Nur noch drei Spiele bis zum Ende der Europameisterschaft.
Das Turnier wird nicht gerade als Fußball-Leckerbissen in die Geschichte eingehen. Darüber sind sich die meisten Experten jetzt schon einig.
Auch Didi Kühbauer zieht dieses Fazit: „In vielen Partien gab es kaum Tor-Chancen. Für uns Zuseher war es nicht berauschend, aber natürlich geht es für die Teams um viel.“
Der derzeit vereinslose Trainer verfolgt das Turnier mit Argusaugen. Er will im Zuge dessen auch Erkenntnisse für die eigene Arbeit sammeln.
Bei LAOLA1 verrät er, welche Schlüsse er gezogen hat. Dazu distanziert er sich von Kritik an Marcel Koller.
LAOLA1: Großereignisse wie die EURO liefern immer wieder eine Bestandsaufnahme über die Verfassung des Fußballs. Haben Sie schon irgendwelche Trends erkennen können?
Didi Kühbauer: Die Vorrunde war nicht das Gelbe vom Ei. Die Spiele waren von Taktik und Defensive geprägt. Die Mannschaften haben zumeist schon nach der ersten Partie gewusst, wie viele Punkte reichen werden. Es fehlte der Offensivgeist.
LAOLA1: „Das ist bis jetzt eine ähnlich schlechte EURO wie jene 2004“, meinte Paul Breitner zuletzt bei „Sport und Talk“. Sehen Sie es ähnlich negativ wie die Bayern-Legende?
Kühbauer: Es hat schon viel bessere Turniere gegeben. Das steht außer Frage. Man hat nichts Neues erkennen können. Nach der langen Saison sind viele Spieler wahrscheinlich auch nicht mehr so frisch. Aber dieses Problem hat jede Mannschaft. In vielen Partien gab es kaum Tor-Chancen. Für uns Zuseher war es nicht berauschend, aber natürlich geht es für die Teams um viel.
VIDEO: "Boateng wird überschätzt"
LAOLA1: Lassen die Trainer ihre Mannschaften zu vorsichtig agieren?
Kühbauer: Mittlerweile kann jede Mannschaft sehr gut verteidigen. Wenn der Favorit zu viel Risiko nimmt und ein Tor kassiert, ist es schwierig, einen Treffer zu erzielen. Dadurch gibt es vielleicht nicht diese letzte Willensbereitschaft, um die Spiele früh zu entscheiden.
LAOLA1: Der neue Modus hat dazu geführt, dass mehr Außenseiter bei der EURO dabei sein dürfen. Diese Mannschaften spielen defensiver als große Fußballnationen. Wie stehen Sie zum neuen Modus?
Kühbauer: Ich weiß nicht, ob das die beste Idee war. Aber ich habe über den Modus nicht zu entscheiden. Natürlich entspricht es nicht meinen Vorstellungen, dass Teams wie Portugal mit drei Unentschieden weiterkommen. Dazu ist es schwer zu durchschauen, welcher Dritter in welcher Gruppe mit wie vielen Punkten weiterkommt. Andererseits ist es für die kleinen Länder schön, dass sie sich präsentieren können.
LAOLA1: Was kann man sich als Trainer von diesem Turnier abschauen?
Kühbauer: Für mich war augenscheinlich, dass man im Fußball von heute Lösungen finden muss, um defensive Mannschaften zu knacken. Die Spieler sind fit, es entstehen kaum Löcher. Das Schwierigste ist, trotzdem Räume zu finden. Deutschland hat das teilweise gut gemacht, gegen Italien hatten sie es dennoch schwer. Es hat sich herauskristallisiert, dass die Defensive das Wichtigste ist. Im Umkehrschluss müssen die Trainer versuchen, mehr Risiko zu gehen und im Trainingsprozess Laufwege zu trainieren.
"Es hat sich herauskristallisiert, dass die Defensive das Wichtigste ist."
LAOLA1: Mannschaften wie Bayern, Dortmund, Real oder Barca zeigen doch Runde für Runde vor, wie man passive Gegner knacken kann. Zeigt diese EURO auch, dass der Vereinsfußball den Nationalteams weit voraus ist?
Kühbauer: Diese Klubs haben tolle Spieler im Eins-gegen-Eins, die kompakte Abwehrreihen aufreißen können. Bei der EURO hat man gesehen, dass es ohne diese Dribbler schwierig ist. Grundsätzlich muss man zwischen Nationalmannschaften und Klubfußball aber klar unterscheiden.
LAOLA1: Welches Team hat Sie bisher am meisten beeindruckt?
Kühbauer: Ich bin ein Fan von Deutschland. Sie ziehen ihren Spielstil durch und stehen brutal hoch. Gegen Italien standen Hummels und Boateng an der Mittellinie Mann gegen Mann. Das ist Risiko pur, sie haben dafür jedoch die Spieler mit der nötigen Qualität. Natürlich war im Elferschießen auch Glück dabei, aber ein Ausscheiden wäre schade gewesen. Es tut weh, dass die guten Mannschaften direkt aufeinandertreffen. Aber gut, das ist das Pech des Spielplans.
LAOLA1: Jogi Löw hat - vor allem von ARD-Experte Mehmet Scholl - viel Kritik für seine Startelf gegen Italien einstecken müssen. Hätten Sie ebenfalls mit einer Dreierkette gespielt?
Kühbauer: Als Nationaltrainer wirst du immer gleich kritisiert, wenn etwas nicht funktioniert. Die Mannschaft hat gezeigt, dass sie auch die Dreierkette gut spielen kann. Sie haben die Qualität dazu. Als Analytiker hat man es immer leicht, Kritik zu üben. Aber ich bin da nicht dabei.
LAOLA1: Sie teilen die Kritik an Löw also nicht?
Kühbauer: Nein. Es ist ja auch nichts Schlimmes passiert. Wenn man die individuelle Qualität hat, diese Formation zu spielen, sehe ich überhaupt kein Problem darin.
LAOLA1: Auch Marcel Koller wurde nach dem Island-Spiel für sein Dreierketten-Experiment kritisiert.
"Bei einem Turnier musst du am Tag X da sein. Das kannst du nicht vorausplanen. Der Trainer trägt dafür keine Schuld."
Kühbauer: Ich will mich da nicht anschließen. Wir haben die EURO nicht gegen Island, sondern schon gegen Ungarn verloren. Es waren einfach viele Schlüsselspieler nicht in Form. Die Situation ist vergleichbar mit der WM 1998. Da war es genauso. Bei einem Turnier musst du am Tag X da sein. Das kannst du nicht vorausplanen. Der Trainer trägt dafür keine Schuld. Uns fehlt im Offensiv-Spiel eben auch die Qualität, wenn jemand ausfällt oder außer Form ist. Deswegen nun alles schlechtzureden, wäre fehl am Platz. Man darf nicht alles verteufeln. Wenn Alaba das Tor gegen Ungarn macht, läuft die EURO in eine ganz andere Richtung.
LAOLA1: Es soll im Teamcamp der Österreicher auch einige Reibereien zwischen den Spielern gegeben haben. Bei der WM 1998 haben Sie selbst Turniererfahrung gesammelt. Wie lässt sich so etwas verhindern?
Kühbauer: Da kann man sich bei den Deutschen ein Vorbild nehmen. Sie haben die Erfahrung, mit so einer Situation umzugehen. Bei so einem Turnier kommen auf einem engen Raum viele Egos zusammen. Diese Egos hinten anzustellen, ist schwierig. Die große Kunst, die das deutsche Team beherrscht, ist in diesen Turniermodus zu kommen. Das ist auch eine Erfahrungssache.
LAOLA1: Gab es 1998 zwischen den Nationalspielern Streit?
Kühbauer: Es gab keine Reibereien, aber am Schluss hat sich jeder in sein Zimmer eingesperrt. Bei uns ist es auch nicht gut gelaufen. Da hat sich jeder zurückgezogen. Ich kann den Jungs ein bisschen nachfühlen, aber ich weiß auch nicht, was genau war. Wenn du über einen längeren Zeitraum zusammenwohnst, können Dinge zum Vorschein kommen, die man so nicht kennt.
LAOLA1: David Alaba brachte bei der EURO nicht die Leistungen, die man von ihm erwartete. Woran lag es?
Kühbauer: Er hat sich bemüht. Man kann ihm nicht vorwerfen, dass er nicht alles versucht hätte. Natürlich hat er nicht immer seinen besten Tag erwischt. Mir gefällt er auch besser, wenn er das Spiel vor sich hat. Trotzdem hat er schon oft bewiesen, dass er auch weiter vorne spielen kann. Ich glaube, er hat sich selbst zu viel Druck gemacht. Ihn kennt man weltweit, da sind die Erwartungen hoch. Meiner Meinung nach sollte er eine Position zu finden, wo er regelmäßig spielt. Irgendwann muss man sich festlegen. Ich glaube nicht, dass ein Spieler vier Positionen gleich gut spielen kann.
LAOLA1: Haben Sie einen Rat für ihn, auf welche Position er sich festlegen sollte?
Kühbauer: Ich brauche ihm keine Tipps zu geben, dafür hat er zu viel erreicht. Ich würde ihm wünschen, dieses kleine Tief der Europameisterschaft schnell hinter sich zu lassen.
Das Gespräch führte Jakob Faber