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xG-Analyse: Macht Salzburg die "erwarteten Tore"?

Salzburg vor Finale gegen Atletico in der großen Expected-Goals-Analyse:

xG-Analyse: Macht Salzburg die Foto: © GEPA

Statistiken im Fußball bestehen längst nicht mehr nur aus altbekannten Begriffen wie Ballbesitz, Schüsse aufs Tor oder ähnlichen Faktoren.

Durch den technologischen Fortschritt wurden mittlerweile deutlich aussagekräftigere Methoden entwickelt, die dabei helfen, ein Fußballspiel zu analysieren. Während Begriffe wie das bei der EURO 2016 hochgejubelte "Packing" zuletzt so schnell wieder aus dem Mainstream verschwanden, wie sie gekommen waren, setzen mehr und mehr Analytiker aktuell auf die Statistik der Expected Goals, oder kurz xG.

So auch Jesse Marsch, seines Zeichens Coach des FC Salzburg, wo ohnehin seit Jahren mit den modernsten Werkzeugen, die der Fußball hergibt, gearbeitet wird. Nach dem Champions-League-Spiel seiner "Bullen" vor zwei Wochen gegen die Bayern erklärte der US-Amerikaner: "Wenn man die 'Expected-Goals'-Statistik ansieht, waren wir in einer unglaublichen Lage gegen einen tollen Gegner."

Doch was bedeuten die Expected Goals, auf Deutsch am ehesten mit "erwartete" oder "erwartbare Tore" übersetzbar, überhaupt? LAOLA1 klärt darüber, und warum Salzburg in dieser Wertung in der "Königsklasse" nur von zwei Vereinen überflügelt wird, auf.

Was sind Expected Goals überhaupt?

Kurz gesagt: Expected Goals beschreiben die statistische Wahrscheinlichkeit, mit der ein Abschluss in einem Tor resultiert. Alle Abschluss-Situationen am Ende eines Spiels zusammengerechnet ergeben schließlich spezifisch für jede am Spiel beteiligte Mannschaft einen xG-Teamwert, auf den wir uns hier konzentrieren wollen.

Diese Wahrscheinlichkeit wird anhand verschiedener Eigenschaften eines Abschluss-Versuches berechnet. Dazu zählt die Position des abschließenden Spielers, also wie weit dieser vom Tor wegsteht und in welchem Winkel, sowie mit welchem Körperteil er versucht, einen Treffer zu erzielen.

Weiters wird die Form des einleitenden Passes, also wie der Ball zum abschließenden Spieler kommt, mit in die Rechnung genommen, auch die Art der vorangegangenen Spiel-Szene spielt eine wichtige Rolle. Es wird also unterschieden, ob der Schuss zum Beispiel nach einem Konter, am Ende einer langen Ballbesitzphase oder per Abstauber abgegeben wird. Die Qualität des einzelnen Akteurs wird bei der Berechnung allerdings nicht hinzugezogen. Lionel Messi und ein Regionalliga-Stürmer würden bei einer identen Abschluss-Position also auch den gleichen xG-Wert zugewiesen bekommen.

xG-Wert von Elfmetern bei 0,76

Anhand dieser Kriterien wird jeder Abschluss mit tausenden ähnlichen Abschlüssen in der Datenbank verglichen, um die Wahrscheinlichkeit eines Torerfolgs zu bestimmen. Ein xG-Wert von 1 wäre ein sicherer Treffer ein xG-Wert von 0 würde auf keinen Fall zu einem Tor führen. Bei einem xG-Wert von 0,5 kann man davon ausgehen, dass fünf von zehn Versuchen mit einer identen Charakteristik im Kasten landen.

Jene Situation, bei der klarerweise die meisten Vergleichs-Daten vorliegen, sind Elfmeter. Bei Strafstößen lässt sich der xG-Wert allgemein mit 0,76 beziffern, da stets die gleichen Kriterien vorliegen. 76 Prozent aller Elfmeter finden also den direkten Weg ins Tor.

Die Expected Goals haben sich gegenwärtig als beliebtestes Tool für Fußball-Analytiker herausgebildet, da sie deutlich mehr Aussagekraft über das Kräfteverhältnis zweier aufeinandertreffender Mannschaften haben als herkömmliche Statistiken. Da Endstände im Fußball für gewöhnlich deutlich knapper und insgesamt auch niedriger ausfallen als in den meisten Teamsportarten, gibt die xG-Wertung ein deutlich aufschlussreicheres Bild über die Leistung einer Mannschaft ab als die tatsächlichen Ergebnisse.

Salzburg im Champions-League-Vergleich top

Platz Team Expected Goals gesamt Erzielte Tore
1. FC Barcelona 14,2 16
2. FC Chelsea 10,1 13
3. FC Salzburg 9,9 10
3. Manchester City 9,9 10
5. Manchester United 9,6 13

Der genaue Expected-Goals-Wert variiert je nach Statistik-Anbieter, Salzburg wird aber von allen Daten-Lieferanten in den Top-3 der xG-Tabelle in der Champions League geführt. Für diese Analyse ziehen wir die auf die erste Kommazahl gerundeten Werte von StatsBomb heran. Außerdem wurde mit den Werten vor Spieltag sechs gearbeitet, um ein einheitliches Bild zu bekommen. Die Ergebnisse der sechsten Runde vom Dienstag wurden also nicht miteinberechnet.

Salzburg hat bisher zehn Tore und damit ziemlich genau so viele wie erwartet erzielen können. Die Mozartstädter haben es also zumindest in der Offensive nicht verabsäumt, noch mehr Punkte einzufahren, sondern haben sogar um einen Hauch "zu viele" Tore erzielt. Mit einem xG-Wert von 9,9 teilen sich die "Bullen" mit Manchester City Platz drei im Ranking der laut Statistik torgefährlichsten Teams der "Königsklasse".

Einzig vom FC Barcelona sowie vom FC Chelsea werden die Mozartstädter in dieser Hinsicht übertroffen, nur von den Katalanen auch deutlich. Anzumerken ist dabei allerdings, dass sowohl Barcelona als auch Chelsea bereits nach Spieltag vier den Aufstieg ins Achtelfinale fixierten, während Salzburg nur Rang drei der Gruppe A mit den Kalibern Bayern München, Atletico Madrid und einem defensivstarken Lok Moskau als Kontrahenten belegt.

Barca hat mit Ferencvaros, Dynamo Kiew und Juventus Turin deutlich angenehmere Gegner zu bespielen, wobei die "Blaugrana" besonders gegen die Underdogs Dynamo Kiew und Ferencvaros den xG-Wert ordentlich in die Höhe treiben konnten. Ähnlich verhält es sich bei Chelsea mit dem FC Sevilla, FK Krasnodar und Stade Rennes.

Sieben Gegentore "zu viel" für die "Bullen"

Platz Team Expected Goals Allowed gesamt Erhaltene Gegentore
1. Ferencvaros Budapest 12,2 16
2. FC Midtjylland 11,2 12
3. Dynamo Kiew 10,5 13
4. Basaksehir Istanbul 10,3 13
5. Stade Rennes 9,9 8
...
11. FC Salzburg 8,1 15

Wenn das Problem der Salzburger nicht in der Offensive liegt, müssen die Makel im Umkehrschluss bei der Defensive gesucht werden. Diese sind leicht gefunden: Die "Bullen" kassierten bisher 15 und damit deutlich mehr Gegentreffer als vom xGA-Tool vorausgesagt wurde.

Der Wert der xGA, also die Expected Goals Allowed bzw. Expected Goals Against, wird bei den Mozartstädtern mit 8,1 angegeben und wird von der tatsächlichen Anzahl der eingefangenen Tore deutlich übertroffen. Salzburg fing sich insgesamt fast sieben Gegentreffer mehr als von der Statistik prognostiziert.

Bei keinem anderen Verein in der diesjährigen Champions-League-Saison ist diese Differenz auch nur annähernd so eklatant. Ferencvaros, das in dieser Hinsicht auf dem unrühmlichen zweiten Platz hinter Salzburg liegt, weist nur einen Unterschied von 3,8 Gegentoren "zu viel" auf. Erklären lässt sich diese Diskrepanz in Salzburgs Fall damit, dass die "Bullen" bisher viel zu oft aus Halbchancen Gegentore erhielten, auch Torwart-Patzer waren einige dabei.

Wir blicken auf die Spiele der Mozartstädter im Detail zurück, ohne allerdings die genauen xG-Werte bei den einzelnen Toren bzw. Chancen vorliegen zu haben:

1. Spieltag: FC Salzburg - Lokomotiv Moskau

Tatsächliches Ergebnis 2:2
xG-Ergebnis: 1,1:0,5

Der niedrige Wert auf beiden Seiten in der Auftakt-Partie der "Bullen" lässt sich damit erklären, dass alle vier Treffer dieses Spiels nicht aus klaren Torchancen entstanden sind.

Die beiden Salzburger Tore waren beide das Resultat von Distanzschüssen außerhalb des Strafraums, denen grundsätzlich ein niedriger xG-Wert zugemessen wird. Dominik Szoboszlais Lattenpendler nach einem kurz abgespielten Eckball sowie Zlatko Junuzovics doppelt abgefälschter Distanzversuch waren auch das Produkt einer großen Menge an Glück in der jeweiligen Situation.

Ähnlich verhält es sich bei den Moskauer Treffern: Eders Führungstor resultierte aus einem Kopfball des Portugiesen auf Höhe des Elfmeterpunktes - eine Situation, aus der normalerweise nicht viele Treffer fallen. Auch das 2:2 durch Vitali Lisakovich fiel per Kopf. Der Versuch des Weißrussen am Fünfer-Eck wäre für Cican Stankovic allerdings nicht unhaltbar gewesen.

Salzburgs xG-Wert wurde abseits der beiden Tore noch durch einen Stangentreffer von Sekou Koita aus spitzem Winkel sowie einem vergebenen Sitzer von Patson Daka alleine gegen Lok-Keeper Guilherme in der Nachspielzeit nach oben geschraubt.

2. Spieltag Atletico Madrid - FC Salzburg

Tatsächliches Ergebnis: 3:2
xG-Ergebnis: 2,6:1,3

Atletico konnte im Wanda Metropolitano einen doppelt so hohen xG-Wert als Salzburg aufweisen - und das nicht ohne Grund.

Die Madrilenen ließen einige Chancen wie einen Latten-Fallrückzieher von Joao Felix liegen, ehe sie durch einen nicht gerade platzierten flachen Versuch von Marcos Llorente von der Strafraumgrenze in Führung gingen. Cican Stankovic sah dabei nicht gut aus, die Wahrscheinlichkeit eines durchschnittlichen Torerfolgs aus dieser Lage dürfte nicht allzu groß gewesen sein.

Genau das Gegenteil kann man vom zwischenzeitlichen 2:2 durch Joao Felix behaupten, der Portugiese musste die Kugel nach einer schönen Kombination am Fünfer nur mehr ins leere Tor schieben. Hier nähern wir uns wohl einer Torwahrscheinlichkeit von 100 Prozent an. Auch das 3:2 von Felix, der den Ball aus kurzer Distanz per Innenstange zur Entscheidung ins Tor knallte, dürfte einen hohen xG-Wert besitzen.

Salzburgs zwischenzeitlicher Ausgleichstreffer war vor allem Dominik Szoboszlais toller Schusstechnik zu verdanken. Der Ungar versenkte die Kugel kurz vor der Pause aus schwieriger Position mit dem Außenrist. Mergim Berishas Abschluss, der unmittelbar nach Seitenwechsel von Felipe zu einem Eigentor und damit zur zwischenzeitlichen "Bullen"-Führung in den Kasten gelenkt wurde, besitzt im Durchschnitt wohl eine hohe Trefferquote. Der Deutsche musste die Kugel am Fünfer nur mehr Richtung leeres Tor grätschen.

Da Salzburg bis auf wenige Halbchancen nach Seitenwechsel in Madrid ansonsten kaum zu Möglichkeiten kam, ist ein xG-Wert von nur 1,3 keine große Überraschung.

3. Spieltag FC Salzburg - Bayern München

Tatsächliches Ergebnis: 2:6
xG-Ergebnis: 1,8:2,6

Auch ohne Kenntnis der Expected Goals kann man sagen, dass der Bayern-Sieg in der Red Bull Arena am dritten Spieltag mit 6:2 deutlich zu hoch ausfiel und den Spielverlauf nicht gänzlich widerspiegelte.

Die Statistik gibt dieser Annahme recht: Während Salzburgs Ausbeute von zwei Treffern ungefähr dem xG-Soll entsprach, konnten die Bayern mit ihren sechs Toren dieses deutlich überbieten. Die niedrige Anzahl an Expected Goals der Münchner ist insofern überraschend, da alleine Robert Lewandowskis verwandelter Elfmeter einem xG-Wert von 0,76 entspricht, die restlichen fünf Bayern-Treffer sowie einige gute Chancen machen also nur mehr 1,84 Expected Goals aus.

Bei Salzburg ist das Zusammenkommen des xG-Wertes von 1,8 etwas besser nachvollziehbar: Sowohl Mergim Berishas Blitztor aus spitzem Winkel als auch Masaya Okugawas Treffer zum zwischenzeitlichen 2:2 auf Höhe des Elferpunktes gingen Abschluss-Situationen mit hoher Trefferwahrscheinlichkeit voraus. Dazu kommen zwei gute Möglichkeiten in Hälfte zwei von Enock Mwepu und Noah Okafor, die aus aussichtsreichen Positionen an Manuel Neuer scheiterten.

4. Spieltag Bayern München - FC Salzburg

Tatsächliches Ergebnis: 3:1
xG-Ergebnis: 1,3:2,7

Salzburgs eklatante Abschlussschwäche beim Auswärtsspiel in München lässt sich am besten mit dem Verhältnis der Expected Goals zu den tatsächlich erzielten Toren darstellen: Einem xG-Wert von 2,7 steht am Spielbericht nur ein tatsächlicher Treffer von Mergim Berisha gegenüber.

Die Mozartstädter vergaben in der Allianz Arena gleich mehrere Top-Chancen und verpassten so eine Sensation. Bereits in Hälfte eins ließen Mergim Berisha und Enock Mwepu mit einer Doppelchance eine große Möglichkeit auf eine frühe Führung aus, Dominik Szoboszlai versagten alleine vor Manuel Neuer ebenfalls noch in Durchgang eins die Nerven.

Nach Seitenwechsel konnte Enock Mwepu den Bayern-Schlussmann aus kurzer Distanz nicht bezwingen, erst beim Stand von 0:3 und in Überzahl durfte Salzburg in Form von Mergim Berisha, der nach einem Kristensen-Stanglpass am Fünfer cool blieb, über den ersten Treffer jubeln. Kurz vor Schluss vergab auch noch der eingewechselte Luka Sucic einen Sitzer, nachdem er Manuel Neuer umkurvte und vor dem leeren Tor ausrutschte.

Die Bayern zeigten sich hingegen eiskalt und machten aus kaum Chancen drei Tore. Robert Lewandowskis Abstauber zum 1:0 besitzt dabei wohl einen höheren xG-Wert. Die Aufgabe des Polen nach einem von Cican Stankovic zur Seite geklatschten Müller-Versuch war eine eher einfache. Das 2:0 durch Kingsley Coman fiel nach einem eigentlich harmlosen Versuch des Franzosen, der neben dem Tor gelandet wäre, wenn er von Max Wöber nicht unglücklich in die eigenen Maschen gelenkt worden wäre. Die dritte Möglichkeit der Münchner verwandelte Leroy Sane aus wenigen Metern per Kopf zum 3:0.

5. Spieltag Lokomotiv Moskau - FC Salzburg

Tatsächliches Ergebnis: 1:3
xG-Ergebnis: 1,1:3,0

In Moskau konnten beide Teams ihrem xG-Wert fast haargenau gerecht werden.

Salzburg ging durch einen Abstauber von Mergim Berisha früh in Führung, der Deutsche hatte nach einem abgerissenen Mwepu-Schuss an der Fünferkante wenig Mühe, Salzburg in Front zu bringen. Deutlich schwieriger war Berishas Aufgabe vor dem 2:0, nach einem perfekten Koita-Steilpass schlenzte der 22-Jährige den Ball im Duell mit Lok-Keeper Guilherme mit seinem linken Fuß am russischen Goalie vorbei.

Der dritte Treffer der Mozartstädter ging auf die Kappe von Karim Adeyemi, der kurz vor Schluss den Turbo zündete und aus leicht spitzem Winkel mit seinem schwächeren Rechten den Deckel draufmachte. Eine gute Chance von Sekou Koita, ein Mwepu-Distanzversuch sowie eine vergebene Möglichkeit von Patson Daka vor dem leeren Tor schraubten Salzburgs xG-Wert noch weiter in die Höhe.

Lok Moskaus xG-Wert von 1,1 lässt sich schnell zusammenfassen und besteht aus den 0,76 Expected Goals durch den von Anton Miranchuk verwandelten Elfmeter sowie einem von Dominik Szoboszlai und Andre Ramalho auf der Linie geklärten Murilo-Kopfball.

6. Spieltag FC Salzburg - Atletico Madrid

Tatsächliches Ergebnis: ?:?
xG-Prognose: 1,98:1,32

Der xG-Wert wird vermehrt auch von Wettanbietern genutzt, um noch genauere Quoten zu entwickeln. Rechnet man sich den Durchschnitt aller Expected Goals von Salzburgs bisherigen Partien und Atleticos fünf Matches in dieser Champions-League-Saison aus, kommt man auf ein xG-Ergebnis von 1,98:1,32 beim direkten Duell am Mittwoch (21 Uhr im LIVE-Ticker). Großzügig gerundet ergibt das ein prognostiziertes Endergebnis von 2:1 und Salzburg würde im Achtelfinale stehen.

Fußball spielt sich allerdings leider noch immer auf dem Feld und nicht im Statistik-Center ab. Können die "Bullen" ihren "erwarteten Toren" allerdings erneut gerecht werden und verhindern sie diesmal die "unerwarteten Gegentreffer", ist für Österreichs Meister ein Aufstieg durchaus im Bereich des Möglichen.

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