Ein Jahreswechsel breitet seinen Mantel nicht über alle Angelegenheiten.
Vieles wird vergessen, vieles ist mit dem Start ins Jahr 2019 schon wieder "verjährt". Nicht so die Vorfälle beim 328. Wiener Derby, als 1.300 Fans des SK Rapid von der Polizei bis zu sieben Stunden eingekesselt wurden und das 6:1 der Austria nicht im Stadion miterlebten.
Die Causa löste einen medialen Aufschrei aus, auch international wurde dieser Zwischenfall zum Thema gemacht. Die Meinungen, speziell die Verhältnismäßigkeit des Polizei-Einsatzes betreffend, gehen weit auseinander - vor allem zwischen Rapid und der Polizei.
Mit der "Rechtshilfe Rapid" hat sich eine Solidargemeinschaft die Aufgabe auf die Fahnen geheftet, den Vorfall lückenlos aufzuarbeiten. RHR-Sprecher Helmut Mitter kündigt bei LAOLA1 Klagen an, spricht darüber, dass eine lückenlose Aufarbeitung im Sinne beider Parteien sei und davon, dass Rache als Motiv der Polizei "der Untergang" wäre.
In den nachfolgenden Punkten wird die Meinung der Fan-Vertretung dargestellt und der Status quo bei der Aufarbeitung, das eigentliche Ziel und Anliegen sowie mögliche Konsequenzen für die Zukunft vermittelt.
1.) Wie ist der Status quo der Aufarbeitung seit dem Vorfall am 16. Dezember, welche Neuigkeiten gibt es zu vermelden?
Insgesamt haben rund 700 Menschen der Rechtshilfe Rapid per Mail ihre Sicht der Erlebnisse geschildert. Am Mittwoch wurde gemeinsam mit den Kooperationsanwälten vor etwa 200 bis 300 Anwesenden über den aktuellen Stand informiert. Bis dato wurde ein Bericht an die Volksanwaltschaft übermittelt. "In weiterer Folge werde den Betroffenen auch zu Maßnahmenbeschwerden geraten, bei denen unsere Anwälte begleitend eingreifen", erklärt Mitter.
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"Für die interne Aufarbeitung bereiten wir auch eine Beschwerde bezüglich der Richtlinien vor, die bei Amtshandlungen anzuwenden wären, gegen die aber aus unserer Sicht erheblich verstoßen wurde. Außerdem werden wir uns vorbehalten, bei besonders schweren Fällen eine Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft zu übermitteln, weil einige Betroffene doch eine gesundheitliche Beeinträchtigung davongetragen haben", so der RHR-Vertreter.
"Ich glaube, dass man den großen finanziellen Schadenersatz nicht erwarten wird können. Der unbedingte Wille aller, die dabei waren - und das spürt man: Es wird nicht gewollt, dass die Sache einfach so stehenbleibt."
Es seien etwa 20 Personen vor Ort medizinisch behandelt, ein paar gar ins Krankenhaus eingeliefert worden. "Besonders bei diesen Personen stand die lange Anhaltung in keinem Verhältnis zu dem von der Polizei kommunizierten Versuch, Übeltäter auszuforschen."
2.) Was wollen Sie erreichen? Was ist das vorrangige Ziel und was soll für die Betroffenen erwirkt werden?
Gegen die Maßnahmen Beschwerden einzulegen, stelle einen normalen Rechtsweg dar. Erst, wenn dieser Beschwerde stattgegeben werden sollte, würde sich die konkrete Frage stellen, was die Betroffenen davon haben könnten. "Der Einspruch gegen die Amtshandlung ist einmal der wichtigste Faktor. Ich glaube, dass man den großen finanziellen Schadenersatz nicht erwarten wird können. Der unbedingte Wille aller, die dabei waren - und das spürt man: Es wird nicht gewollt, dass die Sache einfach so stehenbleibt. Dass die Polizei so etwas machen kann und das unwidersprochen bleibt", sagt Mitter.
Dabei gehe es auch um die Zukunft: "So etwas soll nie wieder passieren. Wird das zu rechtmäßig erklärt, geht man einen erheblichen Schritt, wo sich in Österreich ganz grundsätzlich etwas verändert. In dieser Härte und Rücksichtslosigkeit ist so etwas noch nie vorgekommen. Das spüren auch die Menschen, die dabei gewesen und zuvor nie mit so etwas in Berührung gekommen sind, wahrscheinlich auch nie wieder werden. Das zeigt, dass das Ungerechtigkeitsbewusstsein existiert - und es muss zu einer Konsequenz führen", fordert er. Schließlich gehe es um "eine heterogene Gruppe": "Es sind alle möglichen Menschen betroffen, ein Querschnitt der Gesellschaft, wie Fußballfans generell einen Querschnitt darstellen. Nicht nur Leute, die in den Block West gehen, sondern auch Gelegenheits-Stadiongeher."
"Es wäre nichts dabei, zuzugeben, dass man bestimmte Dinge aus bestimmten Gründen gemacht hat und dabei einfach über das Ziel hinausgeschossen hat. Stattdessen wird eine Konterhaltung eingenommen."
Eines gibt dem Rechtshilfe-Vertreter besonders zu denken: "Für mich ist noch dazu völlig unverständlich, wie das Ministerium oder sonstige Institutionen auf all diese Meldungen quasi entgegnet: 'Das stimmt alles nicht, das habt ihr ja gar nicht erlebt.' Die Behörden könnten ja sagen, dass Fehler passiert sind. Es wäre nichts dabei, zuzugeben, dass man bestimmte Dinge aus bestimmten Gründen gemacht hat und dabei einfach über das Ziel hinausgeschossen hat. Stattdessen wird eine Konterhaltung eingenommen."
Es stelle sich die Frage, ob die sich die Entwicklungen in einer Richtung orientieren, wie beispielsweise dem neuen Polizeigesetz in Bayern: "Das weitet die Befugnisse so weit aus, da kann man sich noch nichtmal alles richtig vorstellen. Oder zu Ländern, in denen mit Fans regelmäßig solche schlimmen Dinge passieren. Es ist eine Entwicklung, die stattfindet, und es gibt die Angst, dass sich das erhärtet und schlimmer wird. Da dreht sich eine Spirale weiter, mehr Repression führt zu mehr Ablehnung, und das ist für niemanden gut. Das muss gestoppt werden."
3.) Es gab ja vereinzelte Vergehen der Fans - wie schwierig macht es diese Verhältnismäßigkeit und ist diese das Entscheidende?
Die Verhältnismäßigkeit sei laut Mitter "der springende Punkt", die juristische Aufarbeitung soll sich um die Amtshandlung drehen - nicht um die Anzweiflung möglicher Vergehen. Die 700 eingesandten Berichte samt der eigenen Beobachtung würden sich "widerspruchslos decken und Puzzleteile darstellen, die sich zu einem Bild zusammenfügen", und dieses Bild passe nicht zu jenem, das von der Polizei offiziell kundgetan wurde.
"Eine Überlegung: Es waren ungefähr 160 Frauen in dem Kessel. Frühzeitig wurde kommuniziert, dass man die Übeltäter ausforscht. Man müsste früh wissen, ob man nach Männern oder Frauen sucht. Und im Falle, dass ich gar keine Frau suche, alle 160 gehen lassen. Das ist nachweislich nicht passiert. Es gab Frauen, die gefragt haben, ob sie raus oder auf die Toilette dürfen, das ist alles abgeblockt und verneint worden, teilweise sogar mit blöden Kommentaren versehen", gibt der RHR-Sprecher zu denken.
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(Text wird unterhalb fortgesetzt)
4.) Inwieweit ist es die Folge daraus, was sich zwischen Rapid und Polizei aufgestaut hat?
Rapid-Fans und die Polizei - das war seit jeher eine schwierige Beziehung mit zahlreichen Vorfällen und stellt für Mitter genau diese Spirale dar, "dass irgendwann keiner mehr weiß, wer angefangen und welche Impulse gesetzt hat". Dieses Mal kamen jedoch unbescholtene Bürger zum Handkuss, die dadurch ebenfalls Abneigung gegen die Polizei entwickeln könnten und das Verhältnis noch weiter ankratzen.
"Wenn man jetzt sagt, dass alles seine Richtigkeit hat, was die Polizei gemacht hat, dann wird es 1.300 Leute geben, die wahrscheinlich künftig kein gutes Verhältnis zur Polizei haben werden. Manche haben vorher schon keines gehabt, aber manche haben damit noch nie etwas zu tun gehabt. Das ist ein Wahnsinn, natürlich werden dann die Ressentiments und die Ablehnung mehr. Das wird Dinge auslösen, wo die Polizei wieder zu härteren Maßnahmen greift. Das kann man jetzt nicht als Drohung sehen, sondern das ist ein normaler Prozess. Das ist gefährlich, da muss man Grenzen setzen."
Ein Kreislauf, der nur schwer zu stoppen ist. Der "Rechtshilfe Rapid" ist besonders wichtig, dass folgendes Bewusstsein verankert wird: "Es wird ja oft ein Rechtsstaat zitiert, aber die wenigsten wissen eigentlich, was damit gemeint ist. Diese Bürger- und Freiheitsrechte – dass nicht alles erlaubt sein kann, dass nicht der Zweck die Mittel heiligt."
5.) Sollte eine lückenlose Aufklärung dadurch im gegenseitigen Interesse, auch von der Polizei, sein?
Damit sich die Situation nicht noch mehr zuspitzt und eskaliert, wären Annäherungsversuche beider Seiten ratsam. Die Rechtevertretung kann dabei nur in ihrem Rahmen handeln: "Uns werden Fälle zugetragen und das ist die Wahrnehmung, die wir haben. Wir können es uns nicht leicht machen. Über die Glaubwürdigkeit einer Behörde gegenüber einer privaten Organisation braucht man ja nicht zu diskutieren. Somit sind wir in der Pflicht, alles penibelst aufzuarbeiten, es geht auch nichts nach außen, was wir nicht drei Mal gegengecheckt haben. Wir wollen ja nicht in die Verlegenheit kommen, etwas zuzuspitzen, was nicht war – das ist auch nicht unser Interesse. Aber bei diesem Fall, kann man nicht zur Tagesordnung übergehen."
"Wenn man jetzt sagt, dass alles seine Richtigkeit hat, was die Polizei gemacht hat, dann wird es 1.300 Leute geben, die wahrscheinlich künftig kein gutes Verhältnis zur Polizei haben werden. [...] Das ist ein Wahnsinn, natürlich werden dann die Ressentiments und die Ablehnung mehr. Das wird Dinge auslösen, wo die Polizei wieder zu härteren Maßnahmen greift."
Was seitens der RHR unverständlicherweise überhaupt nicht passiere, sei eine Entschärfung seitens der Exekutive. "Die Behörde könnte ja selbstreflektiv sagen: 'Wir haben so ermittelt, wir haben so reagiert, aber wir werden das in Zukunft nicht mehr so machen.' Und das würde aus dem Ganzen irrsinnig viel Dynamik rausnehmen. Wenn sie sagen, es tut uns leid und wir entschuldigen uns bei allen, die zu Schaden gekommen sind und sorgen auch für einen Ausgleich, dann ist es das, was die Leute hören wollen und was eigentlich passieren muss."
6.) Was kann das Gespräch von Rapid-Präsident Michael Krammer mit Polizeipräsident Gerhard Pürstl bewirken?
Mitter betont, dass Reden immer gut sei und der Schritt aufeinander zu ein erster positiver Impuls ist. Bei dieser Begegnung ginge es nicht um die juristische Seite, sondern viel mehr um Verbesserungen für künftige Spiele.
"Aus Vereinssicht muss es in erster Linie darum gehen, in die Zukunft zu blicken und so etwas künftig zu vermeiden. Es wird wieder Derbys geben, auch wieder am Verteilerkreis, es werden wieder Fans hingehen. Man kann natürlich sagen: Null Toleranz, keine Auswärtsfans mehr! Aber ob das die Lösung ist, in einer Liga, die sowieso wenige Zuschauer hat, ist die andere Frage. Aber man wird die Situation wieder haben, da muss man sich überlegen, wie man damit umgeht. Das ist für den Verein eine ganz zentrale Frage, die man erörtern muss."
Aus diesem Grund wird das Treffen als sehr sinnvoll erachtet.
7.) Fühlt sich die "Rechtshilfe Rapid" vom Verein in dieser Causa bestmöglich unterstützt?
Die Zusammenarbeit sei durchaus positiv, der Klub helfe der Rechtshilfe in seinen Möglichkeiten, so gut es geht. "Es gibt da eine sehr große Einigkeit und Zusammenhalt zwischen Fans und Verein. Das ist ein positiver Effekt, der sich daraus entwickelt hat. Es ist auch schön zu sehen, wenn sich der Präsident hinstellt und sich selbst vor Ort ein Bild macht. Das ist alles nicht selbstverständlich. Er hat sich das stundenlang angeschaut, mit Leuten vor Ort geredet. Dann entsteht eine Meinung und da hat der Verein aus meiner Sicht optimal gehandelt und ist nicht wieder in die Ecke gedrängt worden, dass er das Fanverhalten verharmlost. Sondern der Verein hat es gemacht, wie er es selbst gesehen hat."
Eine extra einberufene Pressekonferenz, klare Statements und eingeleitete Schritte, wie etwa das Gespräch mit Pürstl zeigen das klare Interesse des Vereins, den Fall aufzuklären.
8.) Welche Konsequenzen befürchtet man für die Zukunft? Besteht nach Klagen etc. die Gefahr der Eskalation und weiteren Polizei-Aktionen?
Am wichtigsten ist wohl, dass es in Zukunft nicht mehr zu ähnlichen Vorfällen kommt und solche Zwischenfälle - von wem auch immer - nicht provoziert werden. Da nun Klagen seitens der RHR angekündigt wurden und das Verhältnis ohnehin angekratzt ist, bleibt jedoch die Frage, ob es dadurch nicht zu einer weiteren Eskalation der Lage kommt.
"Das ist für mich das Gefährlichste überhaupt! Wenn die Polizei sagen würde, wir rächen uns an irgendwem, für ein bestimmtes Verhalten oder weil wer als Bürger die Rechtsmittel, die ihm zustehen, nutzt, dann können wir zusperren. Dann geht es nicht mehr nur um Fußball. Auch diese Vermutung, dass eine Rache passiert ist, wegen der "1312"-Choreografie ist das Ärgste. Das wäre das Allerschlimmste, wenn eine Behörde selbst ein subjektives Empfinden in ihre Amtshandlung einfließen lässt. Das wäre der Untergang!"
Die Objektivität wäre dadurch in Gefahr, bestimmte Personen schon im Vorhinein gebrandmarkt. Deshalb will Mitter sich diese Gedanken gar nicht machen. "Ich könnte gar nicht glauben, wenn die Polizei so agiert. Sie wird es auch immer dementieren, weil sie das selber weiß. Die Polizei wird sich immer drauf berufen, dass Straftäter verfolgt worden sind und sie versucht haben, die auszuforschen. Das muss sie auch tun, das ist ihre Arbeit. Wir kritisieren die Art und Weise, das ist unser Recht. Aber wenn es um Rache geht – das kann ich bei uns ausschließen. Es hat auch keiner einen Polizisten tätlich angegriffen, es gab vor Ort keine Anzeigen wegen Widerstand. Es hat in sieben Stunden keine Zwischenfälle gegeben, das sagt alles über das Verhalten der Fans aus."
"Wenn die Polizei sagen würde, wir rächen uns an irgendwem, für ein bestimmtes Verhalten oder weil wer als Bürger die Rechtsmittel, die ihm zustehen, nutzt, dann können wir zusperren. Dann geht es nicht mehr nur um Fußball. [...] Das wäre das Allerschlimmste, wenn eine Behörde selbst ein subjektives Empfinden in ihre Amtshandlung einfließen lässt. Das wäre der Untergang!"
9.) Hat sich die Vermutung erhärtet, dass die Polizei-Aktion geplant war?
Das Rache-Motiv spielte im Zuge des Derbys durchaus eine Rolle. Von vielen Seiten wurde gemutmaßt, ob es nicht doch eine Revanche-Aktion seitens der Exekutive war - nicht nur aufgrund der erst kürzlich gezeigten Choreografie, sondern auch aufgrund eines Transparents im Zuge des Pyrotechnik-Verbotes, das Innenminister Herbert Kickl und den Wiener Landespolizeipräsidenten Gerhard Pürstl im Fadenkreuz zeigte, sowie weiteren Schmähungen.
"Diese Annahmen und Vermutungen haben sich im Zuge unserer Recherchen definitiv erhärtet", gibt Mitter zu. "Es ist in der juristischen Aufarbeitung jetzt nicht das große Thema, was im Vorfeld passiert ist, weil es um die Amtshandlung geht. Aber das ist natürlich eine politische Frage. Wenn der Grund der Anhaltung ein strafrechtliches Verhalten ist, dann muss es ja eine spontane Entscheidung gewesen sein."
Indizien würden jedoch dagegensprechen, unter anderem auch Vorbesprechungen mit dem Verein, wo bewusst daraufhingewiesen worden sein soll, dass Fans nicht ins Stadion dürften, wenn sie sich falsch verhalten. Zudem sollen bereits Stunden vorher stapelweise Informationszettel bereit gelegen sein, welche gegen eine spontane Gesetzesübertretung sprechen. "Wenn es auch keine Hektik gibt bei den Einsatzeinheiten, weil alle wissen, was sie tun müssen, dann ist das schon noch mal eine andere Dimension. Weil dann wird auch der Vorwand der Amtshandlung wegen strafrechtlichem Verhalten relativiert, weil sonst könnten sie nicht innerhalb von zwei Minuten reagieren. Wenn aber alles so geordnet abläuft, alles klar strukturiert ist und schon im Vorfeld Andeutungen in so eine Richtung gemacht werden, dann muss man da zumindest nachforschen."
Beweisen könnte es die RHR nicht, dass es sich um ein geplantes Vorgehen gehandelt habe. Allerdings sieht die Solidargemeinschaft zumindest Anlass, es in den Raum zu stellen, dass "ein riesiger Aufklärungsbedarf besteht".