Kurz rutschte den Fans von Real Sociedad im Basken-Derby vom Wochenende das Herz in die Hose.
Takefusa Kubo, bisher das Um und Auf in der Offensive von "La Real", humpelte nach seinem Treffer zum zwischenzeitlichen 2:0 für sein Team zur rechten Eckfahne, griff sich mit schmerzverzerrtem Gesicht auf den linken Oberschenkel - und fing plötzlich zu Twerken an.
Diesem Popowackel-Torjubel, der zuletzt unter anderem auf TikTok viral ging, war der mittlerweile fünfte Treffer Kubos im siebten Saisonspiel vorangegangen. Nur Real-Madrid-Star Jude Bellingham hat in La Liga bisher öfter getroffen als der 22-jährige Japaner.
Bereits in der Vorsaison konnte der "japanische Messi", wie Kubo seit früher Kindheit genannt wird, bei Real Sociedad sein schier unermessliches Potenzial endlich auf den Platz bringen. So gut in Form wie aktuell, unmittelbar vor dem Aufeinandertreffen seines Klubs mit dem FC Salzburg in der Champions League am Dienstag (18:45 im LIVE-Ticker), war das Supertalent aber noch nie zuvor.
LAOLA1 zeichnet mithilfe zweier Experten des japanischen Fußballs den bisherigen Karriereweg des Takefusa Kubo nach, der ihn bereits als Kind im Volksschulalter von seiner japanischen Heimat zum FC Barcelona, wieder zurück nach Japan und anschließend endlich in La Liga führte:
Kubos kurioser Twerking-Jubel im VIDEO:
Kubo's celebration 🤣🤣🤣 pic.twitter.com/k1r0QK5khG
— EuroFoot (@eurofootcom) September 30, 2023
Schon als Zehnjähriger ein Star in Japan
Zu sagen, Kubo sei schon früh in seinem Leben im internationalen Rampenlicht gestanden, wäre fast noch untertrieben.
Nachdem er vergleichsweise spät, im Alter von sieben Jahren, beim FC Persimmon das Kicken begann, dauerte es nur wenige Monate, bis "Take", wie er sich selbst nennt, erstmals in den Farben des FC Barcelona auflief.
Die "Blaugrana" hielten 2009 ein Fußballcamp in Japan ab, wozu auch Kubo eingeladen war. Der junge Mann aus Kawasaki begeisterte die Verantwortlichen der zu diesem Zeitpunkt besten Nachwuchsschmiede der Welt auf Anhieb und wurde zum MVP des Camps gekürt.
Plötzlich ging alles Schlag auf Schlag: 2010 durfte Kubo den FC Barcelona bei einem Kinderturnier in Belgien vertreten, wieder avancierte er zum Spieler des Turniers. 2011, kurz nach seinem 10. Geburtstag dann der Sprung in La Masia, wo er sich mit 74 Treffern in 30 Einsätzen in seiner ersten Saison vorstellte.
Obwohl Kubo damals in einem Alter war, in dem japanische Kinder normalerweise noch die Shōgakkō (Grundschule) besuchen, war sein Name plötzlich auf jeder der bewohnten 425 japanischen Inseln bekannt.
"Es war in Japan sehr auffällig, dass ein Japaner bei Barcelona spielte, obwohl er nur in der Akademie war. Von einer japanischen Perspektive ist Barcelona eines der besten Teams der Welt. Wir waren sehr stolz, einen japanischen Spieler in dieser Akademie zu haben", schwelgt die japanische Journalistin Yoshiko Ryokai von der Sportzeitung "Hochi Shimbun" gegenüber LAOLA1 in Erinnerung.
Die Bürde des Messi-Spitznamens
Es war dies jene Zeit, in der ein gewisser Lionel Messi serienweise zum Weltfußballer gekürt wurde und langsam jedem Menschen klar wurde, dass dieser kleingewachsene Argentinier einer, wenn nicht der beste Fußballer der Geschichte werden könnte. Und es war auch die Zeit, in der Kubo ob seines Körperbaus, seiner Spielweise und vor allem seines Talents jenen Spitznamen verpasst bekam, der ihn bis heute verfolgt: "Der japanische Messi".
Er war noch nicht einmal ein Teenager und wurde bereits als Retter des japanischen Fußballs gefeiert - ich denke, sowas hätte auf jeden Spieler einen gewissen Einfluss.
In Fußball-Österreich ist man sich mittlerweile bewusst, was ein solcher Spitzname mit einem Spieler machen kann, der in jungem Alter zum FC Barcelona wechselt. Und auch für Kubo war der Vergleich mit "La Pulga" mehr Bürde denn Karriere-Starthilfe, wie Dan Orlowitz von der englischsprachigen "Japan Times" weiß.
"Er war noch nicht einmal ein Teenager und wurde bereits als Retter des japanischen Fußballs gefeiert - ich denke, sowas hätte auf jeden Spieler einen gewissen Einfluss. Der Spitzname 'japanischer Messi' haftete ihm eine ganze Weile an, aber dieser Hype ist ein Problem, welches japanische Medien mit jedem jungen Spieler in jeder Sportart haben, wie etwa auch mit jedem jungen Baseball-Phänomen in der High School", so der gebürtige US-Amerikaner, der seit fast 17 Jahren im Land der aufgehenden Sonne lebt.
Doch auch über 10.000 Kilometer entfernt von seiner alten Heimat, nämlich am Campus von La Masia, gab es für Kubo damals Probleme.
"Als ich klein war und nach Barcelona ging, habe ich nicht viel darüber nachgedacht. Ich wollte einfach immer um jeden Preis nach Barcelona. Allerdings gab es im Wohnheim viele Kinder mit starken Persönlichkeiten, ich wusste, wenn ich auch nur ein bisschen angeeckt hätte, wäre das mein Ende gewesen. Manchmal wurde ich von größeren Kindern mit Fäusten geschlagen. Ich will hier nicht viel darüber sagen, aber es war ein sehr hartes Umfeld", packte der mit einer Körpergröße von 1,73 Meter vergleichsweise kleingewachsene Fußballer erst kürzlich in einer japanischen TV-Sendung aus.
Der noch kleinere Kubo zu seiner Zeit in La Masia (VIDEO):
Als der Traum von La Liga plötzlich platzte
Trotz dieses Mobbings setzte Kubo unbeirrt seinen Weg in La Masia fort und spielte sich bis zur U14 hoch, ehe 2014 der große Schock folgte: Der FC Barcelona wurde - unter anderem wegen Kubos Transfer - von der FIFA schuldig gesprochen, gegen die Statuten bezüglich Transfers minderjähriger Nicht-EU-Spieler verstoßen zu haben.
Während die "Blaugrana" eine einjährige Transfersperre ausfassten, die ihnen sportlich kaum schmerzte, wurde durch dieses FIFA-Urteil Kubos gesamte Welt auf den Kopf gestellt. Denn der damals 13-Jährige verlor plötzlich seine Spielberechtigung in Spanien und musste in seine Heimat zurückkehren. FC Tokyo statt FC Barcelona hieß nun seine Lebensrealität.
"Als er zurück nach Japan kam und sich der Jugendabteilung des FC Tokyo anschloss, war das eine sehr große Sache. Ich war Fotograf am Spielfeldrand, als er mit 15 sein Debüt für die U23 des FC Tokyo in der 3. japanischen Liga gab - es war ein Irrenhaus. Dieser Medienrummel war einmal so schlimm, dass ein Maskottchen ihn davor schützen musste, von Fotografen erdrückt zu werden", schildert Orlowitz.
Hier geht Kubo beinahe im japanischen Medienrummel unter:
建英守るためブチ切れたうちの広報めっちゃカッコよかったし、身を張ってマスコミの前に立ちふさがったドロンパ愛してるわ pic.twitter.com/UZaf4Bih1J
— ふじやま (@exp_fujiyama) May 3, 2017
Allerdings habe nicht nur das Tokioter Vereinsmaskottchen in dieser Zeit alles dafür getan, Kubo vor dieser wortwörtlich erdrückenden Berühmtheit zu schützen, sondern der Verein im Gesamten.
"Der FC Tokyo hat es wirklich gut geschafft, ihn vor dem Medienrummel abzuschirmen. Wäre das nicht passiert, hätte er genauso gut wie Freddy Adu enden können", erinnert Orlowitz an seinen US-amerikanischen Landsmann, der 14-jährig bereits in der MLS kickte, aber dem gewaltigen Druck, den der Profifußball mit sich bringt, nicht standhalten konnte und den Durchbruch nie schaffte.
Plötzlich zu Real! "Barca sah ihn als selbstverständlich an"
Auch Kubo kickte bereits ganz jung erstklassig. Mit nur 15 Jahren feierte er als bis heute jüngster Spieler aller Zeiten sein Debüt in der J3 League, mit 16 durfte er erstmals in der J1 League ran und ließ sein ungeheures Potenzial damals bereits aufblitzen, wie Orlowitz reflektiert: "Man hat schon damals definitiv sagen können, dass er auf einem anderen Level ist."
Jahr für Jahr wurde die Rolle, die der Teenager beim FC Tokyo einnahm wichtiger, gleichzeitig rückte aber auch seine Volljährigkeit immer näher. Mit 18 durfte Kubo endlich wieder zurück nach Spanien.
Doch nicht etwa zurück zum FC Barcelona ging es für den quirligen Dribbler, der für die Spielweise der Katalanen geboren zu sein schien, sondern ausgerechnet Real Madrid erhielt den Vorzug. Doch warum entschied sich Kubo für den Erzrivalen seines Ex-Klubs?
"In den japanischen Medien wurde viel darüber spekuliert, dass Real Madrid ihm ein viel besseres Angebot und die Zusage für einen Platz in der ersten Mannschaft gemacht hatte, während Barcelona nicht annähernd so viel Geld bot und nur einen Platz in der B-Mannschaft versprach. Man hatte den Eindruck, dass Barca Kubos Rückkehr als selbstverständlich ansah, während Real sich sehr um ihn bemühte", bringt Orlowitz Licht in die Causa.
Lange Lehrjahre in Spanien
Freilich ging Kubos Wechsel zu den "Königlichen" 2019 mit ähnlich viel Tamtam über die Bühne, wie es jener zum FC Barcelona acht Jahre zuvor tat.
"Ich weiß, was in meinem Land passiert. Die Leute sind ein wenig... Ich bin momentan sehr im Fokus, und ich mag das nicht wirklich", haderte er nach seinem Testspiel-Debüt für Real gegenüber der "Marca" mit dem Hype um seine Person.
Mittlerweile dürfte er gelernt haben, besser damit umzugehen, erklärt Sportjournalistin Ryokai: "Als er jung war, hat er zu viel Aufmerksamkeit bekommen und er mochte es nicht mehr, in Japan ständig im Rampenlicht zu stehen. Das hat sich aber mittlerweile gebessert, er scheint jetzt damit leben zu können, in Japan so viel Aufmerksamkeit zu erzeugen."
Diese Aufmerksamkeit riss auch nicht wirklich ab, als Kubo sich nach einer Rückkehr auf die iberische Halbinsel zunächst sportlich schwer tat. Real verlieh ihn gleich vier Mal binnen drei Jahren innerhalb Spaniens. Der hochtalentierte Linksfuß ließ sein Talent zwar bei jeder Station aufblitzen, so richtig auf Touren kam er aber erst im Baskenland.
Real Sociedad schlug im Sommer 2022 zu und verpflichtete Kubo um gerade einmal 6,5 Millionen Euro von den "Königlichen", die sich aber eine 50-prozentige Weiterverkaufsbeteiligung sicherten.
Schon in der Vorsaison konnte er mit 18 Scorern aufzeigen und mithelfen, "La Real" nach zehn Jahren zurück in die Champions League zu bringen; in der aktuellen Spielzeit scheint er bisher in noch besserer Form zu sein.
"Diese Periode der Stagnation, bevor er zu Real Sociedad kam, war vielleicht genau das, was er benötigte. Außerdem hat es ihm sehr weitergeholfen, mit David Silva (beendete diesen Sommer bei Real Sociedad seine Karriere, Anm.) zusammenzuspielen. Von ihm hat er laut eigener Aussage viel gelernt", analysiert Ryokai.
"Kubo sieht den Fußball aus der Vogelperspektive"
Die Journalistin beschreibt Kubo als einen Spieler, "der den Fußball aus der Vogelperspektive sehen kann. Er nutzt seine Fähigkeiten, um der ganzen Mannschaft zu helfen, was für japanische Menschen sehr wichtig ist".
Und Orlowitz fügt an: "Seine Technik, seine Geschwindigkeit, seine Ballkontrolle, seine Übersicht sind für jeden sichtbar, in diesen Aspekten ist er in gewisser Weise Weltklasse. Zu Beginn seiner Zeit in La Liga hatte er Probleme mit seinem Abschluss, was sich bei Real Sociedad meiner Meinung nach definitiv verbessert hat."
In Zahlen drückt sich dieser neugefundene Torriecher folgendermaßen aus: Seine fünf bisherigen Saisontore stehen einem Expected-Goals-Wert von 1,28 gegenüber. Damit erzielte Kubo fast vier Tore mehr als von der Statistik anhand seiner Abschlusspositionen berechnet.
Zu seinen Schwächen zählt neben den offensichtlichen im körperlichen Bereich jener Umstand, dass er vor wichtigen Spielen oftmals krank wird, wie Ryokai beobachtet: "Wenn er unter großem Druck steht, ist er oft erkältet oder fühlt sich unwohl. Zum Beispiel hat er das WM-Achtelfinale gegen Kroatien wegen Fieber verpasst."
Überhaupt nimmt Kubo im japanischen Nationalteam noch nicht jene Rolle ein, die er ob seiner Qualitäten einnehmen könnte. In der aktuell mit vielen starken Flügelspielern besetzten Elf der "Samurai Blue" ist der Rechtsaußen, der auch im offensiven Mittelfeld agieren kann, aktuell keine Schlüsselfigur.
"Kubo-Effekt" spült Japaner nach San Sebastian
Dennoch ist der 22-Jährige ein absoluter Star in seinem Heimatland. Real Sociedad ist noch vor dem FC Barcelona und Real Madrid jener La-Liga-Verein mit den mit Abstand höchsten Einschaltquoten im japanischen TV. Die YouTube-Videos des offiziellen Kanals der Basken wurden seit Sommer 2022 zu 46% von japanischen Usern aufgerufen (und nur zu 42,2% von spanischen Usern).
Und auch im Estadio Anoeta finden sich seit Kubos Ankunft in San Sebastian Woche für Woche zahlreiche japanische JournalistInnen und ZuseherInnen wieder. Wie "El Dario Vasco" schätzt, besuchten insgesamt rund 1.000 JapanerInnen in der Vorsaison ein Heimspiel von Real Sociedad. Zum Vergleich: In der Saison davor waren es acht.
Ob es einer oder eine dieser BesucherInnen aus Japan, ein als durchaus prüdes geltendes Land, nach Kubos Twerking-Einlage die Schamesröte ins Gesicht trieb, ist hingegen nicht übermittelt.
Aus Sicht des FC Salzburg bleibt nur zu hoffen, dass es für den Shootingstar am Dienstag keinen Grund geben wird, seinen Hintern jubelnd Richtung Publikum zu strecken...