Es wäre das Fußballfest des Jahres geworden: Der große FC Bayern München kommt zum Duell in der Champions League zum FC Salzburg.
Knapp 30.000 Fans hätten in einer normalen Welt dem Spiel der "Bullen" gegen den derzeit möglicherweise besten Klub der Welt beigewohnt und für Party-Stimmung gesorgt.
Doch von Festen und Partys war man in der Red Bull Arena am 3. November 2020 weit entfernt. Einen Tag nach dem schrecklichen Terror-Anschlag in der Wiener Innenstadt spielten beide Teams mit Trauerflor, das Stadion in Wals-Siezenheim war am ersten Tag des zweiten bundesweiten Lockdowns aufgrund der Corona-Krise menschenleer.
Die Tristesse an diesem verregneten Dienstag-Abend in Salzburg wurde einzig von einem höchst attraktiven Fußball-Spiel durchbrochen, aus dem die "Bullen" am Ende mit 2:6 als klarer Verlierer vom Platz gingen (Spielbericht>>>). Eine über weite Strecken bärenstarke Salzburger Leistung gegen die Bayern wurde erneut nicht belohnt. Doch warum eigentlich?
Salzburg "wollte zu viel"
Zlatko Junuzovic, der während seiner aktiven Zeit in Deutschland in elf Duellen mit den Bayern elf Niederlagen einstecken musste, liefert bei "Sky" einen Erklärungsansatz: "Wir wollten zu viel. Wir waren am 3:2 sehr knapp dran und hätten es mit mehr Entschlossenheit vielleicht auch machen müssen. Dann fällt das 2:3 und dann geht es zu hoch aus. So eine hohe Niederlage haben wir uns nicht verdient. Es klingt nach einem 2:6 vielleicht blöd, aber heute war viel, viel mehr drinnen."
Tatsächlich ist der jugendliche Leichtsinn, mit dem die "Bullen" auch in der Champions League antreten, Fluch und Segen zugleich. Die jungen Wilden wie Mohamed Camara, Sekou Koita oder Dominik Szoboszlai gehen in jedes Spiel mit dem Vorhaben, es zu gewinnen - egal wie der Gegner heißt. Der daraus entstehende positive Übermut wirkt sich zum einen auf die eigene Offensive aus - Salzburg überrumpelte die Bayern in den Anfangsminuten der Partie und ging so auch schon nach vier Minuten in Führung.
Zum anderen leidet aber auch die eigene, ohnehin schon angezählte Defensive darunter. Szoboszlai brachte gegen die Bayern zum Beispiel die eigene Abwehr in Bedrängnis, als es nach elf Minuten im Spielaufbau einen viel zu riskanten Pass in Richtung des eigenen Sechzehners spielte. Der routinierte Andre Ramalho konnte gegen Serge Gnabry auf der Linie gerade noch Schlimmeres verhindern.
Lernprozess steht im Vordergrund
Tatsächlich ist es aber so, dass Fehler in Salzburg - gerade bei den jüngeren Spielern - gebilligt und sogar gewünscht werden. In der Mozartstadt dreht sich vorrangig alles um das Ausbilden junger Kicker und damit um einen Lernprozess, bei dem Erkenntnisse auch aus den eigenen Mängeln und Schwächen gezogen werden. Der sportliche Erfolg steht im "Bullen"-Konzept erst an zweiter Stelle. "Es ist wirklich schade, in diesem Moment nur einen Punkt zu haben. Aber es ist wichtig zu lernen und es ist wichtig, besser zu verteidigen - besonders bei Ecken und defensiven Standardsituationen", bringt Coach Jesse Marsch das Salzburger Credo des steten Lernens auf den Punkt und spricht dabei auch eine große Baustelle an: Die Defensive.
Nach zweieinhalb gespielten Runden in der Champions League, also vor den Mittwochs-Partien, ist Salzburg nach dem späten Debakel gegen die Bayern mit elf Gegentreffern das mit Abstand für Tore anfälligste Team des ganzen Bewerbs. Nur Neuling FC Midtjylland und Shakhtar Donetsk nach einem 0:6 gegen Gladbach haben mit acht Gegentoren nach drei Spielen annähernd so viele Treffer kassiert. In der Vorsaison klingelte es im "Bullen"-Kasten in sechs Partien "nur" 13 Mal - damit war Salzburg bereits das in dieser Hinsicht sechstschlechteste Team.
Wöber: "Dafür gibt es keine Entschuldigung"
"Das 2:3 ist in der 80. Minute gefallen. Bis dahin waren wir auf Augenhöhe, haben selbst richtig gute Chancen auf das 3:2. Nach dem 3:2 haben wir alles nach vorne geworfen und bekommen in der nächsten Aktion gleich das 4:2. Dann haben wir uns aufgegeben, dafür gibt es keine Entschuldigung", klagt Max Wöber. Bereits in der Vorsaison kritisierte der Innenverteidiger die eigene Abwehrleistung scharf.
Ein weiterer Grund dafür, warum Salzburg trotz eigentlich durchgängig starken Leistungen in der Champions League noch nicht die gewünschten Ergebnisse einfahren und sich belohnen konnte, war die mangelnde Kompetenz, gute Zwischen-Ergebnisse nach Hause zu bringen. Dieses Manko begann schon in der Vorsaison, als die "Bullen" einen 0:3-Rückstand an der Anfield Road aufholten, nur um dann doch noch den 3:4-Verlusttreffer durch Liverpool einstecken zu müssen. Auch beim 2:3 zuhause gegen Napoli kassierten die Mozartstädter unmittelbar nach dem eigenen Ausgleich in Minute 73 das 2:3 durch die Süditaliener und brachten sich damit um ein gutes Ergebnis.
Dieser Negativ-Trend verschlimmerte sich in dieser Saison sogar. Sowohl gegen Lok Moskau als auch gegen Atletico und nun gegen die Bayern führten die "Bullen" zu einem Zeitpunkt des Spiels und holten außerdem einen Rückstand zwischenzeitlich auf, bei Abpfiff gab es aber stets das bessere Ende für den Gegner. Die Ausnahme bildet das 2:2 gegen Lok. Tatsächlich hätte jede Partie bisher auch gut und gerne in Richtung Salzburg kippen können, einzig das Momentum und Spielglück spielte nicht immer mit.
Auch Chancenverwertung in der Kritik
So auch bei der Partie gegen die Bayern, als Noah Okafor - am Wochenende gegen die WSG Tirol noch Triple-Torschütze - in Minute 72 beim Stand von 2:2 auf das Tor von Manuel Neuer zusprintete, dem jungen Schweizer aber die Nerven versagten und so nur ein ungefährlicher Roller rauskam. "Es war ein sehr komisches Spiel. Chancen auf beiden Seiten, beide Mannschaften sind sehr hoch gestanden und haben sehr mutig gespielt, beide sehr offensiv. Nach dem 2:2 hatten wir eine Riesengelegenheit, wo wir es entschlossener zu Ende spielen müssen. Das nagt natürlich jetzt", ärgert sich Zlatko Junuzovic auf der Pressenkonferenz nach dem Spiel über die eigene mangelnde Chancenauswertung.
Der Routinier lässt aber auch nicht vergessen, dass die eigene Performance zumindest 75 Minuten lang absolut top war: "Das Ergebnis ist natürlich bitter, aber die Leistung war trotzdem gut. Ich hatte immer ein gutes Gefühl am Feld, es war immer alles möglich. Dass das Ergebnis dann so hoch ist, tut schon ein bisschen weh, weil das spiegelt nicht das Spiel wider."
Marsch: "Jungs haben über ihren Grenzen gespielt"
Dies ist ein weiteres und vielleicht das entscheidende Problem der Salzburger: Gegen die absolut Besten der Fußball-Welt, wie es die Bayern sind, reicht oftmals auch eine außerirdische Leistung nicht. Teams dieses Kalibers sind nicht umsonst europaweit gefürchtet. Warum sollten amtierende Champions-League-Sieger wie Liverpool im Vorjahr oder heuer die Bayern ausgerechnet gegen den österreichischen Meister patzen?
"Wenn wir gegen diesen Gegner einen Fehler machen oder nicht perfekt verteidigen, dann können sie immer aggressiv und gefährlich sein. Das Gefühl ist im Moment nicht einfach, aber ich glaube, wir haben in den ersten 75 Minuten sehr gut gespielt", bringt es Jesse Marsch auf den Punkt.
Am Ende dürfen sich die "Bullen" auf die Fahnen schreiben, erneut mit einem Spitzenteam über einen langen Zeitraum mitgehalten und die Bayern, die in der Champions League nun saisonübergreifend 14 Spiele in Folge gewinnen konnten, an den Rande eines Punkteverlusts gebracht zu haben.
"Ich finde, die ersten 75 Minuten waren wir überragend. Wir haben sehr gut gespielt gegen einen überragenden Gegner. Dann bekommen wir das Standardtor und dann ist es wie ein Dammbruch. Es war schade, dass wir am Ende nicht das richtige Ergebnis erzielen konnten. Aber die Jungs haben alles versucht und über ihren Grenzen gespielt", lobt Marsch seine Schützlinge trotz des 2:6-Debakels - und hat damit völlig Recht.