Insgesamt 4.849 teils atemberaubend starke Spielminuten benötigte Nicolas Seiwald, bis er erstmals für den FC Red Bull Salzburg in einem anderen Bewerb als dem ÖFB-Cup anschreiben konnte.
Der Kuchler brachte seine Mozartstädter am vergangenen Dienstag dank eines platzierten Flachschusses mit 1:0 bei Dinamo Zagreb in Führung und damit auf Kurs für einen extrem wichtigen Punktgewinn der "Bullen" am vierten Champions-League-Spieltag.
Damit durchbrach der 21-jährige Mittelfeldspieler eine Torsperre, die seit seinem Aufstieg zum ersten Team der Salzburger - mit Ausnahme eines 8:0-Cupsieges über den Regionalligisten SC Kalsdorf, bei dem Seiwald zum ersten und davor einzigen Mal anschrieb - 79 Spiele andauerte.
"Ich bin froh darüber, es ist jetzt echt Zeit geworden", strahlt Seiwald nach der Partie in Zagreb deswegen gegenüber LAOLA1.
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Mitspieler und Trainer stichelten bereits
Die Torflaute des Salzburger Eigengewächs war auch teamintern ein Thema - aber freilich nur auf humorvolle Weise. Seine Mitspieler wiesen Seiwald nicht nur einmal scherzhaft auf seine Torungefährlichkeit hin. "Beim Torschusstraining, wenn einer mal vorbeigangen ist, hat man schon mal einen Spruch reinkriegt", so Seiwald.
Und selbst vom Trainer wurde er bereits sekkiert. "Wir haben ihn schon auf die Schippe genommen, dass er mal ein Tor machen darf", gibt Matthias Jaissle zu.
Dass der Bann ausgerechnet im wichtigen und harten Auswärtsspiel in Zagreb brach, "freut mich extrem. Er hat wieder eine Topleistung gebracht, er macht das richtig gut", so Jaissle weiter.
Seiwald verpasst kaum Spiele
Quasi mit Hochrücken des Deutschen zum Cheftrainer des FC Red Bull Salzburg avancierte Seiwald zum Stammspieler in der Mozartstadt und agierte seither glänzend.
Das Mozartstädter Eigengewächs, welches seit seinem neunten Lebensjahr in der "Bullen"-Akademie ausgebildet wurde und sich in jeder Altersklasse gegen vermeintlich talentiertere Konkurrenten durchsetzte, lief seit Jaissles Amtsübernahme in jedem Champions-League-Spiel von Anfang an auf und verpasste am vergangenen Wochenende, als er gegen Altach geschont wurde, sein allererstes (!) Bundesliga-Spiel seit Saisonbeginn 2021/22.
In dieser Spielzeit spulte der Dauerläufer mit bisher 1.372 Einsatzminuten mit deutlichem Abstand die meiste Spielzeit aller Salzburger Feldspieler ab, in der Vorsaison war er in dieser Hinsicht trotz einer Knieoperation in der Winterpause Zweiter hinter Rasmus Kristensen.
In gleich mehreren Champions-League-Statistiken top
Doch Seiwald ist nicht nur in jeder Partie der Mozartstädter dabei, er drückte den allermeisten davon auch seinen Stempel auf.
Ob als Anker auf der Sechs, oder als kreativer Achter - der Kuchler ist eines, wenn nicht das prägendste Element in der Mozartstädter Mittelfeld-Raute. Seine Ballgewinne erinnern an die größten Pressingmaschinen, die je die Mozartstadt beehrten, seine Pässe - egal, ob kurz oder über den halben Platz - kommen so gut wie immer zielsicher an. Auch für viele Standards zeigt sich der Rechtsfuß verantwortlich.
In Zahlen lässt sich Seiwalds Wert für Salzburg folgendermaßen ausdrücken: Von den 649 Spielern, die in dieser Saison bereits in der "Königsklasse" aufliefen, hat der ÖFB-Teamspieler die viertmeisten Kilometer abgespult, er konnte am elftmeisten Ballgewinne verbuchen - mehr gelangen keinem Mittelfeldspieler außer Frankfurts Djibril Sow - und mit einer Passgenauigkeit von 77,5 Prozent weist er den zweithöchsten Wert innerhalb der Salzburger Mannschaft auf. Selbst sein großes Vorbild Kevin de Bruyne (75 Prozent Passgenauigkeit) kann mit Seiwald in dieser Hinsicht nicht mithalten.
Die beeindruckenden Statistiken von Nicolas Seiwald in der Übersicht:
Meiste zurückgelegte Kilometer in der Champions League 2022/23
Rang | Spieler | Verein | Zurückgelegte Distanz (km) |
---|---|---|---|
1 | Djibril Sow | Eintracht Frankfurt | 49,4 |
2 | Thomas Meunier | Borussia Dortmund | 48,1 |
3 | Florentino | Benfica Lissabon | 47,7 |
4 | NICOLAS SEIWALD | FC Salzburg | 47,6 |
5 | Stephen Eustaqio | FC Porto | 47,4 |
Meiste eroberte Bälle in der Champions League 2022/23
Rang | Spieler | Verein | Anzahl eroberter Bälle |
---|---|---|---|
1 | Piero Hincapie | Bayer Leverkusen | 37 |
2 | Nicolas Otamendi | Benfica Lissabon | 32 |
2 | Tuta | Eintracht Frankfurt | 32 |
2 | Giovanni di Lorenzo | SSC Napoli | 32 |
2 | Niklas Süle | Borussia Dortmund | 32 |
... | |||
11 | NICOLAS SEIWALD | FC Salzburg | 29 |
Beste Passquote in der Champions League 2022/23 (Salzburg intern)
Rang | Spieler | Versuchte Pässe | Gelungene Pässe | Passgenauigkeit |
---|---|---|---|---|
1 | Oumar Solet | 110 | 98 | 88,7% |
2 | NICOLAS SEIWALD | 165 | 133 | 77,5% |
3 | Luka Sucic | 119 | 89 | 74,3% |
4 | Strahinja Pavlovic | 134 | 103 | 73% |
5 | Noah Okafor | 54 | 38 | 70,5% |
Bodenständigkeit ist sein Trumpf
Trotz dieser Spitzenstatistiken sowie einem Marktwert von 20 Millionen Euro (laut transfermarkt.at) ist Seiwald fest am Boden verankert.
In seinem gut behüteten Elternhaus, in welchem er in einer absoluten Fußballerfamilie aufwuchs, wohnt er auch heute noch; Leuten, die ihn nicht kennen, stellt er sich so beiläufig und bescheiden als Fußballer vor, dass man glauben könnte, er würde irgendwo im österreichischen Unterhaus statt im höchstmöglichen internationalen Bewerb kicken.
Dazu passte auch die Reaktion des Rotschopfs nach seinem Treffer in Zagreb. Als die Kugel im Netz einschlug, jubelte er zunächst gar nicht, dann hob er etwas unbeholfen die Arme. Beinahe wirkte es so, als wäre es ihm unangenehm, den Zagrebern direkt vor ihrer vollen Fankurve ein Tor einzuschenken.
Seiwalds Gretchenfrage: Sechser oder Achter?
Seiwald ist bei Salzburg mittlerweile so wichtig, dass man ihn am liebsten klonen würde, wenn man könnte. Das komplett austrainierte Ausdauerwunder ist sowohl auf den beiden Achterpositionen in der Raute als auch auf der Solo-Sechs einsatzbar und wäre auf beider dieser Positionen Stammspieler.
Da im Sommer mit Mo Camara der Stammsechser den Abgang aus Salzburg antrat, agierte Seiwald im ersten Saisondrittel zumeist auf der Sechser-Position. Nun, da Sommer-Neuzugang Lucas Gourna-Douath immer besser in Fahrt kommt, ist der Kuchler immer öfter wieder eine Etappe weiter vorne zuhause.
So auch in Zagreb, wo er erstmals seit längerer Zeit als rechter, und nicht wie gewohnt als linker, Achter zum Einsatz kam - und prompt traf. Ob Coach Jaissle ihn womöglich all diese Zeit falsch eingesetzt hat? "Nein", lacht Seiwald: "Auf der Achter-Position kommt man einfach öfter zum Abschluss als als Sechser."
"Spiele beides sehr gerne"
Und welche Position spielt der Mittelfeldmann selbst lieber? "Auf der Sechserposition sind die Laufwege länger, aber nicht so intensiv wie auf der Achterposition. Da habe ich mich in der ersten Halbzeit ein bisschen schwer getan mit der Intensität. Aber ich spiele beides sehr gerne."
Seine Polyvalenz ist nur eine der vielen Qualitäten Seiwalds, die ihn von vielen anderen Spielern abheben. Enormes Laufpensum, routinierte Zweikampfführung, hohe Spielintelligenz sowie eine perfekte fußballerische Ausbildung lauten einige weitere. Komplettere Mittelfeldspieler gibt es in seinem Alter momentan weltweit nur wenige.
Ob der bodenständige Salzburger tatsächlich jemals die absolute Weltspitze erreichen wird, steht freilich in den Sternen. Die passenden Anlagen und - noch viel wichtiger - die richtige Mentalität dafür hätte er auf jeden Fall. Das beweist er Woche für Woche unter anderem in der Champions League.