EM-Achtelfinale Portugal-Kroatien (1:0 n.V.). Diese Stichwörter sollten reichen, um Fußballästheten einen kalten Schauer über den Rücken laufen zu lassen.
Doch bot das wohl unansehnlichste Spiel dieser EURO eine wichtige Erkenntnis, die Portugal letztlich ins Finale gegen Frankreich (Sonntag, 21 Uhr im LAOLA1-LIVE-Ticker) bringen sollte: Die „Brasilianer Europas“ waren bereit, Beton anzurühren.
Schluss mit Schönspielerei. Keine brotlosen Gustostückerl mehr. Stattdessen konsequente Defensivarbeit. Den Gegner kommen lassen. Stur auf den Endzweck ausgerichtet, anstatt wie so oft zuvor als Team voller Einzelkämpfer in Schönheit zu sterben.
Hauptverantwortlich für diesen Sinneswandel: Fernando Santos.
„Es geht doch hier nicht darum, ob man schön oder hässlich spielt", erklärt der Teamchef trocken. "Es geht darum, ob man noch hier ist oder schon wieder zu Hause.“
Schluss mit lustig
Kritik lässt er abprallen und davon gab es reichlich auf dem Weg ins Endspiel.
In der Gruppenphase quälte sich die Selecao mit drei Unentschieden weiter. Portugal wusste teilweise immerhin spielerisch zu gefallen.
Spielfreude sucht man seither vergebens. Im erst in der Vorbereitung auf die EURO einstudierten 4-4-2-System steht Portugal kompakt tief und lauert auf Konter. Waren Cristiano Ronaldo und Nani zuvor noch das Flügelduo im 4-3-3, vollstrecken diese nun als Sturmduo die Nadelstiche. Die Superstars arbeiten zudem konsequent nach hinten.
Dazu gesellen sich taktische Raffinessen. Gegen Kroatien agierte der frisch ins Team gerückte Adrien Silva als persönlicher Bewacher von Spielmacher Luka Modric, dem damit sichtlich die Spielfreude genommen wurde.
Die Defensiv-Taktik wurde auch gegen Polen beibehalten. Selbst gegen einen offensiv nicht angsteinflößenden Gegner wie Wales wählte Santos die Vorsichtsvariante. Ein Standard bzw. schneller Doppelpack fixierten den letztlich nie gefährdeten Finaleinzug.
Vom Hotel auf die Trainerbank
Vor dem Halbfinale monierten noch die landeseigenen Medien: „Das Land ist euphorisiert, die Mannschaft atmet auf - aber das ist auch der Moment, um zu sagen, dass spielerisch wenig zusammenläuft", so die Zeitung "Correio da Manha".
Erfolgreich ja, aber so wirklich geliebt darf sich der Teamchef in seiner Heimat also nicht fühlen. Ein Gefühl, dass der Lissaboner kennt.
Seine verletzungsgeplagte Spielerkarriere musste der Sohn einer Hausfrau und eines Autozubehör-Händlers bereits früh mit 21 Jahren bei Estoril beenden. Sein Vater hatte vorgesorgt und ihm bereits als Bedingung für die Vertragsunterzeichnung des Junioren-Vertrags bei Benfica ein paralleles Studium abverlangt. Ab 1977 durfte er sich Ingenieur der Elektro- und Nachrichtentechnik nennen.
Der Fußball geriet in den Hintergrund. Um seine Familie zu unterstützen, arbeitete er als technischer Direktor im „Hotel Palace“. Als Estoril 1987 einen Trainer suchte, konnte Santos aber nicht widerstehen. „Zufall“ nennt er gegenüber „Expresso“ diesen Wink des Schicksals.
Griechenland als Rettung
Santos führte den Klub in die erste Liga. Via Estrela schaffte er schließlich den Sprung zum großen FC Porto und sicherte dem Verein 1999 gleich den Meistertitel. Aufgrund des fünften in Folge wird er „Ingenieur Penta“ genannt.
Nicht von allen. „Meine Sekretärin sagte einer Zeitung: „Eigentlich ist er nicht „Ingenieur Penta“, sondern Ingenieur vom Hotel Palace“, so Santos lachend.
Später sollte er zwischen Griechenland, seiner mittlerweile zweiten Heimat, und Portugal pendeln. Von Porto ging es zum AEK Athen und Panathinaikos. Von Sporting zurück zum AEK. Von Benfica zu PAOK Thessaloniki.
Trainerstation | Zeitraum | |
---|---|---|
Estoril | 07/1987-06/1994 | |
Estrela Amadora | 07/1994-06/1998 | |
FC Porto | 07/1998-06/2001 | |
AEK Athen | 06/2001-05/2002 | |
Panathinaikos | 07/2002-10/2002 | |
Sporting | 07/2003-06/2004 | |
AEK Athen | 07/2004-05/2006 | |
Benfica | 07/2006-08/2007 | |
PAOK Saloniki | 09/2007-06/2010 | |
Griechenland | 07/2010-06/2014 | |
Portugal | seit 09/2014 |
Die portugiesischen Zwischenstationen hielten aufgrund von Erfolglosigkeit jeweils nur ein Jahr. In Griechenland war er dafür umso erfolgreicher, viermal wurde er Trainer des Jahres. ÖFB-Konditionscoach Roger Spry, damals bei Panathinaikos Weggefährte, soll ihn als besten Coach sehen, mit dem er je zusammengearbeitet hat.
Der logische Schritt: 2010 folgte Santos dem nach dem Europameistertitel 2004 unsterblichen Otto Rehhagel als Teamchef Griechenlands nach.
Die „Hellenen“ führte er 2012 ins EM-Viertelfinale (2:4 gegen Deutschland), 2014 zum ersten Mal in der Verbandsgeschichte ins WM-Achtelfinale. Mit altbekannten Vorwürfen, die Mauertaktik schmeckte nicht allen. Auch damals konterte Santos trocken: „Wir haben keinen Messi, also hat die Taktik bei uns oberste Priorität.“
„Schwer uns zu schlagen“
Im September 2014 übernahm der 61-Jährige den Chefsessel seines Heimatlandes. Unter Vorgänger Paulo Bento waren die Iberer bei der WM 2014 sang- und klanglos in der Gruppenphase gescheitert. Eine Quali-Heimpleite gegen Albanien beendete dessen Ära.
Santos übernahm und lieferte sieben Siege in sieben Spielen. Alle mit nur einem Tor Differenz. Erstmals seit 2008 mussten sich die Iberer nicht durch das Playoff zum Großereignis quälen.
Die Durchquälerei holte das Team, zumindest nach Ansicht vieler Kritiker, im weiteren Turnierverlauf nach. Santos drückt sich diesbezüglich diplomatisch aus: „Ich habe Portugal immer als großartiges Team gesehen, manchmal war es schöner, uns zuzusehen, manchmal nicht. Wir sind vielleicht nicht das beste Team der Welt, aber wir wissen, dass es schwer ist, uns zu schlagen."
Der Vater eines erwachsenen Sohnes und einer Tochter warnt bereits Frankreich: „Im Finale geht es nicht ums Spielen, sondern ums Gewinnen.“
Fester Glaube
Diesen Europameistertitel gab Santos bereits nach seinem Debüt im Oktober 2014 als Ziel aus, ausgerechnet einer 1:2-Niederlage gegen Frankreich im Stade de France: „Seitdem habe ich gesagt, dass es unser Ziel ist, es in dieses Finale zu schaffen.“ Dafür wurde er von Kritikern belächelt, er glaubt(e) aber fest daran.
Und doch relativiert der gläubige Santos, der täglich in der Früh und abends betet, die Bedeutung seines Jobs: „Ich möchte als guter Vater in Erinnerung bleiben, als ein guter Sohn, als guter Ehemann und als guter Freund. Fußball bedeutet nichts, wenn wir es mit Kindererziehung oder Freundschaft vergleichen.“
Ein Europameistertitel würde aber wohl auch seinen Kritikern in Erinnerung bleiben.
Andreas Gstaltmeyr
So zog Portugal ins EURO-Finale ein: