„Ich bin mitten in der Nacht aufgewacht und habe mir gedacht: ‚Was ist mit dem Wetter los? Ein Gewitter im Februar?‘ Ich hörte riesigen, furchteinflößenden Lärm. Am Morgen weckte mich der Alarm. Dann fand ich heraus, was passiert ist. Überall war Panik.“
Mircea Lucescu berichtet hier im „Guardian“ von den ersten Stunden des 24. Februar. In Kiew. Dem Beginn des Putin-Kriegs gegen die Ukraine.
Lucescu ist Trainer von Dynamo Kiew. Als solcher spielt er am Mittwoch in Lodz in der Champions-League-Qualifikation (20 Uhr im LIVE-Ticker) gegen den SK Sturm Graz.
Fußball ist sein Leben, wie auch der weitere Verlauf dieses Textes beweisen soll. Lucescu ist mit 36 eroberten Trophäen zweifelsohne einer der erfolgreichsten Trainer der Welt.
Im Jahr 2022 ist Fußball jedoch nur eine Nebensache. Vielleicht ein Mittel zum Zweck. Als Stratege ist der seit vergangener Woche 77-Jährige jedenfalls auch abseits des Platzes gefordert.
Hilfe für Spieler und ihre Familien
Denn zuallererst ging es ihm einmal um das Leben. Jenes seiner Spieler und ihrer Familien. „Ich wollte Kiew nicht verlassen“, erzählt der Rumäne, ließ sich jedoch von Klub- und Botschafts-Mitarbeitern überzeugen, dass er von Bukarest aus besser helfen könne. Und das tat er auch.
Aus seiner Heimatstadt aus organisierte er die Ausreise von Spielern und ihrer Angehörigen. Gegenüber „11 Freunde“ erinnert er sich:
„Zuerst ging es darum, die Familien der Spieler außer Landes zu bekommen. Dazu haben wir zwei Busse für insgesamt 80 Personen organisiert. Das waren die Frauen oder Freundinnen und Kinder der Spieler. Wir haben sie in einem Hotel in Iasi untergebracht, im Nordosten von Rumänien.“
„Dann haben wir mit der Vereinsführung und dem Präsidenten des Fußballverbandes gesprochen, um die Erlaubnis zu bekommen, auch die Spieler nach Rumänien zu holen. Wir waren der Meinung, dass diese Männer durch den internationalen Sport mehr für ihr Land tun können, als wenn sie in der Ukraine bleiben und sich großen Gefahren aussetzen.“
Hintergrund ist hier die Mobilmachung, die es Männern zwischen 18 und 60 Jahren eigentlich verbietet, das Land zu verlassen.
„Botschaft des Friedens“ steht vor dem Resultat
Geholfen wurde nicht nur Dynamo-Kickern, sondern etwa auch Vertretern seines Ex-Klubs Shakhtar Donetsk, für den Lucescu von 2004 bis 2016 äußerst erfolgreich tätig war und dabei bereits 2014 erstmals mit den kämpferischen Auseinandersetzungen in der Ukraine konfrontiert wurde.
„Meine Seele leidet, wenn ich sehe, was in der Ukraine passiert“, gesteht Lucescu, der 2020 mit dem Beginn des Engagements bei Dynamo in das Land zurückkehrte.
Seit dem Frühjahr ist er bemüht, den Betrieb beim Verein aufrechtzuerhalten. 15 Freundschaftsspiele absolvierte Dynamo seit Mitte April quer durch Europa (darunter ein 3:2-Sieg bei Borussia Dortmund), ehe man beim Aufstieg gegen Fenerbahce in der CL-Qualifikation wieder zwei Pflichtspiele bestreiten konnte.
Dass es Diskussionen auslöst, in Zeiten des Kriegs Fußball zu spielen, weiß Lucescu. Gleichzeitig glaubt er bedingungslos an die Kraft des Sports.
„Ich weiß, dass es viele für moralisch falsch halten, Fußball zu spielen, während andere in einem Krieg kämpfen. Aber jede Person kann auf ihre persönliche Art und Weise kämpfen und das Beste geben, um jene zu Hause zu unterstützen. Die Leistung auf dem Spielfeld kann so viele ermutigen und inspirieren.“
Die „Botschaft des Friedens“ steht derzeit vor dem Resultat, findet Lucescu. Wenn jemand, der Zeit seiner Karriere teils bemerkenswerte Resultate geliefert hat, dieser Ansicht ist, unterstreicht dies die außergewöhnliche Gegenwarts-Situation zusätzlich.
Ein glückliches Leben in der Welt von vorgestern
Als außergewöhnlich lässt sich wohl auch der Umstand beschreiben, dass Lucescu mit 77 Jahren immer noch nicht genug vom Arbeitsleben in Sachen rundes Leder hat.
Schon vor vielen Jahren offenbarte die lebende Legende: „Fußball ist meine Droge. Das wird niemals aufhören. Bequem in einem Stuhl zu sitzen, ein Glas Wein zu trinken und fernzusehen, ist nichts, was ich mir für mich wünschen würde.“
Es war die Welt von vorgestern, in die Lucescu 1945 hineingeboren wurde. Der Zweite Weltkrieg war erst seit ein paar Wochen vorbei, als er in Bukarest das Licht der Welt erblickte. Damals gab es sogar noch einen König in Rumänien, Mihai I.. Der war zwar an der Seite Deutschlands in den Krieg eingetreten, hatte sich dann aber doch den Sowjets angeschlossen.
Bukarest war ebenso wie Wien von den Sowjets besetzt. Erst einige Wochen nach Lucescus Geburt durften mit den USA, Großbritannien und Frankreich die anderen drei Besatzungsmächte in Österreichs Hauptstadt. Weil das in Bukarest anders war, wuchs der Dynamo-Coach in einer Volksrepublik, die nach kommunistischen Idealen gestaltet war, auf.
Universität statt Training
Er habe Wissen aufgesaugt, erinnert sich Lucescu. In der Sportschule Nr. 2 in Bukarest wurde der junge Mircea ab 1961 unterrichtet. Zwei Jahre später schloss er sich Dinamo Bukarest an. Kurz vor seinem 19. Geburtstag feierte er sein Debüt in der höchsten rumänischen Spielklasse.
Doch bei Dinamo waren sie nicht wirklich zufrieden mit der Einstellung des Teenagers, der zweifellos großes Talent besaß. Lucescu verpasste nämlich immer wieder Trainingseinheiten. Nicht aber, weil ihm das klein wenig Ruhm zu Kopf gestiegen wäre, sondern weil er sich an der Universität herumtrieb, wo er ein Wirtschaftsstudium, das er später mit dem Schwerpunkt „Internationaler Handel“ auch abgeschlossen hat, begonnen hatte.
Dinamo fand folgerichtig, dass der Studentenklub Stiinta Bukarest der richtige Verein für den jungen Mann sei, und verlieh ihn dorthin. Obwohl Lucescu bei Stiinta nur in der zweiten Liga dem Ball nachjagte, wurde er 1966 erstmals ins Nationalteam einberufen und durfte gegen die Schweiz sein Debüt feiern.
Die WM-Trikots selbst genäht
Ein Jahr später kehrte er zu Dinamo zurück, wo er ein Jahrzehnt lang ohne Unterbrechung spielte. Und das mit großem Erfolg. „Er war ein Meister. Er war einer der besten Flügelspieler, die ich je gesehen habe. Seine Flanken waren perfekt“, sagt Florea Dumitrache, der nicht zuletzt dank der präzisen Hereingabe Lucescus zum dritterfolgreichsten Torschützen der Klub-Geschichte wurde.
"Technisch, offensiv, unterhaltend und clever. Wo auch immer ich Trainer war, meine Teams haben immer gut gespielt. Das kann keiner bestreiten."
Auch aus dem Nationalteam war der beidbeinige Außenspieler nicht wegzudenken. 1970 war er im Alter von 24 Jahren jüngster Kapitän der WM in Mexiko. „Er war ein besonderer Spieler. Er war nicht wie die anderen. Er hat Bücher gelesen, war ein Intellektueller“, meinte der damalige Teamchef Anghel Niculescu einmal.
Lucescu erzählt: „Wir waren alle jung, wussten gar nichts. Als wir in Mexiko angekommen sind, sind wir wegen der Hitze in unseren Winter-Shirts fast gestorben. Ich bin auf den Markt gegangen und habe billige Leibchen in Blau und Gelb gefunden. Wir haben die rumänische Flagge draufgenäht, als uns der Faden ausgegangen ist, haben wir Sicherheitsnadeln verwendet. Und weil wir unsere Gegner beeindrucken wollten, haben wir drei weiße Streifen auf unsere Schuhe geklebt, um vorzugeben, dass wir auch von dieser deutschen Firma gesponsert werden.“
Im letzten Gruppenspiel mussten sich die Rumänen den Brasilianern mit 2:3 geschlagen geben. Pele erzielte einen Doppelpack. Lucescu tauschte sein Trikot mit dem Superstar. „Ich habe es heute noch. Und ich habe es nie gewaschen“, lacht er.
Brasilien als große Liebe
Seine Liebe zu Brasilien hat das nur verstärkt, entfacht wurde sie bereits im Winter 1967/68. Das Nationalteam hatte eine Tour durch Brasilien unternommen.
„Durch das ganze Land – von Porto Alegre nach Fortaleza. Es war eine unglaubliche Erfahrung. Ich war ein junger Mann aus einem sozialistischen Land – wir kannten die Welt nur von der Landkarte. Ich habe damals für mich die Essenz Brasiliens entdeckt: Fußball, Samba, Strand und Sex. Ich verstand, warum sie glücklich sind“, blickt er auf einen unvergesslichen Winter zurück.
Diese Reise nach Brasilien erkläre auch seine Philosophie, die er nun schon jahrzehntelang als Trainer lehre.
„Technisch, offensiv, unterhaltend und clever. Wo auch immer ich Trainer war, meine Teams haben immer gut gespielt. Das kann keiner bestreiten“, findet der Rumäne, der von 1974 bis 1979 Rekord-Internationaler seines Landes war und insgesamt 70 Länderspiele bestritten hat.
Spielertrainer wegen eines Erdbebens
Den Weg des Trainers schlug er allerdings zufällig ein. Am Abend des 4. März 1977 erschütterte ein Erdbeben der Stärke 7,2 auf der Richterskala die rumänische Hauptstadt. 35 mehrstöckige Gebäude stürzten ein, rund 1.500 Menschen verloren ihr Leben.
„Meine Frau hatte danach große Angst, also habe ich Dinamo gefragt, ob ich zu einem Verein ins Landesinnere wechseln könnte“, so Lucescu. Sein Stammklub stimmte zu, der damals 32-Jährige heuerte beim Underdog Corvinul Hunedoara an. Nach einem Jahr wurde er dort spielender Co-Trainer, ein halbes Jahr später sogar Spielertrainer. Eine Funktion, die es in Rumänien zuvor noch nie gegeben hatte.
Seine Trainerlaufbahn war zu Beginn allerdings nicht von Erfolg gekrönt, nach einem halben Jahr musste Lucescu den Abstieg hinnehmen. Doch es folgte der sofortige Wiederaufstieg und anschließend die erfolgreichste Zeit des Klubs, der sich 1981/82 sogar erstmals für den UEFA-Cup qualifizierte und prompt den GAK ausschaltete.
Lucescu war bei Corvinul aber nicht nur Spielertrainer, er entwickelte sich zu so etwas wie dem Übervater des Vereins – er schrieb eine wöchentliche Kolumne in der regionalen Zeitung, moderierte eine Radio-Show und entwarf auch den Text der Klub-Hymne.
Kein Freund Ceaucescus
Im Oktober 1981 kam eine weitere Funktion hinzu – jene des rumänischen Teamchefs. Den 40. Geburtstag schon in Sichtweite, kickte und trainierte er eine Zeit lang dasselbe Team und auch die Nationalmannschaft, ehe er sich auf seine Rolle als Teamchef konzentrierte. 1984 führte er sein Team zur EM, die Qualifikation zur WM 1986 misslang aber – das Ende seiner Zeit als Teamchef.
Zum Zeitpunkt seiner Demission hatte die Legende aber schon einen anderen Job – jenen als Coach von Dinamo Bukarest. Keine einfache Aufgabe, war Lucescus Gegner im Kampf um die Meisterschaft und den Cup nämlich die Staatsmacht. Valentin Ceaucescu, Sohn von Nicolae Ceaucescu, der als neostalinistischer Diktator ein Schreckensregime führte, war General Manager von Erzrivale Steaua.
Ceaucescu junior hatte schon für Lucescus Entlassung als Teamchef – unmittelbar nach einem 4:0-Heimsieg gegen Österreich mit Heribert Weber, Walter Schachner und Toni Polster – gesorgt. „Ich war nie ein Freund von Ceaucescu“, sagte der damalige Dinamo-Trainer Jahre später. Zu Weihnachten 1989 wurde Ceaucescu gestürzt und hingerichtet, Valentin saß neun Monate in Untersuchungshaft, kam dann aber frei.
Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs stand es auch rumänischen Sportlern frei, in den Westen zu gehen. Lucescu versuchte sich in Italien beim SC Pisa, der später als AC neu gegründet wurde – seine erste Neuverpflichtung war ein gewisser Diego Simeone.
Der Pirlo-Entdecker
Nach einem Jahr folgte der Wechsel zu Brescia. Dorthin lotste er 1992 auch den größten Spieler, der jüngeren rumänischen Fußball-Geschichte – Gheorghe Hagi. „Er ist ein Visionär. Es ist großartig, welchen Blick er auf die Dinge hat“, lobt Hagi seinen Förderer.
Zwei Jahre später fiel dem Rumänen im Nachwuchs seines Klubs ein 15-jähriger Junge auf, von dem er sich viel versprach – Andrea Pirlo. „Er hat mich direkt in die Welt der großen Jungs der ersten Mannschaft gesteckt. Die waren teilweise doppelt so alt wie ich“, erinnert sich der Italiener in seiner Autobiographie. „Andrea, spiel‘ einfach weiter so wie du es im Jugendteam gemacht hast“, sei der erste Satz gewesen, den der Trainer zu ihm gesagt habe.
Lucescu wurde auch für andere Klubs interessant. Porto und Standard Lüttich zeigten Interesse und gaben hochdotierte Angebote ab. „Meine Frau und ich haben eine Münze geworfen und die Entscheidung für einen Verbleib bei Brescia war gefallen“, lacht der Trainer. Überhaupt dürfte es Frau Lucescu mit ihrem Mann nicht immer einfach gehabt haben. Der Tag seiner Hochzeit soll so abgelaufen sein: Der Besuch eines Seminars an der Uni, Ja-Wort am Standesamt, Länderspiel gegen Italien.
Pionier-Arbeit am Analyse-Sektor
In Brescia kam Lucescu zudem in Kontakt mit einem jungen Fitness-Trainer namens Adriano Bakkoni. Bald nahm das Duo seine Pionier-Tätigkeit in Sachen Verwissenschaftlichung des Fußballs auf. Die beiden filmten Spiele und zerlegten sie in alle Einzelteile. Mithilfe von Informatikern entwickelten sie ein Programm, das die Video-Analysen einfach in Zahlen umwandeln konnte.
Zu diesem Zeitpunkt alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Lucescu hatte gewissermaßen schon als Spielertrainer damit angefangen, als er einen Freund der Familie und dessen Schwester anwies, mit Bleistift und Papier bewaffnet Spiele zu beobachten und nachzuzeichnen.
Bakkoni erzählt: „Das hatte noch niemand gemacht. Niemand hat zu diesem Zeitpunkt Spiele mit dem Computer analysiert. Angefangen haben wir mit Excel-Listen, dann ist es uns gelungen, alles zu automatisieren. Dann sind sie alle zu uns gekommen – Lazio, Juventus, Inter…“
Auch Arrigo Sacchi griff bei der WM 1994 in den USA als italienischer Teamchef auf das Programm zurück. Irgendwann verkaufte Bakkoni das Programm dann an „Panini“. Der x-te Nachfolger ist aktuell als „Panini Digital“ im Umlauf.
1996 trennten sich die Wege des Duos wieder. Lucescu erwarb sich in den Folgejahren den Ruf eines Wandervogels. AC Reggiana, Rapid Bukarest, Inter Mailand, wieder Rapid Bukarest, Galatasaray und Besiktas – das waren seine Stationen zwischen 1996 und 2004.
Für das Leben lernen
Seiner Philosophie ist Lucescu aber stets treu geblieben – technisch anspruchsvoller, unterhaltsamer Offensiv-Fußball. Und im Idealfall mit jungen Spielern. „Ich arbeite am liebsten mit Jungen, weil es schwierig ist, die Ansichten eines 30-Jährigen zu verändern“, sagte er einmal.
Lucescu sieht sich nicht als reiner Fußball-Lehrer. Er will seinen Schützlingen auch etwas fürs Leben mitgeben: „Ich habe immer versucht, sie nicht nur zu coachen, sondern sie auch zu instruieren und auf das tägliche Leben vorzubereiten.“ Er versuche auch, den jungen Menschen Kultur näher zu bringen. Museums-Besuche im Zuge von Auswärtsspielen waren keine Seltenheit.
Doch wie so ziemlich jeder Mensch hat auch Lucescu seine Schrullen, die sich mit dem Alter offenbar verstärkt haben. So durften bei Flügen von Shakhtar zu Europacup-Spielen keine Frauen an Bord des Flugzeuges sein – das betrifft auch die Flugbegleiter. Auch regelmäßig geäußerte Verschwörungstheorien, die ständige Benachteiligung seiner Teams durch Schiedsrichter zum Thema haben, sorgten immer wieder für Kopfschütteln.
Eine Erfolgsgeschichte in Donetsk
Die Köpfe wurden auch in Donetsk geschüttelt, als Lucescu im Mai 2004 als neuer Trainer vorgestellt wurde. Seine Vorgänger Bernd Schuster und Nevio Scala waren wesentlich prominentere Namen, aber eben auch schon bald gescheitert.
Der ukrainische Milliardär Rinat Ahmetov sollte als Präsident jedoch die richtige Wahl getroffen haben.
Acht Meistertitel, sechs Pokalsiege, sieben Erfolge im Supercup, neun Teilnahmen an der Champions-League-Gruppenphase und der Triumph im UEFA-Cup 2009 – so die Erfolgsbilanz von Lucescu in Donetsk.
2009 wäre er fast gegangen. Damals wurde ihm der Posten des ukrainischen Teamchefs angeboten – er sollte die Mannschaft auf die Heim-EURO 2012 vorbereiten. Lucescu lehnte ab – wegen seines Sohnes.
Razvan Lucescu - mittlerweile bei PAOK Saloniki Coach der beiden ÖFB-Legionäre Stefan Schwab und Thomas Murg - war zu diesem Zeitpunkt nämlich rumänischer Teamchef, der Papa wollte kein zweites Mal Gefahr laufen, sich mit dem Sohnemann duellieren zu müssen, wie es kurz davor in der Europa League (Shakhtar gegen Rapid Bukarest) schon geschehen war.
Vibes aus dem Westen in Donetsk
Lucescu Senior erlitt wenig später im Trainingslager seiner Mannschaft einen Herzinfarkt. Nach der Operation kündigte er sein Karriereende für den Sommer 2011 an. Als der Zeitpunkt kam, hatte er das aber schon längst vergessen.
Auch ein schwerer Autounfall, als Lucescu beim unerlaubten Wenden von einer Straßenbahn erfasst wurde und schwere innere Verletzungen erlitt, konnte ihm längerfristig nichts anhaben.
Das tat erst der Konflikt in der Donbass-Region. Materielle Dinge wie Arbeitsunterlagen seien das eine, er habe aber vor allem viele Erinnerungen in Donetsk zurückgelassen:
„Ich habe die Abende im neuen Stadion von Shakhtar geliebt, für mich war es eines der nettesten in Europa. Die Stadt hat sich ebenfalls verändert, der Fußball brachte den Vibe aus dem Westen Europas mit sich. Das Leben war gut in Donetsk. Wir hatten alles, was man sich wünschen kann.“
Die vereinende Wirkung des Sports
Den Verein verließ Lucescu erst nach dem Ende der Saison 2015/16, die Stadt Donetsk aufgrund der 2014 gestarteten kriegerischen Auseinandersetzungen viel früher. Die Heimspiele wurden andernorts, etwa in Lviv, ausgetragen.
Traurigerweise muss selbst Lucescu nun von einem Déjà-vu sprechen: „Wir haben damals alle unsere Sachen zurückgelassen, weil wir dachten, wir könnten irgendwann nach Donetsk zurückkehren. Aber ich war seitdem nie wieder in der Stadt. Im Sommer 2020 wurde ich Trainer in Kiew – und nun passiert das Ganze wieder. Als wir die Stadt verließen, haben wir noch gehofft, es wäre nur für ein paar Tage oder Wochen.“
Zwischen seinen Engagements in der Ukraine betreute Lucescu Zenit St. Petersburg und das Nationalteam der Türkei.
Er kennt also auch das Leben in Russland. Vielleicht trennt er auch deshalb strikt. Befürworter der russischen Invasion sollten von sportlichen Veranstaltungen ausgeschlossen werden. Dies sei nicht mit den Werten des Sports vereinbar.
Ansonsten setzt er auf die vereinende Wirkung des Sports: „Ich habe gesagt, dass russische Athleten nicht den Preis für das, was in der Ukraine passiert, zahlen sollen, und viele haben mich dafür attackiert. Aber ich glaube einfach daran, dass der Sport zu Friedens-Bemühungen beitragen kann. Was werden wir tun, sobald der Konflikt endet? Wie werden wir unseren Frieden miteinander finden?“
Hoffentlich kommt der Frieden bald, sodass Lucescu immer noch an der Seitenlinie steht. Er könnte helfen, das Einende vor das Trennende zu stellen. Allen voran seine „Droge“ Fußball.