Ich bin wohl nicht der Einzige, der gestern Abend vor dem TV, Laptop oder Handy saß und fassungslos war.
Fassungslos ob der Gewalt, die Neapel rund um das Champions-League-Duell zwischen der SSC Napoli und Eintracht Frankfurt erschütterte (alle Infos hier und hier).
Auf Videos und Bilder im Fernsehen sowie den Sozialen Netzwerken sind die Vorfälle auf eine schauderhaft-beklemmende Art dokumentiert.
Es sind Bilder, die mit ihrer Geräuschkulisse an kriegsähnliche Szenen erinnern. Was soll das? Was soll das vor allem in Zeiten wie diesen? Ist es nötig, sich so vollends vernunftbefreit aufzuführen?
Dieser Hass hat meinen Atem stocken lassen. Doch gestern erreichte er eine neue Stufe der Eskalation.
Gewalt ohne Rücksicht
In der gesamten Gemengelage standen sich letztlich drei Parteien gegenüber. Die Napoli-Fans, jene der Eintracht sowie die Exekutive.
Italienische Medien sprachen von einem wahren "Guerillakrieg", der in der Stadt abgelaufen sei. Nicht übertrieben, wie ich finde, angesichts der Bilder.
Jetzt ausufernd über die altbekannte Problematik mit Ultra-Gruppierungen einzugehen, würde den Rahmen sprengen und ist abgesehen davon ohnedies bestens dokumentiert.
Nicht, dass ich Ultra-Bewegungen per se als Krawallmacher darstellen möchte. Sie sind es zudem auch, die wesentlich zu jenen Hexenkesseln in den Stadien beitragen, die wir alle so gerne sehen.
Nur: Es MUSS eine Grenze geben. Und die wurde gestern nicht nur überschritten, nein. Man ist da meilenweit drüber "gehatscht".
"Es MUSS eine Grenze geben. Und die wurde gestern nicht nur überschritten, nein. Man ist da meilenweit drüber 'gehatscht'."
Wie Bilder zeigen, wurde ein Polizei-Fahrzeug in Brand gesteckt, ebenso Schaufenster, Fan-Busse wurden mit Pyrotechnik und Gegenständen beworfen. Die Polizei wurde von Fans beider Lager mit allem beschossen, was nicht niet- und nagelfest war.
Und wie kann es sein, dass Napoli-Ultras das Hotel ihrer "Widersacher" aus Frankfurt geradezu belagern? Was wäre passiert, wenn sie hätten eindringen können? Ich will es mir gar nicht vorstellen. Allein der Ansatz jenes Gedankens erregt Ekel in mir.
Diese Gruppen gehen ohne Rücksicht auf Verluste und sich selbst vor. Ohne Rücksicht auf Unbeteiligte wie Busfahrer, Hotelangestellte oder Sicherheitspersonal.
Und auch ohne Rücksicht auf jene, die diese Unbeteiligten beschützten. Sie beschützten, indem sie ihre Gesundheit und im äußersten Fall sogar ihr Leben aufs Spiel setzen. Denn der Polizei ist es zu verdanken, dass die Stadt Neapel am Mittwoch nicht im vollkommenen Chaos versank.
Denkt von diesen Randalierern denn keiner darüber nach, dass die Frauen und Männer der Exekutive, genauso wie der Busfahrer des Fan-Transports, auch eine Familie zuhause haben, die sie lieben?
Mann, Frau, Kind. Wer soll diesen Menschen erklären, dass Mama, Papa oder Ehefrau/mann heute nicht nach Hause kommen, sondern vielleicht schwer verletzt im Krankenhaus liegen, weil einige wenige Vernunftbefreite glauben, Krieg spielen zu müssen?
Reicht es nicht, dass ein paar 100 Kilometer weiter östlich tatsächlich Krieg herrscht? Mich macht das traurig und wütend zugleich.
Ich bin überzeugt davon, dass unter diesen Randalierern selbst liebende Eltern sind, die ganz normale Jobs haben und abseits des runden Leders ein vollkommen zivilisiertes Leben führen. Umso mehr raubt mir dieser Gedanke das Verständnis für ein solches Verhalten.
Diese Leute halten Verbote nicht auf - im Gegenteil!
Die italienischen Behörden hatten Frankfurt-Fans aus Angst vor genau solchen Szenen vom Spiel ausgeschlossen.
Ich kann die Intention dahinter verstehen: Man wollte exakt das, was passiert ist, eigentlich verhindern.
Nur: Erreicht hat man damit das Gegenteil. Weil sich jene, die sich ohnehin nur die Köpfe einschlagen wollen, so oder so auf den Weg gemacht hätten.
Ob es besser gewesen wäre, die Fans zuzulassen und so alles in geordnetere Bahnen zu lenken? Ich weiß es nicht, es wird Hypothese bleiben. Ich denke, ganz zu verhindern wären Gewaltausbrüche auch mit dem besten Konzept nicht gewesen.
"Nur weil man im Stadion für eine einzigartige Atmosphäre sorgt, die es so sonst unter keinen Umständen gegeben würde, ist dies keine Rechtfertigung dafür, dass man sich außerhalb der Arena aufführen kann wie eine Horde Wildgewordener."
Was ich aber weiß, ist, dass man nach so einem Vorfall nicht zur Tagesordnung übergehen kann. Was am Mittwoch passiert ist, war auf die negativste Art und Weise beispielgebend.
Es braucht Ideen, Konzepte und Vorschläge, die solche Vorfälle zukünftig zumindest eindämmen. Wie kann man diese "Fans", wobei ich diesen Begriff in jenem Zusammenhang ja nicht einmal unter Anführungszeichen benutzen mag, ins Boot holen?
Die Lage ist komplex, weil so viele Rivalitäten ineinander laufen und diese Gruppen in einer eigenen Realität leben.
Doch genau da muss man sie abholen. Dass noch mehr Verbote einen Nutzen bringen, bezweifle ich und das hat der Fan-Ausschluss in Neapel ja untermalt.
Wer für Stimmung sorgt, hat keinen Freibrief für Gewalt
In den 80er-Jahren war nach den Hooligan-Exzessen in England der zeitweilige Ausschluss eines ganzen Landes die Folge. Es bleibt zu hoffen, dass derlei Maßnahmen gar nie angedacht werden müssen.
Vielmehr glaube ich, dass man diesen Leuten etwas geben muss, für das es sich aus ihrer Sicht lohnt, friedlich zu bleiben und auf Gewaltexzesse zu verzichten. Die Ultra-Bewegung lebt zu einem Gutteil sicher von ihrer Unangepasstheit. Es lohnt sich, nach Wegen zu suchen, diesen Fans ein gewaltfreies Ausleben dieser Eigenschaft aufzuzeigen.
Ja, das ist schwer. Es ist vielleicht unmöglich. Dennoch ist es keine Option, sich damit abzufinden - das hat der Mittwochabend eindrucksvoll bewiesen.
Was da passiert ist, geht nicht. Es geht nicht, weil Menschen dadurch schuldlos zu Schaden kommen. Es geht nicht, weil der Fußball und diese ganze Leidenschaft, die wir Fans in uns tragen, dadurch enormen Schaden nimmt. Es geht nicht, weil diese Chaoten unseren geliebten Sport kaputt machen.
Nur weil man im Stadion für eine einzigartige Atmosphäre sorgt, die es so sonst unter keinen Umständen gegeben würde, ist dies keine Rechtfertigung dafür, dass man sich außerhalb der Arena aufführen kann wie eine Horde Wildgewordener.
Wir können das besser!
Meine Seele als Fußball-Fan ist seit Mittwochabend versehrt. Es schmerzt, denn ich liebe diesen Sport.
Ich liebe den italienischen Fußball besonders, ebenso den deutschen, die schon immer in enger Verbindung standen. Weil ich mit Stars wie Ruggiero Rizzitelli, Luca Toni, Andreas Möller und Lothar Matthäus aufgewachsen bin.
Gleichzeitig bin ich es leid, immer wieder über solche Ausbrüche an Gewalt berichten zu müssen. Ja, vielleicht bin ich da naiv. Aber ich bin sicher nicht der Einzige, der sich fragt, ob das denn nicht auch anders geht.
Ich glaube fest daran. Weil ich weiß, dass wir das besser können. Denn zu "wir" zähle ich zumindest auch einen Teil der Beteiligten von Mittwochabend.
Weil ich aus eigener Erfahrung weiß, dass auch sie den Fußball lieben. Und das verbindet uns unter dem Strich alle.