In der Serie "Das Tor zur Welt" nehmen wir internationale Fußball-Klubs und ihre Geschichten genau unter die Lupe. Wir beleuchten die Hintergründe, die in der schnellen, täglichen Berichterstattung gerne untergehen.
Vom FC Girona über Europas größten Fußballklub IF Brommapojkarna, den Fan-Verein CS Lebowski bis hin zum deutschen Kultverein FC St. Pauli haben wir schon einige Klubs portraitiert. Hier kannst du alle nachlesen >>>
Diesmal steht Benfica Lissabon im Fokus - der anstehende Gegner des FC Salzburg in der Champions League sowie einer von nur zwei Klubs, welcher die "Bullen" in der vergangenen Dekade an Transferprofit überbieten konnte.
24 Waisen, eine Apotheke und der Beginn eines Fußballmärchens
1,25 Milliarden Euro - so viel Geld nahm Sport Lisboa e Benfica, wie der Klub, um den es in dieser Folge von "Das Tor zur Welt" gehen soll, offiziell heißt, in den vergangenen zehn Jahren mit dem Verkauf von Spielern ein.
Es ist eine Summe, die einen heutzutage schwindlig macht und wohl noch viel wildere Gefühle bei 24 jungen, fußballbegeisterten Männern, die sich am 28. Februar 1904 in einer Lissabonner Apotheke trafen, um einen Fußballklub zu gründen, hervorgerufen hätte - zumindest, wenn man ihnen diese Summe inflationsbereinigt in den damals gängigen portugiesischen Real umgerechnet hätte.
Dass Sport Lisboa, so der Name, auf den die 24 Gründer ihren Klub an diesem historischen Tag tauften, einmal einer der umsatzstärksten Vereine des Weltfußballs werden würde, war damals nur schwerlich abzusehen - obwohl die Vision dieser Männer, die allesamt eine Institution für Waisenkinder besuchten und sich dort kennenlernten, für ihren neu gegründeten Verein hochgesteckt war.
Bereits am Tag der Gründung wurde beschlossen, dass ein Adler das Emblem zieren wird, um die hochfliegenden Ambitionen des frischgeborenen Vereins zu symbolisieren. Der Adler ist heute mehr denn je Bestandteil der Klubkultur: Seit 20 Jahren dreht ein lebendiges Exemplar des Wappenvogels vor jedem Heimspiel eine Runde durch das Stadion.
Auch Klubfarben (Rot für Tapferkeit, Weiß für Frieden) sowie lateinisches Klubmotto ("E Pluribus Unum", zu deutsch "Aus vielen eines"), welches den familiären Bund zwischen den als Waisenkinder aufgewachsenen Gründungsmitgliedern repräsentieren sollte, wurden noch am Gründungstag festgelegt und haben bis heute Bestand.
Allzu familiär ging es bei Sport Lisboa aber nicht recht lange zu. Bereits 1907 traten acht Mitglieder aus dem finanziell angeschlagenen Klub, der zunächst kein eigenes Spielfeld besaß, aus, um sich dem wohlhabenderen, ein Jahr zuvor gegründeten Sporting Clube de Portugal - besser bekannt als Sporting Lissabon - anzuschließen.
Zu allem Überfluss konnte Sporting Ende 1907 auch noch das allererste Derby de Lisboa für sich entscheiden - und eine mittlerweile 116 Jahre andauernde Rivalität war geboren.
Als Benfica zu Benfica wurde
Apropos geboren: Ursprünglich stammt der Verein aus dem Stadtteil Belem (portugiesisch für Betlehem, nach biblischer Überlieferung der Geburtsort von Jesus Christus).
Erst 1908 wanderte man vom Südwesten Lissabons in den nördlichen Stadtteil Benfica, um durch eine Fusion mit dem auf Radsport fokussierten Verein Sport Clube de Benfica seinen finanziellen Sorgen zu entkommen.
Da Sport Lisboa in der kurzen Zeit seiner Existenz schon eine beträchtliche Anhängerschaft in Lissabon entwickeln konnte, wurde entschieden, das Gründungsdatum des Belem-Klubs sowie Klubfarben und -Emblem (mit der Ergänzung eines Fahrradreifens, welcher bei genauer Betrachtung noch heute auszumachen ist) für den zusammenfusionierten Verein zu übernehmen.
Das heutige Wappen von Benfica Lissabon. Adler, Motto, Klubfahren und Fahrradreifen sind bis heute erhalten.
Sport Lisboa e Benfica, so ab nun der Klubname, war endlich von seinen finanziellen Sorgen befreit, eine fixe sportliche Heimat sollte aber erst Jahrzehnte später gefunden werden. Insgesamt sechs Mal musste der Klub zwischen 1904 und 1954 umziehen, besaß kurzfristig ein eigenes Stadion, welches allerdings nicht in Benfica lag, und war zwischenzeitlich sogar gezwungen, sich im Estadio do Campo Grande vom großen Rivalen Sporting einzumieten.
Mit den Worten: "Benfica ist aus Benfica und dorthin sollte es auch zurückkehren", leitete der damalige Minister für öffentliche Bauarbeiten, Cancela de Abreu, 1946 schließlich den Bau des Estadio da Luz ein. Erst neun Jahre später durfte Benfica dann endlich sein neues Zuhause, welches in den 80ern mit einem Fassungsvermögen von bis zu 140.000 Zuschauern zwischenzeitlich das größte Stadion Europas war, beziehen.
Zum Zeitpunkt des Umzugs 1954 waren die "Aguias" bereits zu je sieben nationalen Meistertiteln und Pokalsiegen geflogen. Der erste internationale Erfolg ließ aber noch auf sich warten. Noch.
Guttmann kam, sah, siegte - und fluchte
1959 wurde ein gewisser Bela Guttmann als Coach von Benfica verpflichtet. Der exzentrische Ungar krempelte auf Anhieb die komplette Mannschaft um, holte 1960 auf Rat eines alten Teamkollegens einen jungen, damals völlig unbekannten Stürmer aus Mosambik namens Eusebio nach Lissabon und führte Benfica zu den größten und bis dato einzigen Europacup-Erfolgen der Klubgeschichte: Dem Gewinn des Europapokals der Landesmeister 1961 und 1962.
Nach dem zweiten europäischen Titel ging Guttmann Gehalt fordern. Obwohl er Benfica zusätzlich zu den europäischen Erfolgen noch zu einem Double sowie einer weiteren Meisterschaft führte, schlug man ihm eine Gehaltserhöhung aus.
Da man mit einem Mann, der in sieben verschiedenen Ländern sportlich Erfolg hatte und überdies zwischenzeitlich noch der Nazi-Gefangenschaft entfloh, so nicht umzugehen hatte, entschied sich Guttmann nicht nur dazu, den Klub zu verlassen, sondern ihn auch gleich noch zu verfluchen.
"In den nächsten 100 Jahren wird Benfica nie wieder einen Europacup gewinnen", versprach er den Lissabonner Verantwortlichen, der Legende nach, bei seiner Kündigung.
Was ist dran an Guttmans Fluch?
Ob Guttmann, der sich nach seinem Aus in Lissabon positiv über seinen Ex-Klub äußerte und 1965 sogar kurzzeitig zu Benfica zurückkehrte, diese Worte tatsächlich aussprach, ist heute unter Historikern äußerst umstritten. Fakt ist allerdings, dass Benfica seither bei acht Teilnahmen an einem Europacup-Finale bei ebenso vielen Niederlagen hält.
Gibt es den Fluch also wirklich?
"Heutzutage ist der Fluch eher Folklore, die Leute in Lissabon haben ihn nicht mehr wirklich im Kopf. Es ist einfach eine alte Geschichte. Wenn man sich ehrlich ist, ist Benfica heutzutage so weit davon entfernt, ein europäisches Finale zu erreichen, dass niemand darüber nachdenkt", klärt Luís Mateus, Journalist und Analyst bei der auflagestärksten portugiesischen Tageszeitung A Bola, gegenüber LAOLA1 auf.
Zwischenzeitlich gewann Benfica außerdem sogar ein europäisches Finale, wenn auch im Nachwuchsbereich: 2022 setzte sich die U19 der "Encarnados" im Youth-League-Endspiel gegen den FC Salzburg durch. Als Ende des Guttmann-Fluchs wird dieser Titel in Portugal aber nicht angesehen, so Mateus.
Die besten ÖFB-Torschützen in der Champions League
Mittlerweile Portugals Rekordmeister
So enttäuschend die internationalen Kampagnen Benficas Jahr für Jahr liefen, so erfolgreich präsentierte sich der aktuelle Rekordmeister Portugals auf nationaler Ebene. Alleine im vergangenen Jahrhundert sammelten die "Adler" 30 Meister- und 23 Pokal-Titel.
Speziell die Meisterschaft 1973 ist hervorzuheben. Diese fuhr Benfica als erste Mannschaft Portugals ungeschlagen ein. 28 Siege, 2 Remis, keine Niederlage und ein Torverhältnis von 101:13 lautete die irre Statistik von Eusebio und Co. damals.
Erst Mitte der 90er Jahre sollte der Erfolgslauf Benficas enden. Die Lissabonner schlitterten damals in eine Finanzkrise, die elf titellose Jahre nach sich zog. Erst 2005, zwei Jahre nach der Fertigstellung des modernen Estadio da Luz, welches zu einem der schönsten und zeitgleich stimmungsvollsten Stadien Europas zählt, konnte unter Giovanni Trapattoni wieder eine Meisterschaft bejubelt werden.
Dieser Titel kann bereits der Ära Luis Filipe Vieiras zugeordnet werden. Der Unternehmer wurde 2003 zum Klubpräsidenten gewählt, zeichnete in seiner fast 18-jährigen Amtszeit für große sportliche Erfolge Benficas, aber auch für zahlreiche Kontroversen verantwortlich.
Ein korrupter Präsident und ein Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde
Bereits vor seiner Amtszeit war er einer der Hauptantreiber hinter dem Stadion-Neubau, nach seiner Wahl war sein erklärtes Ziel, Benfica zu einer der populärsten Fußballmannschaften der Welt zu machen.
Mit einem attraktiven Paket für neue Vereins-Mitglieder wollte Vieira nach dem Meistertitel 2005 die Mitgliederanzahl der Klubs binnen fünf Monaten von knapp 100.000 auf 300.000 erhöhen, ansonsten würde er zurücktreten, versprach er. Diese Marke wurde zwar nicht erreicht, mit 160.398 Mitgliedern schaffte es Benfica allerdings 2006 ins Guinness-Buch der Rekorde. Mittlerweile verfügen der Klub tatsächlich über fast 300.000 Mitglieder, ist weltweit aber nur mehr das viertmitgliederreichste Sportteam; in Portugal unterstützen laut einer UEFA-Studie von 2014 47 Prozent aller Fußballfans die "Adler".
Vieiras Rücktritt musste entgegen anderweitiger Versprechungen übrigens 16 weitere Jahre auf sich warten lassen. Im Juni 2021 wurde der wegen ihm nachgesagter Korruption mittlerweile verhasste Präsident wegen des Verdachts auf Betrug, Geldwäsche und Bestechung festgenommen.
Unter anderem soll er einem mit Benfica sympathisierenden Richter Ehrenlogenplätze im Estadio da Luz sowie Auswärtsreisen zu Spielen des Klubs gesponsert haben. Dadurch dürfte Vieira sich erhofft haben, der prominente Richter würde seinen Einfluss bei einem gegen eines seiner Unternehmen laufenden Verfahren zu seinen Gunsten ausspielen.
Die Goldgrube namens Benfica Campus
Zu Vieiras Vermächtnis gehört aber auch der sogenannte Benfica Campus in Seixal, dessen Errichtung der Skandal-Präsident kräftig mit antrieb. Die 2006 in der durch den Tajo von Lissabon getrennten Stadt errichtete Akademie zählt heutzutage zu den ertragreichsten der Fußballwelt und hat sich als absolute Goldgrube für Benfica erwiesen.
Über 644 Millionen Euro, und damit rund 200 Millionen Euro mehr als beispielsweise der in dieser Hinsicht ebenfalls recht erfolgreiche FC Salzburg im gleichen Zeitraum, erwirtschaftete Benfica im letzten Jahrzehnt an Transferüberschuss; der Großteil dieses Ertrags kam durch den Verkauf von Eigenbauspielern zusammen - der bekannteste von ihnen heißt Joao Felix, mit seinem 127 Millionen Euro schweren Transfer zu Atletico Madrid der fünfteuerste Spieler aller Zeiten.
Die 5 Vereine mit dem höchsten Transferplus der letzten 10 Jahre (laut transfermarkt.at):
Verein | Transferplus |
---|---|
Benfica Lissabon (POR) | 644,29 Mio. € |
Ajax Amsterdam (NED) | 475,82 Mio. € |
Red Bull Salzburg (AUT) | 434,82 Mio. € |
FC Porto (POR) | 425,32 Mio. € |
Sporting Lissabon (POR) | 413,9 Mio. € |
Die 5 teuersten Spielerverkäufe in der Geschichte von Benfica Lissabon (laut transfermarkt.at):
Spieler | Zu | Zeitpunkt | Ablöse | Wievielt teuerster Transfer aller Zeiten |
---|---|---|---|---|
Joao Felix | Atletico Madrid | 2019 | 127,2 Mio. € | 5. |
Enzo Fernandez | FC Chelsea | 2023 | 121 Mio. € | 6. |
Darwin Nunez | FC Liverpool | 2022 | 80 Mio. € | 36. |
Ruben Dias | Manchester City | 2020 | 71,6 Mio. € | 50. |
Goncalo Ramos | Paris Saint-Germain | 2024 | 65 Mio. € | 63. |
Mit solchen Zahlen hat Benfica längst auch den ewigen Widersacher Sporting Lissabon überflügelt - das war nicht immer so. Denn während aus der "Löwen"-Akademie seit Jahrzehnten Wahnsinns-Kicker wie Luis Figo, Cristiano Ronaldo oder auch Nani hervorkamen, war Rui Costa, mittlerweile Vereinspräsident der "Encarnados", für lange Zeit das einzige "Weltklasse-Produkt" der Benfica-Akademie.
"Seit das neue Trainingszentrum errichtet worden ist, hat die Benfica-Akademie junge Spieler auf ein neues Level gebracht. Das Scouten der Talente ist viel besser geworden und die jungen Spieler werden in der Akademie für den Fußball, aber auch für das Leben ausgebildet, weshalb sie schon sehr reif wirken, wenn sie in der ersten Mannschaft ankommen", verschafft Benfica-Experte Mateus Einblicke.
Außerdem führt der portugiesische Journalist das Ligensystem in seiner Heimat als Grund dafür an, weshalb die Ausbildung junger Spieler in Portugal so erfolgreich läuft. Ähnlich wie in Österreich dürfen Zweitmannschaften der Erstligaklubs in der zweithöchsten Spielklasse mitspielen, zudem gibt es als Zwischenschritt nach der U19 und vor dem B-Team noch eine U23-Mannschaft.
Portugals Klubs von der Talente-Ausbildung abhängig
Die Durchgängigkeit von den Nachwuchsteams in den Profifußball funktioniert in Portugal auch deshalb so gut, weil sie funktionieren muss: "Portugals Klubs haben verstanden, dass sie nur überleben können, wenn sie junge Talente fördern, um sie innerhalb einer oder zwei Saisons zu verkaufen", so Mateus.
Und auch die Fans bringen Verständnis für die ständige Fluktuation im Kader auf: "Die Fans haben verstanden, dass es notwendig für das Überleben ist. Sie sind es gewohnt, dass jedes Jahr große Namen verkauft werden."
Im aktuellen Benfica-Kader tummeln sich freilich wieder einige Kandidaten für einen lukrativen Verkauf. Joao Neves, 19 Jahre, Mittelfeld-Dribblanski, 20 Millionen Euro wert, und Antonio Silva, 20 Jahre, hochtalentierter Innenverteidiger, 45 Millionen Euro wert, lauten diesbezüglich die heißen Tipps von Mateus.
Zumindest Silva wird seinen Marktwert am heutigen Dienstag nicht noch weiter steigern können; der Abwehrhüne fehlt beim Duell zwischen dem FC Salzburg und Benfica um das Überwintern (21 Uhr im LIVE-Ticker>>>) rotgesperrt.
Er wird damit ein Duell zweier absoluter Transferkönige, zweier Mannschaften, deren Erfolgsweg von einer nahezu perfekten Nachwuchsarbeit gepflastert ist, verpassen.
Einzig mit den Dimensionen, in denen Benfica am Transfermarkt Periode für Periode abkassiert, sowie mit der bewegten Geschichte der "Aguias" kann Österreichs Meister nicht ganz mithalten.