Am Freitag dockte in Linz ein äußerst spannender junger Mann an: Ebrima Darboe.
Der LASK verpflichtet Top-Talent Ebrima Darboe von der AS Roma>>>
Spannend ist der 22-Jährige nicht nur aufgrund seines fußballerischen Könnens, welches immens sein dürfte, sondern auch aufgrund einer unglaublichen Vita.
Mit nur 14 Jahren verließ der in Gambia, einem der ärmsten Länder der Welt, geborene Neo-LASKler seine Heimat, um sich seinen Traum, Fußballprofi zu werden, zu erfüllen.
Mit 14 alleine nach Europa
"Du bist ein so guter Fußballer, gehe nach Europa und du wirst es schaffen", richtete ihm damals laut "Sky Sport Italia" ein Kumpel aus. Darboe vertraute ihm und brach gemeinsam mit zwei Freunden, einem Fußball und ohne seinen Eltern Bescheid zu geben zu einer Odyssee über 5.000 Kilometer ins Ungewisse auf.
"Der Trip war lange und hart. Aber ich hatte keine andere Wahl, als das Land zu verlassen", erklärte Darboe einst in einem von der UNICEF produzierten Video, in welchem er Jugendspielern der Roma von seiner Lebensgeschichte berichtete und dazu aufrief, alle Flüchtlinge dieser Welt menschlich zu behandeln.
Da er keine Chance auf ein Visum und damit auf eine legale Einreise nach Festland-Europa hatte, setzte er sich einer langen, gefährlichen Reise aus. Über Senegal, Mali, Guinea Bisseau und Niger erreichte er per Bus schließlich Libyen - das afrikanische Schlepperzentrum an der Mittelmeer-Küste.
"Sie haben uns in ein Gefängnis gesteckt, wir bekamen nur einmal am Tag zu essen: Sie gaben uns am Morgen Brot und das war alles. Wir wurden von Leuten mit Waffen bewacht, die diese auf uns richteten, nur um uns Angst zu machen", schildert Darboe die schrecklichen Erinnerungen an Libyen.
Einmal habe einer der Wächter bei einer dieser Einschüchterungsversuche einem Mann versehentlich ins Bein geschossen.
"Wünsche diese Reise nicht einmal meinem schlimmsten Feind"
Noch viel gefährlicher war schließlich die Überfahrt nach Italien auf einem Schlauchboot. Mehr als 25.000 Menschen sind seit 2014 mit der Hoffnung auf ein besseres Leben in der Brust auf diesem Weg im Mittelmeer ertrunken.
"Ich wünsche diese Reise niemandem, nicht einmal meinem schlimmsten Feind."
Darboe überlebte. Ein Rettungsboot griff ihn und seine Mitreisenden auf und schiffte ihn sicher an die Küste Siziliens. Als er dort ankam, wog er nur mehr 50 Kilogramm.
"Ich wünsche diese Reise niemandem, nicht einmal meinem schlimmsten Feind", sagte Darboe einmal in einer Dokumentation des Streaming-Dienstes FIFA+.
Als unbegleiteter Minderjähriger wurde er vom italienischen SPRAR (Schutzsystem für Asylsuchende und Flüchtlinge) zunächst bei einer Pflegefamilie in Catania untergebracht, wenige Monate später bei einer in Rieti.
"In Rieti habe ich mit einem kleinen Team trainiert, Young Rieti. Dann habe ich auf Probe bei Entella (Serie-C-Team Virtus Entella, Anm.) gespielt und sie wollten mich sofort. Am Ende des Probetrainings haben sie mir gesagt, dass ich bei der Roma vorspielen kann", erinnert sich Darboe zurück. Ab diesem Tag begann er doppelt so hart zu trainieren.
Dabei konnte er zunächst gar nicht glauben, dass tatsächlich die große AS Roma an ihm Interesse zeigen würde. Dem "Guardian" verriet er einst: "Ich habe dann gefragt: 'Meinen Sie ein kleines Team aus Rom oder die Roma, die ich aus der Serie A kenne?'"
Gründung einer Fußballakademie in Gambia
Es handelte sich um letztere Mannschaft. Nach nur 15 Minuten Probetraining war man bei den "Giallorossi" vom jungen Gambier überzeugt, man legte ihm einen Vertrag vor. Das war 2017.
Als offizieller Spieler der Roma konnte er aber erst Anfang 2019 registriert werden, da er zuvor keinen Flüchtlingsstatus besaß. Im Juli 2019, kurz nach seinem 18. Geburtstag unterschrieb der fließend Italienisch sprechende Youngster seinen ersten Vertrag in Rom. 80.000 Euro verdiente er nach der Unterzeichnung seines ersten Kontrakts pro Jahr, der Großteil davon floss Richtung seiner in Gambia verbliebenen Familie.
Nach seiner Vertragsverlängerung bei der Roma im Herbst 2021 bis 2026 wuchs Darboes Gehalt auf 400.000 Euro Jahresgage an. Genutzt hat er diese Gehaltserhöhung auch dazu, Kindern seiner Heimat einen ähnlichen Karriereweg wie ihm selbst zu ermöglichen: Durch die Gründung einer Fußballakademie für gambische Jugendliche.
VIDEO: Darboe bringt gambischen Kindern bei einem Heimatbesuch Roma-Fangesänge bei:
Seine Vertragsverlängerung hat sich Darboe vor allem durch seine vielversprechenden Leistungen in der Saison 2020/21 verdient. Bereits im Herbst 2019 schien der damals 18-Jährige erstmals in einem Matchtagskader der Roma auf, bis zu seinem Debüt dauerte es aber noch eineinhalb Jahre.
Beim Auswärtsspiel der "Giallorossi" Anfang Mai 2021 bei Sampdoria wurde der Sechser erstmals vom damaligen Coach Paulo Fonseca eingewechselt - und plötzlich war er für wenige Wochen nicht mehr aus der Römer Mannschaft wegzudenken.
Glanzleistung im Europa-League-Halbfinale
Nur vier Tage nach seinem Debüt in der Serie A traf die Roma im Europa-League-Halbfinale auf Manchester United. Als sich bei einer damals schwer verletzungsgeplagten Römer Mannschaft nach einer halben Stunde auch noch Chris Smalling verletzte, warf Fonseca Darboe in kalte Wasser.
Der zu diesem Zeitpunkt 19-Jährige riss mit seiner Einwechslung das Spiel im zentralen Mittelfeld an sich, dribbelte seine Spitzenklasse-Gegenspieler unbekümmert aus und verteilte Bälle im Stile eines routinierten Sechsers. Mit 3:2 gewann die Roma dieses Rückspiel gegen die "Red Devils" damals, was zwar nicht mehr zum Aufstieg ins Finale reichte (Gesamtscore 5:8), Darboe aber für einige Wochen einen Stammplatz einbrachte.
In den letzten vier Saisonspielen der Roma 2020/21 spielte der lauf- und spielstarke Mittelfeldmann stets von Beginn an, unter anderem beim 2:0-Derby-Sieg über Lazio Rom.
"Sein Mut hat die Mannschaft verändert. Es ist nicht einfach, einen Jungen in seinem Alter mit dieser Aggressivität und Gelassenheit zu finden. Die Roma hat einen großartigen Spieler für die Zukunft", sagte Coach Fonseca nach dem Derby-Sieg über ihn.
"Mourinho hat mir beigebracht, gemein zu sein"
Darboes Pech war damals, dass Fonseca nur kurz darauf den Verein verlassen musste. Ein gewisser Jose Mourinho, der bekanntlich eher ungern auf unerfahrene Youngsters setzt, übernahm anstelle seines portugiesischen Landsmanns.
Unter "The Special One" war Darboe in der Folge nur mehr Ergänzungsspieler. Dennoch gab es zwischenzeitlich sogar Gerüchte, dass Tottenham Hotspur reges Interesse an ihm gehabt haben soll.
Groll hegte Darboe gegenüber Mourinho allerdings keinen - im Gegenteil. Im Jänner 2022, als der mittlerweile 13-fache gambische Teamspieler mit seinen "Scorpions" bei deren erstmaligen Teilnahme am Afrika-Cup überhaupt sensationell das Viertelfinale erreichte, schwärmte er gegenüber dem "Guardian":
"Mourinho hat mir viel bei meiner Charakterentwicklung geholfen. Ich war immer eine gute Person, er hat mir beigebracht, dass du im Fußball nicht nett sein darfst, du musst gemein sein."
Dass das Fußballgeschäft ein hartes sein kann, musste Darboe nur wenig später am eigenen Leib erfahren. Bei einem Testspiel der Saisonvorbereitung 2022/23 zog er sich einen Riss des rechten Kreuzbands zu, daraufhin spielte er in Mourinhos Planungen endgültig keine Rolle mehr.
"Eine Chance ist alles, was du brauchst"
Und hier kommt der LASK ins Spiel. Ähnlich wie bei einem der anderen Sommer-Neuzugängen, Lenny Pintor, schlugen die Linzer in Form von Darboe bei einem Spieler zu, der enormes Potenzial aufweist und ohne einer gewissen Verletzungshistorie wohl niemals in Linz unterschrieben hätte.
Das Risiko solcher Transfers ist zwar vorhanden, wurde von den sportlich Verantwortlichen des LASK rund um Radovan Vujanovic aber gezielt klein gehalten. Pintor wechselte ablösefrei in die Stahlstadt, Darboe kommt per Leihe plus Kaufoption, die laut "Oberösterreichischen Nachrichten" bei nur 1,5 Millionen Euro liegen soll.
In einem Werbevideo für den Spirituosen-Hersteller "African Spirit" zitierte Darboe einmal den legendären Leichtathleten Jesse Owens, der bei den Olympischen Spielen 1936 als Afroamerikaner vor Adolf Hitlers Augen vier Mal Gold gewann: "Eine Chance ist alles, was du brauchst."
Diese Chance hat Darboe schon genutzt, als er es entgegen aller Widrigkeiten von einem Flüchtlingsboot in den europäischen Spitzenfußball schaffte. Linz könnte nun die ideale Gelegenheit für ihn darstellen, sich nachhaltig im internationalen Fußball festzusetzen.
Die Anlagen dafür hat er, sowohl in fußballerischer als auch - noch viel wichtiger - in mentaler Hinsicht.