Erst mit 14 Jahren stand er zum ersten Mal im Tor. Vier Jahre später fand er sich unter Mirko Slomka im Bundesliga-Kader von Hannover 96 wieder. Heute ist er der Fels in der Brandung bei der SV Ried: Samuel Sahin-Radlinger.
Die "Wikinger" haben einen äußerst schwierigen Herbst hinter sich, nur zwei Punkte trennen die Mannschaft von Cheftrainer Christian Heinle von Schlusslicht Hartberg. Sahin-Radlinger hat in besagter Spielzeit noch keine Minute verpasst.
Im LAOLA1-Interview äußert er sich nun über seine spezielle Bindung zur SV Ried, seine Auslandserfahrungen, seine Entwicklung und seine Zukunftspläne.
LAOLA1: Die bisherige Saison ist für die SV Ried nicht gut verlaufen. Was ist schiefgelaufen?
Samuel Sahin-Radlinger: Wenn man das immer ganz genau wüsste, wäre es vielleicht eh anders (schmunzelt). Wir haben zwar das erste Spiel gegen Rapid verloren, haben aber eine super Leistung geboten. In der Folge haben wir uns gegen vermeintliche Gegner auf Augenhöhe schwergetan, teilweise unglücklich verloren. Wir waren dann in einem Rad drinnen, auf einmal wird es richtig schwierig, die Spiele anzugehen - jeder, der das schon einmal erlebt hat, weiß, wie schwer es ist, sich daraus zu befreien. Dann kam die Phase mit dem Auswärtssieg in Wolfsberg und dem Sieg gegen Rapid, als wir glaubten, wir haben den Turnaround geschafft. Danach sind wir wieder am Boden der Tatsachen gelandet. Es ist extrem schwierig, wenn man hinten drinnen hängt, aber wir dürfen auf keinen Fall aufgeben.
LAOLA1: Bist du optimistisch, dass die Mannschaft das Zeug hat, die Kurve zu kratzen und ein besseres Frühjahr zu spielen?
Sahin-Radlinger: Natürlich! Wir haben ja sehr gute Spiele gezeigt, das ist es ja nicht. Wir müssen es halt einfach in jedem Spiel abliefern und auf einen Stand kommen, an dem jeder alles, was er hat, am Platz liegen lässt und für die anderen rennt und kämpft. Dann werden auch wieder Siege kommen. Dass wir kicken können und Qualität in der Mannschaft haben, haben wir desöfteren bewiesen. Wichtig ist jetzt, das auf den Platz zu bringen und Punkte einzufahren. Ich bin optimistisch, dass das passieren wird.
LAOLA1: Du bist vor zweieinhalb Jahren zu deinem Jugendverein nach Ried zurückgekehrt. Wie gestaltet sich dein Leben als Fußballprofi in der Kleinstadt?
Sahin-Radlinger: Dass ich in Ried geboren und aufgewachsen bin, ist bekannt. Ich habe mit fünf Jahren bei Ried angefangen, bis zu den Profis hoch. Mich verbindet mit Ried natürlich extrem viel. Ich bin selbst als Fan im Stadion gestanden. Sehr viele gute Freunde sind nach wie vor extreme Ried-Fans. Auch in all der Zeit im Ausland habe ich Ried mitverfolgt. Einer meiner besten Freunde, Marcel Ziegl, spielt nach wie vor in Ried. Also habe ich natürlich eine ganz besondere Bindung zu diesem Verein.
"Wer mich manchmal im Training sieht, weiß, dass ich hin und wieder noch gerne Stürmer wäre oder im gegnerischen Sechzehner zu finden bin."
LAOLA1: Wie würdest du deinen Werdegang beurteilen? Inwiefern hast du dich als Torhüter in den letzten Jahren entwickelt?
Sahin-Radlinger: Ich glaube, dass mir mittlerweile die Reife zugutekommt. Ich war auch schon bei größeren Vereinen. Das Wichtigste sind einfach die Erfahrungen, die man in einer Karriere macht. Ich habe sowohl positive als auch negative Erfahrungen gemacht und immer versucht, irgendwas mitzunehmen. Wichtig ist, dass man Vertrauen spürt - vom Verein, von den Verantwortlichen. Das A und O ist die Spielpraxis. Ich musste bei Hannover sehr, sehr lange warten, habe dann jedoch Gott sei Dank noch mein Bundesliga-Debüt in Deutschland geben dürfen. Es war ein harter und langer Weg.
LAOLA1: Die Fans, die Atmosphäre, die Stadien – wie war die Erfahrung in Deutschland?
Sahin-Radlinger: Das war schon ein Wahnsinn. Im Aufstiegsjahr durfte ich bei Hannover schon ein paar Spiele machen, unter anderem daheim gegen Würzburg, bei dem ich beim Stand von 2:1 in der 90. Minute einen Elfmeter gehalten habe. Das waren Emotionen und Erfahrungen, die ich mein Leben lang nicht vergesse. Klar, mit dem Debüt in der deutschen Bundesliga ist ein riesiger Traum in Erfüllung gegangen. Aber im Nachhinein ist es natürlich schade, dass es nur bei dem einen Spiel geblieben ist. Das ist das Einzige, was ein wenig kratzt. Grundsätzlich bin ich jedoch dankbar und kann diese Erfahrung nun bei meinem Herzensverein einbringen.
LAOLA1: Du gehörst ja eigentlich zu den Spätberufenen unter den Tormännern. Erst mit 14 wurdest du sozusagen umfunktioniert. Kommt es dir zugute, dass du so lange am Feld gespielt hast?
Sahin-Radlinger (lacht): Ja, absolut. Wer mich manchmal im Training sieht, weiß, dass ich hin und wieder noch gerne Stürmer wäre oder im gegnerischen Sechzehner zu finden bin.
LAOLA1: Wie ist es damals zum Wechsel ins Tor gekommen?
Sahin-Radlinger: Wir haben in der U14 oder U15 oft einen Tormann zu wenig gehabt. Ich habe mich dann manchmal zum Spaß reingestellt. Unser damaliger Torwarttrainer Vlado Cvetkovic ist dann auf mich zugekommen, ob ich nicht einmal ein Torwarttraining mitmachen will. Er dürfte mein Talent gesehen haben. In der Akademie hat sich die Frage gestellt, ob Torwart oder Feldspieler. Cvetkovic wollte mich als Tormann. Mir hat es sehr viel Spaß gemacht, und ich bin als Nummer drei in der U15 in der Akademie gestartet. Durch Verletzung und Erkrankung der anderen Tormänner habe ich dann gegen Rapid in Wien mein Debüt gegeben.
LAOLA1: Wie ist es gelaufen?
Sahin-Radlinger: Wir haben gewonnen, und ich habe eine überragende Partie gespielt. Da waren dann gleich Scouts aus Italien da und in Folge war ich einen Monat lang in Italien auf Probe bei Juventus, Empoli und Sampdoria. Zu der Zeit war ich aber erst zwei Monate lang Tormann, also die ganze Technik und so weiter habe ich noch nicht draufgehabt. Rückblickend war das aber trotzdem ein Riesenerlebnis. Das alles schon in jungen Jahren zu sehen, war natürlich ein Wahnsinn.
LAOLA1: Bist du auch jemand, der in der Kabine einmal ungemütlich werden kann, wenn die Leistungen nicht stimmen oder du das Gefühl hast, dass einer nicht 100 Prozent gibt?
Sahin-Radlinger: Wir hatten schon die eine oder andere Situation, die wir im Team untereinander geregelt haben. Ich bin auch im Training, wenn mir etwas nicht passt, einer, der das extrem kritisch beäugt und vielleicht auch mal unangenehmere Worte finden muss. Aber das gehört dazu. Natürlich gibt es auch mal die eine oder andere Konfrontation, aber ein gewisses Feuer braucht man auch im Training. Ohne geht’s nicht.
"Ich denke, so traurig es ist, ist es dafür vielleicht noch einmal notwendig, einen Schritt zu gehen."
LAOLA1: Im vergangenen Sommer gab es konkretes Interesse von Austria Wien. Gab es im Sommer auch noch andere Vereine, die sich deine Dienste sichern wollten?
Sahin-Radlinger: Nichts Konkreteres. Ich habe seit diesem Sommer wieder einen Berater, davor habe ich mir das nach dem Wechsel nach Ried alleine gemacht. Deswegen habe ich wahrscheinlich auch nicht so viel mitgekriegt. Fakt ist, ich habe jetzt noch Vertrag bis Sommer. Alles, was dann passiert, kann ich noch nicht einschätzen. Jeder, der mich kennt, weiß, dass ich mich in Ried sehr wohlfühle. Der Verein und ich haben eine Beziehung, in der ich dem Verein viel zu verdanken habe und ich mit Leistung auch einiges zurückgeben konnte.
LAOLA1: Aber?
Sahin-Radlinger: Ich bin jetzt 30 Jahre alt, im besten Tormann-Alter. Ich habe meiner Meinung nach zwei sehr gute Saisonen gespielt. Sollte bei mir noch etwas in Richtung Veränderung passieren, dann auf alle Fälle nur aus sportlicher Sicht. Ich war schon bei durchaus größeren Klubs, dort ist der Durchbruch nicht so richtig gelungen. Das kratzt natürlich. Sportlich habe ich schon noch einige Ziele, deswegen war jetzt zum ersten Mal die Nationalteam-Nominierung auf Abruf schon eine kleine Wertschätzung. Dafür bin ich sehr dankbar, und nicht nur auf Abruf zu stehen, ist natürlich auch eines meiner großen Ziele. Ich denke, so traurig es ist, ist es dafür vielleicht noch einmal notwendig, einen Schritt zu gehen. Wie der aussehen wird, weiß ich jetzt noch nicht.
LAOLA1: Das heißt, um deine Ziele zu erreichen, etwa das Nationalteam, würdest du einen Vereinswechsel in Betracht ziehen?
Sahin-Radlinger: Fußball ist so extrem schnelllebig, das habe ich mittlerweile gelernt. Aber wie gesagt, sollte sportlich noch ein Verein kommen, wo ich sage: "Boah, da kann ich meine Ziele erreichen", dann werde ich sicher überlegen.
LAOLA1: Reizt dich in dieser Hinsicht eher der Faktor Ausland oder rein der sportliche Aspekt?
Sahin-Radlinger: Ich war in drei verschiedenen Ländern, vier mit Österreich. Klar ist Deutschland für mich eine der attraktivsten Ligen. Dort habe ich es auch von der Infrastruktur am besten gefunden. Wenn man so lange in Deutschland war, ist das natürlich nochmal ein Anreiz. Ich bin aber schon auch realistisch. Ich werde jetzt nicht von Ried, nur weil ich vielleicht ein, zwei gute Saisonen gespielt habe, als Nummer eins in die deutsche Bundesliga kommen. Aber wie gesagt, ich lasse mich überraschen, was vielleicht alles kommt. Von dem her bin ich da ganz gelassen und kann mich wirklich auf die Vorbereitung und den Start im Frühjahr fokussieren.