„Veilchenwunder“ prangte am 13. Mai 2010 in großen Lettern auf der damals noch ziemlich neuen Osttribüne. Der große Traum damals, Spitzenreiter Salzburg am letzten Spieltag noch abzufangen, platzte.
Inzwischen hat sich die Erde rund 4.400 Mal um sich selbst gedreht und die violette Welt ist eine ganz andere. Das Stadion ist neu, die Austria war in der Champions League und danach in existenzbedrohenden Finanznöten, die Führungskräfte sind allesamt ausgetauscht und mit Markus Suttner ist am Montag der letzte damals schon aktive Kicker bei der Wiener Austria abgetreten.
Doch das „Veilchenwunder“ hat stattgefunden. Nein, die Austria wurde nicht Meister. Aber – das war vor zwölf Monaten nicht selbstverständlich – sie lebt noch. Doch nicht nur das. Sie hat Platz drei erreicht, sich erstmals seit 2017 wieder für eine internationale Gruppenphase qualifiziert. Das ist erstaunlich.
14.300 Zuseher kamen am Samstag in die Generali-Arena. Das sei schon ein „Zeichen“, findet Trainer Manfred Schmid. Abgesehen vom Gäste-Sektor war die Hütte ausverkauft. Derlei Zuspruch ist man in Wien-Favoriten nur in Ausnahmefällen gewohnt.
Der FAK hat es binnen weniger Monate geschafft, die Fans wieder auf seine Seite zu ziehen. Selbst neutrale Beobachter sprechen wieder zunehmend wohlwollend von der Entwicklung der Austria.
Das war zuletzt eher gegenteilig, wie Schmid weiß: „In meiner Zeit in Deutschland habe ich erlebt, wie negativ das Image des Vereins auch dort war. Bei mir wurde immer wieder nachgefragt, was da los ist bei meinem Verein. Immer wieder Querelen. Jetzt ist das verflogen. Die positive Stimmung, die Identifikation mit dem Verein. Diesen Weg müssen wir weitergehen, auch wenn die Leistungen mal nicht so stimmen.“
Der richtige Trainer
Ziemlich genau vor einem fahndet eine Task Force nach dem richtigen Trainer. Ferdinand Feldhofer, Thomas Janeschitz und Violets-Coach Harald Suchard sind nach den ersten Hearings praktisch chancenlos. Der Deutsche Michael Köllner, Markus Schopp und Manfred Schmid stehen in der Endauswahl. Letztlich wird es Schmid.
Mehr Stallgeruch geht nicht. Der 51-Jährige hat mehr als sein halbes Leben bei der Austria verbracht. Als Nachwuchskicker, Profi-Spieler, Nachwuchstrainer und Co-Trainer. Schmid hat einen riesigen Bonus bei den Fans, jeder weiß, dass das für ihn kein Job, sondern ein Lebenstraum ist. Doch die Wahl birgt ein Risiko: Es ist Schmids erste Station als Chefcoach, von einer Halbsaison in Schwanenstadt 2008 mal abgesehen.
Schmid wählt eine ungewöhnliche Taktik, prognostiziert bei seinem Amtsantritt „ein, zwei Scheißjahre“. Elf Monate später hat er gut lachen, als er nach Erreichen des dritten Platzes sagt: „Endlich ist das Scheißjahr vorbei!“
Dabei beginnt alles wie erwartet. Die Austria scheitert im Europacup sofort an Breidablik aus Island, steht nach sechs Runden sieglos auf dem letzten Platz. Der Kader stellt Schmid vor große Herausforderungen. Leistungsträger wie Benedikt Pichler, Patrick Wimmer, Manprit Sarkaria und Christoph Monschein haben bei den erstbesten Angeboten das Weite gesucht.
Gekommen sind No Names wie Marvin Martins, Noah Ohio und Filip Antovski. Schmid setzt zudem auf die eigene Jugend, verhilft im Laufe der Saison mit Ziad El Sheiwi, Leonardo Ivkic, Florian Wustinger, Romeo Vucic, Dario Kreiker, Can Keles und Esad Bejic sieben Eigenbauspielern zu ihren Bundesliga-Debüts.
Weitere Youngster aus der eigenen Akademie spielen sich zunehmend ins Rampenlicht. Aleksandar Jukic und Muharem Huskovic sorgen insgesamt für sieben Tore und drei Assists. Und Matthias Braunöder entwickelt sich zum Publikumsliebling, wird sogar zum Bundesliga-Newcomer der Saison gewählt.
„Ich habe selbst nicht damit gerechnet, dass sich die jungen Spieler so entwickeln. Spieler, die jetzt verletzt sind, von denen wir sagen, dass sie uns fehlen, waren eigentlich gar nicht in der Planung drinnen. Es ist überwältigend, wie sich die Spieler entwickelt haben“, gibt Schmid zu.
Die richtige Altersstruktur
Doch die Austria ist kein Team aus jungen Wilden, wie sie oft präsentiert wird. Natürlich Red Bull Salzburg, aber auch die WSG Tirol, der SK Rapid, gelegentlich Sturm Graz und die Admira schicken jüngere Teams aufs Feld.
Von den 15 Kickern mit den meisten Bundesliga-Minuten sind sieben über 25 Jahre alt. Es sind Routiniers wie Alexander Grünwald und Markus Suttner, die auch abseits des Rasens immens wichtige Arbeit leisten, die Talente führen, dem neuzusammengestellten Trainerteam immer wieder wichtige Hinweise geben.
Hinzu kommt mit Manfred Fischer ein Neuzugang, der als „aggressive leader“ bezeichnet werden kann. Und mit Routinier Marco Djuricin ein Charakter, der gerne auch unbequeme Wahrheiten anspricht. Kurzum, die Mischung stimmt.
„Was mich noch mehr beeindruckt: Das ganze Team ist zusammengewachsen. Mir ist es immer wichtig, dass die Spieler am Boden bleiben, dass sie sich auch menschlich verbessern. Ich habe einen tollen Eindruck, wie sie miteinander umgehen, wie sie auch links und rechts schauen, was so in der Welt passiert, wie sie auch auf andere Leute schauen. Das macht mich fast noch mehr stolz als die sportliche Entwicklung“, sagt Schmid.
Auf Messers Schneide performt
Nichtsdestoweniger hätte es gut und gerne im Frühjahr in eine ganz andere Richtung gehen können. Die Teilnahme an der Meistergruppe war nach nur einem Sieg aus den letzten sechs Partien vor der Winterpause in weite Ferne gerückt. Das Ligenformat kennt für Qualigruppen-Teilnehmer keine Gnade, nach der Punkte-Halbierung stecken praktisch alle im Kampf gegen den Abstieg.
Doch es kam anders. Die Austria gewann zum Start ins Frühjahr die vier im Grunddurchgang ausständigen Spiele, kassierte in dieser Phase nur ein Gegentor. „Mich hat beeindruckt, wie die Mannschaft an die Entscheidungsspiele herangegangen ist. Es ist nicht selbstverständlich, vier Spiele zu gewinnen. Die Jungs haben unter großem Druck standgehalten und zusammengehalten“, sagt Schmid.
Weil sich der Kampf um Platz drei dann zum Schneckenrennen entwickelte, reichten ab Mitte März drei Siege, um sich hinter Salzburg und Sturm zu platzieren. Dass 29 Punkte in den vergangenen beiden Jahren nur für einen Playoff-Platz gereicht hätten, soll in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben.
Jedenfalls spült der Erfolg dringend benötigte Millionen in die leeren Kassen der Austria. Die Stimmung von Neo-Vorstand Gerhard Krisch nach dem letzten Saisonspiel lässt erahnen, was das für den violetten Wirtschaftsboss bedeutet.
Krisch hatte und hat zu kämpfen
Es war auch für Krisch die erste volle Saison. Der 56-Jährige hatte hart zu kämpfen. Einerseits das Theater rund um Möchtegern-Investor „Insignia“. Statthalter Luka Sur war zwar bei Instagram verhaltensauffällig, gebracht hat das der Austria freilich wenig. Ein öffentliches Hin und Her und einige Anwaltsschreiben später ist der Vertrag zwar immer noch nicht aufgelöst, doch der Einfluss von „Insignia“ de facto nicht mehr existent.
Dafür haben neue Investoren das Ruder übernommen. Allen voran Jürgen Werner, der nach Ablauf seiner Funktionssperre im August als Sportvorstand auch offiziell für die Austria arbeiten darf. Dass die wichtigsten sportlichen Entscheidungen seit Monaten schon im Hintergrund zumindest seinen Sanctus benötigen, ist ein offenes Geheimnis.
Ob die Zugeständnisse an die Investoren – nicht zuletzt dann, wenn die 50+1-Regelung fallen würde – nicht zu weit gehen, wird die Zukunft weisen. Zumindest wird stets beteuert, dass der Verein selbst das Ruder weiterhin in der Hand hält. Dass er im ursprünglichen Aufsichtsrat aber keine Mehrheit hatte, erst die Bundesliga im Zuge des Lizenzierungsverfahrens intervenieren musste, sollte aber die Alarmglocken der violetten Traditionalisten schrillen lassen.
Der Ortlechner-Effekt
Auch im Backoffice soll die Stimmung nicht in allen Abteilungen so blendend sein, wie nach außen vermittelt wird. In den Führungsgremien soll ebenfalls nicht alles eitel Wonne sein, im Hintergrund kriselt es da und dort.
In letzterer Feststellung ist auch ein positiver Aspekt versteckt: die Austria verkauft sich nach außen hin wesentlich besser als in den vergangenen Jahren. Sportdirektor Manuel Ortlechner hat eine Start-Up-Mentalität etabliert.
Die Austria erzählt eine „Geschichte“. Das braucht es im modernen Fußball eben auch. Und die „Geschichte“ ist jene eines hippen, progressiven Großstadtvereins. Von einheitlichen Social-Media-Designs über öffentlichkeitswirksame Auftritte in Parks in Wien-Favoriten bis hin zur Annäherung an verdiente Legenden ist das Bild nach außen hin stimmig.
Diese Stärke wird eine der größten Herausforderungen der Austria in naher Zukunft. Die Stimmung unter der Anhängerschaft ist so gut, das öffentliche Lob so groß, dass die Erwartungen steigen. Was heute noch ein „Wunder“ war, ist morgen Anspruch. Damit umzugehen, wird die Nagelprobe für alle Verantwortlichen, die bisher noch wenig bis gar nichts zu verlieren hatten.