"Scheiße, warum genau jetzt?!", schoss es Samson Baidoo um circa 22:52 Uhr vergangene Dienstag-Nacht durch den Kopf.
Ähnlich wie dem 19-jährigen Verteidiger des FC Salzburg ging es zu diesem Zeitpunkt rund 27.000 weiteren Menschen in der Red Bull Arena, als die Mozartstädter Heimmannschaft im Duell mit Benfica Lissabon in der zweiten Minute der Nachspielzeit einen Treffer kassierte, der ihrer europäischen Kampagne ein ungewohnt frühzeitiges Ende bescherte (Spielbericht>>>).
"Die Art und Weise tut sehr weh. Leider haben wir es verpasst, in den letzten Minuten die richtigen Dinge zu verteidigen", so ein niedergeschlagener Alexander Schlager, der in knapp 600 Minuten Salzburger Champions-League-Fußball exakt einmal zu viel hinter sich greifen musste, so dass seine Mannschaft trotz Punktegleichheit, identem Torverhältnis, aber wegen zu wenig geschossener Tore Benfica den Vortritt zum Umstieg in die Europa League überlassen mussten.
Auch der niedergeschlagene Goalie weiß sich nur Fäkal-Sprache zu bedienen, um diesen bitteren Abend zu beschreiben: "Das ist ein richtiger Kack-Moment jetzt."
Etwas jugendfreier, aber nicht weniger enttäuscht fällt die Analyse von Coach Gerhard Struber aus: "Wenn man sich Ziele steckt und diese nicht realisiert, es einem quasi im letzten Moment aus der Hand genommen wird, dann fühlt es sich für uns alle nicht fein an. Das war ein harter Schlag ins Gesicht."
Der unverteidigbare Angel Di Maria
Für den Kuchler machte schlussendlich ein Detail den Unterschied zwischen seiner blutjungen Mannschaft und der portugiesischen Weltklasse-Truppe aus: Der Faktor Angel Di Maria.
"Wir haben heute Benfica auf einem sehr guten Niveau erlebt, speziell mit einem Spieler: Mit Di Maria, der dem Spiel seinen Stempel aufgedrückt hat. Mit besonderen Dribblings, mit Tempowechseln, mit seiner besonderen Weise, den Gegner herumzumanövrieren. Es war für uns tatsächlich sehr schwierig, diesen Spieler in den Griff zu bekommen", so Struber über argentinischen Weltmeister.
Der mittlerweile 35-jährige Rechtsaußen mit dem magischen linken Fuß habe es seinem Team schwer gemacht, "ein Rezept zu finden, um seinen Wirkungskreis zu beeinflussen. Da sind wir zu oft ins Nachlaufen gekommen. Er war einfach auf einem besonderen Niveau", schwärmt Struber weiter.
Di Maria war es auch, der Benfica mit einem direkt verwandelten Corner auf Siegkurs brachte. Besonderes Niveau eben.
Seine extrem angeschnittene Hereingabe von rechts war für Schlager, der zum Spekulieren gezwungen war und viel Betrieb vor sich hatte, spät zu sehen. "Du hast den Bruchteil einer Sekunde, um zu reagieren. Das war zu wenig. Leider", konstatiert der ÖFB-Goalie.
Benfica trifft von der Eckfahne, Salzburg das Tor aus nächster Nähe nicht
Bis zu diesem Zeitpunkt, es war die 32. Spielminute, war in der Red Bull Arena ein durchaus offener Schlagabtausch zu beobachten, in welchem jede der beiden Mannschaften ihrem Gegner immer wieder einiges anbot. Der einzige Unterschied zwischen den Teams: Während die "Aguias" aus unmöglichen Winkeln scorten, brachten die "Bullen" aus deutlich aussichtsreichen Positionen nur ungefährliche Schüsschen zusammen.
"Unsere Chancen hätten wir auf jeden Fall besser ausspielen müssen", knirscht Baidoo.
Nachdem Salzburgs Jungstürmer Dorgeles Nene und Petar Ratkov gleich mehrere Großchancen kläglich liegenließen und den Expected-Goal-Wert ihrer Mannschaft zur Halbzeit auf 1,46 hochschraubten, war es kurz vor der Pause mit Rafa Silva schließlich wieder ein Lissabonner, der den zweiten Treffer des Abends besorgte. Der Assistgeber? Natürlich Angel Di Maria.
Erst mit Fernando und Koita kam die "Power"
Nach Seitenwechsel hatte man kurzfristig die Befürchtung, Benfica würde Österreichs Meister mit Haut und Haar verschlingen, ehe Struber mit Fernando und Sekou Koita einen komplett neuen Sturm in die Schlacht warf und diese Maßnahme prompt Wirkung zeigte - zunächst in Form des Anschlusstreffers durch Luka Sucic, anschließend in Form einer plötzlich deutlich griffigeren Mozartstädter Offensive, die nicht mehr jeden Ball im letzten Drittel binnen Sekunden verlor.
"Durch die Einwechslung von Fernando und Sekou (Koita, Anm.) haben wir eine gewisse Power entwickelt, um ins letzte Drittel zu kommen. Mit dem Anschlusstreffer haben wir diesen Glauben wieder mehr bekommen, gleichzeitig mit viel Mentalität viel wegverteidigt und sind immer wieder zu guten Umschaltmomenten gekommen", beschreibt Struber die beste Phase seiner Mannschaft in diesem Spiel.
Schlussendlich konnte man sich in dieser Phase allerdings nicht mit einem zweiten Treffer belohnen, der alles klar gemacht hätte, sondern ließ zahlreiche Benfica-Möglichkeiten zu, von welchen Arthur Cabral in der Nachspielzeit die allerletzte im Stile eines echten Brasilianers mit der Ferse zum entscheidenden Treffer unterbrachte.
"Müssen uns auf keinen Fall schämen"
Es war dies das erste Mal, dass die "Bullen" eine Champions-League-Gruppe auf Rang 4 abschlossen und das erste verpasste europäische Überwintern seit sieben Jahren.
"Nichtsdestotrotz haben wir vier Punkte gemacht, wir müssen uns auf keinen Fall schämen", hält Schlager fest. "Der Leistungssport ist so. Manchmal feierst du Erfolge, manchmal erlebst du ganz bittere Momente. Das gehört genauso dazu, auch wenn es keiner gern hat. Am Ende können die Jungs trotzdem stolz darauf sein, was sie in der Champions League erreicht haben."
Auch Struber spricht von einem bitteren Moment, gleichzeitig aber von einem, der viel Lernpotenzial birgt: "Solche Spiele in der Champions League sind ein Entwicklungsturbo in allen Bereichen, um als Spieler zu reifen, um Erfahrung zu machen, um die Lernkurve nach oben zu treiben. Im Moment ist es nicht easy, übers Lernen zu reden, aber letztendlich ist es unsere Realität, dass wir das gegen solche Gegner noch mehr erleben als in der Bundesliga."
In Salzburg schwingt allerdings auch immer die Gefahr mit, dass die Spieler ihre schmerzlich gesammelten Lerninhalte erst bei einem anderen Klub dazu nutzen können, reifer und besser zu sein.
Abgänge im Winter? Struber bestätigt Anfragen
"Wenn wir im Jänner zurückkommen, werden wir noch stärker sein."
So gibt es aktuell etwa konkrete Gerüchte um Oumar Solet, Oscar Gloukh oder Sekou Koita, die allesamt mit einem winterlichen Abgang in Verbindung gebracht werden. Befürchtet Struber in der Jänner-Transferperiode eine kleine Abgangswelle, speziell, nachdem Salzburg im Frühjahr keine Europacup-Spiele bieten kann?
"Es gibt natürlich Jungs, die einen gewissen Markt haben, wo auch Anfragen da sind, das ist nichts Neues. Dennoch ist meine Erwartungshaltung und mein Wunsch, dass wir so beieinanderbleiben und aus dem Vollen schöpfen können", so der 46-Jährige, nach dem letzten Spiel des Jahres bereits gedanklich bei der Wintervorbereitung ist:
"Am 4. Jänner starten wir in die Vorbereitung. Dann geht es darum, dass wir uns neu ausrichten, dass wir wieder Elan reinkriegen und alles dafür tun, um unsere Ziele, die wir haben, umzusetzen."
In den vergangenen Jahren gelang es den Salzburgern immer gut, internationale Lehrstunden im Herbst dazu zu nutzen, im Frühjahr, und speziell in der Meistergruppe der Bundesliga, noch abgebrühter, noch unschlagbarer zu sein.
Deshalb nimmt man es einem Strahinja Pavlovic auch zu 100 Prozent ab, wenn er der nationalen Konkurrenz Folgendes verspricht: "Die Champions League war eine gute Erfahrung, wir haben viel gelernt. Wenn wir im Jänner zurückkommen, werden wir noch stärker sein."