Der Fußball ist in Mailand ein Kulturgut und allgegenwärtig. Das ist in aller Regel so und in der gegenwärtigen Phase ganz besonders.
Während bei der AC Milan nach der Entlassung von Klub-Legende Paolo Maldini, der seit 2018 als Technischer Direktor engagiert war, die Wogen hochgehen, herrscht bei Stadtrivale Inter große Vorfreude auf das anstehende Champions-League-Finale (Samstag, ab 21 Uhr im LIVE-Ticker bei LAOLA1).
Einen Bezug zu beiden Klubs hat bisweilen auch ÖFB-Star Marko Arnautovic. Während aktuell Gerüchte um einen Wechsel zu den "Rossoneri" kursieren, hat der 34-Jährige auch eine Vergangenheit beim Stadtrivalen.
Die wertvollsten Spieler im Champions-League-Finale
Als Arnautovic die Champions League "gewann"
In der Saison 2009/2010 kickte Arnautovic für die "Nerazzurri", wo ihm der große Durchbruch aber verwehrt blieb. Dennoch gehörte er dem CL-Kader jener Truppe von Jose Mourinho an, die in dieser Saison die Königsklasse gewann. Zwar kam er nie zum Einsatz, stand nur zwei Mal im Kader - trotzdem darf er sich Champions-League-Sieger nennen.
Es sollte das letzte CL-Endspiel für Inter für insgesamt 13 Jahre sein. Am Samstag könnte man sich zum dritten Mal den Henkelpott sichern.
Im Finale wartet mit Manchester City allerdings der neue, alte englische Meister. Die Elf von Pep Guardiola drehte in der Rückrunde so richtig auf und ist für zahlreiche Experten nicht zu Unrecht das aktuell beste Team Europas.
Dennoch: Auch Inter befindet sich seit rund zwei Monaten in einer Hochphase und gewann sieben seiner acht letzten Ligaspiele, dazu wurde im Halbfinale der Königsklasse der Stadtrivale aus dem Bewerb gekegelt.
Einer, der den Klub bestens kennt, ist Fulvio Pea. Der 55-Jährige war insgesamt vier Jahre für die "Nerazzurri" tätig, zunächst im Nachwuchs (1999-2001) und in der Mourinho-Ära als Trainer der Primavera (2009-2011).
Die Primavera ist in Italien in etwa das, was in Österreich die Zweitvertretungen der Bundesligisten sind, also die letzte Stufe vor dem Sprung aufs große Parkett. Allerdings mit dem Unterschied, dass es sich um eine reine U19-Nachwuchsmeisterschaft handelt.
Heute arbeitet Pea als Technischer Direktor des albanischen Fußballverbands und verantwortet dort einen breiten Aufgabenbereich, von den Nationalteams der Männer und Frauen, über Jugend bis hin zum Scouting.
LAOLA1 hat bei Pea zu seinen Erfahrungen bei den "Nerazzurri" nachgefragt.
Inter: (Kein) Vergleich zu 2010
Zu jener Zeit befand sich der Fußball in Italien, wie auch aktuell, im Aufschwung. Trotz der derzeitigen Erfolge befinde sich die Serie A im Vergleich mit anderen Ligen, wie etwa der Premier League, nicht auf Augenhöhe.
"In den europäischen Wettbewerben läuft es sehr gut, aber wirtschaftlich können sie (die italienischen Vereine, Anm.) mit Mannschaften wie Real Madrid oder Manchester City nicht mithalten", meint Pea.
Die Zeit von damals ist mit der Gegenwart finanziell tatsächlich kaum vergleichbar, der Fußball ist seither nochmals in exorbitantem Ausmaß gewachsen. So hat der Kader von Manchester City gemäß "Transfermarkt" aktuell einen Gesamtwert von über einer Milliarde (!) Euro. Jener von Inter bewegt sich immerhin auch im Bereich jenseits der 500 Millionen. Die wertvollsten Spieler im Champions-League-Finale >>>
Zum Vergleich: Die Finalisten von 2010 - Inter duellierte sich im Endspiel mit Bayern München - kamen damals auf rund 395 (Inter) bzw. 280 Millionen (Bayern).
In Summe haben die beiden Final-Kader heute einen Wert von knapp 1,6 Milliarden, vor 13 Jahren war es fast eine Milliarde weniger.
Serie A: Nur nicht nochmals blenden lassen
Die Entwicklung im "Calcio Italia" geriet damals ins Stocken, zu viele Klubs ließen sich von den Erfolgen zu jener Zeit blenden. In der jüngeren Vergangenheit hielt der modernde Fußball spät, aber doch Einzug in Österreichs südlichem Nachbarland.
Den damals aufgebauten Rückstand aufzuholen, wird aber noch Zeit benötigen. Derzeit ist man auf dem Weg, dies in absehbarer Zeit zu schaffen - so man sich nicht erneut von den aktuellen Erfolgen blenden lässt.
Zurück ins Jahr 2010, als Pea bei der Inter-Primavera an der Seitenlinie stand. Die "Nerazzurri" sicherten sich damals das Triple - also nicht nur die Champions-League-Trophäe, sondern auch die italienische Meisterschaft sowie die Coppa Italia.
"Es waren sehr wichtige Jahre für diesen Verein. In jenen Jahren war die Mannschaft taktisch und technisch sehr stark", blickt Pea auf diese Phase zurück.
Auch in seinem U19-Kader standen damals einige namhafte Akteure, die heute Leistungsträger in der Serie A sind.
Darunter Cristiano Biraghi, der Fiorentina als Kapitän ins Conference-League-Finale führte, der spätere Nationalspieler Mattia Destro (heute beim FC Empoli) und Luca Caldirola, heute Abwehrchef bei der AC Monza.
So sehr man wirtschaftlich und sportlich noch Aufholbedarf hat, ist für Pea nichtsdestotrotz klar, dass "jeder weiß, dass Inter ein sehr berühmter Verein in Italien und auch in Europa ist."
Der Fußball in Italien sei nach wie vor "sehr faszinierend" und ziehe die Aufmerksamkeit vieler Spieler auf sich. Tatsächlich hat sich die Dichte an Top-Spielern in Italien in den letzten Jahren deutlich erhöht. Gleichzeitig suchen sie, wenn sie ihren Durchbruch am Stiefel geschafft haben, längst nicht mehr so schnell das Weite als noch vor einiger Zeit.
Das zeigt beispielsweise auch die Vertragsverlängerung von Milans Top-Star Rafael Leao, dem Avancen aus halb Europa, darunter von Paris Saint-Germain und Real Madrid, gemacht worden sein sollen.
"Als er bei uns gespielt hat, hat er wirklich in jeder Hinsicht den Unterschied ausgemacht. Er war einer der Besten, die Qualitäten, die er hatte, waren außergewöhnlich."
Pea: Arnautovic "war einer der Besten"
In seiner Zeit bei Inter betreute Pea zeitweilig auch Arnautovic, der unter ihm sein einziges Tor im Trikot der Blau-Schwarzen erzielte - ausgerechnet im "Junioren-Derby" gegen die AC Milan.
"Als er bei uns gespielt hat, hat er wirklich in jeder Hinsicht den Unterschied ausgemacht. Er war einer der Besten", schwärmt der Italiener noch heute von "Arnie". "Die Qualitäten, die er hatte, waren außergewöhnlich", so Pea weiter.
Dennoch konnte sich der ÖFB-Star damals nicht durchsetzen. Dies soll auch an Arnautovics Berufsauffassung zu dieser Zeit gelegen haben. Zahlreiche Geschichten machten damals die Runde, der heute 34-Jährige soll sein Leben in Mailand in vollen Zügen genossen haben.
"Damals war ich ein Jugendlicher im Vergnügungspark" sagte der gebürtige Wiener einst selbst gegenüber dem "Kurier". "Jeden Tag war ich glücklich, die großen Spieler an meiner Seite zu sehen, aber für mich war das Ausgehen wichtiger: Das Leben außerhalb des Spielfelds, die Autos, alles abseits vom Fußball", so der ÖFB-Teamstürmer über sein Inter-Abenteuer.
Pea sieht aber auch andere Gründe dafür, dass Arnautovic die große Bühne damals verwehrt blieb. "Damals war er Teil eines Vereins mit einem sehr guten Kader. Er war noch jung und neben diesen großartigen Spielern ist er nicht besonders aufgefallen", führt er auch andere Umstände ins Treffen.
Trotzdem sei die Zeit bei Inter für Arnautovic von heute eine wertvolle gewesen. "Ich denke, die Erfahrungen, die er dort gemacht hat, haben ihn zunächst als Charakter und folglich auch als Spieler reifen lassen", schildert Pea seine Eindrücke.
Warum "Arnie" perfekt zu Milan passen würde
Arnautovics unkonventioneller und unangepasster Art konnte der 55-Jährige aber schon damals etwas abgewinnen. "Die Art und Weise, wie er seine Fähigkeiten zeigte, führte zwar zu einigen Konflikten mit den Trainern auf dem Platz, aber sein Charakter ist seine größte Stärke", merkt Pea an.
Er beschreibt den heutigen Bologna-Kicker als sehr entschlossen. "Das hat ihm immer geholfen, auf dem Spielfeld Lösungen zu finden", so der Italiener.
Entschlossen scheint Arnautovic auch zu sein, seinen derzeitigen Arbeitgeber zu verlassen. Die Gerüchte um einen Transfer zu Milan halten sich hartnäckig, wenngleich ein Wechsel nach der Entlassung von Maldini wieder etwas unwahrscheinlicher geworden zu sein scheint.
Ein Transfer zu einem Top-Klub käme für Arnautovic jedenfalls zur richtigen Zeit, meint Pea. "Ich denke, es wäre der richtige Zeitpunkt für ihn, zu einem großen Verein wie Milan zu kommen. Wenn ich ihn als Spieler und auch als Mensch betrachte, ist er bereits gereift und hat sich sehr weiterentwickelt", urteilt er.
Zwar steht nach dem Maldini-Aus auch die Zukunft von Trainer Stefano Pioli in Schwebe, laut Pea wäre der Meistercoach der Vorsaison aber der richtige Lehrmeister für Arnautovic.
"Pioli ist nicht nur ein guter Trainer, er ist auch ein großartiger Mensch. Er weiß, wie er das Beste aus Marko herausholen kann, damit er zeigen kann, was für ein toller Spieler er ist", sagt der 55-Jährige.
"Arnie" und Zlatan: Viele Parallelen
Arnautovic soll bei Milan Zlatan Ibrahimovic ersetzen, der seine Karriere beendet hat. Zwar lehnt der Österreich Vergleiche mit dem Schweden ab ("Ibra ist Ibra, eine Persönlichkeit und ein Spieler, der größer als ich ist"), doch Parallelen zwischen den beiden als Spielertypen sind offensichtlich.
Das ist auch in Peas Augen so. Arnautovic wäre eine gute Wahl, um ihn zu ersetzen, wie der Italiener erklärt. "Sie sind beide gut im Strafraum, vor allem mit dem Rücken zum Tor", erklärt er.
Außerdem verbinde beide, dass sie "ein gutes Auge" für Fehler der gegnerische Defensive hätten. Und vor allem wüssten beide "wie man Tore schießt und haben unglaubliche körperliche Stärken", schildert Pea.
Noch steht allerdings nicht fest, ob es dazu kommt. Ein Abgang aus Bologna scheint aber sowohl im Interesse seines aktuellen Klubs zu sein, wie auch von Arnautovic selbst.
”Ich denke, es wäre der richtige Zeitpunkt für ihn, zu einem großen Verein wie Milan zu kommen. Wenn ich ihn als Spieler und auch als Mensch betrachte, ist er bereits gereift und hat sich sehr weiterentwickelt”
Inter “wird Glück brauchen, um zu gewinnen”
Zunächst blicken aber alle Augen gespannt auf das Champions-League-Finale am Samstag in Istanbul. Dort wird Milan-Bezwinger Inter alles in die Waagschale werfen müssen, um am Ende als Sieger hervorzugehen.
Es steht allerdings außer Zweifel, dass Manchester City die Favoritenrolle inne haben wird. Inter werde "Glück brauchen, um zu gewinnen", weiß auch Fulvio Pea.
Was laut dem 55-Jährigen am allermeisten für City spricht, sei das "große technische Potenzial". Zudem verfüge man in Pep Guardiola über einen Trainer mit viel Erfahrung - was von seinem Mailänder Pendant Simone Inzaghi nicht behauptet werden kann.
Doch Peas Ex-Team Inter ist eine Wundertüte und stets für Überraschungen gut - speziell dann, wenn es gilt, über sich hinauszuwachsen.
Denn - um eine alte Fußball-Weisheit zu bemühen - in einem Spiel kann alles passieren. Es wäre nicht die erste Überraschung in einem Finale der Königsklasse.