sherin S. für schuldig befunden und zu einer Geldstrafe von 1,8 Millionen Euro verurteilt. Gegen das Urteil legten Boatengs Anwälte, die Staatsanwaltschaft und die Nebenklage allerdings Berufung ein.
Es war der zweite große Schatten, der sich in diesem Jahr über Boateng auftat, denn schon zu dessen Beginn war sein Name in aller Munde. Am 9. Februar 2021 nahm sich seine Ex-Freundin, das Model Kasia Lenhardt, im Alter von nur 25 Jahren das Leben. Eine Woche zuvor hatte Boateng die Trennung von ihr verkündet.
Ex-Freundin tot aufgefunden
Zahlreiche deutsche Medien berichteten ausführlich über das Beziehungs-Aus. Lenhardt, die sich neben ihrer Model-Karriere auch als Influencerin profiliert hatte, sah sich daraufhin in den Sozialen Medien einem Shitstorm gegenüber.
Immer weiter wurde über Boatengs Vorwürfe berichtet, von Lenhardt gab es dazu keine Reaktion, was in der Öffentlichkeit von vielen als stillschweigendes Eingeständnis des Models empfunden wurde.
Eine Woche nach dem Boateng-Interview wurde sie tot in ihrer Wohnung gefunden. Am sechsten Geburtstag ihres Sohnes. Wie "correctiv.org" und die "Süddeutsche Zeitung" aufdeckten, hatte Lenhardt rund zwei Wochen vor ihrem Tod eine Verschwiegenheitsverpflichtung unterschrieben, die ihr eine öffentliche Gegendarstellung unmöglich machte.
Schon im Dezember 2019 war gegen Boateng ein Ermittlungsverfahren wegen vorsätzlicher Körperverletzung gegenüber Lenhardt eingeleitet worden, das im Juni 2020 aber eingestellt worden war.
Der Grund? "Zum einen, weil sich die Geschädigte Kasia L. zunächst entschieden hatte, keine belastenden Angaben mehr zu machen. Zum anderen, weil der Ausgang des bereits angeklagten Verfahrens abgewartet werden sollte", erklärte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft der "Bild".
In der Zwischenzeit distanzierte sich sogar Halbbruder Kevin-Prince in einem "Bild"-Interview öffentlich von Jerome.
Die Revisionsverhandlung im Falle von Sherin S. startete im Oktober 2022, das Berufungsgericht verurteilte Boateng wegen Körperverletzung in zwei Fällen und verhängte eine Geldstrafe insgesamt 1,2 Millionen Euro.
Doch auch dabei sollte es nicht bleiben. Im Oktober des Vorjahres wurde das Urteil aufgehoben, weil Verfahrensfehler festgestellt wurden. Der Fall soll nun ab dem 14. Juni komplett neu aufgerollt werden.
Lyon, Salerno, Linz, Gericht
Inmitten dieser Zeit setzte Boateng seine Karriere fort, wechselte nach seinem Aus bei Bayern im Sommer 2021 zu Olympique Lyon, ehe sein Vertrag dort im Sommer des Vorjahres nicht mehr verlängert wurde.
Im Winter schloss er sich dem abstiegsbedrohten Serie-A-Klub US Salernitana an, eine große Rolle spielte er dort aber nicht, seit Mitte April fiel er zudem mit einer Verletzung aus. Insgesamt kam er nur auf 238 Einsatzminuten, Salernitana stieg am Ende ab.
Nun will er es beim LASK offenbar nochmals wissen, unterschrieb für zwei Jahre und hat mit den Linzern große Ziele. Sportlich ist ihm dafür viel Erfolg und ein runder Abschluss einer erfolgreichen Karriere zu wünschen.
Das Match auf dem juristischen Parkett abseits der Fußballarenen könnte für ihn über das Karriereende hinaus dauern. In zwei Wochen wird er sich erneut in der Causa Sherin S. verantworten müssen.
Dem LASK ist indes jede Menge mediale Aufmerksamkeit sicher. Ob man sich mit der Verpflichtung Boatengs einen Gefallen getan hat, wird in- und außerhalb der Raiffeisen-Arena aber erst die Zeit zeigen.