Zum Re-Start des heimischen Fußballs nach der Corona-Krise lohnt sich ein Blick zurück. Vor exakt 15 Jahren – am 29. Mai 2005 – absolvierte die Salzburger Austria ihr allerletztes Meisterschaftsspiel in der höchsten Spielklasse.
Am 3. Juni 2005 wurde der Traditionsverein (Meister 1994, 1995 und 1997) unter Protesten vieler Fans in einer konstituierenden Generalversammlung als FC Red Bull Salzburg auf neue Beine gestellt. Der Rest ist österreichische Fußball-Geschichte. Die "roten Bullen" eroberten seither zehn Mal den Meisterteller und sicherten sich in den letzten acht Jahren sechs Mal die Cup-Trophäe.
Der SV Austria Salzburg hingegen ist nach dem Vorbild der früheren Austria (gegründet 1933) und der Übernahme von Red Bull im Oktober 2005 neu gegründet worden und startete in der Saison 2006/07 in der untersten Spielklasse – der Salzburger 2. Klasse Nord A in eine neue Zeitrechnung. Nach vier Aufstiegen in Folge spielte der Verein 2010 in der Regionalliga West und im ÖFB-Cup mit. Aktuell befindet sich die Austria in der Salzburger Liga.
Im LAOLA1-Interview erinnert sich Markus "Maxl" Scharrer an den denkwürdigen Abschied der Salzburger Austria aus der Bundesliga und den Anfang der Ära FC Red Bull Salzburg.
Vor 20 Jahren (27.5. 2000) jubelte der Niederösterreicher über seinen ersten von drei Meistertiteln mit dem FC Tirol, am 29. Mai 2005 bereitete der Edel-Techniker in der 36. Meisterschaftsrunde beim 2:1-Erfolg der Salzburger gegen Casino Schwarz-Weiß Bregenz beide Treffer der Austria mustergültig vor.
Gespielt wurde die finale Partie des UEFA-Cup-Finalisten von 1994 auf Kunstrasen im EM-Stadion Wals-Siezenheim vor 4.196 Zuschauern. Den Kader von damals kann Scharrer - der mit der Rückennummer 30 aufs Feld lief - nahezu lückenlos aufzählen: Angefangen von Heinz Arzberger im Tor über Thomas Winklhofer, Thomas Eder, Jürgen Pichorner, Christoph Jank, Andreas Ibertsberger, Alexander Schriebl, Goran Tomic, Serkan Aslan, Jeong-won Seo bis hin zum jungen Ernst Öbster.
Scharrer lebte damals in Salzburg seinen Kindheitstraum und verbrachte eine für ihn "unvergessliche Zeit" in einer Kicker-Wohngemeinschaft zusammen mit seinen Ex-Tirol-Kollegen Stephan Marasek und Roland Kirchler.
Heute arbeitet der 45-Jährige als Jugend-Trainer in Seekirchen und ist mit seinen Talenten Tabellenführer. Er eroberte als Nachwuchs-Coach bereits Titel-Ehren in der Halle und auf dem Feld. Dank seiner Kontakte organisiert er für den Seekirchner Nachwuchs Testspiele unter anderem gegen die Red Bull Akademie, gegen Bayern München, gegen Austrias Akademie oder gegen jene der WSG Tirol.
Die besten Bilder des letzten Bundesliga-Spiels der Salzburger Austria:
Scharrer lebt in der 11.000-Einwohner-Stadtgemeinde Seekirchen am Wallersee im Flachgau, umgeben von ehemaligen Kicker-Kollegen. Rechts von ihm wohnt Philipp Mirtl, mit dem er einst in Seekirchen spielte und der jetzt mit seiner Beratungsagentur "m&m Deportivo" unter anderem Profis wie Benedikt Pichler (Austria Wien) betreut. Nachbar auf der anderen Seite ist der ehemalige schwedische Teamtormann Eddie Gustafsson, der ebenfalls mit seiner Familie am Wallersee sesshaft geworden ist und nach seiner aktiven Karriere bei Red Bull Salzburg seit 2015 bei den Bullen als Tormann-Trainer tätig ist.
Scharrer, der Anfang Juli 1974 in Vösendorf vor den Toren Wiens zur Welt kam und im Nachwuchs der Admira seine fußballerische Ausbildung genoss, entwickelte sich als technisch hochbegabter und verspielter Mittelfeld-"Zauberer" zum Wandervogel der heimischen Liga. Über St. Pölten (1995), LASK (1996), Ried (1997/Cupsieger 1998), FC Tirol (1998/Meister 2000, 2001, 2002) und Wörgl (2002) kam er nach Salzburg, wo er als Spieler die letzte Bundesliga-Saison der Austria und die erste der Red-Bull-Ära erlebte.
Neben seiner Trainertätigkeit ist Scharrer zum Gipfelstürmer avanciert. Der 45-Jährige erklimmt mit Frau und Hund sämtliche Berge im Umkreis seiner neuen Heimat: "Ich bewege mich sehr gerne, bin viel mit dem Rad unterwegs, spiele gerne Tennis, betreibe Triathlon und liebe die Berge." Scharrer komme pro Jahr wohl auf 300 Gipfelbesteigungen. "Ich hab mir als gebürtiger Vösendorfer einst nicht vorstellen können, dass mir einmal die Berge so viel geben werden. Ich bin als 25-Jähriger zum FC Tirol gekommen und bin zuvor nie im Leben in Skischuhen oder auf Ski gestanden. Mit meiner Tochter habe ich dort dann mit dem Skilauf begonnen und die Liebe zu den Bergen entdeckt."
"Wir sind damals nur gescheitert, weil im Winter ein Riesen-Theater rund um den Transfer von Andreas Ivanschitz losgebrochen ist. Da hat Jara erstmals mitansehen müssen, dass er auch nicht alles so steuern kann, wie er wollte."
Doch zurück zum 29. Mai 2005 und dem 2:1 des Tabellen-Neunten SV Wüstenrot Salzburg gegen Schlusslicht Casino Schwarz-Weiß Bregenz:
LAOLA1: Habt ihr damals gewusst, dass das die allerletzte Partie für den Verein sein wird?
Markus Scharrer: Wir haben gewusst, dass sich was ändern und dass Red Bull einsteigen wird. Dass es aber so ausgeht und die Trennung derart rigoros wird, das hat zu dem Zeitpunkt natürlich keiner geglaubt. Wir haben gewusst, dass das Ganze in eine andere Richtung gehen wird, sobald Red Bull als Hauptsponsor einsteigt. Wir haben das damals ja im Eishockey gesehen. Wenn Red Bull einsteigt, dann nicht um in der Meisterschaft Dritter oder Vierter zu werden. Das war uns klar. Auch im Fußball. Wir ahnten, dass sie etwas Großes machen wollten und der Meistertitel als Ziel ausgerufen wird. Aber dass mit dem Red-Bull-Einstieg ein derart großer Bruch mit den Fans und der Tradition der Salzburger Austria einhergeht, war nicht abzusehen.
LAOLA1: Wie sind deine Erinnerungen an das Spiel vor 15 Jahren?
Scharrer: Ich glaube mich zu erinnern, dass wir 2:1 gewonnen haben. Ein Tor hat wohl Goran Tomic erzielt, das zweite war wahrscheinlich ein Eigentor. Wir lagen sehr schnell 2:0 in Führung, aber mehr weiß ich nicht mehr.
LAOLA1: Du hast beide Assists verbucht. Nach deinem Freistoß erzielte Nikola Gjosevski per Kopf das 1:0 (4.) und Tomic erhöhte nach einem Torschuss von dir per Abstauber auf 2:0 (9.).
Scharrer: Okay, das hatte ich jetzt nicht mehr auf dem Schirm. An Tomic kann ich mich erinnern, dass er ein Tor erzielt hat, aber ansonsten weiß ich von der Partie so gut wie nichts mehr.
LAOLA1: Manfred Linzmaier, der heute als Scout beim FC Ingolstadt in der 3. Deutschen Liga engagiert ist, war euer Trainer.
Scharrer: Ja, genau. Linzmaier ist ein super Typ. Ich habe ihn geliebt. Schon damals in Tirol. Ich mag ihn als Mensch, ich mag ihn als Typ, ich habe ihm sehr gerne zugeschaut, wie er Fußball gespielt hat. Manni war für mich immer ein ganz offener, ehrlicher, freundlicher Typ - ein Super-Kerl.
LAOLA1: Wie war die Stimmung innerhalb eurer Mannschaft vor der Red-Bull-Übernahme?
Scharrer: Daran kann ich mich gut erinnern. Es waren zwei extreme Jahre, wir haben damals binnen kurzer Zeit mehrere verschiedene Trainer gehabt. Begonnen habe ich mit Lars Söndergaard, dann war ganz kurz und ohne Sieg Walter Hörmann der Cheftrainer, ehe dann sogar unser Sportdirektor Peter Assion kurzfristig wieder auf die Trainerbank wechselte. Dann, als bekannt wurde, dass Red Bull einsteigt, durfte – was ich mich erinnern kann - für zwei oder drei Spiele Ex-Stürmer Nikola Jurcevic die Mannschaft übernehmen. Danach beorderte Red Bull dann Linzmaier auf die Bank, da der neu verpflichtete Trainer Kurt Jara diesen Job bei Austria Salzburg im Endspurt der Saison nicht antreten wollte und Linzi vorgeschoben hat. Wir waren mittendrin im Abstiegskampf und mussten unbedingt in der Liga bleiben. Der Abstieg war mit allen Mitteln zu verhindern, die 2. Liga wäre für Red Bull beim Einstieg eine Katastrophe gewesen. Jara war als Sportchef und Trainer bereits fix verpflichtet und er bestimmte dann auch, dass Linzmaier umgehend Jurcevic als Coach ablösen sollte. Linzi hat übernommen, er hat genau gewusst, was zu tun war und hat die Truppe sofort in den Griff bekommen.
LAOLA1: Hast du beim Spiel gegen Bregenz gewusst, dass es für dich bei Red Bull weitergeht?
Scharrer: Ja, das habe ich gewusst. Zumindest hat mir das damals Trainer Linzmaier vermittelt. Als er gekommen ist, hat er mir in einem Gespräch gesagt, dass Red Bull drei, vier Spieler aus der Mannschaft übernehmen wird und ich dabei sein werde. Er hat mich hinter den Spitzen aufgestellt und er hat wiederholt betont, dass wir alles unternehmen müssen, um nicht abzusteigen.
LAOLA1: Wie hast du in der Folge die ersten Saisonen des FC Red Bull Salzburg erlebt?
Scharrer: Ganz ehrlich, ich finde, dass am Anfang sehr viel richtig gemacht wurde. Auch Trainer Kurt Jara hat zu diesem Zeitpunkt gut gearbeitet. Er hat sehr viele Österreicher an Red Bull gebunden. Er hat Markus Schopp oder Alexander Manninger zurückgeholt, er hat auf den jungen Marc Janko und auf weitere junge ÖFB-Spieler gesetzt. Und er hat Leute verpflichtet, die mit ihm bereits beim FC Tirol erfolgreich waren, wie Patrick Jezek, Roland Kirchler oder Alexander Knavs. Da hat er gewusst, was er bekommt und dass er sich auf diese Spieler verlassen kann.
LAOLA1: Und dennoch seid ihr im ersten Jahr nicht Meister geworden, sondern vier Punkte hinter der Wiener Austria ins Ziel gekommen, warum?
Scharrer: Wir sind damals nur gescheitert, weil im Winter ein Riesen-Theater rund um den Transfer von Andreas Ivanschitz losgebrochen ist. Da hat Jara erstmals mitansehen müssen, dass er auch nicht alles so steuern kann, wie er wollte. Wir sind im Herbst 2005 sehr schlecht in die Meisterschaft gestartet und lagen bereits deutlich zurück. Dann haben wir aber in einen Lauf gefunden und konnten im zweiten Viertel der Meisterschaft ordentlich aufholen und sicherten uns vor der Austria die Winterkrone. Ich erinnere mich gut, wie Jara dann geblödelt hat und meinte, dass er jetzt zum Länderspiel nach Wien fahren und im VIP-Klub laut dem Gigi Ludwig vom ÖFB sagen werde, dass wir den Andi Ivanschitz von Rapid verpflichten. Weil dann – so Jara – sind wir den ganzen Winter während der Ski-Saison in den Zeitungen und anderen Medien präsent. Jara wollte eine typische PR-Story streuen, damit die Verantwortlichen in Wien zu flippen anfangen. Die Geschichte hat dann aber eine Eigendynamik entwickelt und eine Dimension erreicht, wo es kein Zurück mehr gab. Der Gipfel der unglücklichen Geschichte war dann das Spiel in Hütteldorf, wo Ivanschitz auf das Ärgste angefeindet wurde und bei uns 90 Minuten auf der Bank versauert ist. Durch dieses ganze Theater haben wir uns in der ersten Saison selber um den Titel gebracht.
LAOLA1: Wie ging es bei Red Bull dann weiter?
Scharrer: Die Transferpolitik zu Beginn - die besten Österreichern und die größten Talente des Landes zu holen - war meiner Meinung nach in Ordnung. Was mir dann nicht getaugt hat, waren die nächsten Trainer, die gekommen sind. Da wurde um sehr viel Geld viel ausrangiertes Spielermaterial zusammengekauft. Das war definitiv der falsche Weg und ich kann mich erinnern, dass ich bei meinem Abschied den Verantwortlichen von Red Bull empfohlen habe, das österreichische Unter-21-Nationalteam zu verpflichten. Ich hätte als FC Red Bull die größten heimische Talente und einen guten österreichischen Trainer verpflichtet. Damals habe ich dazu geraten, Peter Stöger zu holen, der uns gerade mit der Wiener Austria den Titel weggeschnappt hat. Mit den besten jungen Österreichern unter Peter Stöger zu spielen, hätte für mich am meisten Sinn gemacht. Das wäre ein sympathischer Weg gewesen, der in ganz Österreich gut ankommen wäre und auch das Stadion mit Zuschauern gefüllt hätte.
LAOLA1: Ihr hattet damit ja zu Beginn der Ära FC Red Bull so eure Probleme…
Scharrer: Na klar, wir waren mit dem Stempel der Dosen-Millionäre versehen. Überall wo wir hingekommen sind, mussten wir uns anhören, dass wir unsympathisch und hochnäsig sind. Das war für viele von uns echt schlimm, da wirklich viele Spieler im Kader standen, die überhaupt nicht so waren.
LAOLA1: Was ist dann passiert?
Scharrer: Dann ist Ralf Rangnick gekommen und plötzlich war eine schlüssige Philosophie vorhanden. Das Scouting ist umgestellt worden, junge Spieler rückten in den Mittelpunkt, die Ausbildung bekam auf einmal die höchste Priorität, auch wenn Red Bull bereits damals für die Talente, die sie geholt haben, sehr viel Geld bezahlen musste. Dieser Weg, den sie da eingeschlagen haben, ist bis heute der richtige. Ich durfte Marco Rose als Nachwuchsleiter beobachten und habe auch eine sehr hohe Meinung von Thomas Letsch, der damals in der Akademie wie Rose eine hervorragende Arbeit abgeliefert hat. Auch Jesse Marsch ist ein super Typ, der genau zu diesem erfolgreichen Weg passt. Man kann über Rangnick denken, wie man will, aber er hat den richtigen Weg eingeschlagen und angefangen mit Roger Schmidt großartige Trainer nach Salzburg geholt. Er hat dem Verein eine perfekte DNA verpasst, er hat der Abteilung eine Philosophie, einen Plan gegeben, der top ist. Die letzten sechs, sieben Jahre hat der Klub eigentlich alles perfekt hinbekommen, Hut ab.
LAOLA1: Wie war rückblickend dein Verhältnis zu Red Bull?
Scharrer: Ich glaube, dass ich bei Red Bull abdanken musste, weil ich der letzte Spieler aus der Austria-Salzburg-Ära war, den die Fans gerne gehabt haben. Ich habe mit den Austria-Fans immer ein sehr gutes Verhältnis gehabt, bis zum letzten Spiel. Ich hatte nie zuvor und danach so eine Zuneigung der Fans verspürt wie bei der Austria. Ich habe bei einem guten Pass oder bei einem Gurkerl stets Szenen-Applaus erhalten, ich habe viele Fan-Wahlen für mich entschieden. Auch wenn ich damals vom Intim-Feind FC Tirol nach Salzburg gekommen bin, war ich – warum auch immer – von Beginn weg ein Fan-Liebling. Ich erinnere mich, dass die Austria-Fans, nachdem die Übernahme von Red Bull fix war und sie auf Mateschitz und alles geschimpft haben, im nächsten Moment wieder mit "Maxl-Scharrer-Fußballgott"-Sprechchören reagierten oder auf der Tribüne "Maxl Scharrer – einer von uns" anstimmten. Aufgrund der Sympathiekundgebungen der Austria-Fans musste ich mich beim Red-Bull-Management rechtfertigen. Ich erinnere mich, wie Geschäftsführer Kurt Wiebach zu mir meinte, was da los ist, dass die Fans die Mannschaft schimpfen, mich aber abfeiern. Ich habe mich all die Jahre fair zu den Fans verhalten, bin nach den Spielen immer in die Kurve gegangen und habe mich für die Unterstützung bedankt. Mein guter Draht zu den Austria-Fans hat mich am Ende des Tages wohl auch um einen gut dotierten Vertrag bei Red Bull gebracht.
LAOLA1: Was bleibt alles in allem von deiner Zeit bei Austria und Red Bull?
Scharrer: Es war eine wunderbare Zeit, die ich nicht missen möchte. Ich habe die Jahre geliebt, ich durfte mit Heimo Pfeifenberger - dem größten Idol meiner Kindheit - gemeinsam Fußball spielen. Ich war als Kind ein Riesenfan von Heimo, nicht unbedingt wegen seines Fußballspiels, denn da waren Maradona oder Zidane meine Helden, aber als Typ und Mensch war Heimo damals mein Favorit.
15 Jahre nach seinem Sieg mit der Salzburger Austria gegen Bregenz wird sich Ex-Red-Bull-Spieler Scharrer heute Abend am Wallersee entspannt anschauen, wie seine Nachfolger im Cup-Finale gegen Lustenau bestehen. "Ich erwarte, dass der Cup eine klare Angelegenheit für Salzburg wird und dass sich ihre Klasse auch in der Meisterschaft wieder durchsetzen wird."