Wenn man Matthias Jaissle nur von seinen öffentlichen Medienauftritten kennt, würde man gar nicht erahnen, zu welch einem Heißsporn der 33-Jährige an der Seitenlinie mutieren kann.
Der bei Interviews stets ausgeglichen wirkende Deutsche trieb seinen Puls beim Auswärtsremis seines FC Red Bull Salzburg bei der SV Ried (Spielbericht >>>) einmal mehr in den dreistelligen Bereich und legte sich immer wieder mit Schiedsrichter Julian Weinberger an.
Zunächst ärgerte Jaissle sich - wohl zurecht -, dass das Schiedsrichterteam einen Kopfball von Luca Meisl im vollem Umfang hinter der Salzburger Torlinie wähnte und den Riedern früh eine 1:0-Führung zusprach.
Nach Seitenwechsel geriet er mit dem vierten Offiziellen aneinander, da Weinberger die Partie seinem Empfinden nach nicht schnell genug wieder anpfiff und er befürchtete, dass seine Spieler nicht gut genug aufgewärmt in die zweite Hälfte starten würden.
Und schließlich sah der Schwabe kurz vor Schlusspfiff, genauer gesagt nach dem Last-Minute-Treffer der Rieder zum 2:2, der nach einem strittigen Freistoß fiel, seine bereits dritte Gelbe Karte dieser Saison und zog damit mit Dietmar Kühbauer an der Spitze der meist verwarnten Trainer der Bundesliga gleich.
Jaissle: "Wir lamentieren nicht"
Nach Schlusspfiff ist alles vergessen, Jaissle gibt sich im "Sky"-Interview versöhnlich: "Heute ist das eine oder andere Matchglück nicht da gewesen, um die Partie zu gewinnen. Aber wir versuchen, auf uns zu schauen und lamentieren nicht. Wir nehmen den Punkt mit und gehen jetzt mit dem kompletten Fokus auf das Wolfsburg-Spiel."
(Text wird unter VIDEO fortgesetzt)
Grundsätzlich sah der auch nach 21 Pflichtspielen noch ungeschlagene Salzburger Erfolgscoach ein gerechtes Remis. Den heimstarken Riedern spricht er ein Kompliment aus: "Ried hat das richtig gut gemacht und über weite Strecken gut verteidigt. Wir haben nicht ganz so gut in die Partie gefunden, aber haben trotzdem sehr dominant gespielt über weite Strecken. Es war viel von dem zu sehen, was ich mir wünsche. Es kam heute vieles zusammen, wir haben trotzdem den Punkt mitgenommen, also ist alles ok."
Konträr zum Hinspiel zwischen den "Bullen" und den "Wikingern", welches mit 7:1 für die Mozartstädter endete, gestalteten die Innviertler diesmal ein Duell auf Augenhöhe. Bis zur 83. Minute führten sie sogar mit 1:0 durch den angesprochenen umstrittenen Treffer von Luca Meisl.
Strittiges 1:0! "Für mich kein Tor"
Der bei den "Bullen" ausgebildete Innenverteidiger der Rieder brachte nach einer Nutz-Ecke einen Kopfball auf den Salzburger Kasten, den Philipp Köhn eigentlich abwehren konnte. Schiedsrichter Weinberger ließ die Partie zunächst weiterlaufen, ehe Linienrichter Luka Katholnig ihm mitteilte, dass der Ball zur Gänze die Salzburger Torlinie überquert hätte. Der VAR bestätigte die Entscheidung zwar, eine Kameraperspektive, die die Situation zweifellos aufklären würde, fehlte aber genau so wie die Torlinientechnik, die in Österreich noch immer nicht zum Einsatz kommt.
Tendenziell lässt sich in der Nachbetrachtung wohl sagen, dass es sich hierbei um eine Fehlentscheidung von Weinberger, Katholnig und Co. handelte. Das sieht auch Jaissle so. "Es ist für mich kein Tor. Ich vertraue meinem Keeper, wenn er das sagt. Man muss es hinnehmen, der Linienrichter hat es besser gesehen – Hut ab", kann sich der Deutsche einen kleinen Seitenhieb Richtung Katholnig nicht verkneifen.
Im Fortgang der Partie taten sich die Mozartstädter gegen immer tiefer stehende "Wikinger" schwer, klare Torchancen rauszuspielen. "Die ersten 15 Minuten waren nicht gut, dann haben wir uns gut reingekämpft und die Abläufe so gespielt, wie ich mir das vorgestellt habe. Wir sind flach hinter die Kette gekommen, das eine oder andere Mal wurde es richtig brenzlig, aber gegen die Rieder Fünferkette war es gar nicht so einfach, in die Box zu kommen", findet Jaissle.
Erst durch einen von Junior Adamu herausgeholten Elfmeter in Minute 73 wurde es für das Rieder Tor erstmals richtig gefährlich, Rasmus Kristensen vergab vom Punkt allerdings kläglich. Besser machte es Adamu dann selbst, als er in der 83. Minute von Brenden Aaronson halbrechts freigespielt wurde und zu seinem zweiten Pflichtspieltor hintereinander einnetzte. Nur 145 Sekunden später kam Nicolas Seiwald aus ähnlicher Position zum Abschluss, traf allerdings nur die Stange und der zunächst geschonte Noah Okafor drückte die Kugel zum 2:1 über die Linie.
Heinle: "Eine unfassbare Partie!"
Dabei blieb es allerdings nicht, da auch die SV Ried auf ein Jokertor setzen konnte: Der wenige Minuten zuvor eingetauschte Leo Mikic stand in der letzten Minute der Nachspielzeit nach einem Stosic-Freistoß goldrichtig und versetzte die prall gefüllte Josko Arena mit einem wuchtigen Schuss in Ekstase.
"Es war vom Spielverlauf her eine unfassbare Partie", findet ein heiserer Rieder Interimscoach Christian Heinle. Der Vertreter des weiterhin nach einer Stimmbandoperation zum Zuschauen verdammten Andreas Heraf ist "stolz auf meine Mannschaft, weil sie die Wege, die wir herausgearbeitet haben, gut umgesetzt und in der ersten Halbzeit wenig zugelassen haben."
Der 36-Jährige, der die Rieder unter der Woche bereits zu einem überraschenden Cup-Sieg über Sturm Graz im ÖFB-Cup-Achtelfinale geführt hatte, analysiert: "Mit Fortdauer des Spiels konnten wir die Wege nicht mehr ganz so gut schließen, bis dahin war es extrem aufopferungsvoll, es hat die exakt gleiche Mannschaft gespielt wie unter der Woche in Graz. Dann hat man einfach die Qualität von Red Bull Salzburg gesehen. Aber ich bin extrem stolz, nach dem 1:2 nochmal zurückzukommen und in der Nachspielzeit das 2:2 zu machen."
Salzburg trotzdem "ready für Wolfsburg"
Während sich für die Rieder das Remis wie ein Sieg anfühlt, hätten sich die "Bullen", die beinahe in Bestbesetzung antraten, wohl eine etwas positivere Generalprobe für das schwierige Champions-League-Match am Dienstang in Wolfsburg, bei dem bereits der historische Achtelfinaleinzug fixiert werden könnte, erwartet (Dienstag, 18:45 im LIVE-Ticker).
Matthias Jaissle misst dem Remis in der Josko Arena allerdings nicht zu viel Bedeutung bei, immerhin haben die Mozartstädter auch vor dem Hinspiel gegen Wolfsburg nur 1:1 beim SCR Altach gespielt.
"Am Dienstag wird es ein komplett anderes Spiel, dann erwartet uns eine Topmannschaft aus der deutschen Bundesliga, die sicher einen Aufschwung durch den Trainerwechsel durchmachen wird", so der Deutsche. Die Wolfsburger spielten bereits etwas früher am Samstag-Nachmittag und konnten beim Debüt von Neo-Coach Florian Kohfeldt mit einem 2:0-Sieg über Bayer Leverkusen ihre Negativserie beenden.
"Der Erfolg gegen eine Topmannschaft wie Leverkusen spricht für sich, deswegen werden wir dort hinfahren und alles in die Waagschale werfen, damit wir was mitnehmen können", verspricht Jaissle.
Auch der Matchwinner aus dem Hinspiel von vor zwei Wochen, Noah Okafor, ist bereits wieder heiß auf die "Königsklasse": "Ich denke, wir wissen, was auf uns zukommt, und gehen 100% motiviert und mit einem gewissen Selbstvertrauen in dieses Spiel. Wir sind ready!"