Neue Gesichter gibt es beim SK Rapid in letzter Zeit kaum, die Corona-Krise hat den Hütteldorfern die Hände gebunden. Am letzten Tag des Sommer-Transferfensters 2020 kam dann doch einer: Marcel Ritzmaier.
Großer Name, lange Auslandskarriere, kurze Leihe - denn noch bis 2022 steht der 27-jährige universell einsetzbare Mittelfeldspieler beim FC Barnsley in der englischen Championship unter Vertrag. Kaufoption hat Rapid keine, sowohl eine Fortsetzung in Wien als auch auf der Insel haben ihren Reiz, obwohl sich an seiner Sichtweise, ins Ausland zu streben, nie etwas verändern wird.
Bei Rapid blühte Ritzmaier neu auf, auch wenn er bei sich selbst noch viel Luft nach oben ortet. Es ist ein weiteres Abenteuer in seiner Karriere, in der er schon viel gesehen und erlebt hat. Ausbildung in Holland, im Star-Ensemble mit heutigen Größen wie Wijnaldum, Depay, Mertens oder de Jong.
Als "Ellbogencheck vom Allerfeinsten" beschreibt er im LAOLA1-Interview etwa seine Erinnerungen an Top-Star Mark van Bommel in einer für ihn prägenden Zeit.
Weiters spricht Ritzmaier über seine Rapid-Ziele, die noch offene Zukunft, Parallelen zwischen der durchlaufenen holländischen Fußballschule und Red Bull und klärt die Frage auf, ob er sich mehr als Holländer denn als Steirer fühlt.
LAOLA1: Marcel, wie sehr nagt diese doch in ihrer Art und Weise klare Niederlage gegen Salzburg noch?
Marcel Ritzmaier: Letztendlich war es natürlich ein verdienter Sieg von Salzburg. Wenn wir das 1:0 machen – was meiner Meinung nach kein Abseits war -, dann kriegt das Spiel vielleicht einen anderen Verlauf. Aber hätti, wari, tätti - letztendlich haben wir nicht unseren besten Tag gehabt und gegen Salzburg brauchst du einen sehr, sehr guten Tag. Aber wir werden noch zwei Mal gegen sie spielen, da ist wieder alles möglich.
"Ich habe es nicht kommen sehen am letzten Transfertag. Ich war spontan zu Hause. Dass das dann so eine Wende nimmt, muss man auch einmal erlebt haben (lacht)."
LAOLA1: Diesen perfekten Tag hat Rapid schon seit Februar 2019 nicht mehr gehabt. Woran liegt es, dass man Salzburg nicht Herr wird? Mit dem WAC hast du RBS in der Meistergruppe 2018/19 besiegt. Wächst Salzburg gegen Rapid noch mehr über sich hinaus?
Ritzmaier: Ich glaube, dass das schon noch mal Kräfte freisetzt, so wie es bei uns eigentlich der Fall ist. Wenn beide einen guten Tag haben, dann ist das ein richtig gutes und interessantes Spiel. In den ausstehenden zwei Duellen werden wir alles in die Waagschale werfen.
LAOLA1: Die Saison verlief sonst bisher sensationell, die Punktesausbeute erinnert an die Meistersaison 1996. Ist es dadurch noch bitterer, dass man schon beim 0:0 in Altach und eben in Salzburg diesen Angriff nach ganz oben nicht geschafft hat?
Ritzmaier: Natürlich, aber das sind alles Mannschaften, die gegen Rapid immer an ihre Grenzen gehen. Wir machen das natürlich auch, aber es sind halt Spiele dabei, wo es nicht so klappt, wie wir uns das vorstellen. Aber wir haben in diesem Jahr schon gezeigt, was wir im Stande sind zu leisten. Jetzt ist bald der Grunddurchgang vorbei, dann kommen die wirklich interessanten Spiele.
LAOLA1: Wie habt ihr diese Konstanz im Jahr 2021 wieder zurückgefunden, die schon im Herbst vorhanden war, jedoch im letzten Monat vor Weihnachten komplett verloren ging?
Ritzmaier: Dass es so Phasen gibt, ist ganz normal in der Entwicklung. Wir haben immer den Glauben an uns selber gehabt und gewusst, was wir können. Wenn wir viele Sachen richtig machen, sind wir richtig gut – das haben wir schon bewiesen. Der Wille und der Glaube an das ganz Große ist entscheidend.
LAOLA1: Wie sehr musstest auch du persönlich mit den Aufgaben wachsen? Du kamst am letzten Transfertag, warst sofort Stammspieler, hattest wenig Zeit, dich anzupassen.
Ritzmaier: Für mich war es relativ einfach, weil ich die Liga kenne, auch einige Spieler von Nationalteams oder als Gegner und ich sehr gut aufgenommen wurde. Das Mannschaftsgefüge ist richtig gut, der Zusammenhalt auch. Ich habe mich von Tag 1 an wohlgefühlt. Das ist natürlich auch wichtig, um so eine Performance hinzulegen.
LAOLA1: Deine Geschichte vom Rapid-Anruf am letzten Transfertag ist bekannt. Hast du dich im Nachhinein gesehen überrumpeln lassen, mit positivem Ausgang bis jetzt oder kann man in so kurzer Zeit überhaupt schon Plus und Minus abwägen?
Ritzmaier: Ich habe mir schon Gedanken gemacht, für mich war es eine neue Möglichkeit. Rapid ist der Traditionsverein in Österreich, mit super Geschichte und Fans, die jetzt leider nicht im Stadion sein können. Das war eine große und interessante Aufgabe für mich. Ich bereue keine einzige Sekunde, dass ich mich so entschieden habe. Aber es stimmt schon: Ich habe es nicht kommen sehen am letzten Transfertag. Ich war spontan zu Hause. Dass das dann so eine Wende nimmt, muss man auch einmal erlebt haben (lacht). Da war eigentlich schnell klar, dass ich das machen werde.
LAOLA1: Da du die fehlenden Fans angesprochen hast: Eigentlich schon ein Wahnsinn, du hast diese Stimmung nur ansatzweise in einem Spiel genießen können bisher.
Ritzmaier: Nur gegen Arsenal in der Europa League waren 3.000 Zuschauer im Stadion, wo es normalerweise bummvoll ist. Natürlich ist das schade, aber aufgrund der aktuellen Situation ist es das Beste für alle Beteiligten. Aber ich hoffe, dass ich das noch genießen und erleben darf, in einem vollen Allianz Stadion zu spielen.
LAOLA1: Deine Universalität zeichnet dich aus, bei Rapid wurdest du von Anfang an viel "herumgereicht" – vom Achter, Sechser, Zehner bis zum Außenbahnspieler. Siehst du das als Plus oder wirst du dadurch deiner eigentlichen Stärken beraubt?
Ritzmaier: Das hat Vor- und Nachteile. Es hängt natürlich immer vom System ab und wie der Trainer sich das vorstellt. Aber ich probiere, der Mannschaft zu helfen, wo und wie ich kann. Dann ist es mir eigentlich relativ egal, auf welcher Position. Es stimmt schon, meine Wunschposition ist im Zentrum als Achter, aber ich kann auch Sechser spielen. Lieber mag ich es, wenn ich in der Offensive meine Kreativität einsetzen und der Mannschaft nach vorne hin helfen kann.
LAOLA1: Nach dem Doppelpack beim Debüt im Cup hast du dir vorgenommen, mehr Tore zu schießen. Du hast noch ein Liga- und ein EL-Tor folgen lassen, dazu kommen zwei Assists. Kannst du mit der bisherigen Ausbeute zufrieden sein?
Ritzmaier: Da ist auf jeden Fall Luft nach oben! Der Mannschaftserfolg ist mir wichtiger als die individuellen Scorerpunkte, aber natürlich kann und muss noch mehr kommen.
LAOLA1: Du scheinst generell gut integriert zu sein, hast Einfluss auf das Spiel. Aber wo siehst du noch am meisten Verbesserungspotenzial für die entscheidende Liga-Phase?
Ritzmaier: Da ist überall Luft nach oben. Ich will meinen Beitrag leisten, mit mehr Toren, Assists und vom Coaching her auf dem Platz. Als Team können wir nach vorne hin noch mehr Effizienz zeigen und mehr Tore schießen, in der Defensive noch stabiler werden. Aber das Grundgerüst steht, damit sind alle zufrieden. Jetzt liegt es an uns, den Feinschliff an den Details zu schaffen, um ready für die Meister-Gruppe zu sein.
LAOLA1: Weiter planen kannst du aktuell noch nicht. Dein Leihvertrag läuft im Sommer aus, du gehörst noch bis 2022 dem FC Barnsley, die Corona-Krise lässt auch für Rapid keine finanziellen Wunderdinge zu. Trotzdem stellt sich die Frage: Reizt dich eine Fortsetzung bei Rapid oder eine zweite Chance auf der "Insel" mehr?
Ritzmaier: Ich bin offen für alles, habe mir noch nicht wirklich Gedanken gemacht, weil ich mit Rapid noch sehr viel vor habe. Was im Sommer aufgrund der aktuellen Situation passiert, wird man sehen. Ich mache mir keinen Stress oder intensive Gedanken, lasse das auf mich zukommen.
LAOLA1: Du warst in deiner Karriere schon mehrmals verliehen. Wie weit gehen Vereine auf die Interessen der Spieler ein oder wird dir die Entscheidung irgendwann einfach mitgeteilt?
Ritzmaier: Bisher war es schon so: Je näher die Sommerpause kommt, umso eher finden Gespräche statt.
LAOLA1: Fakt ist, dass mit Valerien Ismael ein neuer Trainer bei Barnsley die Österreicher-Filiale (Sollbauer, Frieser) betreut. Gerhard Struber, dein Ex-Trainer, ist weg. Wie siehst du diese Entwicklung? Ganz glücklich warst du ja vor deinem Abschied nicht mehr, oder?
Ritzmaier: Ich habe den Transfer auf die Insel gemacht und war auf jeden Fall glücklich. Ich habe mich dort auch richtig wohlgefühlt, fast alles gespielt, bis auf die kurze Phase, als ich verletzt war. Es war eine sehr schöne Zeit, vor allem mit dem doch noch erreichten Klassenerhalt. Dass sich die Situation dann so ergeben hat, passiert im Fußball. Aber natürlich verfolge ich Barnsley noch immer, sie sind im Moment wieder auf einem guten Weg zum Klassenerhalt.
LAOLA1: Was waren dann die entscheidenden Gründe für deinen leihweisen Abschied?
Ritzmaier: Da haben ein paar Komponenten zusammengespielt. Man hat nicht wirklich gewusst, wie es weitergeht. Eigentlich habe ich nicht mit meinem Abschied gerechnet. Hinten hinaus bin ich natürlich froh, dass es so gekommen ist.
LAOLA1: Am Samstag kommt es zu einer Kuriosität: Mit Neo-Rieder Patrick "Pippo" Schmidt und dir treffen zwei österreichische Barnsley-Leihgaben in der Bundesliga aufeinander. Gab es schon Kontakt vor diesem Wiedersehen der besonderen Art?
Ritzmaier: Ja, natürlich über WhatsApp und telefoniert haben wir auch schon. Der Schmäh läuft schon, aber am Samstag sind wir dann für 95 Minuten keine Freunde (lacht). Es ist auf jeden Fall ein schönes Wiedersehen, wir haben immer wieder mal Kontakt gehabt. Es ist immer wieder schön, ihn zu sehen.
"Er war mit dem Rücken zu seinem Tor. Sie waren hinten, dadurch hat er sich ein bisschen geärgert und auf einmal habe ich einen Ellbogen gefressen vom Allerfeinsten (lacht). Nach dem Training ist er zu mir gekommen, als wäre nie was gewesen und wir wären die besten Freunde. Diese Geschichte, werde ich nie vergessen."
LAOLA1: Anders als er hast du deine Karriere von der Jugend an im Ausland aufgebaut. Fühlst du dich eigentlich mehr als Holländer denn als Steirer? Fußballerisch hast du dort die wichtigsten Jahre deiner Entwicklung verbracht, warst davor in Kärnten, bist jetzt in Wien.
Ritzmaier (lacht) Nein, auf keinen Fall. Das passt eigentlich gut zusammen: Steiermark ist grün, Rapid ist grün – von dem her habe ich im Moment grünes Blut. Das wird sich auch nicht ändern. Ich war ein bisschen ein Weltenbummler, habe viel gesehen und erlebt. Daheim war ich nicht viel, aber es ist immer wieder schön, mal nach Hause zu kommen.
LAOLA1: Du hast unter Star-Trainern wie Fred Rutten, Philipp Cocu oder Dick Advocaat für PSV gespielt, ein Mittelfeld mit heutigen Größen wie Georginio Wijnaldum, Memphis Depay und Dries Mertens gebildet, vorne stürmte Luuk de Jong, auch mit Legende Mark van Bommel hast du gespielt. Wenn du zurückblickst, was war das für eine spezielle Zeit?
Ritzmaier: Eine sehr prägende Zeit! Ich habe versucht, sie bestmöglich zu genießen. Und wenn man jetzt sieht, wo die alle spielen – bei Liverpool, Napoli oder Lyon. Man hat damals schon gesehen, dass sie Riesen-Qualität und Potenzial haben, dorthin zu kommen. Ich habe sehr viel gelernt von jedem Einzelnen. Das hat mir sehr viel gebracht in meiner Entwicklung.
LAOLA1: Welche Anekdote fällt dir im Bezug auf einen dieser Stars sofort wieder ein?
Ritzmaier: Da denke ich sofort an Mark van Bommel in seinem Abschiedsjahr als Profi, als wir im ersten Training 5-gegen-5 gespielt haben. Er war mit dem Rücken zu seinem Tor. Sie waren hinten, dadurch hat er sich ein bisschen geärgert und auf einmal habe ich einen Ellbogen gefressen vom Allerfeinsten (lacht). Nach dem Training ist er zu mir gekommen, als wäre nie was gewesen und wir wären die besten Freunde. Diese Geschichte, werde ich nie vergessen. Gefallen lassen hat er sich nicht viel, war richtig aggressiv und ein Hund am Platz, aber außerhalb des Platzes war er einer der sympathischsten Menschen, die ich kenne.
LAOLA1: Memphis Depay, aktuell bei Lyon, aber vor seiner Verletzung schon bei Klubs wie Barcelona gehandelt, ist gleich alt wie du. Hatte er damals schon dieses Bad-Boy-Image?
Ritzmaier: Das kam eigentlich immer von außen. Wenn man ihn richtig gekannt hat, war er ein sympathischer, netter Kerl. Deshalb habe ich früher nie verstanden, warum er so ein Bad-Boy-Image gehabt hat, für mich war er das komplette Gegenteil, keine Spur von Arroganz. Dass er fußballerische Qualität hat, brauche ich niemandem erzählen. Von dem her war sein Weg beeindruckend. Da ist noch ein bisschen was im Tank und ich glaube, er wird noch einen großen Schritt machen.
LAOLA1: Würdest du selbst von dir sagen, du hast in deiner Karriere Fehler gemacht? Oder gibt es irgendein Erlebnis, wo du sagst, damals wäre mehr drin gewesen?
Ritzmaier: Nein, es gibt wirklich keine Entscheidung, die ich ansatzweise bereue. Ich würde es genauso wieder machen. Natürlich braucht man ein bisschen mehr Glück, um zur richtigen Zeit am richtigen Fleck zu sein, um vielleicht noch einen weiteren Schritt zu machen. Aber ich habe keine Sekunde bereut.
LAOLA1: In einem LAOLA1-Interview 2016 hast du gesagt: "Ich war bis jetzt immer sehr abgeneigt von Österreich. Ich würde mich am liebsten noch immer im Ausland durchsetzen." Was hat sich an dieser Sichtweise geändert?
Ritzmaier: Ich glaube, es ist der Traum jedes Jungen, in den internationalen Ligen zu spielen. Das wird sich nie ändern. Aber Österreich entwickelt sich auch immer weiter, hat eine sehr gute Liga. Ich habe mich auch sehr gut entwickeln können, seit ich zurück bin und habe wieder den Sprung geschafft. Österreich wächst auch und das ist sehr gut für das ganze Fußball-Land.
LAOLA1: Die holländische Fußballschule war damals mit dem Nachwuchs, dem einheitlichen System ein absoluter Vorreiter, ein Vorbild für viele andere Ligen und Klubs. Heute ist das vielleicht Red Bull – oder siehst du das anders?
Ritzmaier: Einige Punkte kann man sicher vergleichen. Red Bull hat in Österreich eine ähnliche Vorreiterrolle, während PSV, Ajax und Feyenoord die Hochkaräter in Holland sind. Ansatzweise kann man das schon vergleichen. Junge Spieler holen, weiterentwickeln und um Millionen verkaufen - da steckt schon ein richtig gutes Konzept und eine Strategie dahinter, die in Holland schon sehr groß geworden ist und die viele Vereine auf ihre Art und Weise nachmachen.
LAOLA1: Glaubst du, kann Rapid nach der Punkteteilung noch einmal zu Salzburg hinschnuppern oder muss das Ziel wieder "best of the rest" lauten?
Ritzmaier: Wenn wir unsere Aufgaben erledigen und sich dann eine Chance ergibt, dann müssen wir da sein. Das ist das große Ziel
LAOLA1: Wenn nicht dieses Jahr, vielleicht nächstes Jahr – würde man sonst sagen. Mit dir bei Rapid? Oder was sagt das Bauchgefühl?
Ritzmaier: Im Moment habe ich ehrlicherweise kein Bauchgefühl, weil ich nicht weiß, in welche Richtung es geht. Der Fokus liegt jetzt auf Rapid, was im Sommer kommt, werden wir sehen.
LAOLA1: Das Nationalteam bzw. die Euro 2021 sind natürlich auch Ziele, im November warst du schon auf Abruf für das ÖFB-Team. Siehst du noch Hoffnung auf eine Chance?
Ritzmaier: Auf jeden Fall! Abgehakt ist es natürlich noch nicht. Ich bin eh selber dafür verantwortlich mit den Leistungen im Verein. Wenn das passt, kommt alles andere von alleine. Aber es ist natürlich interessant, über einen Anruf von Franco Foda würde ich mich selbstverständlich freuen (lacht).