Thomas Letsch ist zurück.
Siebeneinhalb Jahre, nachdem ihm klubintern Marco Rose vorgezogen worden war, soll er Red Bull Salzburg als Cheftrainer aus dem Schlamassel führen.
Sein erstes Pflichtspiel führt den 56-jährigen Schwaben am Mittwoch zu niemand Geringerem als Champions-League-Sieger Real Madrid.
Im Interview mit der APA - Austria Presse Agentur sprach Letsch über die Hierarchie in der Mannschaft, seine Entwicklung und darüber, wann er Ralf Rangnick gratulieren würde.
APA: Ihre Aufgabe ist keine einfache. Als Ligafünfter steht Salzburg in der Winterpause so schlecht da wie noch nie in der Red-Bull-Ära. Was stimmt Sie dennoch zuversichtlich?
Letsch: "Es ist eine neue Situation, aber eine reizvolle. In der Vergangenheit war die Punkteteilung oft nicht positiv für Salzburg, diesmal kann sie positiv sein. Wenn wir jetzt cutten würden, hätten wir fünf Punkte Rückstand. Es wäre verheerend, wenn wir da nicht an unsere Chance glauben würden. Es reizt mich, dass es eine schwierige Situation ist, in der es gilt, die Kurve zu kriegen. Wir wollen Feuer reinkriegen, ein bisschen höher und aktiver gegen den Ball spielen - das, wofür Red Bull Salzburg in der Vergangenheit schon stand."
APA: Sehr hoch wurde mitunter auch unter Ihrem Vorgänger Pepijn Lijnders verteidigt. Dafür war dann oft die Abwehrreihe exponiert. Wie viel muss man im Fußball riskieren, um erfolgreich zu sein?
Letsch: "Ich würde es nicht als Risiko bezeichnen. Ich will keinen Fußball spielen lassen, nur weil er schön oder attraktiv ist, sondern weil ich davon überzeugt bin, dass es der effektivste Weg ist. Es gehört immer eine Balance dazu. Es macht keinen Sinn, Harakiri zu spielen. Wir wollen hohe Ballgewinne erzielen. Wenn das nicht geht, stehen wir aber auch einmal tiefer. Wichtig ist, dass der Block immer zusammen ist."
APA: In den Testspielen haben Sie mit einem 4-2-2-2 agiert. Bleiben Sie dabei? Ist das das bestmögliche System für diese Mannschaft?
Letsch: "Es ist eine Option. Fakt ist, wir haben sehr viele Offensivspieler. Wir haben eine Dreierkette diskutiert, aber ich tue mir schwer, einen weiteren zentralen Abwehrspieler reinzutun und dafür einen Offensiven zu opfern. Es spricht viel dafür, dass wir in einer 4-4-2-Grundordnung spielen - wie auch immer die Anordnung im Mittelfeld dann genau ist. Wir haben auch wenig Zeit. Die Spiele gegen Real Madrid und Atletico stehen unmittelbar bevor und sind keine Testspiele."
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Red Bull im Fußball: Eine Erfolgsgeschichte
APA: Welche Bedeutung messen Sie den beiden Champions-League-Partien bei? Die Aufstiegschance ist nur noch theoretischer Natur.
Letsch: "Wir wollen die Spiele nutzen. Es wäre verheerend, wenn wir nach Madrid fahren und sagen: 'Wir schauen einmal.' Wir fahren da nicht hin, um eine schöne Reise ins Bernabeu zu machen. Wir wollen uns bestmöglich präsentieren und im Idealfall ein gutes Ergebnis holen. Mir ist wichtig, dass jeder sieht: Das ist Champions League. Das ist das, wo wir nächste Saison wieder hinwollen. Dass diese beiden Spiele extrem herausfordernd sind, weiß aber jeder, der sich auch nur ein wenig mit Fußball beschäftigt."
APA: Die Mannschaft war im Herbst die mit Abstand jüngste in der Champions League. Vom Weg der bedingungslosen Jugend ist man inzwischen ein wenig abgekommen. Wie viel Erfahrung ist notwendig, um die Ziele - Sie haben von Meistertitel und Cupsieg gesprochen - zu erreichen?
Letsch: "Es geht immer um eine gesunde Mischung. Und es kommt letztlich auf gut oder schlecht an, nicht auf jung oder alt. Wir haben eine sehr junge Mannschaft, das wird sich auch nicht kurzfristig ändern. Ich bin aber froh, dass wir mit Karim Onisiwo jemanden dazubekommen haben, der schon ein bisschen was erlebt hat und uns mit seiner Art sicherlich guttut. Sollte noch jemand kommen, wird es wahrscheinlich auch kein 18-Jähriger sein."
APA: Das Transferfenster läuft noch bis 6. Februar. Was wären Ihre Wünsche?
Letsch: "Ich bin mit dem Kader, so wie er ist, zufrieden. Wenn wir etwas machen, muss es ein Spieler sein, der uns sofort besser macht, der potenziell Stammspieler ist. So einen im Winter zu finden, ist nicht so einfach. Rouven Schröder und ich sind uns einig: Aktionismus werden wir nicht betreiben. Lieber machen wir nichts, als dass wir etwas machen, das uns vielleicht die Zukunft blockiert. Wenn am 6. Februar der Richtige kommt, gut. Wenn es erst am 1. Juni ist, wenn das nächste Transferfenster aufgeht, ist es auch in Ordnung."
APA: Sport-Geschäftsführer Schröder ist nicht viel länger in Salzburg als Sie. Was sind seine großen Stärken?
Letsch: "Wir kennen uns schon lange. Er ist mir immer dadurch aufgefallen, dass er eine klare Meinung hat, dass er auch nicht davor zurückschreckt, Entscheidungen zu treffen. Das schätze ich einfach. Ich glaube, dass er dem Klub aktuell sehr guttut."
APA: Wie würden Sie die Hierarchie in der Mannschaft bewerten? Und wer wird Ihr Kapitän?
Letsch: "Hierarchie sollte es in einer Fußballmannschaft geben. In einer sehr jungen Mannschaft mit vielen Spielern aus der ganzen Welt ist es etwas schwieriger. Alex Schlager und Janis Blaswich haben aufgrund ihres Alters eine gewisse Führungsrolle. Kleiner Nachteil: Sie spielen auf einer ähnlichen Position. Mit Nico Capaldo, Amar Dedic oder Mads Bidstrup gibt es schon ein paar Spieler, die Verantwortung übernehmen sollen. Wer Kapitän sein wird, hat noch ein bisschen Zeit. Vielleicht fixiere ich das erst nach den Champions-League-Spielen."
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APA: 2017 ist Ihnen in Salzburg Marco Rose als Cheftrainer vorgezogen worden. Hat das möglicherweise auch etwas Gutes gehabt, fühlen Sie sich noch besser vorbereitet für die Aufgabe als damals?
Letsch: "Es ist kein Geheimnis: 2017 hätte ich auch gerne den Job gemacht. Der FC Red Bull Salzburg hat sich damals für Marco entschieden, was letztlich keine ganz so schlechte Entscheidung war. Ich habe nie einen Groll gehegt, aber ich wollte auch weiterkommen und habe etwas Neues versucht. Ich bin dann eben einen anderen Weg gegangen. Ich glaube schon, dass ich jetzt ein deutlich anderer und besserer Trainer bin."
APA: Inwiefern hat Sie das Jahr 2018/19 bei der Wiener Austria geprägt, als Sie als Tabellendritter gehen mussten?
Letsch: "Es war eine spezielle Zeit damals mit dem neuen Stadion. Da hat man vielleicht gedacht: Jetzt kommt Euphorie und wir gehen an die Großen ran. Aber damals waren Salzburg mit Marco und auch der LASK mit Oliver Glasner noch ein Level drüber. Wir waren 'best of the rest'. Viele Sachen haben noch nicht so gegriffen, aber es war eine wichtige Station. Ich mag den Verein. Ich habe einiges mitgenommen - Positives, aber auch Dinge, die ich anders machen kann."
APA: Welche Inputs erwarten Sie sich von Jürgen Klopp, dem neuen globalen Fußball-Chef von Red Bull?
Letsch: "Ich erwarte mir eigentlich nichts Konkretes. Ich freue mich auf den Austausch mit ihm und bin offen. Jürgen Klopp ist eine absolute Ikone, eine Lichtgestalt. Wenn man sich mit ihm austauscht, kann man immer etwas aufsaugen. Ich glaube aber nicht, dass er einen Einfluss auf die tägliche Arbeit haben wird."
APA: Einer seiner Vorgänger, Ralf Rangnick, hat Sie 2012 als Nachwuchsleiter nach Salzburg geholt. Ihre Familie ist seither hier sesshaft geworden. Welche Rolle spielt er für Sie?
Letsch: "Klar haben wir immer wieder Kontakt, wir haben uns ein paar Mal hin und her geschrieben. Es ist nicht so, dass wir im ständigen Austausch sind. Er hat mir eine WhatsApp mit Glückwünschen zum neuen Job geschickt. Ich werde ihm dann gratulieren, wenn er mit Österreich die Weltmeisterschaft gewonnen hat."