So, manche Kritiker darf es ruhig freuen, das ist tatsächlich mein letzter Text zu Österreichs EM-Teilnahme. Schon am 24. Juni.
Nach einer durch dringend notwendige Jakob-Pöltl-Zerstreuung (Pflichtlektüre: Die Analyse seines Förderers Hubert Schmidt) verlängerten Nacht und über das Ausscheiden "drübergeschlafen", möchte ich mit etwas Abstand noch einmal auf die Zeit in Frankreich zurückblicken.
Sicher hat die erste Emotion nachgelassen, aber ich muss zugeben: Ich bin immer noch maßlos enttäuscht.
Seit das Versagen (nichts anderes war es angesichts des Potenzials) mit dem Schlusspfiff gegen Island feststeht, schießen mir – kleine Untertreibung – 1000 Gedanken durch den Kopf, was schief gelaufen ist und was wir, das ist ein bewusstes Wir, in Zukunft besser machen müssen. Diese zu ordnen, wird ein wenig dauern. Aber einige gehören, nicht nach Wichtigkeit geordnet, einmal aufgeschrieben. Mal schauen, was davon dem Test der Zeit standhält.
Zuallererst möchte ich – nicht als Erster und hoffentlich nicht als Letzter – eines außer Streit stellen: Selbstverständlich muss der Weg weitergegangen werden – zwar leicht adaptiert, aber doch.
Jetzt alles grundsätzlich in Frage zu stellen, beginnend mit dem Teamchef, ist kompletter Blödsinn. Im sportlichen Bereich ist im ÖFB in den letzten Jahren viel Positives geschehen, daran ändert dieses Versagen (es war wirklich nichts anderes) nichts. So wie es nach Erfolgen keinen Grund gibt, völlig den Boden unter den Füßen zu verlieren, gibt es jetzt keinen Grund für den Selbstzerstörungsmechanismus. Ich glaube dennoch nach wie vor fest daran, dass für Österreich in Zukunft auch bei Turnierteilnahme nette Achtungserfolge drinnen sein werden, wenngleich etwas später als erhofft.
Aber dafür müssen wir, auch das ist ein bewusstes "Wir", aus dieser EM lernen. Alle, ausnahmslos. Trainer, Spieler, Verband und selbstverständlich auch Medien. Die Erkenntnisse liegen nach diesem Frankreich-Trip auf der Straße. Manche werden einem vielleicht erst in ein paar Wochen bewusst – egal, Hauptsache wir setzen sie um.
Auch wenn es für das Abschneiden logischerweise mangels irgendeines Einflusses auf die Performance am wurschtesten ist, aber weil es von der Einschätzung her am leichtesten ist, fange ich mal bei mir selbst ein.
Sicher ist man im Nachhinein immer klüger und so manch geschriebenes Wort hält dem Test der Zeit eben nicht stand, das ist normal und Berufsrisiko, aber eine gravierende Fehleinschätzung meinerseits ärgert mich extrem.
Nämlich jene nach dem Niederlande-Test, als die Warnsignale überdeutlich zu erkennen waren, aber letztlich das Vertrauen in das Pflichtspiel-Gesicht des ÖFB-Teams über das eigene Bauchgefühl gesiegt hat. Spätestens hier hätte man energischer warnen können, ja müssen, anstatt zu beruhigen.
Merke: Bis zum Beweis des Gegenteils, das wäre im konkreten Fall ein Sieg gegen Ungarn gewesen, dem Auge und dem eigenen Feeling vertrauen, und nicht auf einige Monate zurückliegende Qualifikations-Leistungen bauen. Wer öfter meine Gedanken liest, weiß, dass ich ein großer Freund der Kontinuität bin. Dennoch: Eine Spur mehr im Hier und Jetzt schadet nicht. Eines der natürlich mehreren Dinge, die ich versuche mitzunehmen.
Daraus resultiert auch: Vertrauen müssen sich die Spieler immer wieder aufs Neue erarbeiten.
LAOLA1 spielt schon länger mit Dreierkette. Hier ihre Analyse des ÖFB-Scheiterns:
Das wird wiederum einigen Spielern nicht gefallen, außer sie ziehen die richtigen Schlüsse aus den Wochen vor und in Frankreich.
Hiermit kommen wir nämlich zum recht schwierigen Kapitel "ÖFB und die Medien", und das ist schon lange schwierig. Von wenig Distanz unter Hickersberger, bis zu gar keiner Distanz unter Constantini, bis hin zu einer übertriebenen Abschottungs-Politik unter Koller – der Mittelweg wäre wohl wie so oft der klügste, um kontraproduktive schlechte Laune zu verhindern.
Sei’s drum, eines sei klargestellt: "Die Medien" gibt es nicht. Es gibt Boulevard-Medien, es gibt Qualitäts-Medien, es gibt extrovertierte Journalisten, es gibt sachlich analysierende Journalisten, es wird sicher auch den einen oder anderen bösartigen Journalisten geben, es gibt Einschätzungen, die sich als richtig herausstellen, es gibt solche, die sich als falsch herausstellen. Und das war jetzt nur ein kleiner Teil des Spektrums. Alles ganz normal.
Eines haben aber alle gemein: Natürlich will jedes Medium Quote machen, Leser, Seher und Hörer ansprechen (Das ist nichts Böses, sondern das Geschäft) und kein Nationalteam-Berichterstatter hat einen Exklusivvertrag beim "ÖFB-Corner" und ist gezwungen, alles immer supermegagut zu finden und Haus-und-Hofberichterstattung zu betreiben. Im Gegenteil.
Kritik darf nicht unter der Gürtellinie sein, aber Kritik ist wichtig, gerade konstruktive Kritik. Kritik ist im Idealfall nicht persönlich gemeint, sondern soll weiterbringen.
Nun habe ich natürlich den Informationsrückstand, dass ich in Frankreich nicht im gewohnten Ausmaß die heimischen Medien konsumieren konnte und nicht vollends einschätzen kann, ob überhaupt und wenn ja wie weit über das Ziel hinausgeschossen wurde. Aber wenn ich mir die Reaktionen auf die – spätestens im Nachhinein – berechtigte Kritik nach den Testspielen in Erinnerung rufe, besteht Nachholbedarf im Umgang mit dieser Kritik.
Und, vielleicht liege ich falsch, aber das Gefühl einer gewissen Hypernervosität bezüglich der Berichterstattung hat mich in Frankreich nie so richtig losgelassen, wobei der Tiefpunkt in Wahrheit schon vor dem Ankick erreicht war, nämlich mit dem völlig entbehrlichen Auftritt von Sportdirektor Willi Ruttensteiner in der "Causa Hackmair". Wenn sich schon die sportliche Führung von solchen Nichtigkeiten aus der Ruhe bringen lässt, wie sollen dann erst die Spieler mit dem Druck umgehen?
Und das in einem Land, in dem es den echt brutalen medialen Druck ohnehin nicht gibt. So ehrlich müssen wir doch sein. Dieses Team wurde auf einer Welle der Euphorie nach Frankreich getragen. In Wahrheit hat ja auch so ziemlich jedes Medium den Erfolg herbeigesehnt. So wie man jetzt nicht alles kaputt machen darf, hätte man wahrscheinlich schon früher flächendeckender etwas mehr Gegenwind in die dominierende Jubel-Berichterstattung einstreuen müssen.
Und im ÖFB müssen einige Herrschaften lernen, dies nicht falsch als Frontalangriff zu interpretieren, sondern als Hilfestellung. Auch die Warnung vor Fehlern kann die Konzentration schärfen.
Also noch einmal zum Mitschreiben, liebe Protagonisten im ÖFB: So lange nicht komplett über das Ziel hinausgeschossen wird und man zwingend einschreiten muss, muss euch die Berichterstattung wurscht sein. Die muss abprallen. Das ist ein Turnier! Natürlich herrscht medialer Trubel. Natürlich herrscht mehr Aufgeregtheit als im Alltagsbetrieb. Natürlich gibt es im Zuge dieses Tamtams auch ärgerliche Meldungen. Natürlich wird hyperventiliert. Das lässt sich nicht ändern! Das ist integraler Bestandteil eines Großereignisses. Und Energie mit Dingen zu verschwenden, die man ohnehin nicht ändern kann, bringt nichts.
An dieser Stelle möchte ich auflösen, warum ich zu Textbeginn zwei Mal bewusst das Wort "Versagen" verwendet habe. Ich finde inzwischen, man kann ruhig diesen harten Begriff benutzen, weil sonst zu viel Raum für Ausreden, die mir immer noch im Ohr nachklingen, bleibt.
Ich bin definitiv kein Freund der Schwarz-Weiß-Malerei, aber nach einem Turnier gibt es eben nur zwei Möglichkeiten: Entweder man hat sein Ziel erreicht (ich definiere selbiges mit Erreichen der K.o.-Phase) oder eben nicht. Wer trotz großer Ambitionen und dieses vorhandenen Potenzials nach der Vorrunde heimfliegen muss, ist gescheitert.
Und gerade im konkreten Fall sollte man sich nicht zu lange mit irgendwelchen Hättiwari-Fantasien aufhalten: Hätte Alaba in der 1. Minute gegen Ungarn…; Hätte Dragovic nicht Gelb-Rot…; Hätte Dragovic den Elfer… Hätten wir eine unserer Chancen in der zweiten Halbzeit gegen Island… Ja eh, funktioniert halt nur leider auch in die andere Richtung: Hätte Ronaldo den Elfmeter…
Fakt ist: Der Turnier-Auftritt war generell kein guter, all diese Möglichkeiten sind nicht eingetreten und Österreich ist – leider, leider – nicht unverdient durchgefallen, weil es in diesem Turnier nicht Österreich war, und wenn doch maximal eine Halbzeit lang.
So etwas passiert. Die Welt wird sich weiter drehen. Nur muss man sich diesem Gedanken ehrlich stellen. Ich hoffe, das passiert auch. Denn was mentale Vorbereitung betrifft, werde ich den ÖFB betreffend in Zukunft bis zum nachhaltigen Beweis des Gegenteils allerhöchste Skepsis walten lassen.
Der Kopf war offenkundig das Hauptproblem, warum man die vorhandene Qualität nicht auf den Platz bringen konnte. Dass dieses Problem auftreten kann, ist nun wirklich nichts Weltbewegendes, solch ein Turnier ist nun einmal eine Ausnahmesituation.
Was mich jedoch sehr wohl ärgert ist, dass man nie den Eindruck hatte, dass vernünftig gegengesteuert wurde. Und Strategien dafür soll es ja angeblich geben…
Man sollte hierbei schon auch die Spieler selbst in die Pflicht nehmen. Jeder sollte sich und seine Psyche selbst am besten kennen und wissen, ob er für solche Ausnahmesituationen besagte Strategien braucht. Dem Eindruck, dass so mancher Kicker dem Irrglauben erlegen ist, dass der Druck auch kein höherer als in der Quali ist, kann man sich nicht erwehren.
Wie intensiv, wie richtig oder wie falsch unter der Anleitung von Sportpsychologe Thomas Graw an diesem Thema gearbeitet wurde, weiß man nur intern. Was nach außen drang – und viel schlimmer: Was man auf dem Feld beobachten konnte - gab jedoch kein gutes Bild ab. Dass Koller nach dem Ungarn-Spiel eingestehen musste, den mentalen Faktor unterschätzt zu haben, verstört massiv.
Aber: Auch hier gilt es zu lernen!
In diesem Bereich ruhen meine größten Hoffnungen auf Besserung. Denn je mehr Spieler die psychische Belastung eines Turniers kennen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, sich beim nächsten Mal geschickt auf diese "Prüfungsangst" einzustellen. Und die Hoffnung, dass das nächste Mal nicht wieder viel zu lange auf sich warten lässt, haben wir ja vermutlich alle.
Wie viele "Baustellen", um hier einfach einmal Julian Baumgartlingers Wortwahl zu klauen, manche Spieler sonst noch im Kopf hatten, kann nur jeder für sich beantworten. Seien es potenzielle Transfers, sei es die verständliche Verunsicherung nach einer Verletzung, oder, oder, oder. Wichtig ist nur, daraus die richtigen Rückschlüsse für sich selbst und das Team zu ziehen.
Manch andere Faktoren, die danebengegangen sind, sind tendenziell dieser Gemenge-Lage geschuldet. Seien es Kollers unglückliche Einschätzungen in punkto Taktik und Aufstellung, seien es die zum Teil unerklärlichen Konzentrationsfehler auf dem Platz, seien es die vom Teamchef angedeuteten Spannungen.
Genaues weiß man in der Öffentlichkeit noch nicht, aber würde es jemanden wundern, wenn der Spirit nicht so gut wie in der Qualifikation gewesen ist? Gerade bei einem Turnier will jeder spielen, und auch so manchem als Ersatzspieler angereisten Akteur werden die Probleme so mancher Stammkraft nicht entgangen sein.
Aber begeben wir uns nicht zu sehr auf das Feld der Spekulation. Sollte der Zusammenhalt nicht wunschgemäß gewesen sein, wird dies früher oder später ohnehin rauskommen.
Bis dahin gilt der Status der "lieben ÖFB-Familie" und bezüglich dieser möchte ich zum Abschluss noch einen Wunsch äußern, den ich schon vor Turnierbeginn unabhängig vom Abschneiden als Evolution für die WM-Quali im Kopf hatte und der nach diesem Scheitern umso wichtiger ist.
Es darf, soll und muss wieder mehr Konkurrenzkampf geben.
Nicht falsch verstehen: So etwas lässt sich sehr wohl mit guter Stimmung im Team kombinieren. Und der Aufbau dieser viel zitierten "Wohlfühl-Oase", eben jener "lieben Familie", war auch zweifelsohne dringend notwendig, um nach Frankreich zu kommen. Daran gibt es nichts zu rütteln.
Aber es gibt auch Situationen, wo vielleicht auch ein etwas klareres Wort nicht schadet, wo man vielleicht einmal – natürlich respektvoll – betonen könnte, dass das und das nicht passt, und wo man vielleicht auch einmal eine gewisse Rivalität im Kampf um eine Position spüren darf.
Dass wirklich alle 23 Herrschaften gut Freund miteinander sind, glaubt sowieso niemand. Das ist auch unrealistisch. So lange der Umgang miteinander trotzdem weiterhin stimmt, könnte man aber schon ein wenig mehr Würze reinbringen – auf und abseits des Feldes.
Ich bin nämlich wirklich gespannt, wie Koller die WM-Qualifikation anlegen wird, ob er mehr Positionskämpfe zulässt, so wie er es ja auch in Frankreich – der Situation geschuldet – plötzlich tun musste.
Bislang lebte er in der komfortablen Situation, dass wohl auch eine Vielzahl der Ersatzspieler einsehen musste, dass sich die Startelf von selbst aufstellt und die Frage Hinteregger oder Prödl die einzig spannende ist.
Aber Mitglieder der jüngeren Generation wie Sabitzer oder Schöpf werden sich weiterentwickeln, an Routine gewinnen und immer mehr in Richtung Stammformation drängen. Darauf sollte man vorbereitet sein, ohne dass die Stimmung kippt.
Nur so ein Hinweis, eine kleine Warnung. Jetzt geht vieles wieder bei null los. Da wäre eine Adaption der bisherigen Herangehensweise, nennen wir es meinetwegen "Die liebe ÖFB-Familie 2.0", vermutlich keine schlechte Idee.