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Stefan Bajcetic: Liverpools Juwel, das Real einst anflehte

Real Madrid wollte den Spanier mit serbischen Wurzeln im Sommer 2020 um jeden Preis - doch der hatte nur Augen für Liverpool. Eine goldrichtige Entscheidung:

Stefan Bajcetic: Liverpools Juwel, das Real einst anflehte Foto: © getty

Man würde meinen, dass der Wunsch eines jungen Spielers wäre, irgendwann einmal für Real Madrid auflaufen zu dürfen.

Die "Königlichen" genießen seit jeher eines der größten, wenn nicht sogar das größte Standing im europäischen Klub-Fußball. Etliche aktuelle und vergangene Weltstars streiften sich bereits das Trikot des "Weißen Balletts" über, viele weitere werden in den kommenden Jahrzehnten bestimmt hinzukommen.

Doch es gibt eine geringe Anzahl an Fußballern, denen der Rekordsieger der UEFA Champions League salopp gesagt "wurscht" ist. Dass sich Stefan Bajcetic zu dieser Minderheit zählen darf, wirkt auf den ersten Blick überraschend.

Der Champions-League-Kracher Liverpool gegen Real Madrid am Dienstag, ab 21 Uhr im LIVE-Ticker >>>

Nie der Beste, aber ein Juwel

Im Oktober 2004 an der Nordwestküste Spaniens in Vigo geboren, erlebte der Sohn des früheren serbischen Fußballers Srdjan Bajcetic in den 2010er-Jahren die mitunter erfolgreichste Phase in der Klub-Geschichte Reals aus nicht weiter Entfernung mit.

Die Fußballkarriere wurde ihm praktisch in die Wiege gelegt, Papa Bajcetic spielte selbst unter anderem für Roter Stern Belgrad und Celta Vigo. 1997 lief Bajcetic in Vigo gemeinsam mit Mazinho auf. Mit diesem Namen werden wahrscheinlich nur die wenigsten etwas anfangen können, viel mehr aber mit seinem Sohn: Thiago Alcantara. Dazu aber später mehr.

"Du musst etwas fühlen. Bei Real Madrid und Barcelona kannst du einfach irgendein Spieler sein. Liverpool wollte Stefan und nicht nur irgendeinen Spieler von Celta Vigo."

Celta-Akademiedirektor Alex Otero

Stefan Bajcetic schloss sich im Alter von acht Jahren dem Nachwuchs von Celta Vigo an, zählte bei den Galiziern allerdings nie zu den besten Spielern. "Er war ein sehr guter Spieler, aber nie der beste", bestätigt Akademiedirektor Alex Otero der Zeitung "Liverpool Echo".

Trotzdem bot sich dem heute 18-Jährigen im Sommer 2020 die Chance, den Sprung zu einem internationalen Top-Klub zu wagen. Der FC Liverpool, Manchester United und Real Madrid wurden in Vigo vorstellig und bemühten sich um die Dienste des vielseitigen Juwels.

Für Vater und Sohn war die Entscheidung schnell getroffen, die "Reds" sollten es werden. Warum? "Du musst etwas fühlen. Bei Real Madrid und Barcelona kannst du einfach irgendein Spieler sein. Liverpool wollte Stefan und nicht nur irgendeinen Spieler von Celta Vigo", kann Otero die Denkweise der Familie Bajcetic nachvollziehen.

Real benahm sich gar nicht mehr so königlich

Vater Srdjan soll vom Schritt nach England sofort überzeugt gewesen sein, letztendlich gab es nie Zweifel daran, dass der Weg seines Sprösslings an die Merseyside führen würde.

Weshalb auch? Die "Reds" gewannen gerade erst die Premier League, wurden im Jahr zuvor Champions-League-Sieger. Manchester United hingegen durchlebte zu diesem Zeitpunkt eine schwierige Phase, aber was hat gegen Real Madrid gesprochen?

"Stefan und sein Vater haben, glaube ich, beschlossen, in Spanien immer für Celta Vigo zu spielen, weil es dort mehr Möglichkeiten in der ersten Mannschaft gibt als bei Real Madrid oder Barcelona", vermutet Otero. "Sie sagten mir, wenn sie in Spanien bleiben würden, wäre es Celta, wenn es außerhalb Spaniens wäre, wäre es Liverpool."

Der Schock in Madrid saß tief – sogar so tief, dass man den jungen Bajcetic anflehte, in die Hauptstadt seiner Heimat zu wechseln. "Als Real Madrid erfuhr, dass Liverpool mit Stefan Kontakt aufnehmen wollte, drehten sie durch: 'Stefan, oh nein, komm her!'", erzählt der Akademieleiter.

Obwohl sich die "Königlichen" gar nicht königlich benahmen und sprichwörtlich auf den Knien gekrochen kamen, änderte es nichts an der Tatsache, dass der Spanier mit serbischen Wurzeln in Liverpool aufschlagen würde.

Eine Talentprobe nach der anderen

Ein Jahr nach seiner Ankunft an der Anfield Road wurde der spanische Jugend-Nationalspieler in Liverpools U18-Team aufgenommen, für welches er anfangs noch auf seiner angestammten Position in der Innenverteidigung aufgeboten wurde.

Als klassischen Abwehr-Recken konnte man den 1,85 Meter großen Bajcetic jedoch ohnehin nie bezeichnen. Viel mehr überzeugt der flexible Rechtsfuß mit einer ausgeprägten Ruhe am Ball und gutem Passspiel. Dazu kommen Stärken in der Balleroberung und der Antizipation.

Um seine Vorzüge auf dem Platz besser zur Geltung bringen zu können, wurde Bajcetic mit Fortdauer auf die Sechs vorgezogen. Die Umstellung bereitete ihm keine Probleme, auch Profi-Coach Jürgen Klopp wechselte den Spanier bei dessen Debüt am 27. August gegen Bournemouth (9:0) im defensiven Mittelfeld ein.

VIDEO: Stefan Bajcetic spricht über seine Vertragsverlängerung


Der Jüngling wusste zuvor während der Sommervorbereitung zu überzeugen, zwei Wochen nach seinem Premier-League-Einstand konnte Bajcetic schon die Champions League in seine Vita aufnehmen -  Klopp wechselte ihn beim 2:1-Triumph über Ajax Amsterdam spät ein.

Zu diesem Zeitpunkt pendelte Bajcetic allerdings auch noch zwischen der U21 und den Profis, ehe er in der dritten Runde des EFL-Cups gegen Derby County eine weitere Talentprobe abliefern durfte – diesmal sogar von Beginn an.

Verspätetes Weihnachtsgeschenk

Fortan gehörte Bajcetic der Profi-Mannschaft an, regelrecht explodiert ist er allerdings erst nach der Weltmeisterschaft in Katar. Als Hauptgrund macht der Senkrechtstarter ein Trainingslager im Dezember in Dubai aus, welches für den Übergang in die erste Mannschaft hilfreich war.

"Das Trainingslager hat mir viel Selbstvertrauen gegeben, weil einige der Spieler mit der Nationalmannschaft an der Weltmeisterschaft teilgenommen haben, so dass ich mehr Möglichkeiten hatte, zu spielen. Ich habe einige Freundschaftsspiele bestritten und das hat mir viel Selbstvertrauen gegeben, um dann in die Premier League zurückzukehren und mich dort zu beweisen", sagt der 18-Jährige in einem Klub-Interview.

"Der Ball kam zu mir und ich wusste nicht, was ich tun soll - ich bin das Toreschießen nicht gewohnt."

Stefan Bajcetic über sein erstes Premier-League-Tor

Kurz vor Weihnachten bestritt Bajcetic gegen Manchester City seinen nächsten Startelf-Einsatz, am Boxing Day jubelte er gegen Aston Villa (3:1) über sein erstes Tor in der Premier League. "Der schönste Moment meines Lebens, von dem ich geträumt habe, seit ich angefangen habe, Fußball zu spielen", schrieb er danach auf Instagram über sein Abpraller-Tor.

Später offenbarte er: "Ich habe Darwin (Nunez, Anm.) rennen sehen und dachte: 'Okay, ich muss da reingehen.' Der Ball kam zu mir und ich wusste nicht, was ich tun soll - ich bin das Toreschießen nicht gewohnt. Ich wusste einfach nicht, was ich tun soll. Ich habe einfach an all die Arbeit gedacht, wie ich sehr jung aus Spanien weggezogen bin. Das war hart - und es hat sich gelohnt."

Liverpools Lichtblick auf Thiagos Spuren

Spätestens hier hat es sich auch gelohnt, zweieinhalb Jahre zuvor den Schritt nach Liverpool gemacht zu haben. Denn nicht nur das Tor, sondern die Leistungen in den vorherigen Spielen offenbarten: Da wächst ein großes Talent heran.

In einer von vielen Rückschlägen gezeichneten Saison ist der 1,85 Meter große Youngster - der Ende Jänner eine Vertragsverlängerung bis Sommer 2027 unterschrieb -  mitunter der einzige Lichtblick im Team der "Reds".

Die Schwächen des letztjährigen CL-Finalisten sind heuer vor allem im Mittelfeld festzumachen, in dem Fabinho bislang weit unter Normal-Form agierte, auch Kapitän Jordan Henderson fehlerhaft agierte. Hinzu kommen ein nicht jünger werdender James Milner sowie Strippenzieher Thiago, den zurzeit wieder einmal eine Muskelverletzung plagt.

Um die anfangs angerissene Brücke zu Bajcetic und seinem Landsmann zu schlagen, sie gingen trotz ihrer 13 Jahre Unterschied in der Jugend einen ähnlichen Weg.

Der mit unzähligen Titeln dekorierte Thiago spielte zwischen 2003 und 2005 für Ureca – heute bekannt als ED Val Minor Nigran – und damit nicht unweit von Vigo. Bajcetic spielte dort ebenfalls ab seinem fünften Lebensjahr für drei Jahre.

Javier Lago, der mit einer Gruppe von Freunden an der Gründung von Ureca (Val Minor) beteiligt war, ist jedes Mal, wenn er Liverpool im Fernsehen sieht, von diesem Zufall beeindruckt.

"Hoffentlich bleibt Stefan auf diesem Weg und tritt in die Fußstapfen von Thiago", sagt er in einem Interview mit "The Athletic". "Und auch Thiago hilft ihm ein bisschen, weil sie gemeinsame Anfänge haben."

In den sechs Spielen, die beide bisher gemeinsam bestritten, passte die Chemie bereits. Und sollte Thiago einmal ausfallen, schiebt Klopp seinen Youngster eine Etappe nach vorne auf die Acht – so geschehen beim Merseyside-Derby gegen Everton oder in Newcastle.

Lobeshymnen von allen Seiten

In dem für Liverpool prestigeträchtigen Spiel gegen den Lokalrivalen lieferte Bajcetic über 90 Minuten seine wohl bisher beste Leistung ab, welche die Fans auch mit dem Titel für den "Man of the Match" honorierten.

Auch von den Teamkollegen gab es danach lobende Worte und Adelungen. Mohamed Salah meinte etwa: "Er ist ein großartiger Spieler und ein toller Mensch. Er versucht immer, hart zu arbeiten und seit er bei uns spielt, ist er vielleicht unser bester Spieler. Hoffentlich behält er dieses Selbstvertrauen und macht einfach weiter."

VIDEO: Jürgen Klopp schwärmt von seinem Mittelfeld-Juwel


Jürgen Klopp zeigte sich angesichts dessen, dass er seinen Schützling gegen Everton "auf einer neuen Position eingesetzt hat", ebenfalls hochzufrieden.

"Er kam als Kind als Innenverteidiger hierher, spielte jetzt in einigen Spielen als Sechser für uns und heute Abend als Achter und in vielen Momenten auf der Doppelsechs, das hat er sehr gut gemacht. Es war eine ziemlich gute Leistung, um ehrlich zu sein."

Die Statistiken belegten dies. Der 18-Jährige spielte im Laufe des Derbys zwei Schlüsselpässe, gewann zwei von zwei Zweikämpfen, eroberte fünf Mal den Ball zurück und fing zwei Pässe ab. Das Talent war der Taktgeber in einem stabilen Mittelfeld und belebte das Offensivspiel Liverpools.

Bajcetic liebt den Druck

Durch seine Leistungen werden nun immer mehr Augen auf das Juwel gerichtet sein. Bajcetic macht dies allerdings genauso wenig aus wie der Siegesdruck, der auf den "Reds" lastet.

"Ich mag den Druck in dieser Situation, dass wir gewinnen müssen. Ich bin gerne hier, und das ist etwas, wovon ich schon als Kind geträumt habe. Ich mag es", frohlockt der Rohdiamant.

An dem Jürgen Klopp und Co. natürlich weiter schleifen müssen, doch aktuell bereitet der junge Mann aus Vigo sowohl Fans als auch Teamkollegen und Trainern eine große Freude.

"Top-Talent, super Spieler, er hat bisher wirklich, wirklich, wirklich gut für uns gespielt. Seit er bei uns ist, ist es eine reine Freude, mit ihm zu arbeiten", schwärmte Klopp vor dem 2:0-Sieg gegen Newcastle United.

Ein Highlight jagt aktuell das nächste, das bisher größte folgt am Dienstagabend. Dann trifft der 18-jährige Spanier an der Anfield Road im Achtelfinal-Hinspiel der UEFA Champions League mit seinem LFC auf jenen Klub, dem er im Sommer 2020 dankend ablehnte: Real Madrid.


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