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Danish Dynamite 2.0 - ein Hauch von 1992

Vor knapp 30 Jahren schockte Dänemark Fußball-Europa. Gelingt das erneut?

Danish Dynamite 2.0 - ein Hauch von 1992 Foto: © getty

Als sich Dänemark am 26. Juni 1992 mit einem 2:0-Erfolg im EURO-Finale in Göteborg gegen Deutschland zum Europameister kürte, war es wohl eine der größten Sensationen, die der internationale Fußball jemals erlebt hat.

Ein Team, das sich sportlich nicht für die Teilnahme am Turnier qualifiziert und nur durch den Ausbruch des Jugoslawienkriegs an der Endrunde in Schweden teilnehmen durfte, wies völlig unverhofft die großen europäischen Fußballnationen in die Schranken. Der Jubel im ganzen Land war riesig, ein Mythos geboren: Danish Dynamite.

Knapp drei Jahrzehnte nachdem sich die Mannschaft um Brian Laudrup und Peter Schmeichel mit verkürzter Turniervorbereitung direkt aus dem Urlaub aufmachte, die Fußball-Granden zu schocken, schreibt bei der EURO 2020 die nächste dänische Generation ihr eigenes Märchen. Parallelen sind durchaus gegeben - nicht nur, weil der Keeper 29 Jahre später wieder Schmeichel heißt.

LAOLA1 sieht sich das Außenseiter-Team um Teamchef Kasper Hjulmand vor dem Halbfinale gegen England etwas genauer an:

Fehlstart? Kein Problem

Die Vorzeichen könnten 1992 und 2021 fast nicht unterschiedlicher sein. Erst zehn Tage vor Turnierbeginn erfahren die Mannen von Richard Möller Nielsen damals, dass sie doch am Turnier in Schweden teilnehmen dürfen.

Jungs, geht raus und blamiert euch nicht. Macht euch stolz. Das reicht mir vollkommen.

Europameister-Teamchef Richard Möller Nielsen

Die Erwartungshaltung vor dem Turnier? Könnte wohl nicht kleiner sein. Möller Nielsen soll vor dem ersten Gruppenspiel gegen den großen Favoriten England nur gesagt haben: "Jungs, geht raus und blamiert euch nicht. Macht euch stolz. Das reicht mir vollkommen."

Seine Mannschaft erkämpft ein torloses Remis, steht nach der folgenden Niederlage gegen Schweden aber bereits vor dem sicheren Out. Erst ein sensationeller 2:1-Sieg zum Gruppen-Abschluss gegen Frankreich beschert den Dänen den Aufstieg. Halbfinale statt Heimflug!

Das Eriksen-Drama

2021 präsentiert sich Danish Dynamite im Vorfeld der Endrunde in Top-Form, was beim 0:4 in der WM-Qualifikation auch das ÖFB-Team leidvoll erfahren muss. Die Legionäre um Kasper Schmeichel, Christian Eriksen und Pierre-Emil Höjbjerg strotzen vor Selbstvertrauen und sind bei internationalen Spitzenklubs Leistungsträger.

Das ganze Land kann das Auftakt-Match im Kopenhagener Parkenstadion kaum erwarten. Die Partie gegen Außenseiter Finnland wird dann aber zum Albtraum. 0:1 verlieren die Dänen gegen den krassen Außenseiter, das wird aufgrund des Zusammenbruchs von Mittelfeldstar Christian Eriksen kurz vor der Halbzeitpause allerdings zur Nebensache.

Spruchband im Spiel gegen Belgien - Ganz Dänemark ist mit dir, Christian
Foto: © getty

Eriksen muss wiederbelebt werden, das Spiel wird unterbrochen und nach "sanftem" Druck der UEFA noch am selben Abend wieder aufgenommen. Die Geschichte ist bekannt. Eriksen erholt sich glücklicherweise im Eiltempo und seine gebeutelten Teamkameraden schaffen wie ihre Vorgänger 1992 den Einzug in die K.o.-Phase sprichwörtlich auf den letzten Drücker.

Trotz toller Leistung gerade im Hinblick auf die vorangegangenen Tage setzt es nämlich im zweiten Gruppenspiel gegen Belgien ein bitteres 1:2, am letzten Spieltag ist man daher auf Schützenhilfe der ungeschlagenen "Roten Teufel" und einen eigenen hohen Sieg gegen Russland angewiesen. Beim 4:1-Erfolg fällt jeglicher Druck ab. Spielfreude, tolle Tore und der erhoffte Parallelsieg Belgiens gegen Finnland. Dänemark ist eine Runde weiter und hat noch nicht genug.

Die folgenden Hürden Wales im Achtel- und Tschechien im Viertelfinale werden mit 4:0 und 2:1 aus dem Weg geräumt. Mit den starken Engländern bäumt sich im Halbfinale eine entsprechend größere Hürde auf.

Das Überraschungsteam nach dem Finale in Göteborg
Foto: © getty

Als Vorbilder könnten da wieder einmal Schmeichel senior und Co. herhalten. Die räumten im Halbfinale 1992 die Niederlande im Elfmeterschießen aus dem Weg – ein gewisser Marco van Basten verschießt den entscheidenden Elfmeter – und erstarrten auch im Finale vor dem damaligen Weltmeister Deutschland nicht in Ehrfurcht.

Peter Schmeichel, damals bereits in Diensten von Manchester United, brachte die deutsche Offensive um Jürgen Klinsmann reihenweise zur Verzweiflung. Offensiv scoren John Jensen und Kim Vilfort. Die Sensation ist perfekt, Danish Dynamite Europameister 1992.

"Menschenflüsterer" Hjulmand als Erfolgsgeheimnis

Parallelen sind auch auf der Trainerbank erkennbar. Genau wie Möller Nielsen ist der aktuelle Teamchef Kasper Hjulmand als Vereinstrainer nur semi-erfolgreich. In der Heimat führte er den FC Nordsjaelland 2012 sensationell zur Meisterschaft und in die Champions-League-Gruppenphase, ein Engagement bei Mainz 05 in Deutschland endete 2014/15 aber bereits nach etwas mehr als einem halben Jahr.

Es folgten eine Rückkehr zu Nordsjaelland und schließlich 2020 die Bestellung zum dänischen Teamchef, in Dänemark nicht unumstritten. Doch Hjulmand sollte seine Kritiker eines Besseren belehren. Eine Mannschaft aus routinierten Legionären und vielversprechenden Talenten führte er bis auf Rang zehn der FIFA-Weltrangliste (Stand: 27. Mai 2021). Sein Team glänzt mit ansehnlichem Offensivfußball und einem klaren Plan.

Kapitän Simon Kjaer, als Spieler weitgereist und derzeit beim AC Milan unter Vertrag, sagte kürzlich über ihn: "Er ist außergewöhnlich, er denkt rund um die Uhr an Fußball. Aber jetzt hat er auch gezeigt, dass er viel mehr als das ist. Ich bin tief beeindruckt und dankbar, ihn als Trainer zu haben."

Extra-Motivation Wembley

Aber auch der 49-Jährige weiß, was er an seiner Mannschaft hat. Angebote von Klubs aus den Top-Ligen Europas lächelt er (noch) gekonnt weg.

"Das erste, was ich den Jungs zeigte, als wir uns trafen, war ein Bild von Wembley, als wir im Herbst dort waren. Ich habe gesagt, dass wir zurückkommen werden."

Dänemark-Teamchef Kasper Hjulmand

"Das bin nicht ich allein. Wir geben uns gegenseitig Rückendeckung", so der manchmal fast schüchtern wirkende Hjulmand.

Shootingstars wie Joakim Maehle von Atalanta Bergamo oder Mikkel Damsgaard von Sampdoria Genua runden das Bild des sympathischen Teams ab. Großspurige Ankündigungen sucht man selbst im aktuellen Höhenflug vergebens, auch deshalb drücken vor dem anstehenden Halbfinale gegen England viele neugewonnene Fans die Daumen.

Und Hjulmand hatte schon vor der EURO einen besonderen Plan, wie er seine Spieler für das Turnier heiß machen könnte.

"Das erste, was ich den Jungs zeigte, als wir uns trafen, war ein Bild von Wembley, als wir im Herbst dort waren. Ich habe gesagt, dass wir zurückkommen werden."

Die Rückkehr ins Wembley haben sie mit dem Halbfinalspiel gegen England schon geschafft, das Ende des Weges soll damit aber noch nicht erreicht sein. Kasper Schmeichel kann den Kollegen vor dem Halbfinale mit Sicherheit noch die ein oder andere 1992er-Anekdote von seinem Vater erzählen. Danish Dynamite 2.0 eben.

Die besten Paraden von Peter und Kasper Schmeichel:


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