Woran erinnern sich viele Fußball-Fans, wenn sie an das 7:0 des SK Rapid bei RB Salzburg denken?
Die einen an Maierhofer/Hoffer, die anderen an den unglaublichen Spielverlauf, viele aber auch an die Reaktionen von Peter Pacult auf der Trainerbank.
Der spätere, bisher letzte Meister-Trainer des SK Rapid war weit davon entfernt, seinen Emotionen freien Lauf zu lassen. Das spürten auch seine Spieler bei der Kabinenansprache.
Zehn Jahre später gerät der oft als "harter Hund" verschriene Coach regelrecht ins Schwärmen und schwelgt in Erinnerungen.
Im großen LAOLA1-Interview nahm sich der 58-jährige Wiener, aktuell Trainer des albanischen Erstligisten FK Kukesi, ausgiebig Zeit, um zu erklären, warum seine Emotionen auf der Trainerbank nicht mit ihm durchgingen, warum ihm alles zu schnell ging, warum sich in der Kabine keiner lachen traute und warum er sich während des Spiels an Worte von Lehrmeister Ernst Happel erinnerte.
LAOLA1: Herr Pacult, 23. März 2008, Salzburg 0, Rapid 7 – welche drei Worte fallen Ihnen spontan zu diesem denkwürdigen Spiel ein?
Peter Pacult: Grandios, sensationell, einzigartig.
LAOLA1: Jimmy Hoffer meinte: Das war das Spiel des Lebens! Andere sprechen von einem Jahrhundertspiel oder dass so ein Spiel nur alle 50 Jahre stattfindet. Haben auch Sie es so empfunden oder wie würden Sie es beschreiben?
Pacult: Selbstverständlich! Wenn man die Ausgangsposition hernimmt, war es sehr interessant. Wenn Salzburg gewinnt, sind sie praktisch Meister. Bei einem Unentschieden wäre die Meisterschaft noch spannend, sollten wir gewinnen wären wir einen Punkt vorne. Dass es dann so ein Spiel mit so einem Ergebnis wird, das ist ein Jahrhundertereignis. Der Wiener Sportclub hat 1958 Juventus 7:0 geschlagen. Alle 30, 40 Jahre kommen einmal solche Ergebnisse zustande.
"LAOLA1 On Air - Der Sport-Podcast" mit Peter Pacult, Stefan Maierhofer, Erwin "Jimmy" Hoffer, Ümit Korkmaz, Christian Thonhofer, dem damaligen Salzburg-Goalie Timo Ochs und Thomas Trukesitz, der das Spiel für "Premiere", heute "Sky", kommentiert hat.
LAOLA1: Wie ist dieses Ergebnis für Sie mit zehn Jahren Abstand zu erklären?
Pacult: Dass eigentlich jeder Schuss ein Treffer war. Jede abgeschlossene Aktion war ein Tor. Wir sind nach sieben Minuten schnell in Führung gegangen und das Spiel nimmt mit dem 2:0 (10.) und 3:0 (11.) einen sehr positiven Lauf. Salzburg ist überhaupt nicht ins Spiel gekommen. Mir ist das auch immer mehr bewusst geworden, dass wir zwar gelobt wurden, aber eigentlich nicht rausgekommen ist, dass wir Salzburg auch spielerisch beherrscht haben. Es war zwar das Ergebnis überragend, aber im Nachhinein wurde die Leistung selber gar nicht so wahrgenommen. Wir haben guten Fußball gespielt, keinen Hauruck-Fußball. Wenn ich das 3:0 oder 4:0 hernehme, die waren alle herausgespielt. Im TV ist es so rübergekommen: Was macht denn die Salzburg-Abwehr da? Dass wir gewisse Situationen gut gelöst haben, ist mir eigentlich ein bisschen zu kurz gekommen. Aber wenn du in der 30. Minute 5:0 führst, ist natürlich sehr viel gut gelaufen.
LAOLA1: Trotzdem kam es überraschend, weil Salzburg Tabellenführer war, im Frühjahr in 4 Spielen, 4 Siege mit einem Torverhältnis von 14:0 eingefahren und in der kompletten Saison davor zu Hause nur 8 Gegentore kassiert hat. Und dann kam so ein Spiel heraus. Wie hatten Sie das Spiel angelegt, mit welcher Devise haben Sie die Spieler auf den Platz geschickt?
Pacult: Wir selber sind ja auch mit einem Erfolgserlebnis gekommen, hatten in Graz und das Derby gewonnen. Und wir haben in diesem Spiel mit Stefan Maierhofer einen Spieler gehabt, der eigentlich davor nicht viel zum Einsatz gekommen ist, aber er hat wichtige Tore gemacht – eines in Graz und zwei im Derby, jeweils als Joker. Es war dann die Entscheidung zwischen Maierhofer und Mario Bazina, spielerisch einer der besten Stürmer. Aber in so einem Spiel habe ich auf Maierhofer nicht verzichten können, wobei ich ihn aus einer überragenden Mannschaftsleistung nicht herausklammern will. Mit den Kopfballvorlagen und seinen Toren hat er seine Aufstellung gerechtfertigt. Dieses Duo vorne mit Jimmy Hoffer war für die Salzburg-Abwehr irrsinnig schwer zu bändigen. Ümit Korkmaz hat auf links alle schwindelig gespielt, Steffen Hofmann hat mit seinem klugen Spiel selbst ein Tor gemacht. Es hat sehr viel zusammengepasst. Und für Salzburg war es nach diesem positiven Lauf schon eine deftige Situation, nach 17 Minuten 0:4 hinten zu sein. Da erfängst du dich dann nicht mehr. Wir haben sie auch nicht ins Spiel kommen lassen. Das hat auch die Reaktion von Giovanni Trapattoni gezeigt. Ich habe eigentlich mit ihm mitgelitten, es war seine höchste Meisterschaftsniederlage, er musste früh einen Verteidiger runterholen, weil wir so stark waren. In der ersten Halbzeit ist alles aufgegangen.
LAOLA1: Hoffer und Maierhofer hatten davor nur ein einziges Mal gemeinsam in der Startelf gespielt. Warum fiel dann die Wahl genau diesmal gegen Bazina und für Maierhofer?
Pacult: Ich habe Stefan damals aus Greuther Fürth von der Tribüne geholt, er war voller Euphorie, sein Ziel war die Europameisterschaft. Aber Mario war zu diesem Zeitpunkt gesetzt. Stefan musste sich erst einfügen, damit war er anfangs nicht glücklich. Ausschlaggebend waren die zwei Spiele gegen Sturm und Austria. Ich habe dann mit ihm gesprochen, dass wir auf einem alten, harten Kunstrasen spielen und er meinte, er hätte auch mit den Bayern Amateuren auf einem Kunstrasen trainiert. Es war dann die Entscheidung für Stefan, der seine Tore gemacht hat und voller Emotion war, aber nicht gegen Mario.
LAOLA1: Heutzutage kann man sich das nur mehr schwer vorstellen, dass damals noch ein Kunstrasen die Red-Bull-Arena geschmückt hat. Welchen Einfluss hatte dieser Untergrund, der bis dahin ein klarer Vorteil für RBS war, auf ihre Planungen?
Pacult: Die Konstellation der Mannschaft war so, dass wir Fußball spielen wollten. Dass auf einem Kunstrasen ein gutes Passspiel wichtig ist, ist klar. Wir haben auch nicht vorher darauf trainiert, sondern uns die Aufgabe gestellt, unseren Fußball zu spielen. Das hat sehr gut geklappt. Vom Passspiel her waren wir sehr sicher. Wir sind mit der Euphorie der letzten Spiele gekommen und so hat auch der Kombinationsfußball sehr gut geklappt.
"Ich habe auch damals geschmunzelt – aber erst beim 6:0. Das wird immer hochgekocht. Aber bei wie vielen Toren in meiner ganzen Rapid-Zeit bin ich jubelnd herumgehüpft? Da gab es ganz wenige Tore, wo ich mich so gefreut habe wie andere, die auf den Platz laufen oder herumspringen. Das war auch nicht mein Naturell. Auch bei diesem Spiel – es ist mir einfach zu schnell gegangen."
LAOLA1: Bei jedem Tor wurden Sie von TV-Kameras eingefangen, die Bilder kommen immer wieder zur Sprache. Ihre Reaktionen waren: Zurückhaltung, Kopfschütteln, sie haben versucht sich zu verstecken. Müssen Sie heute lachen, wenn Sie die Bilder von damals sehen? Was ging Ihnen damals durch den Kopf?
Pacult: Ich habe auch damals geschmunzelt – aber erst beim 6:0. Das wird immer hochgekocht. Aber bei wie vielen Toren in meiner ganzen Rapid-Zeit bin ich jubelnd herumgehüpft? Da gab es ganz wenige Tore, wo ich mich so gefreut habe wie andere, die auf den Platz laufen oder herumspringen. Das war auch nicht mein Naturell. Auch bei diesem Spiel – es ist mir einfach zu schnell gegangen. 3:0 nach 11 Minuten, es kommt dir alles im Unterbewusstsein hoch, dass du auch Spiele hattest, wo du nach 0:3 noch verloren hast. Bei 5:0 habe ich zu Raimund Hedl gesagt: „Was ist da heute los?“ Beim dritten Tor sagte ich noch: „Jetzt verstehe ich die Salzburger Mannschaft nicht mehr.“ Es war mir auch einfach unangenehm, wenn fünf Meter neben dir eine Kamera 90 Minuten nur dich filmt. Natürlich, er macht seinen Job, aber er hat nichts anderes zu tun, als auf den Trainer zu schauen. Das war für mich mit ein Grund, warum ich nicht so euphorisch war. Natürlich habe ich mich gefreut bei den Toren, aber es war der Gedanke: Hoppala, wir schießen zu früh das 2:0. Da kann noch viel passieren. Beim 3:0 war es schon anders, beim 4:0 waren wir schon locker und beim 5:0 dachte ich mir, es könnte gut gehen. Kaum habe ich den Kopf rausgestreckt, war die Kamera da. Beim 6:0 habe ich wegen der Halbzeitansprache gelacht. Man muss sich vorstellen, was sich in der Halbzeit in der Kabine abgespielt hat. Jeder hat alles besser gewusst, alles war super und es war ein Lärm, jeder hat geredet. Ich habe dann einmal die Jungs unterbrochen und betont, dass noch nicht alles durch ist, wir haben noch immer 45 Minuten. Aber: Wir werden gleich ein Zeichen setzen. Wir haben Auflage, spielen den Ball retour, Hannes Eder wird einen langen Ball spielen und wir attackieren den zweiten Ball. Dass das dann natürlich so aufgeht, dass der "Lange" den Ball rasiert und Jimmy nach sieben Sekunden das 6:0 macht – aus dem Grund habe ich dann geschmunzelt und zu Hedl gemeint: „So war das jetzt aber nicht geplant.“ Es war aber natürlich schön, denn damit haben wir ihnen endgültig den Zahn gezogen.
LAOLA1: Jimmy Hoffer hat das Geheimnis gelüftet, dass sie trotz des Pausenstands von 5:0 eine komplett ernste Ansprache hielten und auf die Gefahren hinwiesen, dass es im Fußball schnell gehen kann. War das wirklich so, war diese wirklich so ernst gemeint oder war da doch auch ein bisschen Schmäh dabei?
Pacult: Nein, das war ernst gemeint, aus dem einfachen Grund: Es war einfach zu euphorisch, was sich da abgespielt hat. Keiner hat mehr zugehört. Ich habe das dann unterbrochen. Es hat schon Ergebnisse gegeben, wo alles im Lot war. Man muss sich das Szenario vorstellen: Dann kriegst du schnell ein Tor, vielleicht noch ein zweites und bei 2:5 wirst du unsicher und eines kommt zum anderen. So war die Ansprache nicht unwichtig, dass die Spieler zurückkommen aufs normale Niveau und nachdenken. Aber es hat sicher geholfen, nach dem Anstoß das 6:0 zu machen. Aber Jimmy hat Recht, das war eine ernste Ansprache. Denn ich habe auch als Spieler Spiele miterlebt, wo wir 3:0 geführt haben und 3:4 verloren haben - aber innerhalb von 15 Minuten. Ich kann mich noch erinnern, mit dem Wiener Sportclub gegen Admira Wacker haben wir in der 72. Minute 3:1 geführt. Dann haben wir noch 3:4 verloren – und damals hat es noch keine Nachspielzeit gegeben. Es klingt komisch, aber das schießt dir alles durch den Kopf. Mir ist auch auf der Bank das Spiel FC Tirol unter Ernst Happel gegen Rapid eingefallen, wo wir 1990 mit 6:1 gewonnen haben. Das war komischerweise auch einen Tag vor dem Ostersonntag. Ich kam in die Kabine, habe gejubelt und frage die Mannschaft, was los ist. Plötzlich steht hinter mir der Happel mit ernster Miene: „Was freust dich Zauberer? Zweistellig müssen wir sie heimschicken.“ Ich dachte mir: „Was meint er jetzt auf einmal nach einem 6:1?“ Aber von der Ernsthaftigkeit und den Chancen her hätte es wirklich so ausgehen können. Das ist mir alles damals durch den Kopf gegangen.
"Mir ist auch auf der Bank das Spiel FC Tirol unter Ernst Happel gegen Rapid eingefallen, wo wir 1990 mit 6:1 gewonnen haben. Das war komischerweise auch einen Tag vor dem Ostersonntag. Ich kam in die Kabine, habe gejubelt und frage die Mannschaft was los ist. Plötzlich steht hinter mir der Happel mit ernster Miene: 'Was freust dich Zauberer? Zweistellig müssen wir sie heimschicken.'"
LAOLA1: Also eine denkwürdige Ansprache. Haben Sie gemerkt, dass sich einige Spieler aufgrund der ernsten Ansprache das Lachen verkneifen mussten, weil sie selber nicht wussten, wie sie ein 5:0 zur Pause einordnen sollen? Zumindest haben sich Hoffer und Christian Thonhofer daran erinnert.
Pacult: Nein, soweit ich mich erinnere, hat nicht einer versucht zu lachen. Das kann ich schon sagen. Ich glaube nicht, dass das irgendwer als Spaß aufgenommen hat, die Spieler haben das schon bewusst aufgenommen. Ich habe ja auch nicht herumgeschrien, sondern ich habe sinnvoll darauf hingewiesen, was passieren könnte. Aber schon mit dem Vorsatz: Jungs, ein 5:0 kann keiner mehr aufholen. Wenn ihr konzentriert rausgeht und weiterspielt, ist die Partie gewonnen. Aber weckt einen Toten nicht auf. Es war nur eine ernste Ansprache. In dem Moment haben die Spieler schon gewusst, was gemeint ist.
LAOLA1: Wie hätte der Spieler Peter Pacult, der sich ja doch von seiner Art her vom Trainer unterscheidet, auf eine derartige Ansage beim Stand von 5:0 zur Pause reagiert?
Pacult: Ich hätte genauso reagiert. Man unterschätzt ein bisschen den Menschen Peter Pacult oder vergleicht zu viel den Spieler und den Trainer. Als Trainer bist du in der Position, wo die Spieler dir zuhören. Ich weiß es aus eigener Erfahrung. Oft haben Trainer geredet, die könnten noch heute reden und ich hätte nichts aufgenommen. Aber es gibt dann Trainer, die mit wenig Worten sehr viel gesagt haben. Zum Beispiel ein Otto Baric oder Happel. Happel hat mit wenig Worten viel erreicht. Bei Baric hätte man bei einer Spielerbesprechung eine Stecknadel fallen hören können. Jeder hat zugehört. Als Trainer schauen dich die Spieler an und wollen wissen, was du sagst. Ich denke, das ist mir in dieser Situation gut gelungen. Ich war auch als Spieler einer, der bei einer Halbzeitansprache den Trainer reden hat lassen. Ich hatte gute Lehrmeister – Otto Walzhofer beim FAC oder Karl Schlechta beim Sportclub -, wo ich aufgesehen und zugehört habe. Das habe ich ins Trainerleben mitgenommen. Als Spieler war ich genauso sehr aufmerksam und keiner, der bei 5:0 gesagt hat: „Gehen wir raus und spielen ein bisschen Fußball.“ Weil ich von klein auf gelernt habe, meine Tore zu machen. Ich kann mich an eine Aussage erinnern, damals bei Sportclub gegen Leobendorf – wo ich heute wohne, da häkel ich immer die Leute. Wir haben damals 14:1 gewonnen und ich habe elf Tore gemacht. Am nächsten Tag ist Karl Ritter zu mir gekommen und hat gesagt: „Peter, und wenn du ein Zwölftes machst, dann mach ein Zwölftes.“ Und fünf Minuten später sagt mir Karl Schlechta genau dasselbe: „Wenn du wieder die Chance hast, mach ihn, hau ihn irgendwie rein.“ Dadurch war ich als Spieler in solchen Situationen gewappnet zur Halbzeit. Das habe ich als Trainer übernommen.
LAOLA1: Entscheidend war, dass die Ansprache Wirkung gezeigt hat. Dann ging es raus aufs Spielfeld und nach 7 Sekunden macht Hoffer das 6:0. Dann war erstmals ein Lächeln auf ihrem Gesicht. War das der Zeitpunkt, wo die Anspannung endgültig abgefallen ist?
Pacult: Ja, dann habe ich zu Hedl gesagt: Jetzt sind wir durch! Wir waren die zwei, die immer sitzen geblieben sind, während alle anderen aufgesprungen sind. Da war klar, dass nichts mehr passiert. Ich weiß nur, dass Salzburg dann noch eine Riesenchance gehabt hat. Das war genau dieselbe Situation, wie wir das 4:0 gemacht haben, mit dem Stanglpass von Hoffer, wo Maierhofer den Ball ins leere Tor schiebt. Genau dieselbe Chance hat Marc Janko gehabt und er schießt über das Tor. Diese Szene war symbolisch für das ganze Spiel von Salzburg, nicht einmal die einfachsten Sachen sind ihnen gelungen. Ich kann mich auch erinnern, dass nach dem 6:0 sehr viele Leute das Stadion verlassen haben. Das 7. Tor hat vielleicht noch die Hälfte erlebt.
LAOLA1: Sie haben zwar andere Spiele mit vielen Toren angesprochen, aber waren die ersten 17 Minuten bis zum 4:0 mit das Verrückteste, was Sie in ihrer langjährigen Karriere erlebt haben?
Pacult: Ja, absolut, weil es mit drei Angriffen 3:0 gestanden ist. Alle Abschlüsse haben gepasst. Das war mit das Verrückteste, was man im Fußballerleben erleben hat können.
LAOLA1: Wie wichtig war damals der Maierhofer-Faktor? Er ist erst im Winter gekommen, hat polarisiert, Schmäh reingebracht, aber auch diese Verbissenheit und den Siegeswillen. Wie wichtig war er damals für diese Mannschaft?
Pacult: Ich wollte ja so einen Typen. Uns fehlte ein großer, kopfballstarker Spieler. Mate Bilic wollte wieder nach Spanien gehen, war mit der Gesamtsituation nicht zufrieden – auch verständlich. Und ich wollte einen großen Stürmer. Ich kannte ihn davor nicht. Eines darf man nicht vergessen: Man hat auch sehr viel Negatives über Stefan gehört. Es war nicht so, dass er der Fußballer war, bei dem alle geschrien haben: Juhu. Viele Bekannte kannten ihn von Langenrohr, Franz Weber kannte ihn von einem Vienna-Probetraining. Er wurde in dem Sinn nicht unbedingt als richtiger Fußballer anerkannt. Ich habe mich dann aber bei Felix Magath erkundigt. Dem hat Uli Hoeneß gedroht, dass er seinen Job los ist, wenn er Maierhofer noch einmal mitnimmt – diese Aussage gibt es nämlich auch. Er hat nämlich sogar zwei Profi-Einsätze beim FC Bayern. Aber seine Art und Weise, wie er zu Bayern gekommen ist – er hat sich selber gekümmert, er wollte diesen Weg und ist diesen gegangen, er hat sogar Vereine angeschrieben. Wie er dann zu Rapid gekommen ist, hat man schon gesehen, dass er einen Schmäh hat, auch wenn er nicht der brillante Fußballer ist. Was mein damaliger Co-Trainer über Stefan gesagt hat, will ich gar nicht ins Spiel bringen, sonst heißt es, man hakt nach. Stefan war aber von der Art her einer, der die Leute und sich selbst sehr gut motivieren konnte. Er war verbissen in der Arbeit, an Selbstvertrauen hat es ihm sicher nicht gemangelt. Ich habe ihn gegen Ende der Saison nach der Zukunft gefragt und er hat mir allen Ernstes gesagt, dass er zu Greuther Fürth zurückgeht, wenn sie aufsteigen, weil dann spielen wir in der Bundesliga. Er hat aber nicht gewusst, dass ich schon mit Präsident Helmut Hack alles geklärt hatte und Trainer Bruno Labbadia sagte: „Wenn wir aufsteigen, ist Maierhofer Stürmer Nummer 5, sollten wir ihn nicht loskriegen, weil er hat noch Vertrag.“ Aber das habe ich ihm zu dem Zeitpunkt nicht sagen können, dass er gar kein Thema mehr bei Fürth ist. Weil bei uns hat er gerade den Aufschwung gehabt – zwischen dem Sturm- und Austria-Spiel. Von seiner Euphorie her hätte ich viel zerstört, deshalb habe ich ihn weieterhin in dem Glauben gelassen. Aber alleine der Gedanke, dass einer, der ihm Herbst auf der Tribüne gesessen ist, sagt, "dann spiele ich in der Bundesliga", hat mir schon zu denken gegeben.
LAOLA1: Aber genau wegen dieser Verwegenheit und Einstellung hat er es wohl so weit geschafft.
Pacult: Naja, Stefan Maierhofers Karriere ist nicht nur auf seinem Mist gewachsen. Man soll sich nicht selber loben, aber wenn ich ihn nicht geholt hätte, weiß ich nicht, wie es mit ihm weitergegangen wäre. Das ist halt so im Fußball. Ich habe als Trainer auch gewisse Fehlentscheidungen gemacht, die meinem Ruf geschadet haben. Ich müsste heute nicht unbedingt Trainer in Albanien sein. Ich habe damals vielleicht die eine oder andere Entscheidung falsch getroffen, aber ich habe mich damals halt für Stefan entschieden. Es hat andere Kandidaten auch gegeben. Nikica Jelavic war auch eventuell schon ein Thema, aber er war noch zu jung, vor allem wieder ein Ausländer. Ich wollte einen Österreicher haben. Nach dieser Hilfe, die er von mir mit dem Transfer und seinen Einsätzen bekommen hat sowie seinen Leistungen, hat Rapid dann doch auch seinen Weg geebnet plus seine Leistungen.
LAOLA1: Die Mannschaft hat im Frühjahr, auch durch das 7:0, eine gewisse Eigendynamik bekommen, ein Teamspirit ist gewachsen. Haben Sie die Spieler damals vielleicht bewusst an der langen Leine gelassen, um diese Entwicklung nicht zu stoppen?
Pacult: Es war eine Eigendynamik, vollkommen richtig. Das Wichtigste ist, dass du Typen in der Mannschaft hast – das war das Entscheidende. Ich wurde ja im Sommer 2007 kritisiert, dass ich viele Spieler abgegeben habe, die 2005 Meister waren, wie Jozef Valachovic oder Marek Kincl. Wenn ich es noch richtig im Kopf habe, habe ich damals neun Spieler nicht weiter verpflichtet. Weil ich damals gesagt habe: Wir müssen etwas ändern. Es muss eine neue Stimmung rein, es muss eine neue Motivation rein. Deshalb habe ich mich entschieden, einen Jürgen Patocka, Mario Tokic, Markus Heikkinen oder Branko Boskovic zu holen. Ich bin im Sommer eigentlich nur mit einem 17-Mann-Kader in die Saison gegangen, weil die damaligen Jungen Hoffer, Korkmaz oder Thonhofer noch keine Stammspieler waren. Vom Kader waren wir sehr dünn besiedelt. Aber dieser Kader hat Qualität gehabt, du hast Führungsspieler gehabt. Mit Tokic haben wir einen erfahrenen Abwehrspieler gehabt, mit Patocka hat einer den Mund aufgemacht. Mit Stefan Kulovits und Georg Harding hatten wir zwei unheimlich super, trainingsfleißige Spieler, die im Training unheimlich viel geleistet haben – solche Typen hast du gebraucht, das waren wichtige Punkte. Aber es war halt natürlich auch so, dass wir im Frühjahr nicht gut gestartet sind. Erst nach dieser zweiten Niederlage im Frühjahr, vorne ist keiner weggezogen, haben wir unsere Sache gemacht. Und so langsam ist etwas gewachsen, erstmals mit dem Sturm-Spiel und dem Derby. Der Knackpunkt war natürlich das 7:0. Da hat sich was entwickelt, die Mannschaft war da, die verletzten Spieler konnten wir gut kompensieren. Das Geheimnis war, dass wir auch von der Bank Spiele entschieden haben. Für mich war trotz allem noch das Auswärtsspiel beim LASK der Knackpunkt, weil Salzburg vorlegen konnte und Co-Trainer Michael Streiter gesagt hat: „Wir haben unser Ding gemacht, werden wir sehen, was Rapid morgen macht.“ Wir haben dann in Linz 2:1 gewonnen. Die Konstellation war so, dass der LASK damals mit einem Sieg gegen uns auch noch eine Chance auf den Meistertitel gehabt hätte. Das war eine ganz komische Situation. Und da hat sich die Mannschaft noch mehr gefestigt. Dieser Umbruch 2007 mit dem Kader, die Typen haben sehr gut gepasst, die Kameradschaft, es hat keine Grüppchenbildung gegeben – es war eine sehr positive Stimmung.
LAOLA1: Noch einmal zurück zum 7:0: Dieses Spiel hat viele Reaktionen ausgelöst – Medien aus aller Welt berichteten darüber, jeder hatte dazu was zu sagen. Wie haben Sie diese Begeisterung damals wahrgenommen und wie oft sind sie seitdem noch darauf angesprochen worden?
Pacult: Eigentlich habe ich es gar nicht so wahrgenommen. Ich bin zwar die Presse durchgegangen, alle Spieler sind gut bewertet worden. Aber es ist mir nur aufgefallen, dass die spielerische Leistung nicht richtig herausgekommen ist. Man hat viele Kommentare gehört, dass Salzburg schlecht war. Aber ich habe nicht lange über dieses 7:0 nachgedacht, auch dann nicht, wie wir Meister wurden. Es war mitentscheidend, um Salzburg zu überholen, aber nicht entscheidend. Jahre später und auch jetzt wieder wird man immer noch darauf angesprochen. Ich war im Herbst auch im Stadion bei Rapid-Salzburg und wurde im VIP-Klub angesprochen, wie toll das 7:0 war. Es ist schön, wird unvergessen bleiben, aber von dem kann man halt nicht weiterleben. Deshalb war das auch nach dem Spiel nicht so. Ich habe auch der Mannschaft gesagt, dass es uns nichts hilft, wenn wir mit erhobenen Händen durch die Stadt gehen, es zählt schon das nächste Spiel. So ist auch die Realität.
LAOLA1: War es für Sie persönlich ein größerer Triumph, Giovanni Trapattoni – einen der größten Trainer aller Zeiten – geschlagen zu haben? Oder war da mehr das Mitgefühl für den Kollegen vorhanden?
Pacult: Es war eigentlich mehr Mitgefühl. Man muss auch die Vorgeschichte kennen. Ich kenne Trapattoni schon seit meiner Münchner-Zeit als Co-Trainer bei 1860 und er war bei Bayern München. Wir haben uns damals kennengelernt und immer ein bisschen Small-Talk geführt. Es war dann ein Erlebnis im Jänner 2005, als ich mit dem FC Kärnten auf Trainingslager in der Sportschule in Florenz war. Wir kommen dort hinein und ich sehe Trapattoni, damals Italiens Teamchef, dort im Saal sitzen mit seinem Staff, da die U21 dort ein Trainingsmatch gespielt hat. Wir wurden gebeten, leise zu sein, da sie eine Sitzung hatten. Und er sieht mich, steht auf und winkt mir, ich soll reinkommen. Ich bin dann reingangen, aber alleine bei dieser Geste bekomme ich heute noch eine Gänsehaut. Der Star-Trainer Trapattoni kommt entgegen, strahlt, plaudert mit mir und erklärt den Leuten, wer ich bin. Alle waren dann sehr freundlich, seine zwei Co-Trainer haben mich noch als Spieler gekannt, vor allem weil wir damals mit dem FC Tirol den AC Torino aus dem Europacup geworfen haben. Das ist dann ein anderer Bezug gewesen, weil wir uns gekannt haben, als wenn es ein anderer Trainer gewesen wäre. Auch diese Szene: Der kleine Österreicher kommt mit FC Kärnten und Trapattoni als Nationaltrainer bittet ihn zu sich. Das war eine sehr nette Geste, deshalb war das 7:0 schon deftig. Diese sieben Stück waren schwer zu verkraften.
LAOLA1: Trapattoni hat die Niederlage nie ganz verdaut und äußerte später indirekt Manipulationsverdacht, in dem er meinte: „Ich dachte mir: Die sind entweder Idioten oder sie stehen unter Drogen oder sie haben das Spiel verkauft, aber dafür habe ich natürlich keine Beweise.“ Ohne die Leistung zu schmälern: Aber hatten Sie irgendwann das Gefühl, dass da etwas gewesen sein könnte?
Pacult: Ich habe einmal mit jemandem darüber diskutiert und gesagt: „Schauen wir uns die sieben Tore, das ganze Spiel, jetzt in Ruhe an. Wo könnte man jetzt was sagen?“ Dann meinte dieser: „Aber die zwei Innenverteidiger.“ Dann habe ich es als sogenannter Experte erklärt. Beim ersten Tor verschätzt sich Vargas komplett beim langen Abschlag von Helge Payer. Der Ball springt auf und er verschätzt sich zusammen mit Dudic. Jimmy trifft den Ball natürlich perfekt, trifft auf dem nassen Kunstrasen ins lange Eck und der wird natürlich doppelt so schnell. Beim 2:0 war es eine Standardsituation von Hofmann, der Tormann kann den Ball nur wegklatschen und Maierhofer trifft den Halbvolley. Dass er frei steht, das wird in Situationen immer so sein. Beim 3:0 spielt die Mannschaft auf Abseits und Hofmann löst die Situation mit Jimmy perfekt. Es war ein langer Pass auf der rechten Seite. In Wirklichkeit wäre Jimmy im Abseits gewesen, doch Steffen schreit im Laufen, er soll ihm den Ball lassen. Dadurch kann Steffen am Verteidiger vorbeirennen, schiebt ihn nach links rüber, Korkmaz nimmt den Ball an und trifft. Für mich wurde beim dritten und fünften Tor nicht aufgeschaut. Korki hat beim Tor nicht geschaut, wo der Tormann überhaupt steht, sondern hat einfach geschossen. Der Torhüter macht irgendeine Reaktion und kriegt den Ball durch die Füße. Ich kann mich noch an den TV-Kommentar beim vierten Tor erinnern. Die Situation an der Outlinie war technisch perfekt. Wenn das Neymar mit einem anderen Spieler macht, heißt es: Weltklasse! Aber was Korkmaz und Hoffer dort gemacht haben, das war was. Korki hat ihn mit der Ferse durch zwei durchgespielt und Jimmy hat natürlich den großen Vorteil, dass er mit einem Haken im Strafraum drin war. Der Argentinier hat zu dem Zeitpunkt nicht mehr reagieren können, am Kunstrasen noch weniger, weil du dir Drehbewegungen nicht machen kannst. Dadurch schaut es so aus, wie wenn der Argentinier steht. Aber der hat nichts anderes mehr machen können, weil sonst wäre es ein Elfmeter gewesen. Dass dann Maierhofer völlig blank steht, ist wieder eine andere Sache, aber es war ein super Laufweg. Also von diesen Manipulationgeschichten halte ich sehr wenig. Auf dem einfachen Grund: 7:0 kann man nicht wetten. Also nicht gegen eine Heimmannschaft, die alle vier Spiele gewonnen hat, mit einer Tordifferenz von 14:0. Und dann verlierst du mit 0:7. Da muss ich schon sagen: Alle die heute noch an diese Theorie glauben, lassen wir in dem Glauben. Mehr kann man heute nicht mehr dazu sagen, außer: Schwachsinn.
LAOLA1: „7:0 kann man nicht wetten“ passt auch zu ihrer damaligen Aussage nach dem Spiel: „Wer heute darauf gesetzt hat, ist steinreich geworden.“ Diese Wortwahl war dann in diesem Zusammenhang auch nicht so glücklich gewählt.
Pacult: Ja, aber ich weiß bis heute keinen Fall, ob wirklich jemand darauf gesetzt hat. Ich weiß nicht, ob das publik wurde. Hat jemand auf dieses Ergebnis gesetzt hat? Also in Europa nicht. Herumgegeistert ist, in Südamerika oder in Asien wurde irgendwo darauf gewettet. Aber es ist nicht herausgekommen, ob der wirklich gewonnen hat. Weil es wäre doch leicht gewesen, dass man denjenigen, der auf dieses Ergebnis wettet, herausfindet. Das hat sich nie bestätigt. Dass noch immer wer daran glaubt, darüber kann man nur schmunzeln.