Matthias Braunöder erspart sich keinen Schritt.
Der Wind bläst um 10 Uhr unangenehm über den Trainingsplatz, Austria-Trainer Manfred Schmid hat soeben verkündet, dass der Ball diesmal keine Rolle spielt. Kräftigungs- und Stabilitätsübungen sind angesagt, im Zirkel. Und der 19-Jährige ist schon seit Stunden wach, weil er in der Früh beim Bundesheer antanzen musste.
Das könnte die Laune und Motivation schon drücken. Während so mancher Teamkollege bei den Linienläufen den einen oder anderen Meter weniger macht, einfach mal früher umdreht, ist Braunöder mit eiserner Disziplin dabei. Ob einbeinige Kniebeugen oder Dehnübungen, er ist mit Akribie bei der Sache.
„Er ist ein Trainierer. Ich kann mich an keine Einheit erinnern, in der er mal lasch war. Er gibt immer 100 Prozent“, sagt Cem Sekerlioglu. Der 42-Jährige ist Co-Trainer der Profis und war bereits in der Akademie Coach des violetten Shootingstars.
Erntezeit für den Hackler
Maschine. Hackler. Das ist von Wegbegleitern des Burgenländers praktisch immer zu hören, sein Eifer ist Trumpf. Das macht sich bezahlt, der U21-Teamspieler stand in der Bundesliga – unterbrochen durch eine Gelbsperre – ein Dutzend Mal in Folge in der FAK-Startelf.
Austria-Sportdirektor Manuel Ortlechner sagt: „Für ihn ist Erntezeit. Er investiert viel und erntet jetzt. Das muss allen klar sein – das geht nicht automatisch. Die Jungs wie Braunöder, El Sheiwi, Huskovic und Wustinger arbeiten unheimlich viel dafür.“
VIDEO: Braunöder-Traumtor aus 20 Metern
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Das Profi-Leben sei kein „Wash and Go“, sagt Ortlechner gerne. Vor- und Nachbereitung der Trainings, entsprechende Körperpflege, das Arbeiten an individuellen Bedürfnissen – die Aufenthalte in der Generali-Arena sollen nicht auf kurze Zeiträume beschränkt sein.
Für Braunöder eine Selbstverständlichkeit: „Ich versuche, meinen Körper immer auf einem Top-Niveau zu halten und mich immer zu verbessern.“ Coach Schmid nimmt wohlwollend zur Kenntnis, dass der Youngster auch abseits der Mannschaftstrainings hart an sich arbeitet.
Ein Musterschüler. Auch neben dem Fußball. Die Matura hat der Austrianer mit ausgezeichnetem Erfolg abgeschlossen. Ist diesem jungen Mann eigentlich irgendwann einmal etwas richtig schwergefallen? Braunöder überlegt, sagt dann: „Die Akademie-Zeit war sehr anstrengend, weil ich gependelt bin. Ich habe mit den Öffis lange gebraucht, um nach Wien zu kommen.“
"Ich war schon im Horr-Stadion, als ich noch nicht bei der Austria gespielt habe"
Er kommt aus Krensdorf, einem kleinen Ort im Bezirk Mattersburg, keine 700 Einwohner. Der Papa hat selbst gekickt, bei Klubs wie Rohrbach, Hirm und Draßburg, die Landesliga war das Höchste der Gefühle. Und er war Austrianer.
„Ich war schon im Horr-Stadion, als ich noch nicht bei der Austria gespielt habe. Meine erste echte Erinnerung ist das Jahrhundert-Spiel, als Luis Figo, Ronaldo und Co. hier gespielt haben“, erzählt Braunöder.
Als er U9-Spieler war, hat ihn sein Vater zum Sichtungstraining bei den Violetten angemeldet. 100 Kinder tummelten sich am Kunstrasen hinter dem Stadion, die drei Besten durften dann ein Probetraining absolvieren. Braunöder war dabei und durfte bleiben. Fortan standen praktisch täglich Fahrten von Krensdorf nach Wien auf dem Programm. Rund 40 Minuten braucht man für eine Strecke.
Der Pendler
„Meine Eltern haben mich seit der U10 jeden Tag von Krensdorf nach Wien geführt, haben gewartet bis das Training aus ist und mich dann wieder nach Hause geführt. Die Strecke könnte ich blind fahren. Das war sicher eine anstrengende Zeit für meine Eltern, aber es hat sich ausgezahlt“, sagt der Mittelfeldspieler. Später absolvierte er die Wege dann öfter mal mit dem Zug.
Mit 17 Jahren zog der Blondschopf in eine WG unmittelbar neben dem Stadion – gemeinsam mit den Jungveilchen Nick Jurescha, Mario Gintsberger, Michael Hutter und Josef Pross. Ex-Austrianer Michael Wagner hat sich dort einige Wohnungen gesichert, vermietet sie an den Klub. Nein, kochen könne er deswegen immer noch nicht richtig, lacht Braunöder. Dass es in der WG der Jungspunde aber in der Regel immer sehr gesittet zuging, kein Chaos herrschte, ist nicht zuletzt ihm zu verdanken, ist zu hören. Ein Musterschüler eben.
Inzwischen hat der Kicker aber einen Führerschein und ein Auto, pendelt wieder nach Krensdorf, wo er im Elternhaus lebt, übernachtet nur noch gelegentlich in der WG. Daheim ist es eben immer noch am schönsten.
Wobei das Stadion am Verteilerkreis längst zu seiner zweiten Heimat geworden ist. Einst die Tribüne, heute der Rasen. Er erinnert sich: „Wir sind früher immer auf der West gesessen. Wir waren mit der ganzen Akademie-Mannschaft bei den Spielen und haben uns gedacht: ‚Wie schön wäre es, wenn mal einer von uns da spielt!?‘ Für mich ist der Traum wahr geworden. Das ist sehr geil.“
Milenko Acimovic und Tomas Jun seien damals seine Helden gewesen. Heute orientiert er sich an Weltmeister N’Golo Kante, weil der „ein ähnlicher Spielertyp“ ist. Der Allergrößte sei aber Lionel Messi, grinst er.
Stefan Radulovic - der große Konkurrent im eigenen Team
Auf der Tribüne auch immer dabei: Stefan Radulovic. Die beiden verbindet eine gemeinsame Geschichte. „Wir waren damals schon gemeinsam beim Sichtungstraining“, sagt Braunöder. In den vergangenen Jahren waren die Namen Braunöder und Radulovic immer zu hören, wenn es um die vielversprechendsten Austria-Talente ging. Beide im Mittelfeld-Zentrum daheim, beide überaus talentiert, Konkurrenten im eigenen Team.
„Es war gut, dass wir uns gegenseitig angespornt haben, immer versucht haben, besser als der andere zu sein. Wir hatten aber ein gutes Verhältnis“, so Braunöder. Letztlich hat er den Konkurrenzkampf für sich entschieden, Radulovic ist im Sommer zum LASK bzw. dem FC Juniors OÖ gewechselt, dort noch nicht glücklich geworden.
Dabei wurde ihm das größere Talent nachgesagt. Bei Braunöder waren auch zweifelnde Stimmen zu vernehmen. Er sei vermutlich zu langsam, um es ganz nach oben zu schaffen. Und der markante Laufstil wurde ihm auch nicht immer zum Vorteil ausgelegt. In Anlehnung an seinen Fußabdruck beim Laufen bekam er in der Akademie innerhalb des Betreuerstabs den Spitznamen „Sichel“.
"Ich finde den Hebel leicht, wenn ich aufs Feld gehe - da bin ich dann der Spieler Braunöder und nicht der Matthias wie sonst"
Auf die Schwächen des Kickers angesprochen, sagt Sekerlioglu dann auch: „Am ehesten die Schnelligkeit. Aber wenn man im Kopf schnell ist, kann man das ausgleichen. Und das ist bei ihm der Fall.“
Auch der Youngster selbst sieht noch Luft nach oben: „Natürlich habe ich Schwächen. Als 19-Jähriger kann man noch an allem arbeiten. Meinen linken Fuß kann ich noch verbessern. Und auch taktisch könnte ich zwischen den Linien offener stehen.“
Doch just diese Einstellung macht Braunöder zu dem Kicker, der er ist. U21-Teamchef Werner Gregoritsch hat erkannt: „Er ist nicht zufrieden mit dem, was er leistet, sondern will immer besser werden. Solche Spieler, die immer lernen wollen, machen Karriere.“
Viel lieber sprechen aber alle über die Vorzüge des Shootingstars. „Sehr dynamisch, ballsicher, ein guter Umschaltspieler und Zweikämpfer. Er ist ein Versprechen für die Zukunft. Und er ist eine Frohnatur, eine positive Erscheinung. Man sieht ihm an, dass ihm Fußball Freude bereitet. So etwas motiviert auch die Mitspieler“, sagt Gregoritsch.
Das Stehaufmanderl als stiller Genießer
Sekerlioglu ergänzt: „Er ist am Rasen ein klassisches Stehaufmanderl, ein unguter Gegner, der lästig ist und nie aufgibt.“ Wer an ihm vorbei will, müsse ihn vier Mal überspielen, sagen sie.
Und wie sieht sich Braunöder selbst? „Ich bin ein klassischer Box-to-Box-Spieler, habe vorne und hinten meine Qualitäten. Ich kann sowohl über die Zweikämpfe, als auch über die Technik kommen. Ich bin ein sehr flexibler Spieler.“
Wenn der Austria-Profi spricht, ist er entspannt, ruhig, eher leise. „Ich bin ein gelassener, ausgeglichener Mensch, muss nicht unbedingt im Mittelpunkt stehen“, sagt er über sich. Sekerlioglu erlebt ihn auch so: „Sein Verhalten in der Kabine ist konträr zu seiner Spielweise. Er ist sehr gut integriert, aber zurückhaltend. Ich würde ihn als stillen Genießer bezeichnen.“
Auf dem Feld kann Braunöder ganz anders, geht aus sich heraus, wirkt aggressiv. Wie geht das? „Ich finde den Hebel leicht, wenn ich aufs Feld gehe - da bin ich dann der Spieler Braunöder und nicht der Matthias wie sonst. Es ist auf meiner Position erforderlich, ein aggressiver Typ zu sein“, sagt er.
Sein Antrieb: „Die Liebe zum Fußball. Es gibt nichts Schöneres, als am Wochenende im Stadion zu sein und die Fans und die Familie freuen sich, weil man eine gute Leistung bringt.“
So wie Anfang Dezember, als er im Wiener Derby gegen den SK Rapid nach nur 49 Sekunden zur Führung traf. Er lacht: „Das ist alles so schnell gegangen, es war mein erster Ballkontakt im Spiel. Während des Matches habe ich das gar nicht so realisiert. Als sich dann nachher alles beruhigt hat und ich auf mein Handy geschaut habe, habe ich dann wahrgenommen, dass das mein erstes Bundesliga-Tor war. Ich habe mir das Tor in den Tagen danach schon ein paar Mal angesehen.“
VIDEO: Braunöders Derbytor
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Der 19-Jährige ist in Wien-Favoriten everybody’s darling. Die Fans haben ihn als eines der Gesichter des jungen Wegs längst ins Herz geschlossen – ein Kämpferherz, das kicken kann, was will man mehr? Die Trainer und Betreuer schwärmen ob seiner Arbeitsmoral und seines Ehrgeizes. Die Mitspieler schätzen seine umgängliche, bodenständige Art.
Was passiert im Sommer?
Doch die große Frage ist: Wie lange kann die Austria so einen Spieler halten? Im Sommer 2023 läuft sein Vertrag aus. Ein neues Angebot liegt schon am Tisch. „Wir sind in Gesprächen und hoffen auf ein zeitnahes Feedback“, bestätigt Sportchef Ortlechner.
Ein Abgang im Sommer scheint kein Thema zu sein. „Er hat uns schon signalisiert, dass er für den nächsten Schritt auch noch nicht ganz bereit ist. Wir wollen das nicht verhindern und aufhalten, das können wir auch nicht. Das Ziel ist nicht, dass er seine Karriere bei der Austria beendet. Es gibt aber noch ein paar Themen, bis er bereit für die große weite Fußball-Welt ist, das weiß er auch“, so Ortlechner.
Auch Braunöder winkt ab: „Natürlich ist es irgendwann mal mein Ziel, in einer Top-Liga im Ausland zu spielen. Die deutsche Bundesliga und die Premier League sind meine Traum-Ligen. Ob ich den Sprung in zwei, drei oder erst fünf Jahren schaffe, werden wir sehen. Ich rechne damit, dass ich nächstes Jahr auf jeden Fall noch bei der Austria sein werde.“
Der Mittelfeldspieler wird den nächsten Schritt machen. Irgendwann. Der Schritt wird bedacht, aber bestimmt sein. Ein Musterschüler eben.