Gleiche Punkteausbeute, konträre Gefühlswelt - Red-Bull-Salzburg-Coach Gerhard Struber und dessen Sturm-Graz-Gegenpart Christian Ilzer verarbeiteten das 1:1-Remis im Bundesliga-Spitzenspiel am Freitag (Spielbericht>>>) mit gänzlich unterschiedlichen Emotionen.
Während Struber mit der Punkteteilung schwer haderte, gibt Ilzer nach dem Unentschieden in der Red Bull Arena offen zu: "Wir sind wirklich happy mit dem Punkt."
Diese widersprüchlichen Gemütslagen nach dem Bundesliga-Frühjahrsauftakt haben freilich mit dem Spielverlauf zu tun. Dieser sah eine speziell im ersten Durchgang äußerst dominante Salzburger Mannschaft, die allerdings zahlreiche Chancen liegen ließ, sowie eine effiziente Grazer Mannschaft, die lange brauchte, um in das Spiel zu finden, und schließlich mit der ersten und einzigen Möglichkeit kurz vor Ende doch noch einen Punkt stehlen konnte.
"Haben nicht so gespielt, wie man gegen Salzburg spielen muss"
"Die Pausenführung für Salzburg war hochverdient, wir waren wirklich in allen Belangen unterlegen. Wir haben nicht so gespielt, wie man gegen Salzburg spielen muss. Wir haben zu viele Ballverluste in der eigenen Hälfte produziert, haben viel in die Breite gespielt, haben das Standardspiel nicht kontrollieren können. Wir haben richtig leiden müssen", rekapituliert Ilzer auf der Pressekonferenz nach dem Spiel die erste Halbzeit.
Tatsächlich wirkten die Grazer im ersten Durchgang völlig überrumpelt und servierten diesmal enorm effizient pressenden Mozartstädtern die Kugel immer wieder auf dem Silbertablett, indem sie ein ums andere Mal versuchten, flach aus der eigenen Hälfte herauszukombinieren.
Dazu kam, dass Salzburg quasi bei jedem Corner gefährlich wurde und nach einem ebensolchen auch völlig verdient in Führung ging.
Ilzer reagierte auf diese krasse Unterlegenheit personell, indem er den diesmal zunächst nur auf der Bank sitzenden David Affengruber zur Pause einwechselte. Dies führte zum einen dazu, dass die "Blackies" mehr Lufthoheit beim Verteidigen der unangenehmen Salzburger Standards dazubekamen, zum anderen zu einer Systemumstellung.
Halbzeit-Umstellung bewirkt Wunder
Dimitri Lavalee rückte zum zweiten Durchgang von der Innenverteidigung ins Mittelfeld, wo er gemeinsam mit Jon Gorenc-Stankovic eine Doppelsechs bildete. Sturm tat sich fortan leichter, dem gegnerischen Pressing zu entgehen, und kam gleichzeitig selbst besser ins hohe Anlaufen.
"Wir haben in der Zwischenebene eine bessere Positionierung hinbekommen, haben es geschafft, vertikaler zu spielen. Uns ist es gelungen, den Ball in offensiveren, höheren Zonen festzumachen, dort energievoller zu sein. In der ersten Halbzeit waren wir im Aufbauspiel zu breit, haben Fehlpässe unter Druck gemacht. Das darf man gegen Salzburg nicht machen, das spielt ihnen in die Karten", liefert Ilzer die technische Erklärung, warum es für seine Mannschaft in Halbzeit zwei deutlich besser als in den 45 Minuten davor lief.
"Es ist scheißegal, was du für eine Taktik spielst - wenn du es nicht konsequent durchziehst, ist keine Taktik gut gegen Salzburg."
Etwas greifbarer ist die Analyse von Linksverteidiger David Schnegg: "Das Taktische hat gar nicht so einen Unterschied gemacht, sondern, dass wir nach der Pause viel aggressiver und bissiger in den Zweikämpfen waren. Es ist scheißegal, was du für eine Taktik spielst - wenn du es nicht konsequent durchziehst, ist keine Taktik gut gegen Salzburg."
Egal wie groß die taktische Komponente am Ende tatsächlich war, Fakt ist, dass Sturm in Halbzeit zwei ein deutlich mutigeres Gesicht gezeigt hat und den Punktgewinn alleine aus dem Grund verdient hat, weil es den Grazern gelang, einen vor der Halbzeit schier übermächtig wirkenden Gegner in Durchgang zwei sichtlich aus dem Konzept zu bringen.
"Dafür, wie wir gegen diesen sehr guten Gegner in der zweiten Halbzeit gespielt haben, gebührt meiner Mannschaft Lob", zieht Ilzer den Hut.
Titelrennen? "Je schwieriger, desto lieber ist es uns"
Dieser "sehr gute Gegner" wird es vermutlich auch sein, mit dem sich die Grazer auch heuer um die Meisterschaft matchen werden. Ein aktueller Rückstand von nur zwei Punkten lässt erahnen, dass das Titelrennen diesmal noch knapper werden könnte, als es im Vorjahr (für österreichische Verhältnisse) schon war.
"Wir haben heute sehr gut gesehen, was einen erwartet, wie Salzburg im Frühjahr auftreten wird, was die großen Qualitäten dieser Mannschaft sind", so Ilzer, der vor allem von der neu formierten defensiven Dreierkette der Mozartstädter, dem "Bollwerk" rund um Oumar Solet, Flavius Daniliuc und Strahinja Pavlovic, schwärmt:
"Jeder dieser Spieler hat eine unglaubliche Geschwindigkeit und Dynamik. Das ist in der österreichischen Liga schon ein richtiger Großauftrag. Ich denke, in der deutschen Bundesliga könnten sich einige Mannschaften glücklich schätzen, so eine Mauer hinten stehen zu haben."
Gegenspieler wie die drei genannten seien für sein Team eine "große Herausforderung. Und wir haben gerne eine Herausforderung".
Überhaupt scheut es der 46-Jährige, die finanzielle Übermacht der Mozartstädter für Ausreden zu nutzen. Viel mehr sieht er darin eine Chance:
"Wir haben es heute phasenweise gesehen, welche Stärke Salzburg hat. Sie sind nur eingleisig oder mit Cup zweigleisig unterwegs, haben nahezu zwei Top-Mannschaften im Kader. Das ist schon eine Herausforderung, aber je schwieriger, desto lieber ist es uns."
Slovan Bratislava "alles andere als ein Jausengegner"
Anders als Salzburg ist Sturm noch "dreigleisig" unterwegs, um bei Ilzers Wortwahl zu bleiben; für die Grazer geht es im ersten internationalen Frühjahr seit 23 Jahren am Donnerstag gegen Slovan Bratislava.
Ob eine, aus österreichischer Sicht hoffentlich länger andauernde, Teilnahme an der K.o.-Runde der Europa Conference League negativen Einfluss auf die Titelchancen seiner Mannschaft nehmen kann?
"Ist mir egal. Ich bin sehr froh, dass wir international noch dabei sind", wehrt Ilzer ab. Gleichzeitig muss aber auch er zugeben, dass auf seine Mannschaft mit den bereits absolvierten Spielen gegen die Wiener Austria und Red Bull Salzburg sowie dem Schlager gegen den SK Rapid zwischen den beiden Duellen mit Slovan ein absolutes Monsterprogramm zum Auftakt ins neue Kalenderjahr wartet.
"Es ist ein hochspannendes Auftaktprogramm. Im positiven Sinn ein wahnsinniger Monat für uns. Es kommt das Conference-League-Duell und dazwischen im Sandwich Rapid. Wir haben große Aufgaben vor der Brust, aber wir haben heute gesehen, wir können von der Bank sehr gut reagieren. Wir sind in der Breite gut aufgestellt und werden uns jetzt top auf Donnerstag gegen Slovan Bratislava vorbereiten", blickt der Steirer auf das Duell mit den Slowaken, in welches die Grazer sogar als leichter Favorit gehen.
Der Europacup hört aber selten auf Favoritenrollen und kann manchmal äußerst grausam sein, das musste kaum eine Mannschaft im letzten Jahrzehnt so schmerzlich feststellen wie der SK Sturm. Umso schöner wäre ein Erfolgserlebnis gegen Slovan.
Ein Honigschlecken werden die Duelle mit der abgekochten slowakischen Truppe aber keineswegs, das weiß auch Alexander Prass: "Vielen Leuten ist Slovan Bratislava nicht wirklich ein Begriff, aber wenn man sich mit denen auseinandersetzt, weiß man, dass das eine Topmannschaft ist, dass die absolut Qualität haben und alles andere als ein Jausengegner sind."
Ein Jausengegner ist trotz der vielen internationalen Misserfolge der jüngeren Vergangenheit aber auch der SK Sturm nicht. Und wer eine Mannschaft wie den FC Red Bull Salzburg ein ums andere Mal so sehr in Bedrängnis bringt, muss sich auch vorm slowakischen Tabellenführer nicht fürchten, so viel steht fest.