In unserem Format "Ansichtssache" versuchen wir, Meinungen, Stimmungen, Überreaktionen oder sonstige Ansichten jeglicher Art in eine These zu packen und zu analysieren.
Das kann mal provokant sein, mal eine oft gehörte Meinung. Mal sehr strittig, mal weniger. Mal eine Prognose, mal eine simple Einordnung.
Diesmal steht der Meisterkampf im Mittelpunkt. Denn am kommenden Wochenende steht in der ADMIRAL Bundesliga der finale Showdown an: Sturm Graz und Red Bull Salzburg matchen sich im Fernduell um den Titel.
Beide Teams blicken einem Heimspiel entgegen. Sturm empfängt Austria Klagenfurt (ab 17 Uhr im LIVE-Ticker>>>), Salzburg trifft auf den LASK (ab 17 Uhr im LIVE-Ticker>>>).
Diesmal diskutieren die LAOLA1-Redakteure Simon Urhofer und René Mersol in vier von der Redaktion ausgearbeiteten Thesen darüber, ob eine Niederlage gegen den LASK für Sturm gar günstiger gewesen wäre, den "Kiteishvili-Faktor", die Zukunft von Onur Cinel sowie blanke Nerven in Graz und Salzburg.
(Text wird unterhalb fortgesetzt)
1.) Für Sturm wäre besser gewesen, sie hätten gegen den LASK verloren, denn dann könnten sich die Linzer in Salzburg nicht zurücklehnen.
Simon Urhofer:
Witzigerweise waren genau das die ersten Worte, die ich nach dem Spiel am Sonntag an einen Ex-Kollegen gerichtet habe.
Was mir LASK-Spieler und -Trainer anschließend aber ziemlich glaubhaft versichert haben: Es ist nicht der Linzer Plan, die Partie in der Red Bull Arena abzuschenken. Im Gegenteil.
Es sei "ihr größter Antrieb" gewesen, eine Grazer Meisterfeier auf der Gugl zu verhindern, erklärte mir Philipp Ziereis am vergangenen Sonntag. Ähnliches werden sich die Oberösterreicher am Sonntag in Salzburg vornehmen. Zumal sich die Linzer mit Sicherheit nicht nachsagen lassen wollen, Salzburg zu einem Titel verholfen zu haben.
Und außerdem geht es für den LASK sehr wohl noch um etwas: Um den inoffiziellen Titel des "Meistergruppen-Meisters". Gewinnen die Linzer nämlich am Sonntag in Salzburg und patzt Sturm zuhause, wären sie jene Mannschaft mit den meisten eingefahrenen Punkten im heurigen oberen Playoff. Das wäre auch eine Ansage in Richtung kommender Saison.
René Mersol:
Keine Frage: Von der Papierform her wäre das wohl tatsächlich die günstigere Variante gewesen. Aber halt vor allem dort. Denn dass die Linzer die Partie deswegen weniger ernst nehmen (gerade wenn der Gegner Red Bull Salzburg heißt!), halte ich für so gut wie ausgeschlossen.
Auch die Athletiker selbst stellten schon klar, dass sie der Partie die entsprechende Bedeutung beimessen (wie es Kollege Urhofer bereits treffend erklärt hat). Abgesehen davon, kann ich mit den Grundgedanken, dass eine Niederlage in einem kompetitiven Sport besser sein soll, wenig anfangen.
Nur - und so ehrlich muss man dann auch sein - ein Faktor KANN es dennoch werden. Denn allen Linzer Beteuerungen zum Trotz wäre es nicht das erste Mal, dass ein Team einer solchen Ankündigung keine Taten folgen lässt. Als HSV-Sympathisant kann ich davon ein Lied singen.
Interimscoach Thomas Darazs sehe dabei als den größten von vielen Faktoren, dass es nicht so kommt. Der Mann hat sich in seiner kurzen Zeit an der LASK-Seitenlinie in die Auslage gecoacht und ist bereit für Höheres. Das Letzte, was Darazs da gebrauchen kann, ist das "Pickerl", Salzburg zum Meister gemacht zu haben.
2.) No Kiteishvili, no Party: Diese Sperre kostet Sturm den Titel.
René Mersol:
Otar Kiteishvili ist eins zu eins nicht zu ersetzen, das geht bestenfalls im Kollektiv - welches bei Sturm unbestritten ein starkes ist. Gleichzeitig habe ich meine Zweifel, ob das reicht. Einerseits, weil man diesen Eindruck subjektiv hat, wenn man die Sturm-Spiele und den Anteil Kiteishvilis am Erfolg sieht. Und andererseits, weil Zahlen nicht lügen.
Der 28-Jährige prägt das Spiel der Grazer heuer wie kaum ein anderer. Sturm hat alle drei Liga-Niederlagen in Abwesenheit des Georgiers bezogen. Ich denke auch, dass die "Blackies" mental (noch) nicht so gefestigt sind, dass man diese Tatsache gänzlich aus dem Kopf verbannen kann.
Nur: Die These ist ja sehr gewagt formuliert und so weit, dass ausschließlich oder zumindest vorwiegend die Sperre Kiteishvilis Sturm tatsächlich den Titel kostet, gehe ich nicht.
Ja, er ist ein wesentlicher Faktor und ich halte meine Zweifel für berechtigt. Und womöglich verspielt Sturm am Sonntag den Titel. Aber nicht wegen der Sperre eines einzigen Akteurs (so wichtig er auch sein mag), sondern weil Austria Klagenfurt gerne zum Spielverderber wird, in solchen Partien oft seine besten Leistungen auspackt und/oder die Nerven bei Salzburg einfach stärker sind.
Simon Urhofer:
Treffender hätte ich die Wichtigkeit Kiteishvilis für Sturm nicht beschreiben können, als es Kollege Mersol bereits getan hat, also lasse ich es einfach.
Aber auch ich bin der Meinung: Mit dem Georgier wird die Entscheidung um den Meistertitel am Sonntag nicht stehen und fallen. Die Grazer haben auch so mehr als genug Qualität im Kader, um die Klagenfurter Austria zu bezwingen. Ihr größter Gegner werden die eigenen Nerven sein - und ich schätze die "Blackies" im Gegensatz zu Kollegen Mersol sehr wohl mittlerweile als so abgebrüht ein, dass auch dieser Gegner bezwungen werden kann.
Ab der kommenden Saison wird sowieso jedes Sturm-Spiel eines ohne Kiteishvili sein, denn, da bin ich mir sicher, der Georgier wird in Graz (leider) nicht verlängern - Champions League hin oder her.
3.) Wenn Onur Cinel mit Salzburg den Titel holt, ist die Bühne FC Liefering danach viel zu klein für ihn.
Simon Urhofer:
Klar ist, dass der Deutsche als dann österreichischer Meistertrainer eine ziemlich exklusive Position unter seinen Zweitliga-Trainingskollegen einnehmen würde.
Gleichzeitig schätze ich ihn so ein, dass er, sollte das Wunder Salzburger Meistertitel tatsächlich noch eintreten, nicht größenwahnsinnig werden würde. Cinel hätte weder daran Schuld, wenn die "Bullen" den Titel verpassen würden, noch wäre er hauptverantwortlich dafür, wenn sie ihn doch noch holen würden. Dem wäre er sich auch selbst bewusst, da bin ich mir sicher.
Der Jungtrainer war aufgrund der Promptheit seiner Bestellung dazu gezwungen, an kleineren Zahnrädern zu drehen; Zeit für eigene Inhalte blieb kaum. Salzburgs Spiel verbesserte sich seit Cinels Übernahme nur unwesentlich, die Ergebnisse wurden sogar schlechter.
Kurzum: Ich denke, Cinel ist gut darin beraten, seine behutsame Herangehensweise an seine Karriereplanung genau so weiterzuführen und im Sommer lieber einen Schritt zurück zu machen, um in naher Zukunft wieder zwei nach vorne zu tätigen. Setzt er seine bis dato doch recht erfolgreiche Arbeit mit Liefering und der Salzburger U19 fort, wird die Tür zum Cheftrainer-Amt in Salzburg eher früher als später wieder aufgehen.
Zumal Cinel ja noch einen nicht ganz unspannenden Zweitjob hat: Einem Ralf Rangnick zu assistieren, ist mit Sicherheit nicht die schlechteste Art und Weise, seine Trainerkarriere zu gestalten.
René Mersol:
Ähnlich wie Kollege Urhofer, kann ich der These nur wenig abgewinnen. Cinel ist klug genug, sich richtig einschätzen zu können.
Was man aber nicht vergessen darf: Dem 38-Jährigen hat sich in den vergangenen Wochen eine breite Bühne geboten. Die ihm zuteil gewordene Aufmerksamkeit ist dadurch ad hoc gestiegen.
Damit konnte er auch sein eigenes Profil weiter schärfen. Ich denke nicht, dass es nun Cinels Primärziel ist, ab Sommer einen größeren Klub als Liefering zu betreuen.
Es würde aber auch nicht verwundern, wenn für ihn nun eine Tür aufzugehen beginnt. Und sollte er mit den "Bullen" das Wunder tatsächlich noch schaffen, wäre diese umso weiter offen.
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4.) Die Nerven liegen so blank: Weder Sturm noch Salzburg werden am Wochenende gewinnen.
René Mersol:
Da möchte ich auf meine Aussage bei These Nummer zwei zurückkommen: Ich bin nicht sicher, wie gefestigt das Nervenkorsett bei Sturm schon ist. Das haben die "Blackies" in dieser Saison immer wieder gezeigt, zuletzt ausgerechnet beim 2:2 gegen Salzburg, als man nach 2:0-Führung in Hälfte zwei am Rande einer Niederlage war.
Doch auch Salzburg zeigt sich heuer mehr als wankelmütig, den "Bullen" hat der Kopf schon mehrmals einen Streich gespielt. Und mit einem LASK, der liebend gerne das Zünglein an der Waage sein möchte, sieht man sich dem wohl schwerstmöglichen Kontrahenten gegenüber.
Dazu kommt, dass die Beteiligten auf und außerhalb des Platzes wohl während der 90 Minuten laufend über den Stand der Dinge im Fernduell informiert sind. Je nach Verlauf wird auch das einen wesentlichen Unterschied machen.
Ich sehe bei den Steirern aber unter dem Strich dennoch einen möglichen Vorteil gegenüber den "Bullen": Sturms größter Antrieb neben dem Titel selbst, ist wohl auch der Gedanke, dass man mit einer Niederlage vor eigenem Publikum gewiss nicht Meister werden möchte. Graz ist heißer als selten zuvor auf die Schale.
Bleibt aus Sicht der Ilzer-Elf nur zu hoffen, dass gerade diese große Erwartungshaltung nicht zum mentalen Stolperstein wird. Das gelingt vor allem dann, wenn man sich nicht zu sehr mit möglichen Szenarien auseinandersetzt. Deshalb lieber nach dem Titelgewinn zu tief ins Glas, als im Vorfeld zu tief in die Glaskugel schauen.
Simon Urhofer:
Ganz ehrlich: Ich habe weder bei Sturm noch bei Salzburg bisher blanke Nerven gesehen.
Der Grund, warum Sturm die letzten drei Spiele nicht gewonnen hat, lauten der Reihe nach folgendermaßen: Ein um die letzte Chance kämpfendes, entfesseltes Salzburg beim 2:2 in der Red Bull Arena, eine harte Rote Karte gegen Jon Gorenc-Stankovic beim 1:1 gegen Hartberg und ein starker LASK beim 2:2 in Linz.
Bei Salzburg sind die Gründe für die ausbleibenden Ergebnisse in den vergangenen Runden hingegen so vielschichtig, dass sie in dieser Kürze nicht auszuführen sind. Nur so viel: An den Nerven lag es bei den "Bullen" viel weniger als am mangelnden Biss und dem unbedingten Willen, doch noch Meister werden zu wollen.
Deshalb kann ich meine Meinung nur nochmal wiederholen: Sturm ist mental stark genug, um den Sieg und damit den Titel am Sonntag nach Hause zu schaukeln. Was Salzburg parallel macht, wird den Grazern also egal sein können.