Konstanz sucht man beim SK Rapid seit einigen Wochen vergeblich. Auch in der vergangenen Saison hatte man immer mit Schwankungen zu kämpfen, glitten Spieler durch Höhen und Tiefen.
Einer, der bei den Hütteldorfern zu einem Fixpunkt und Leistungsträger geworden ist, ist Filip Stojkovic. Der 28-jährige Serbe, der für Montenegros Nationalmannschaft spielte, hat in seiner Karriere schon viel erlebt. Bei Rapid entwickelte er sich nach mäßigem Start immer mehr zum Führungsspieler, zum heimlichen Boss in der Kabine, zum Publikumsliebling und Teilzeit-Kapitän.
Weil er das verkörpert, was die Fans sehen wollen: Einsatz, Leidenschaft, Wille - bis an die Grenze des Erlaubten. Auf dem Platz fürchten ihn seine Gegenspieler, abseits ist er ein humorvoller, ruhiger Zeitgenosse, den LAOLA1 zum Interview trifft.
"Ich bin nie freundlich zu meinen Gegenspielern. Nicht einmal, wenn ich mit meinem Bruder spiele. Ein bisschen gehört das dazu, das ist normal", scherzt Stojkovic über seine kompromisslose Spielweise. Provokationen, Trash Talk oder kleine, versteckte Fouls inklusive. "Das kommt mit der Routine, andere machen das auch."
Der Rechtsverteidiger ist einer, der polarisiert, der nicht nur die Gegner auf 180 bringt, sondern auch die eigenen Fans auf Temperatur. Oftmals versucht er das eigene Team durch die Aufforderung zu noch mehr Support zu pushen, etwas Besseres als die Zuschauer-Rückkehr hätte ihm nicht passieren können, wie er meint.
"Für mich ist diese Stimmung wichtig! Auch für die Motivation anderer Spieler und Fans. Das letzte Jahr ohne Fans war gefühlt wie Freundschaftsspiele, das war für die Motivation nicht einfach. Aber wir sind Profi-Spieler, deshalb mussten wir die Situation so hinnehmen wie sie eben war. Wenn Unterstützung von den Fans kommt, ist das ganz was anderes. Ich liebe es, vor so fanatischen Fans zu spielen. Bei Roter Stern war es die Rote Wand, bei Rapid ist es jetzt die Grün-Weiße.
Heimlicher Captain: "Gebe jeden Tag mein Maximum"
Stojkovic ist ein Antreiber, einer, der selbst von sich behauptet, immer gewinnen zu wollen - koste es, was es wolle. "Ich gebe jeden Tag im Training mein Maximum. Ich glaube, die Leistungen im letzten Jahr waren wirklich gut, aber es geht besser. Es muss immer besser gehen."
Der Start bei Rapid vor zwei Jahren war weniger ruhmreich, körperliche Defizite waren unverkennbar. Erst nach rund einem Monat ließ ihn Trainer Didi Kühbauer ran, mit der Zeit war der Außenverteidiger aber bis auf kleine Blessuren nicht mehr aus dem Team wegzudenken. Im August machte ihm dann aber eine Corona-Erkrankung zu schaffen, Angst hatte er aber keine. "Es geht mir jetzt super! Die ersten sechs Tage ist es mir schlechter gegangen, aber zum Glück nicht so lange. Nicht trainieren zu können, war schon sehr schwierig für mich. Nach dem Trainingslager haben die anderen Spieler super gespielt, mit voller Kondition. Mit Corona war es dann keine einfache Situation, aber es ist besser geworden. Aber im ersten Spiel nach meiner Corona-Erkrankung habe ich mir die Zehe gebrochen, ich habe aber mit Spritze weitergespielt. Es ist schon drei Wochen her, aber es dauert noch ein bisschen, bis es heilt."
Viele sehen im Defensiv-Spezialisten einen heimlichen Kapitän in der Kabine, der mittlerweile auch schon auf dem Feld die Schleife tragen durfte. "Für jeden Spieler ist es top, wenn man Kapitän sein kann in einem Klub. Für mich persönlich ist es eine super Erfahrung. Aber für mich sind Dibi (Anm.: Christopher Dibon) und Maxi (Anm.: Hofmann) die Kapitäne. Ich bin höchstens dritter oder vierter Kapitän, aber auch das ist super für mich."
Sogar bei Roter Stern kam Stojkovic schon zu Kapitäns-Ehren, führte seinen Heimatklub in hitzigen Belgrader Derbys an, übernahm früh Verantwortung. Stojkovic ist ein Teamplayer, der sich wohlfühlen muss, um zu funktionieren. Nach kurzer Anlaufzeit war das auch in Wien der Fall, er liebt den Verein, die Mitarbeiter, die Stadt, die Fans und das Umfeld.
WG mit Barac: "War mit ihm mehr zusammen als mit meiner Frau"
Der Spaß darf dabei nicht zu kurz kommen. "Für mich selbst steht der Spaß mit der Mannschaft, speziell mit einer jungen Mannschaft, im Vordergrund. Es muss gute Stimmung herrschen, damit dann am Platz alle hundert Prozent geben können", gesteht der Serbe. Als absoluter Spaßmacher gilt Philipp Schobesberger, das weiß auch der Routinier. "Wir brauchen Schobi, zum Glück ist er jetzt wieder zurück, seine Art tut uns gut. Auch Dibi und Leo Greiml sind für mich super Typen. Aber eigentlich sind alle Spieler gut drauf."
"Zu Beginn der Corona-Krise ist Mateo in meine Wohnung eingezogen - und sieben oder acht Monate geblieben. Ich war mehr mit ihm in meiner Wohnung als mit meiner Frau."
Ein besonderes Verhältnis pflegte Stojkovic mit Mateo Barac, der Rapid im Sommer in Richtung FK Sochi verließ. Mit ihm verbrachte er jede freie Minute, das ging sogar so weit, dass eine WG daraus wurde. "Zu Beginn der Corona-Krise ist Mateo in meine Wohnung eingezogen - und sieben oder acht Monate geblieben", was zuvor nicht geplant war. "Ich war mehr mit ihm in meiner Wohnung als mit meiner Frau", scherzt der relaxt wirkende Profi.
Eine neue WG ist aber nicht geplant. "Mateo bleibt immer mein Freund. Ich bleibe immer in Kontakt mit Mateo. Das ist einfach Fußball – der eine geht, der andere kommt. Das ist Fußball-Life." Auch weil Frau und Sohn mittlerweile die ganze Zeit da sind. "Ich brauche nur meine Familie, die steht für mich an oberster Stelle. Natürlich habe ich auch gerne Spaß mit den Spielern, sitze gerne noch auf einen Kaffee nach dem Training zusammen oder scherze mit den Kollegen. Das ist wichtig für eine super Stimmung."
Auch im Cafe eines sehr guten Freund in Wien-Josefstadt ist Stojkovic oft anzutreffen. Er genießt das Leben in Wien, das familiäre Umfeld. Umso unverständlicher sind für ihn Behauptungen, er wäre ein "Bad Boy" - dieses Image wurde ihm vor allen von serbischen Medien verpasst.
Party, Panzer, Gerüchte: "Ich bin kein Bad Boy"
Doch der Spieler selbst wehrt sich dagegen. "Als ich von Roter Stern zu Rapid gekommen bin, haben alle Medien geschrieben, dass ich ein Bad Boy und Party Boy bin. Dabei habe ich eine Familie, eine Frau, einen Sohn. Als ich hierhergekommen bin, war das die erste Frage des Trainers. Aber ich habe gesagt, dass das einfach nicht richtig ist."
Im Rückspiegel gab es Ereignisse, worauf sich diese Behauptungen zu stützen scheinen. Etwa Stojkovics Boykott des Länderspiels mit dem montenegrinischen Nationalteam gegen Kosovo (mehr dazu später) oder aber eine von einem Fanklub initiierte Feier des Teams auf einem Panzer in Belgrad nach der erfolgreichen Champions-League-Qualifikation 2019 - und Stojkovic, der zwei Tage später zu Rapid wechselte mittendrin. Alles zu hinterfragende Aktionen, vor allem vor dem politischen Hintergrund, denn diese Aktionen wirbelten viel Staub auf.
"Ich bin kein Bad Boy. Jene Leute, die mich kennen, wissen das auch. Das ist nur für ein paar Leute in den Medien so."
Doch der Rapidler redet nicht mehr gerne darüber, sondern stellt klar: "Ich bin kein Bad Boy. Jene Leute, die mich kennen, wissen das auch. Das ist nur für ein paar Leute in den Medien so." Dass er der einen oder anderen Feier nicht abgeneigt ist, wenn es der Terminplan - und vor allem der Trainer zulässt - ist aber auch kein Geheimnis.
"Wenn du gegen Liverpool gewinnst und danach zwei Tage frei hast, ist es doch normal, wenn du mit allen Spielern ein bisschen in einen Club gehst oder zum Abendessen. Für mich ist das normal. Für den Trainer? Das weiß ich nicht, ich glaube schon." Es sei ja nicht so, dass nach jedem Spiel gefeiert werden würde, nur wenn der Trainer das Okay gibt.
51 Europacup-Einsätze, aber ein ganz spezieller
Das Beispiel mit Liverpool kommt nicht von ungefähr, denn mit den "Reds" verbindet Stojkovic sein größtes Erlebnis im Europacup. Mittlerweile hat der erfahrene Profi bereits 51 Europacup-Spiele auf dem Buckel, mit Rapid werden es in der Gruppenphase der Europa League heuer noch einige mehr.
"Für mich war das mit Abstand beste Europacup-Spiel in Belgrad gegen Liverpool. Wir haben 2:0 gewonnen. Liverpool hat nur dieses eine Spiel gegen uns verloren und danach die Champions League gewonnen. In Liverpool haben wir dann 0:4 verloren (lacht), aber in Belgrad haben wir sensationell gespielt. Dieses Spiel und auch noch das Playoff gegen Krasnodar, als wir zum ersten Mal nach zehn Jahren in die Europa League (davor UEFA-Cup) gekommen sind."
51 Spiele sind eine stolze Summe. "Bei Roter Stern habe ich in den zwei Jahren sehr viel im Europacup gespielt. Quali, Europa- und Champions League, jetzt bei Rapid schon zwei Jahre in der EL-Gruppenphase. Für mich ist das ein absolutes Highlight europäisch zu spielen - das ist etwas anderes als die Bundesliga, auch für die Fans. Ich spiele jedes Jahr gerne im Europacup."
Seit er ein kleiner Bub war, ist er dem Fußball verfallen. Sein Vater spielte in der 3. Liga in Jugoslawien, als der Fußball dort boomte. Laut eigenen Angaben verfolgte er seit 2002 Europacup-Spiele mit Freunden und Familie im TV und wollte irgendwann auch auf der großen Bühne auflaufen. Mit neun Jahren startete er selbst bei Roter Stern Belgrad, setzte sich nach Leihgeschäften und Ausflügen zu Cukaricki und 1860 München durch und verbindet dementsprechend sehr viel mit seinem Stammverein.
"Roter Stern ist mein Verein und immer in meinem Herzen. Ich bin so lange dort geblieben, von der Schule über den Nachwuchs bis zu den Jahren in der ersten Mannschaft. Ich habe 97 Spiele für Roter Stern gemacht, meine ersten Schritte im Profifußball. Das ist mein zweites Zuhause."
"Savicevic war immer ein Vorbild für mich"
Einer, der bei Roter Stern, dem heutigen Verein von Aleksandar Dragovic, Geschichte schrieb und zudem noch zur Rapid-Ikone avancierte, ist Dejan Savicevic. Mit ihm verbindet Stojkovic eine besondere Geschichte. Als Kicker war der begnadete Filigrantechniker immer schon ein Vorbild, als Verbandspräsident Montenegros lernte ihn der Verteidiger im Rahmen seiner 15 Länderspiele schätzen und lieben.
"Dejan Savicevic war immer ein Vorbild für mich. Ich habe super Kontakt mit Dejan, habe sehr viel mit ihm geredet." Auch über Rapid. "Ich habe mit ihm auch viel über Rapid geredet. Er ist bei Rapid eine Legende, bei Roter Stern Belgrad und dem AC Milan auch. Wie ich noch für Montenegro gespielt habe, war Rapid schon ein Thema und es gab Gespräche. Er hat mir alles berichtet und hat nur das Beste von Rapid, den Fans und der Stadt erzählt."
Ein Star wie dieser Ausnahmekönner war damals eine absolute Erscheinung in der heimischen Bundesliga. "Alle sagen, Savicevic war der beste internationale Spieler, der je bei Rapid gespielt hat", meint auch Stojkovic. "Dejan ist einfach Dejan." Doch auch diesem gefiel nicht, dass Stojkovic damals zusammen mit anderen das Spiel gegen Kosovo boykottierte - seitem wurde er nie mehr einberufen. "Ich habe 15 Spiele für Montenegro gemacht. Als wir damals gegen Kosovo gespielt haben, habe ich es für mich beendet. Das ist eine persönliche Entscheidung gewesen. Für mich, alle Spieler und die Fans in Montenegro war es besser, dass ich nicht mehr spiele", will Stojkovic nicht mehr zu viel ausholen.
Dass er überhaupt für Montenegro und nicht für Serbien auflief, wie in allen Jugendauswahlen, hatte den Grund, dass viele Leute bei dieser Entscheidung mitgeredet hätten und er länger warten hätte können. "Für mich war es kein Fehler, es war top für eine Nationalmannschaft wie Montenegro zu spielen. Ein Fehler war es vielleicht, dass ich nicht länger auf einen Anruf von Serbien gewartet habe."
Mehr Spiele, weniger Training? Genau richtig für Stojkovic
Das ist jedoch alles Vergangenheit, der Fokus gilt der Zukunft, wo die Europa-League-Gruppenphase den Herbst dominieren wird. Mit West Ham, Dinamo Zagreb und KRC Genk hat Rapid ein attraktives Los gezogen.
"Die Gruppe ist sicherlich nicht leicht. Alle Gruppen sind stark. "Diese Gruppe hat Druck. Wir haben eine starke Gruppe, aber wenn wir unseren besten Fußball spielen, haben wir eine Chance."
Definitiv als Höhepunkt sieht der Führungsspieler das Aufeinandertreffen mit den Londonern. "West Ham ist sicher ein Highlight, auch für mich. Sie spielen in der Premier League und werden sicher auch Spieler rotieren für die Europa League. Wir haben hier schon ein super Spiel gegen Arsenal beim 1:2 gespielt, wir haben gegen alle Chancen." Auch Aston Villa konnte Rapid in der Vergangenheit schon besiegen. "Warum nicht auch West Ham?", stellt Stojkovic die Gegenfrage.
Das Thema Doppel- und Dreifachbelastung, das Coach Kühbauer immer wieder betonte, stellt überraschenderweise für den Serben kein Problem dar, ganz im Gegenteil. "Für mich persönlich war das top. Weniger trainieren und dafür zwei Spiele pro Woche zu haben, ist für alle Mannschaften besser", lacht er. Auch etwas, was ihn mit Idol Savicevic verbindet, denn auch dieser hätte am liebsten jede Sekunde gespielt anstatt zu trainieren.