Wann ist eigentlich die Schmerzgrenze erreicht?
Wann ist der Leidensdruck so groß, dass wirklich etwas passiert?
Christian Ilzer hat es nach dem 3:2-Sieg des SK Sturm Graz gegen die Austria endgültig gereicht. Er konnte und wollte sich nicht mehr zurückhalten, also redete er sich seinen Schiedsrichter-Frust von der Seele.
Hier könnte man nun auf der Ebene dieses konkreten Spiels verharren, sich in Detaildiskussionen über einzelne Entscheidungen verfangen oder auch über die persönliche Kritik Ilzers an Star-Referee Harald Lechner diskutieren.
Es ist ja auch tatsächlich ein bisserl tollpatschig, einen Referee, der bei einem Verein spürbar Hitzewallungen auslöst, in drei Runden in Folge bei Spielen dieses Klubs einzusetzen (zwei Mal als VAR, ein Mal als Hauptreferee). Und einen Wiener bei einem Match eines Wiener Vereins zum VAR zu machen, zeugt auch nicht unbedingt von Fingerspitzengefühl.
Aber gut, um all das soll es hier nicht gehen, auch wenn sich bestimmt Beobachter der Szene finden lassen, die Tollpatschigkeit und fehlendes Fingerspitzengefühl als recht sinnbildliche Begriffe für diese Causa betrachten.
Konzentrieren wir uns auf die konstruktiven Forderungen Ilzers.
Sein Argument zusammengefasst: Das Niveau der Bundesliga wird immer besser, also muss es auch jenes der Schiedsrichter werden.
Dafür brauchen diese professionelle Rahmenbedingungen. Der Sturm-Coach fordert "ein breites Paket für die Schiedsrichter", diese sollten sich 24 Stunden am Tag auf den Job als Schiedsrichter konzentrieren können.
Dies mündet im Prinzip in der Forderung nach einem Profi-Schiedsrichter.
Der erste Reflex wäre: "Super Idee, passt, machma!" Aber natürlich muss man eingestehen, dass eine Umsetzung sehr wohl gut überlegt sein muss.
Aktuell pfeifen Schiedsrichter in Österreich nebenberuflich. Könnten sie sich in Zukunft voll auf ihre Karriere mit Pfiff konzentrieren, müsste man schon zu Ende denken, wie es nach ihrem persönlichen Abpfiff nach Erreichen der Altersgrenze weitergeht.
Als Fußball-Profi mit Mitte 30 eine neue berufliche Richtung einzuschlagen, ist fraglos einfacher, als für einen Schiedsrichter mit knapp 50.
Warum keine ernsthafte Debatte?
Aber das nur als Beispiel von vielen. Das Problem ist eher, dass es über Fragen wie diese nicht einmal eine breite Debatte gibt. Der Versuch, Lösungen zu finden, findet bestenfalls im sehr stillen Kämmerlein statt. So er überhaupt stattfindet.
Solche Debatten würden zumindest die Chance auf schrittweise Professionalisierung eines Systems bieten, das der Abteilung Klub-Fußball leistungsmäßig inzwischen ja tatsächlich viel zu weit hinterherhinkt.
Kaum eine Woche vergeht, in der man sich nicht über eine Regel-Auslegung wundert, die zwei Wochen davor noch so war und vier Wochen später wieder ganz anders. Übertrieben formuliert? Mag sein. Aber so weit daneben ist es auch wieder nicht, dafür sind die WTF-Momente zu viele.
Zumindest eine gewisse Verunsicherung bei vielen heimischen Referees lässt sich sehr wohl vermuten, also gehört diesen Personen geholfen.
Und hier könnten auch die Bundesligisten sehr viel mehr öffentlich in Lösungen denken, anstatt Woche für Woche im ungesunden Pulsbereich über den nächsten Schiedsrichter-Wahnsinn zu hyperventilieren.
Sedlacek wird es zu einfach gemacht
In Wahrheit machen es die Vereine einem (Wie-lange-noch?-)Schiedsrichter-Boss wie Robert Sedlacek, der nun mal ist wie er ist und nicht als lebende Innovationsfreude in die Fußball-Geschichte eingehen wird, auch viel zu einfach.
Der Wiener spricht öffentlich davon, dass die Bundesliga acht Millionen Euro bereitstellen müsse, dann könne man über Profi-Schiedsrichter reden. Aber das sei völlig illusorisch.
Ja eh, das ist viel Geld, meinetwegen auch viel zu viel Geld. Aber Debatten-Ende, bevor man sich detaillierter mit verschiedenen Modellen beschäftigt?
Sedlacek führt es auch auf fehlende internationale Vernetzung zurück, dass FIFA und UEFA bei ihren Großereignissen völlig auf Schiris aus Österreich pfeifen.
Hat dem guten Herrn irgendwann jemand geflüstert, dass es im vergangenen Jahrzehnt unter anderem sein Job gewesen wäre, Networking zu Gunsten seiner Schiedsrichter zu betreiben?
2008 war mit Konrad Plautz letztmals ein österreichischer Schiedsrichter bei einer EM im Einsatz. Und dies wird wohl zumindest ein wenig damit zu tun gehabt haben, dass es eine Heim-EURO war.
Österreichs letzter Referee bei einer Weltmeisterschaft war 1998 Günter Benkö.
Das sagt ja eh schon alles.
Es braucht die Großvereine
Lobbying mag eine Rolle spielen, aber ich halte durchaus auch eine Leistungskomponente nicht für hundertprozentig komplett ganz ausgeschlossen.
Vielleicht sind rot-weiß-rote Schiedsrichter einfach nicht gut genug, um international eine größere Rolle zu spielen. Wenn man so manche nationale Performance als Qualitäts-Maßstab heranzieht, könnte man zumindest auf diese Idee kommen.
Und ja, es reicht!
Die Schmerzgrenze ist längst erreicht. Der Leidensdruck ist zu groß. Das Projekt, das heimische Schiedsrichterwesen auf völlig neue und vor allem professionellere Beine zu stellen, ist mehr als überfällig.
So manche Wortmeldung von Schiedsrichtern, die man durchaus als Hilferuf verstehen könnte, lässt vermuten, dass die Betroffenen selbst am allermeisten frischen Wind und modernes Denken herbeisehnen.
Eine Turnier-Teilnahme, sagen wir 2028 oder 2030, wäre beispielsweise ein lohnenswertes Ziel.
ÖFB? Bundesliga? Wer will, wer mag, wer hängt sich dieses Projekt um?
Meiner Meinung nach wäre es am schlauesten, wenn die Großvereine aus Salzburg, Wien, Graz und Linz hier geschlossen auftreten und wesentlich mehr Druck ausüben würden.