news

Artetas Arsenal: Die Manifestation des ewigen "Vize"?

Die "Gunners" zählen wieder zur europäischen Spitze. Vor dem CL-Kracher gegen Real Madrid steht auch die "Legacy" des Erfolgstrainers auf dem Prüfstand.

Artetas Arsenal: Die Manifestation des ewigen Foto: © getty

Als Mikel Arteta den FC Arsenal im Dezember 2019 übernahm, war der Verein auf Rang elf in der Premier League abgerutscht.

Vorgänger Unai Emery war gescheitert, stattdessen sollte dessen unerfahrener Landsmann das schier unmögliche Erbe von Trainer-Ikone Arsene Wenger antreten. Und obwohl das Projekt eine Zeit lang zum Scheitern verurteilt schien, hielt Arsenal an Arteta fest und wurde schließlich dafür belohnt.

Über fünf Jahre später sind die "Gunners" endgültig wieder im Konzert der Großen angekommen, dort, wo man in der langen Wenger-Ära stets fast selbstverständlich mitgespielt hat. Zum zweiten Mal in Folge schafften es die Londoner in das Viertelfinale der Champions League und treffen nun auf Real Madrid (ab 21 Uhr im LIVE-Ticker).

Die Krönung der bemerkenswerten Erfolgsgeschichte bleibt aber weiterhin aus. Kurz vor der Ziellinie scheint das Modell Arteta plötzlich etwas zu stagnieren. Woran liegt das, was fehlt Arsenal noch zu einem Titelgewinn und wie stehen die Chancen gegen Branchenprimus Real Madrid? LAOLA1 analysiert:

Der ewige "Vize"?

Die Endplatzierungen in der Premier League lesen sich in der Arteta-Ära wie folgt: acht, acht, fünf, zwei, zwei und in diesem Jahr vermutlich erneut Platz zwei.

Der Aufstieg sowie die Konstanz unter Arteta sind bemerkenswert. Mit dem Erfolg wächst mittlerweile aber auch die Erwartungshaltung am Trainer und der Mannschaft.

In der Saison 2022/23 führte Arsenal vom dritten bis zum 32. Spieltag die Tabelle an und wurde am Ende noch von Manchester City abgefangen. Die überraschende Titel-Challenge wurde dennoch als großer Erfolg gefeiert. Im Jahr darauf konnte der Status als erster City-Verfolger bestätigt werden, das Team wirkte deutlich reifer und rückte ein weiteres Stück näher an die scheinbar unschlagbare Guardiola-Maschinerie heran.

In der laufenden Spielzeit schwächelte ManCity plötzlich. Die "Gunners" rochen ihre Chance, konnten sie jedoch nicht ergreifen. Es macht sich erstmals Ernüchterung breit im Norden Londons. Der zuvor fast unaufhaltsame Aufwärtstrend wurde jäh gestoppt, die stets optimistischen Stimmen aus dem Fanlager durch etwas besorgte ersetzt.

Zum ersten Mal seit langer Zeit sieht sich Arteta wieder Kritik ausgesetzt, die an mehreren Punkten festzumachen ist:

Große Spiele und der berühmte "Killerinstinkt"

Dass sich Arsenal unter Arteta in fast allen Bereichen verbessern konnte, ist unumstritten. Dennoch fehlt es in entscheidenden Spielen oft an der letzten notwendigen Durchschlagskraft.

Während Manchester City und heuer der FC Liverpool im Titelkampf unerbittlich agieren und enge Partien mit eiskalter Effizienz in Siege ummünzen können, tut sich Arsenal schwer, auch an schlechten Tagen zu vollen Punktgewinnen zu kommen.

Besonders auffallend ist, dass die Mannschaft oft die Spielkontrolle verliert, sobald das Momentum gegen sie ausschlägt. Fehler, Verletzungen oder Gegentore kann die Arteta-Elf nicht so gut wegstecken, wie es die Spielsituation manchmal erfordert.

Vor allem in den direkten Duellen gegen City, aber auch gegen andere Topteams, hatte Arsenal in den Vorjahren überwiegend das Nachsehen. In dieser Saison gelangen aus acht Spielen gegen die aktuellen Top sechs der Premier League drei Siege, vier Unentschieden und eine Niederlage – das ist zu wenig.

Will man das beste Team eines Wettbewerbs sein, müssen in Zukunft mehr dieser Topspiele gewonnen werden.

Kaum Rotation trifft auf mangelnde Kaderbreite

Der dichte Spielplan zieht für Profis heutzutage eine unglaubliche Belastung mit sich. Während Sportmediziner, Trainer und Spieler vermehrt Alarm schlagen, häufen sich die Verletzungen. Auch Arsenal musste in dieser Saison einige Ausfälle kompensieren.

Eine Teilschuld am Verletzungspech wird in den britischen Medien auch bei Arteta gesehen. Sowohl "BBC Sport" als auch "ESPN" urteilen, dass der Coach zu wenig rotiert und zu stark auf sein Stammpersonal setzt. Als Folge wirkten gerade Schlüsselspieler wie Ödegaard, Rice und Gabriel in der Crunch-Time der Saison teilweise überspielt. 

Der 24-Mann-Kader ist gemeinsam mit jenen von Nottingham Forest und Aston Villa der kleinste in der Premier League. Arteta bevorzugt einen kompakten Spielerstamm und fährt damit in der Regel ganz gut.

Arteta verlangt viel von seinen Schützlingen
Foto: © getty

Fakt ist nämlich auch, dass Arsenal ohne Kapitän Martin Ödegaard im Herbst zwei seiner drei Ligaspiele verlor und ohne Bukayo Saka im Februar drei Mal in Folge sieglos blieb. Diese beiden Schwächephasen kosteten den "Gunners" wohl die Meisterschaft.

In den vergangenen drei Jahren schien Arsenal also die Ausfälle der Topstars weniger gut auffangen zu können als der jeweilige Titelkonkurrent. Artetas Positions- und Aufbauspiel ist sowohl körperlich als auch taktisch äußerst intensiv und auf die Stärken der einzelnen Stars abgestimmt.

Sind alle verfügbar, ist Arsenal sehr schwer zu schlagen. Fallen eine oder zwei Stützen weg, gerät das Rad ins Stocken.

Fehlt es am "Sieger-Gen"?

Mit Blick auf das Duell gegen Real Madrid lässt sich durchaus die Behauptung aufstellen, dass beide Mannschaften rein sportlich auf einem Level agieren. Allen voran die Defensive der "Gunners" ist über jeden Zweifel erhaben, dazu kommen zwei Mittelfeldspieler von Weltklasse-Format mit Declan Rice und Martin Ödegaard, sowie mit dem wieder genesenen Bukayo Saka einer der besten Flügelspieler der Welt.

Dennoch ist die Favoritenrolle klar verteilt. Auch wenn Real im Moment schwächelt, werden sich wohl nur risikofreudige "Zocker" auf eine Wette gegen den Rekordsieger der Champions League einlassen.

Arsenals Nachteile werden besonders in der fehlenden Reife und Vertrautheit mit großen Momenten deutlich. Unter Arteta ist die Ausbeute in den beiden englischen Pokalbewerben erschreckend: Gleich im ersten Jahr unter dem Spanier gewann man den FA Cup, seither musste man stets früh die Segel streichen.

Sobald es um etwas geht, wirken die Mannschaft und Arteta selbst oft gehemmt. Es mangelt nicht am unbedingten Siegeswillen, sondern an der finalen Umsetzung. Natürlich kommt dieses "Sieger-Gen" nicht von ungefähr. Arteta hat es bislang aber noch nicht geschafft, diese Barriere zu durchbrechen. 

Die Sache mit der Emotionalität

Zu guter Letzt stürzen sich vor allem rivalisierende Fans oft auf Artetas leidenschaftliches Auftreten an der Seitenlinie und machen eine Art "emotionaler Übersteuerung" beim Coach und der Arsenal-Mannschaft aus.

Der 43-Jährige polarisiert, lebt jedes Spiel am Spielfeldrand laut gestikulierend und enthusiastisch mit und überträgt dieses Gefühl auf die Spieler am Platz.

Das mag in Schlüsselspielen und Derbys zum Erfolg führen, erweckt aber bei derselben Praxis gegen Bournemouth oder Leicester einen Eindruck von Überdramatisierung und fehlender Reife.

Arsenal-Legende Thierry Henry brachte es schon im Frühjahr 2023, als die "Gunners" ihren Vorsprung auf ManCity leichtfertig verspielten, auf den Punkt: "Du gewinnst keine Meisterschaft mit reiner Emotion. Natürlich sind Emotionen wichtig, aber das ist einfach zu viel. Sie müssen ruhig bleiben", urteilte er.

Artetas Verhalten an der Seitenlinie ist ein zweischneidiges Schwert. Auch zwei Jahre nach Henrys Aussage ist die hohe Emotionalität weiterhin ein Thema in den Medien. So besteht immer die Gefahr, dass sich Hektik und Nervosität vor allem in engen Spielen negativ auf das Team auswirken.

Fazit:

Nach dem Scheitern in der Liga birgt das Duell gegen Real Madrid für Arsenal die ultimative Chance, dem großen Traum von einem Titel doch wieder ein Stück näher zu kommen als noch in der Vorsaison.

Tatsächlich werden einige der besprochenen Kritikpunkte gegen Real zum Ausdruck kommen und auf eine teils völlig konkurrierende Philosophie auf Seite der Madrilenen treffen:

Das ultra-strukturierte und intensive Positions- und Aufbauspiel im Gegensatz zu Ancelottis leichtem "laissez-faire"-Stil, die hohe Emotionalität im Gegensatz zu einer in Europa unerreichten Ruhe und Selbstverständlichkeit, der Status als titellose Mannschaft im Gegensatz zur erfolgreichsten Dynastie der Champions-League-Geschichte - All diese Ausprägungen lassen auf ein hochspannendes K.o.-Duell in der Königsklasse hoffen. 

Bei Arsenal wird man auch im Falle eines Ausscheidens weiter an Arteta und dessen Vision festhalten. Die Frage ist nur, wie oft ein "beinahe" bzw. "knapp geschlagen" noch passieren darf, ehe der Glaube an diesen letzten großen Schritt verloren geht.


Wechsel an der Spitze! Das Power Ranking zur Königsklasse



Kommentare