Unverhofft kommt oft, so ist Christian Heinle plötzlich Bundesliga-Cheftrainer. Für seine temporäre "Beförderung" hätte sich der 36-jährige etatmäßige Co-Trainer der SV Ried sicherlich angenehmere Umstände gewünscht.
Der Senkrechtstarter muss in den nächsten Wochen Cheftrainer Andreas Heraf vertreten, der krankheitsbedingt eine Pause einlegen wird. Dass sich der Wiener für einige Wochen zurückziehen muss und Heinle nun die Letztverantwortung trägt, kam auch für den Oberösterreicher überraschend, wie er LAOLA1 erklärt.
"Wir haben im Trainerteam nicht Bescheid gewusst. Der Vorstand ist an uns herangetreten und Andi hat uns gesagt, dass er sich wegen eines Eingriffs an den Stimmbändern schonen muss, und dass er auf unbestimmte Zeit regenerieren muss", beschreibt der 36-Jährige. "Wir haben es genauso erfahren wie die Spieler und die Öffentlichkeit."
Ganz aus der Welt ist Heraf während seiner Regeneration aber nicht, die Kommunikation mit dem Wiener wird aber auf ein Mindestmaß reduziert. Die Letztentscheidungen liegen bei Heinle. "Wir haben uns intern ausgemacht, dass wir uns über WhatsApp austauschen oder ich sehr wohl anrufen kann, wenn ich Rat brauche, aber er muss sich schonen", so der Oberösterreicher, für den die Genesung von Heraf oberste Priorität hat.
"Ich werde schauen, dass er sich super regenerieren kann und er wieder topfit zurückkommt. Das ist das Wichtigste."
Von der Bank auf die Trainerbank
Dass Heinle überhaupt in einer Position war, um Heraf zu vertreten, ist schon bemerkenswert genug, denn der Weg des 36-Jährigen in die vorübergehende Cheftrainer-Rolle ist durchaus unorthodox. Den Aufstieg, den Heinle dann bei den Innviertlern hingelegt hat, bespielhaft.
Der Oberösterreicher war selbst in den Niederungen des oberösterreichischen Fußballs aktiv. Über Rottenbach, wo Heinle in der Bezirksliga erst Aktiver, dann Spielertrainer war, ging es 2017 in selber Rolle nach Grieskirchen in die Oberösterreich-Liga.
"Dort war nicht mehr geplant gewesen, dass ich Spielertrainer wäre. Das hat dann die Situation erfordert", erklärt Heinle, der bis zu seinem Engagement bei der SV Ried hauptberuflich 13 Jahre lang bei einer Bank tätig war.
"Nach einiger Zeit ist dann der Verein an mich herangetreten und wollte mich als Amateuertrainer verpflichten. Das war dann der Cut mit Grieskirchen, wo ich dann gesagt habe, ich verlege alles nach Ried".
"Ich habe bei der Bank aus eigenem Wunsch aufgehört, weil ich die Trainerlizenz gemacht habe, die letzte war die UEFA A-Lizenz", so Heinle, dessen hauptberuflicher Weg Anfang 2019 in die Sponsoring-Abteilung der Rieder führte, nebenher agierte der Oberösterreicher weiter als Spielertrainer in Grieskirchen.
"Nach einiger Zeit ist dann der Verein an mich herangetreten und wollte mich als Amateuertrainer verpflichten. Das war dann der Cut mit Griesskirchen, wo ich dann gesagt habe, ich verlege alles nach Ried", so Heinle, dem die Entscheiung aus persönlichen Gründen nicht ganz leicht gefallen ist.
Der 36-Jährige war in seiner Heimatstadt "extrem glücklich", wie er sagt. Die Aussicht das Amateurteam der "Wikinger" für die Saison 2020/21 zu übernehmen, war am Ende aber zu verlockend.
"Es war der Fall, dass Amateuretrainer Herwig Drechsel aufgehört hat, weil Ried das (Amt des Amateurtrainers, Anm.) in Hauptberuflichkeit umwandeln wollte. Nachdem ich schon in Ried gearbeitet habe und sie mitbekommen haben wie ich in Grieskirchen gearbeitet habe, hat dann der Verein versucht mich zu fragen, ob ich mir vorstellen kann, eine sportliche Rolle zu übernehmen. Ich habe mich mit der Idee immer mehr anfreunden können", so Heinle, dessen Job sich letztendlich anders dargestellt hat als womöglich ihm lieb war.
Zeitlich am Limit
Aufgrund von Einschränkungen durch die Corona-Pandemie war der Spielbetrieb in den Amateurligen nicht lange möglich. Mit der Anstellung von Miron Muslic als Cheftrainer der Bundesligamannschaft der Rieder war Heinle plötzlich auch an anderer Front gefragt.
"Der Verein wollte mich von Anfang an bei Muslic dabeihaben", erzählt der Oberösterreicher. Plötzlich war Heinle Co-Trainer der Bundesligamannschaft und Cheftrainer der Amateure in Personalunion, eine aufreibende Zeit, wie der 36-Jährige zugibt.
Zeitlich sei Heinle "wirklich an das Limit gekommen. Obwohl in der Regionalliga nicht gespielt wurde, haben wir mit den jungen Spielern in der Akademie sehr viel trainiert. Die durften ja spielen und trainieren. Wir haben sehr viele Amateure gehabt, die im Akademiebetrieb waren."
Im Sommer 2021 legte Heinle seine Rolle bei den Amateuren dann nieder, um sich vollumfänglich auf seine Rolle als Co-Trainer unter Andreas Heraf zu konzentrieren. Nun vertritt er diesen an der Seitenlinie. In rund 33 Monaten hat sich Heinle über die Sponsoring-Abteilung der Rieder zum Aushilfs-Cheftrainer der Bundesliga-Mannschaft gearbeitet.
Muslic kein "Missverständnis"
Doch nicht nur die Umstände seiner Übernahme als Chef sind außergewöhnlich, auch die Zeit, die Heinle bisher als Co-Trainer der Rieder verbracht hat, könnte unterschiedlicher nicht sein.
"Wenn die Erfolgserlebnisse fehlen, die haben zu Beginn einfach gefehlt, ist es einfach schwierig, dass du das auch dann im Umfeld zu manifestierst, dass jeder brutal dahinter steht. Du brauchst einfach Ergebnisse, wenn du so eine Art Fußball spielen willst".
Unter Miron Muslic gab es für die Innviertler in zehn Spielen gleich sieben Niederlagen, keinen einzigen Sieg. Nachfolger Andreas Heraf führte die Rieder dann aus der Abstiegszone heraus. Der Klassenerhalt gelang nach Abstiegssorgen mit vier Siegen, vier Remis und nur einer Niederlage in den verbliebenen neun Runden der Saison 20/21 sogar relativ souverän.
Auch in der laufenden Saison geht der Erfolgslauf der Innviertler weiter. Im Cup stehen die Rieder im Achtelfinale, in der Bundesliga steht Rang vier mit nur drei Niederlagen gegen Salzburg, Rapid und zuletzt die WSG Tirol zu Buche.
Als Missverständnis sieht Heinle die Zeit von Miron Muslic als Cheftrainer in Ried nicht an. "Ich würde einfach sagen, dass die Art und Weise wie Miron spielen möchte, vielleicht schwierig in kurzer Zeit reinzubringen ist", sagt Heinle rückblickend auf die kurze Ära Muslic.
"Wenn die Erfolgserlebnisse fehlen, die haben zu Beginn einfach gefehlt, ist es einfach schwierig, dass du das auch dann im Umfeld so manifestierst, dass jeder brutal dahinter steht. Du brauchst einfach Ergebnisse, wenn du so eine Art Fußball spielen willst".
Letzendlich sei Andreas Heraf für Ried zum damaligen Zeitpunkt die beste Wahl gewesen, bilanziert der Oberösterreicher. "Andi Heraf ist von seiner Philosophie einer, der aus einer gesicherten Kompaktheit, aus einem tieferen Block spielen will. Er ist in Standardsituationen überragend gut. Das war sicher zu dem Zeitpunkt, an dem Andi Heraf übernommen hat - das hat man dann an den Ergebnissen gesehen - genau das Richtige, was die Mannschaft gebraucht hat", Nachsatz: "Das heißt aber für mich nicht, dass die Mannschaft nichts anderes als das spielen kann."
Die Beobachtung der unterschiedlichen Arbeitsweisen seiner beiden bisheringen "Chefs" sei laut Heinle "extrem spannend".
Heinle mit eigenen Vorstellungen
"Grundsätzlich ist es so, Miron hat im Training sehr viele Parts selber gemacht. Andi Heraf hat da schon das Trainerteam voll miteingespannt, was ich natürlich sehr positiv finde." Zwar habe sich auch Muslic in der Planung mit dem Trainerteam abgestimmt, "aber Miron hat durch die aktive Spielweise sehr viel Coaching selbst gemacht, was Pressing betrifft. Beim Andi ist das mehr auf mehrere Schultern aufgeteilt. Andi ist extrem akribisch, was Standardsituationen betrifft, wo man extrem viel lernen kann", verrät Heinle, der von beiden Trainern etwas für seine eigene Arbeit mitnehmen konnte.
Wie sieht diese eigentlich aus? Heinle möchte den von Heraf angestoßenen Prozess jedenfalls weiterführen. "Wir haben in den letzten Spielen sehr viele Gegentore bekommen. Das wäre auch mit Andi Heraf voll im Fokus gestanden, dass wir da kompakter werden. Ich werde die Länderspielpause dazu nutzen, dass wir sicher da einiges machen", lässt der Oberösterreicher durchblicken.
Die spontane Natur seiner Beförderung hat natürlich dafür gesorgt, dass der 36-Jährige seine Spielidee noch nicht einfließen lassen konnte, dafür fehlte schlicht die Zeit.
"Ich sage ganz ehrlich, diese zwei Trainingseinheiten, da geht es jetzt schwer, dass ich in alle Spielphasen meine Idee oder die Dinge, die ich zusätzlich haben will, hineinbringe. Aber die Länderspielpause werden wir extrem nutzen und arbeiten."
Fokus Ballbesitz
Ein Problemfeld hat Heinle jedenfalls schon identifiziert: Ballbesitz. In diesem Aspekt gehört die SV Ried zu den Schlusslichtern der Liga. "Ballbesitz alleine heißt ja nichts. Aber aus dem Ballbesitz heraus will ich einfach Torchancen kreieren. Da werden wir sicher auch einen Hebel in den nächsten Wochen ansetzen", sagt der Oberösterreicher, der durchaus auch seine eigenen Ideen vom Fußball hat.
Die erste Aufgabe heißt aber Austria Klagenfurt. Am Samstag empfangen die viertplatzierten Rieder den Tabellennachbarn aus Kärnten. "Klagenfurt ist aus der Kompaktheit heraus extrem stark im Umschaltmoment, da müssen wir schauen, dass wir hellwach sind", gibt Heinle die Marschroute vor.
Ganz unvorbereitet trifft ihn die Cheftrainer-Rolle nicht, immerhin hat der Oberösterreicher schon ingesamt sechs Jahre Erfahrung in dieser sammeln können, wenn auch nur im Amateurbereich.
"Ich kenne alle Abläufe. Was sich ändert, ist die Verantwortung. Es war ja auch vorher so, dass wir alle im Trainingsbetrieb unsere Parts hatten. Jetzt ist der Verantwortungsbereich größer geworden", so Heinle. "Jetzt stehst du einfach vorne, die Anspannung ist positiv gesehen noch um einen Tick größer, wobei ich sagen muss, dass ich nicht einschätzen kann wie es bei einem Bundesligaspiel an der Linie ist."
Ambitionen in der Kurzzeitrolle
Irgendwann wird Heinle aber wohl wieder den Schritt zurück in die zweite Reihe machen müssen, die Mannschaft will der Oberösterreicher im bestmöglichen Zustand an Heraf zurückgeben.
"Was die Entwicklung der Mannschaft betrifft, hoffe ich, dass ich inhaltlich etwas hineinbringen kann, auf das Andi zurückgreifen kann und wir schon einen Schritt weiter sind. Ergebnistechnisch: Natürlich wäre es schön, alles andere wäre nicht ehrlich, ich möchte auch Ergebnisse holen", so Heinle, der mit Blick auf die folgenden Spiele, darunter gegen Sturm Graz, die Wiener Austria und Meister Salzburg aber gleich relatviert.
"Die Auslosung in den nächsten paar Spieltagen ist für uns extrem schwer. Wir können bei einigen Spielen fast nur überraschen, aber wir werden es probieren", gibt sich der Oberösterreicher kämpferisch.
"Das Allerwichtigste wäre mir mal, dass Andi Heraf die paar Wochen sorglos regenerieren kann", sagt Heinle. Das wird Heraf bei entsprechenden Ergebnissen wohl leichter fallen.