„Ja, es ist ein Risiko“, sagt Vorstand Markus Kraetschmer.
Die Wiener Austria begibt sich mit der Bestellung von Thomas Letsch als neuen Cheftrainer bis zum Sommer tatsächlich in eine schwierige Lage. Aber auch der Neo-Coach selbst nimmt ein großes Risiko.
Sieben Monate nachdem die Veilchen mit dem Anspruch, um den Meistertitel mitspielen zu wollen, in die neue Saison gegangen sind, wird das Erreichen eines Europacup-Startplatzes als „Riesenerfolg“ bezeichnet.
Spitzenreiter RB Salzburg hat in den bisherigen 24 Runden mehr als doppelt soviele Punkte gesammelt wie der Hauptstadt-Klub, der Rückstand auf den viertplatzierten Stadtrivalen SK Rapid beträgt schon zwölf Punkte. Aktuell scheint die Rückkehr in die umgebaute Generali-Arena mehr mit Depression denn mit Euphorie verbunden.
In dieser verzwickten Lage soll Letsch nicht nur den ergebnistechnischen Turnaround schaffen, nein, er soll auch einen Spielstil implementieren, der die Herzen der Fans zurückerobert, der das anspruchsvolle Publikum der Veilchen zufriedenstellt. Vorlaufzeit bleibt ihm praktisch keine, am Dienstag-Nachmittag leitete er das erste ernsthafte Training, am Samstag kommt der Vorletzte WAC und könnte mit einem Sieg im Happel-Stadion den Rückstand auf den FAK auf vier Punkte verkürzen.
Dass sich die Verantwortlichen der Veilchen nun ein kleines Wunder erhoffen müssen, haben sie sich selbst zuzuschreiben. In den vergangenen zweieinhalb Jahren unter Thorsten Fink stand der Verein für einen Fußball, für den er eigentlich nicht stehen will. Fink hat der Austria einen Spielstil auferlegt, nicht umgekehrt.
Während es bei hochprofessionell arbeitenden Klubs mittlerweile selbstverständlich ist, eine Spielphilosophie zu verfolgen und anhand dieser Trainer und Spieler zu engagieren, scheint die Austria recht konzeptlos an die sportliche Ausrichtung heranzugehen. Nur so ist es zu erklären, dass beim FAK nun das Kunststück gelingen soll, einen Stilbruch ansatzlos erfolgreich zu gestalten.
Insofern hat Kraetschmer Recht, wenn er von Risiko spricht. Riskant ist in diesem Zusammenhang aber nicht gleich mutig. Denn die Austria verpflichtete Letsch vorerst praktisch nur auf Probe. Sollte dem 49-Jährigen der Spagat nicht gelingen, ist er nach zwölf Spielen schon wieder Geschichte.
Parallel wird weiterhin mit Kandidaten für den Sommer gesprochen. Wenngleich Sportdirektor Franz Wohlfahrt erklärt: „Wir vergessen nicht, wenn uns jemand entgegenkommt. Die kurzfristige Entscheidung von Letsch, dieses Risiko einzugehen, ist nicht selbstverständlich für uns. Man kann davon ausgehen, dass er mit Sicherheit unser erster Ansprechpartner sein wird bezüglich einer längeren Zusammenarbeit.“
Eine endgültige Entscheidung ist aber nicht vor Saisonende zu erwarten – erst dann ist klar, ob Letsch bleibt oder ein neuer Mann, der eventuell wieder einen neuen Spielstil mitbringt, kommt. Die Kaderplanung für die kommende Saison muss freilich schon lange davor begonnen werden. Wäre der Spielstil unabhängig vom Trainer, kein Problem. Unter den aktuellen Umständen aber durchaus eine Herausforderung für Wohlfahrt.
Er selbst sagt dazu: „Bei den Gesprächen, die ich über den Kader führe, wird der Trainer sicher dabei sein. Sollte es auch so sein, dass sich die Wege vielleicht trennen, gibt es eine geballte Ladung an Kompetenz, die ich in die Planung natürlich mitnehme.“
Doch es ist nicht nur die Austria, die sich (notgedrungen) auf ein Risiko einlässt. Auch Letsch riskiert mit seinem Engagement beim FAK etwas. Und in diesem Zusammenhang ist durchaus von Mut zu sprechen. Nach dem missglückten Intermezzo in Aue hat der Deutsche seinen eigentlich noch bis Sommer 2020 laufenden, mutmaßlich gut dotierten, Vertrag aufgelöst, um eventuell nur für zwölf Spiele bei der Austria im Amt zu sein.
„Ich sehe es überhaupt nicht als Risiko, ich sehe es als reine Chance. Ich freue mich auf diese Aufgabe. Ich bin davon überzeugt, dass hier ein großes Potenzial ist und freue mich darauf, dieses wieder zu erwecken. Ich sehe 0,0 Risiko! Ich weiß, dass das teilweise so gesehen wird, dass ich da kurz einspringe. Aber alles in allem sind es zwölf Spiele. Das ist eine Zeit, in der man viel bewegen kann“, meint er.
Doch auch ihm wird bewusst sein, dass die Station Austria Wien eine sehr entscheidende in seiner Karriere ist. Sollte die Zeit bei den Veilchen ebenso wie jene in Aue schiefgehen, könnte er seine Trainerkarriere wohl nur schwer wieder in Schwung bringen.
Nicht zuletzt deshalb ist damit zu rechnen, dass Letsch zunächst Pragmatismus walten lassen wird. Ergebnisse sind letztlich das bessere Argument als attraktives Spiel. Der Schwabe hat aus seiner Zeit im Erzgebirge gelernt, kurzfristig und stur eine Mannschaft komplett auf links zu drehen, funktioniert nur selten und noch seltener, wenn man auf Gegenpressing, Spiel in die Tiefe und schnelles Umschaltspiel setzt.