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Sinan Karweina: "Ich habe mir diese Situation erarbeitet"

Der Bundesliga-Topscorer galt als Top-Talent, stand vor Existenzsorgen - und kämpfte sich bei Klagenfurt zurück. Eine Geschichte über Auf und Abs im Fußball.

Sinan Karweina: Foto: © GEPA

"Es macht gerade sehr viel Spaß. Wenn man sich das anhört – das klingt schon sehr gut", meint Sinan Karweina.

Sieben Tore, sechs Assists – das bedeutet für ihn Platz eins in der Bundesliga-Scorerliste. Und das mit deutlichem Abstand. Im Cup geht es am Mittwoch gegen die Wiener Austria (ab 18:00 Uhr im LIVE-Ticker >>>).

Drei Tore hat Karweina im Pokalbewerb heuer bislang erzielt. Wobei: Mit Statistiken befasst sich der 24-jährige Shootingstar von Austria Klagenfurt eigentlich weniger.

Als er nach einem Doppelpack plus Assist gegen Rapid im "Sky"-Interview nach dem Expected-Goals-Wert gefragt wurde, schaute Karweina etwas skeptisch in die Kamera. "Das wird sicher mal spannend für mich, weil ich gerne mal Trainer sein würde. Aber aktuell fahre ich besser damit, wenn ich weniger Statistiken anschaue - und einfach nur spiele", sagt er. 

Klischee? Von wegen

Auf den ersten Blick wirkt Karweina wie der Prototyp eines Fußballspielers. Hat Tattoos am Arm, hört gerne Deutschrap, geht vor jedem Spiel zum Friseur. Auch Karweina gibt zu: So ein bisschen Klischee sei das schon.

Die Sache mit den Tattoos hat er sich von seinem großen Bruder abgeschaut, "da bin ich als kleiner Bruder natürlich ein bisschen der Nachmacher." Die Kurzhaarfrisur müsse man eben oft nachschneiden, damit die gut ausschaue, fügt Karweina grinsend hinzu. Ein bisschen eitel? Ja. Ein bisschen Klischee? Ebenso. "Aber wer mich kennt, der weiß, dass ich auch andere Seiten habe."

"Wer mich kennt, weiß, dass ich nicht der Klischee-Fußballer bin."

Sinan Karweina über sich selbst

Seit April studiert Karweina per Fernstudium "Fitness – und Gesundheitsmanagement". Wie er mit dem Lernen zurechtkomme? "Im Moment ist es ein Tief, so lässt es sich am besten beschreiben."

Seine Freizeit verbringt Karweina oft mit seiner Freundin oder mit Mannschaftskollegen, bei gutem Wetter ist er gerne draußen unterwegs, auch am See. Die Playstation 4 wird mittlerweile für Netflix verwendet. Auch wenn Karweina darauf besteht, früher ein guter FIFA-Spieler gewesen zu sein. 

Alles bestens: Sportlich läuft es für Sinan Karweina nach Wunsch
Foto: © GEPA

Die "Großen" buhlten

Fußball, das war im Hause Karweina immer ein großes Ding. Er selbst war großer Marcelinho-Fan, "wahrscheinlich kommt das mit der Frisur auch daher." Die Familie hingegen war "durch und durch Schalke", erklärt er. Mutter und Bruder kommen aus Gelsenkirchen, der Opa spielte bei Schalke II. Auch der Papa kommt aus dem Ruhrpott, kickte in Essen auf Asche. "Aber er war ganz schlecht – von dem hab ich’s nicht", lacht Karweina laut.

Er hat es jedenfalls gehabt. Schon mit acht Jahren klopften Schalke und Leverkusen an, für die Königsblauen absolvierte er zahlreiche Probetrainings, für Leverkusen spielte er ein Turnier. "Meine Eltern – vor allem meine Mutter – wollten mich in dem Alter aber auf gar keinen Fall gehen lassen", blickt Karweina zurück. 

Statt den großen Bundesligaklubs ging Karweina zum nächstgelegenen größeren Verein, dem FV Wiehl. "Bis ich 14 war, habe ich dort gespielt. Ich hatte eine sehr schöne und erfolgreiche Zeit", sagt er. Erneut meldeten sich klangvolle Namen: Wolfsburg bekundete Interesse, die Bayern ebenso. "Das habe ich aber alles erst im Nachhinein erfahren, meine Eltern wollten mich davor schützen."

"Das habe ich alles erst im Nachhinein erfahren. Meine Eltern wollten mich davor schützen.“

Sinan Karweina über die Top-Klubs, die ihn als Jugendlichen wollten

Über einen seiner Jugendtrainer – zugleich Scout beim 1. FC Köln – fiel schließlich die Entscheidung. Der Scout, Gerhard Elfert, erster Bundesligatorschütze für Borussia Mönchengladbach, rief immer öfter zuhause an. "Er musste meine Mutter fast überreden", erzählt Karweina. Er war erfolgreich, Karweina wechselte in die U16 des 1. FC Köln.  

Was sicher bei der Entscheidung von Vorteil gewesen sein dürfte: Das Geißbockheim befindet sich nur 40 Minuten vom Elternhaus, welches in der Nähe von Gummersbach liegt, entfernt. Statt Partnerschule oder Internat wurde gependelt. Er sei sehr froh darüber, wie seine Eltern gehandelt hätten, sagt Karweina heute.

Zu klein für Köln

Für Köln habe er "super gerne" gespielt, so Karweina. Und er performte. In der A-Junioren-Bundesliga machte er 29 Tore und sieben Assists in 53 Spielen.

Beim renommierten Junior Cup, einem Hallenturnier in Sindelfingen, bestach er 2018 mit einem Seitfallzieher-Tor gegen die Grasshoppers Zürich. "Ich habe einfach gemacht – Instinktfußballer halt", meinte Karweina damals.

Karweina selbst bezeichnet sich als "Straßenfußballer", Klagenfurts Trainer Peter Pacult nannte ihn mal einen "Zirkusfußballer". Er forderte seinen Angreifer auf, keinen "Firlefanz" zu zeigen, stauchte ihn gegen Rapid in der Halbzeit noch einmal zusammen – und prompt entschied Karweina das Spiel im Alleingang. "Wenn er einfach Fußball spielt, ist er ein toller Stürmer", meinte Pacult bei "Talk und Tore".

Die Forderung nach dem "einfachen Spiel" - "Pacult ist nicht der erste, der mir das sagt, das höre ich schon seit meiner frühen Kindheit", sagt Karweina. Das bedeute natürlich sehr viel – unterschiedliche Dinge in unterschiedlichen Situationen.

"Ich soll nicht kopflos spielen. Ich muss versuchen, selbst einzuschätzen, wann es angebracht ist, zu dribbeln. Das will und sollte mir ja auch keiner wegnehmen, das ist eine Stärke von mir", bringt es Karweina auf den Punkt. Manchmal sei es aber eben auch angebracht, auf den Ball zu treten, abzubrechen, den Mitspieler zu suchen.

"Einfach spielen? Das heißt, nicht kopflos zu spielen. Ich muss versuchen, selbst einzuschätzen, wann es angebracht ist, zu dribbeln."

Sinan Karweina über die Forderung seines Trainers

Nach vier Jahren in der Kölner Jugend wechselte Karweina in die 3. Liga zu den Sportfreunden aus Lotte. Bei den Kölner Profis ging es zu diesem Zeitpunkt ohnehin drunter und drüber, Peter Stöger wurde freigestellt, Karweinas U-19-Trainer Stefan Ruthenbeck folgte ihm nach. Karweina wurde nicht hochgezogen.

Zu klein sei der Angreifer mit seinen 1,73 Metern, zu schmächtig, hieß es in Köln. "Ich muss zugeben, zu dem Zeitpunkt war ich athletisch noch nicht auf der Höhe", sagt auch Karweina. Ihm persönlich habe das in Köln aber niemand gesagt, so Karweina. Ganz glücklich ist er damit nicht. Köln stieg schließlich ab.

Bei Lotte sammelte Karweina erste Profi-Erfahrungen
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"Hatten eher mit sich selbst zu kämpfen"

Karweina kam für Lotte in 25 Spielen zum Einsatz, erzielte drei Tore. Lotte hielt die Klasse nicht, Karweina ging zum MSV Duisburg. "Dann war ich im Profibereich angekommen."

Zwei Jahre verbrachte Karweina bei den Zebras. Nach 36 Spielen – zumeist Kurzeinsätze – standen sieben Tore und acht Assists zu Buche.

"Ich war bei Duisburg bei weitem nicht der Spieler, der ich jetzt bin. Ich habe aber auch das Gefühl gehabt, dass ich nie so richtig das Vertrauen bekommen habe, auch über längere Zeit mal zu spielen - so, wie ich es hier von Peter Pacult kriege", meint Karweina.

In Duisburg kam Karweina nie so richtig zum Zug
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Das Vertrauen schenkte ihm hingegen Andreas Heraf, der ihn 2022 in elf Spielen zum Einsatz brachte – ehe Türkgücü München insolvent ging, nachdem Investor Hasan Kivran nicht mehr wollte. "In der 3. Liga habe ich gemerkt, dass viele Vereine von Existenzängsten geplagt sind. Sowohl Lotte als auch Duisburg - von Türkgücü brauchen wir gar nicht reden", meint Karweina.

"Im Nachhinein habe ich manchmal das Gefühl, dass die Leute eher mit sich selbst zu kämpfen hatten." Weniger das Sportliche, als vielmehr Entscheidungen für erfahrene Spieler, bei denen den Funktionären keinen Vorwurf gemacht werde, seien im Vordergrund gestanden.

Die Zeit in der 3. Liga hat ihn geprägt. Er habe viel mitgenommen, persönlich, fußballerisch, zwischenmenschlich. "Ich habe viele Freunde gefunden, auch Menschen erlebt, mit denen ich überhaupt nicht klargekommen bin."

Ob er den Wechsel zu Türkgücü nicht auch bereut hätte? "Es klingt kurios, aber ich habe es kein einziges Mal bereut." Der damalige Chaos-Klub meldete schließlich im Januar 2022 Insolvenz an, stellte den Spielbetrieb im März komplett ein. Für die Spieler hieß es Arbeitsamt statt Trainingsplatz. Aber "dadurch öffnete sich die Tür nach Klagenfurt und ich durfte mich präsentieren", so Karweina.

Bei Türkgücü gab es wenig Grund abzuheben, beim Klub ging es steil bergab
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Plötzlich weg von der Fußballwelt

Karweina stand aber ohne Verein da. Zog zurück in sein Elternhaus, verbrachte viel Zeit mit der Familie, im Fitnessstudio, auf dem Fußballplatz. Er vertrieb sich die Zeit als U17-Trainer seines Heimatklubs FV Wiehl. "Eine schwierige, aber auch spannende Zeit", sagt Karweina. Sie endete mit dem Vertrag in Klagenfurt.

Als Probespieler stieg Karweina Anfang April 2022, zusammen mit Teamkollege Andy Irving, ins Training ein. "Die Mannschaft war intakt, hat es uns sehr leicht gemacht", blickt er zurück.

Irving und Karweina, die sich bereits aus der gemeinsamen Zeit aus München kannten, teilten sich zunächst eine 50-Quadratmeter-Wohnung in der Klagenfurter Innenstadt. "Rückblickend ist es eigentlich eine witzige Geschichte. Wir sind sicherlich auch durch diese Phase so gute Freunde geworden." 

Die Schnelllebigkeit des Fußballs

Karweina entwickelte sich schnell zur Stammkraft in Klagenfurt. "Die Hinrunde verlief sehr gut, wir waren erfolgreich und ich hatte viel Spielzeit." In 16 Spielen stand Karweina 13 Mal als Starter am Platz und steuerte 5 Assists bei. Monate zuvor in der 3. Liga oft nicht gefragt, spielte er in der Bundesliga plötzlich Stamm. 

Ganz anders hingegen verlief die Rückrunde. Oft fand sich Karweina nur auf der Tribüne wieder. "Es war anfangs nicht ganz leicht, ich habe versucht zu verstehen, warum ich nicht mehr spiele." Für sein Team lief es indes gut. Klagenfurt qualifizierte sich wieder für die Meistergruppe.

Und immerhin: Am letzten Spieltag der Saison gelang Karweina gegen Rapid auch endlich sein erstes Tor. "Ich war unfassbar froh darüber – und wusste, dass ich in der Vorbereitung wieder angreifen will."

Neue Vorbereitung, neue Chance: Karweina startete im Sommer durch
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Zuckerbrot und Peitsche

Der Plan ging auf. Zudem profitierte Karweina von der Rückkehr auf seine neue alte Position. In der Vorsaison noch als Rechtsaußen eingesetzt, spielt er nun wieder auf der Neun.

"Das liegt mir einfach ein bisschen besser, außen habe ich mich mehr aufs Flanken und Vorbereiten konzentriert, jetzt bin ich mehr als Torschütze gefragt", erklärt er. Aktuell gelingt das bestens.

Die Zusammenarbeit mit Pacult beschreibt Karweina als "ein bisschen Zuckerbrot und Peitsche. Er kann loben, er kann aber auch eine kräftige Ansage machen. Er hat da ein recht gutes Gespür dafür."

Pacult über Karweina: "Wenn er einfach spielt, ist er ein toller Stürmer"
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Die typische "Der Trainer holt dich ins Büro und sagt dir fünf Minuten lang, was er von dir sehen will"-Zusammenarbeit sei es aber nicht, erklärt der Deutsche.

"Das macht Pacult gerne über die Trainingseinheiten. Dass er dir da mitgibt, was er sehen will. Ob er dir einen Tipp gibt oder dich mal anschreit - das ist ganz unterschiedlich. Oder auch bei Interviews - auch wenn es kurios klingt: Aber so weiß ich halt, ich sollte beim nächsten Spiel nicht mehr in drei Mann reinlaufen."

Auf die Frage, ob er sich die jetzige Situation verdient hätte, meint Karweina: "Erarbeitet ist das bessere Wort." Natürlich hätten auch seine Mitspieler und Peter Pacult großen Anteil daran. "Aber ich glaube schon, dass das eine Situation ist, die ich mir erarbeitet habe."

"Zuckerbrot und Peitsche. Er kann loben, aber auch kräftige Ansagen machen. Er hat ein gutes Gespür dafür."

Sinan Karweina über Trainer Peter Pacult

Klagenfurts Geschäftsführer Günther Gorenzel ist Karweinas Entwicklung nicht entgangen. Bezüglich einer Vertragsverlängerung sollen die Signale gut sein, heißt es in der "Krone". 

Karweina selbst zeigt sich demütig: "Ich bin sehr dankbar für die jetzige Situation und weiß, was ich am Verein habe." Er konzentriere sich auf den Fußball. "Alles Weitere wird sich zeigen." 


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