Der Abstiegskampf in der ADMIRAL Bundesliga ist weiter spannend. Verliert Altach am Samstag gegen Wattens (ab 17:00 Uhr im LIVE-Ticker >>>), während Lustenau zeitgleich gegen Blau-Weiß Linz gewinnt (zum LIVE-Ticker >>>), kommt es zum großen Showdown im Ländle-Derby am letzten Spieltag.
Dem Negativ-Rekord eines burgenländischen Fußballvereins können die beiden Vorarlberger Klubs aber auch heuer nicht gefährlich werden. Vor 40 Jahren verabschiedete sich der SC Neusiedl am See aus der höchsten Spielklasse – mit den wenigsten Punkten, die ein Bundesliga-Absteiger jemals in einer Saison sammeln konnte. Nur vier Zähler hatte der Klub damals nach 30 Spieltagen auf dem Konto.
"Es war ein grausliches Jahr, muss ich sagen", meint Harald Toth. Als 20-Jähriger machte er zehn Bundesligaspiele für die Neusiedler. Heute sagt er: "Es war eine schöne Zeit, auch wenn wir die Schießbude der Liga waren. Aber ich bin froh, dass ich das miterleben durfte."
Aufstieg durch Zufall
Dass der SC Neusiedl überhaupt in der Bundesliga gelandet war, glich einem großen Zufall. "Wir waren viele Jahre ein Regionalligaverein, haben dort auch sehr gut mitgespielt", erklärt Toth.
1979/80 war Neusiedl dann zu gut, wurde Erster und stieg in die 2. Division auf. Dort lief es im ersten Jahr mehr schlecht als recht (Platz 13), ehe man im zweiten Jahr auf einem starken vierten Rang landete. Nur: Genau in jenem Jahr, 1982, fand die erste Bundesliga-Reform statt. Die höchste Spielklasse, die damals noch 1. Division hieß, wurde zur 16er-Liga aufgestockt.
(Text wird unter dem Video fortgesetzt)
Die Profiteure hießen Austria Klagenfurt, SC Eisenstadt, First Vienna FC, 1. Simmeringer SC – und SC Neusiedl. "Das war damals unpackbar, niemand hätte das Jahre vorher geglaubt, dass Neusiedl die Möglichkeit dazu kriegen wird. Natürlich wollten die Funktionäre das dann nicht sausen lassen", sagt Toth.
Nachsatz: "Dass das nicht allzu lange Bestand haben wird, war auch irgendwie klar."
Als Neusiedl ein Volksfest feierte
Am 7. Mai 1983 steppt in Neusiedl der Bär. Die Stadt hat damals etwas mehr als 4.000 Einwohner, zum Heimspiel gegen Rapid sind aber gut 7.000 Zuschauer gekommen. Eine überdachte Tribüne gibt es am Sportplatz damals nicht.
"Da haben die Weinbauern und Landwirte ihre Wägen zur Verfügung gestellt. Die sind damals mit dem Traktor reingebracht worden und die Zuschauer sind oben gesessen - damit möglichst viele etwas vom Spiel sehen. Das kann man sich gar nicht mehr vorstellen", sagt Toth und lacht.
Das bis dahin ungeschlagene SK Rapid lässt Federn, Aufsteiger Neusiedl feiert einen 2:1-Sieg. Die Tore erzielen Zoran Lukić (31.) und Friedrich Csarmann (70.), Antonín Panenka gelingt nur der zwischenzeitliche Ausgleich in Minute 57.
"Das war damals ein Wahnsinn, Rapid war unglaublich stark. Wir haben uns alle riesig gefreut – in Neusiedl war das Feiertag, Volksfest und alles zusammen", erinnert sich Toth.
Er selbst war damals nur Zuschauer, spielte in der U21. Der unerwartete Sieg war ein wichtiger Schritt für einen Verein, der in akuter Abstiegsnot stand. Der Vorsprung auf die Abstiegsplätze betrug am Ende zu einer Zeit, in der die Dreipunkteregel noch nicht eingeführt war, zwei Zähler.
Toth sagt: "Dass wir in der ersten Saison die Liga gehalten haben, das war sowieso schon sensationell."
"Wir waren einfach so ein richtiger Dorfverein in der Bundesliga."
Diejenigen, die Neusiedl in der Bundesliga erlebt haben, würden heute noch von den Spielen schwärmen. "Speziell von denen in der ersten Saison", präzisiert er und sagt: "Wir waren einfach so ein richtiger Dorfverein in der Bundesliga. Wir Neusiedler sagen ja selbst immer: Neusiedl ist keine Stadt und kein Dorf, das ist irgendwo in der Mitte drinnen."
Zum Abschluss der Aufstiegssaison setzte es noch eine derbe 0:8-Klatsche bei Austria Wien. Spätestens mit dem zweiten Bundesligajahr habe man dann ohnehin gesehen, dass es schwer werde, sagt Toth, "mit den finanziellen Problemen des Vereins war das klar."
Vier Punkte für die Ewigkeit
Mit 19 Niederlagen in Serie startete Neusiedl in das zweite Jahr im Oberhaus. Die Schulden, die schon wohl schon in der 2. Division da waren, wurden größer und "in einem Bereich, wo es nicht mehr einfach war, das abzubauen", so Toth.
Das Geld für Kaderspieler war nicht mehr da, wichtige Spieler wie Zoran Lukić, Josef Sara und Detlef Bruckhoff kamen Neusiedl abhanden. "Wir haben uns eh nicht als Bundesliga-Mannschaft gesehen", sagt Toth heute über das Team in der Saison 1983/83.
Damals bekamen die jungen Wilden ihre Chance. Auch Harald Toth, der sich im April 1982 noch eine schwere Knieverletzung zugezogen hatte (er riss sich beide Kreuz- und beide Seitenbänder im Knie; Toth: "Eigentlich hätte ich gar nicht mehr weiterspielen sollen"), kam so zu zehn Einsätzen in der Bundesliga.
"Ich war im Herbst zwar kein Stammspieler, aber schon recht gut dabei", erzählt er. Dass es nicht mehr Einsätze geworden sind, ist auf eine Schulterverletzung im Frühjahr 1984 zurückzuführen. Er möchte die Zeit aber keinesfalls missen, bekräftigt er.
Toth erzählt von einem Spiel gegen Rapid im Hanappi-Stadion, das mit 0:8 verloren wurde. "Aber Hans Krankl, Antonín Panenka, Heribert Weber auf der anderen Seite – das war schon toll. Dass eine Kleinstadt wie Neusiedl da mitspielt, war außergewöhnlich."
Er erzählt von einem Spiel auswärts bei der Austria im Franz-Horr-Stadion (0:5-Niederlage). -5 Grad habe es da Anfang Dezember gehabt, aber Toni Polster, Herbert Prohaska und Tibor Nyilasi spielten bei den Gegnern.
27 Niederlagen kassierte Neusiedl 1983/84. Zudem schauten zwei torlose Remis gegen den SV Sankt Veit und Admira Wacker heraus. Darüber habe man sich schon gefreut, "weil irgendwie waren wir ja echt keine Bundesligamannschaft", sagt Toth.
Dass man mit immerhin vier Punkten auf dem Konto abstieg, war einem 3:0-Erfolg auf dem grünen Tisch gegen Union Wels zu verdanken. Der Verein wurde im Februar 1984 durch Konkurs aufgelöst, alle restlichen Spiele mit 3:0 gewertet.
Letzter wurde dennoch Neusiedl – mit zehn Punkten weniger auf dem Konto. Bis heute ist der SC Neusiedl der schlechteste Absteiger der Geschichte.
Abstieg ins Ungewisse
Toth spricht dennoch von tollen Erlebnissen. "Auch wenn es einige Niederlagen waren, was nicht einfach zu verschmerzen war." Er habe sich da eh noch ein bisschen leichter getan, als junger Spieler, der sich gar nicht erwarten hätte dürfen, so schnell in der Bundesliga zu spielen.
"So gesehen habe ich das ein bisschen entspannter sehen können als die routinierten Spieler. Aber trotzdem: Verlieren ist nie angenehm, so oft verlieren schon gar nicht." Insofern sei man schon auch froh gewesen, dass die Spielzeit zu einem Ende kam.
"Wir waren alle froh, als es aus war. So viele Niederlagen am Stück - das war schon schlimm."
Für Neusiedl war das Ende in der Bundesliga auch verbunden mit einem Abstieg in das Unterhaus. Aus dem Plan, mit jungen Spielern aus der Region ein Team um Routiniers wie Abwehrchef Josef "Fritz" Bruck, Josef Bochdalofsky und Josef Karner aufzubauen und in der 2. Division anzutreten, wurde nichts.
Auf der Generalversammlung des Vereins wurde knapp dagegen gestimmt, auch die Bank soll sich dagegen ausgesprochen haben. Es folgte der freiwillige Abstieg in die 5. Liga. "Ich weiß bis heute nicht, ob es die beste Entscheidung war", sagt Toth. Er glaubt: Neusiedl hätte damals das Zeug gehabt, in der 2. Division zu verweilen.
Ein Knie, das bald 100 wird
Im ersten Jahr nach dem Abstieg wurde der Aufstieg in die Landesliga knapp verpasst, dann verließen immer mehr Spieler den Verein, Neusiedl stieg in die 1. Klasse ab. Da sei man jahrelang nicht weggekommen, die Schulden drückten, gute Spieler kamen deshalb nicht. Toth selbst spielte da schon nicht mehr.
Seine Fußballkarriere fand ziemlich rasch ein Ende. Schon sechs Monate nach seiner Knieverletzung 1982 spielte er wieder in der U21, heute sagt Toth: "Das war extrem unvernünftig."
Zwar glaubten alle, dass er sich in der Bundesliga wieder gefangen habe. Bei einer 0:1-Niederlage gegen Austria Klagenfurt (Toth: "Mein Gegenspieler Peter Hrstic war als Schütze gefürchtet, meine Aufgabe war, dass der nicht schießt. Aber 90 Minuten lang war das nicht zu verhindern"), riss sich Toth erneut das Kreuzband, das wurde erst später festgestellt.
Toth spielte dann noch zwei Jahre ohne Kreuzband, versuchte es mit Muskelaufbau: "Das war der nächste Fehler, ich habe mir das Knie total zusammenghaut." Mit 23 wurde er operiert, obwohl die OP damals noch ziemlich neu war, habe das gut geklappt. Ein ganzes Jahr lang habe er aber nicht spielen dürfen, striktes Sportverbot gehabt, nur Schwimmen und Radeln habe er dürfen.
"Ich habe es dann bleiben lassen. Das werde ich nie vergessen: Ich war 23, der Arzt hat gesagt, dass das Knie ausschaut wie das von einem 60-Jährigen. So alt bin ich jetzt, das Knie wird bald 100", so Toth.
Rückkehr als Trainer
Für ihn folgte somit früh der Wechsel auf die Trainerbank, er arbeitete lange im Nachwuchs. "Daran denke ich heute noch gerne zurück. Im Bundesliga-Nachwuchszentrum habe ich Philipp Hosiner, Thomas Salomon und Dario Tadic gehabt - also viele Spieler, die später Bundesliga gespielt haben."
Auch seine drei Söhne coachte Toth. Daniel (36) spielte in der Bundesliga für Ried und die Admira, aktuell ist er Spieler und Co-Trainer in Neusiedl. Marcel (34) spielte für die Vienna und Horn in der 2. Liga und wechselte im Sommer zurück nach Neusiedl. Sebastian (22) wechselte im Winter aus Neusiedl zum FC Andau, wo Papa Harald Trainer ist.
Als junger Trainer kam Toth nach Neusiedl zurück, mit einem Gerippe an Neusiedler Spielern wurde der Aufstieg in die 2. Liga Nord geschafft, "also genau in die Liga, wohin wir zurückversetzt worden sind", so Toth. Das sei eben auch bemerkenswert gewesen, weil kein Geld dagewesen sei – und gleichzeitig noch Schulden abgebaut wurden.
Toth, der bei der 100-Jahr-Feier des Vereins zum Trainer der Jahrhundert-Elf gewählt wurde, coachte Neusiedl später auch in der Regionalliga Ost, wo der Klub seit Jahren Stammgast ist.
"Da ist Neusiedl ganz gut aufgehoben. Und mehr sollte es eigentlich nicht werden in den nächsten Jahren", sagt Toth.
"Da rattert die Birne die ganze Woche"
Die Bundesliga verfolgt er nach wie vor, schaut sich viele Spiele im Fernsehen an. Ein bisschen würde er schon mit den Teams mitleiden, die im Abstiegskampf stecken, meint er.
"Ich kann das sehr gut nachempfinden. Ich weiß, wie es den Spielern geht, wie viel Druck auf den Trainern ist. Mit Neusiedl in der Regionalliga hatten wir meistens eine sehr junge Mannschaft, waren schon von Haus aus vor der ersten Runde gefährdet."
Manchmal habe man es souverän geschafft, meistens war es bis weit ins Frühjahr eng.
"In der Bundesliga ist das natürlich noch schlimmer. Das zehrt schon an dir, bei den Trainern noch mehr. Weil da rattert die Birne die ganze Woche."
Auch, dass sich Thomas Silberberger das nicht mehr antun wolle, könne er nachvollziehen.
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Die Phasen, in denen man den Fußballtrainerjob ausführen könne, werden seiner Meinung nach immer kürzer – was man auch daran sehe, dass sich Trainer wie Ralph Hasenhüttl oder Jürgen Klopp Auszeiten nehmen müssen. "Es ist extrem stressig. Vor allem für die, die unten dabei sind."