Giorgio Chiellini und Leonardo Bonucci. Da kann einem als Stürmer schon mal angst und bange werden. Erfahren, abgezockt, unüberwindbar. Das wohl beste Innenverteidiger-Duo der Welt.
Die beiden Italiener im Dienst von Juventus kennen sich seit über einem Jahrzehnt. Im März 2010 standen sie im Länderspiel gegen Kamerun erstmals gemeinsam am Feld, bildeten mit Legende Fabio Cannavaro die Dreierkette. Es versteht sich fast von selbst, dass die "Squadra Azzurra" an diesem Abend in Monaco keinen Gegentreffer kassiert hat.
Das EM-Halbfinale gegen Spanien (Di., ab 21 Uhr im LIVE-Ticker >>>) wird das 325. Spiel sein, das Chiellini und Bonucci gemeinsam bestreiten. 26.780 Minuten verteidigten sie schon gegen die besten Stürmer aus aller Herren Länder. Das sind 446 Stunden. Oder mehr als 18,5 Tage am Stück.
VIDEO: Arnautovic über das Duo
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Oft berufen sich Fußballer auf "blindes Verständnis", den beiden Haudegen kauft man das aber ungeschaut ab. "Leo und ich spielen schon so lange zusammen, dass wir natürlich ein ganz spezielles Feeling haben. Wir müssen uns nicht mal mehr anschauen", sagt Chiellini.
Die Hälfte aller Spiele ohne Gegentor
Um die Unüberwindbarkeit des Duos noch einmal mit ein paar Zahlen zu belegen: Spielen sie gemeinsam, kassiert ihr Team im Schnitt nur 0,76 Gegentore pro Spiel. 162 Matches, also exakt 50 Prozent ihrer gemeinsamen Partien, haben sie ohne Gegentreffer beendet.
Von den 324 Spielen haben sie 208 gewonnen, nur 42 verloren und 74 endeten mit einem Unentschieden. Das ergibt im Schnitt 2,15 Punkte pro Partie. In den vergangenen fünf Jahren waren sie 83 Mal gemeinsam im Einsatz, nur sechs Spiele endeten mit einer Niederlage (Inter 2021, Atletico 2019, Manchester United 2018, Schweden 2017, Real Madrid 2017, Fiorentina 2017, Inter 2016).
Jahrelang war dieses Duo ein Trio, Andrea Barzagli gehört einfach dazu, aufgrund der Anfangsbuchstaben ihrer Nachnamen wurden die "BBC" genannt. 2019 hat Barzagli aufgehört, Bonucci mit 34 Jahren und Chiellini mit 36 Jahren sind noch dabei.
Und die Bewunderung dieses Duos in der Fachwelt ist bis heute riesig. Der langjährige Türkei-Teamchef Fatih Terim nannte sie vor wenigen Tagen "Legenden". Bastian Schweinsteiger nannte sie nach dem Sieg gegen Belgien "aktuell die besten Innenverteidiger der Welt".
"Mister Bonucci und Mister Chiellini könnten an die Harvard University gehen und dort unterrichten, wie man als Innenverteidiger spielt."
2018 hatte Jose Mourinho folgenden Vorschlag: "Mister Bonucci und Mister Chiellini könnten an die Harvard University gehen und dort unterrichten, wie man als Innenverteidiger spielt. Fantastisch, absolut fantastisch."
Fußballer und Universitäten, die gängigen Klischees besagen, dass das einfach nicht zusammenpasst. Chiellini hat 2017 den Gegenbeweis angetreten und an der Universität Turin seinen Master in BWL abgeschlossen – mit der höchstmöglichen Punktzahl, cum laude.
"Das Geschäftsmodell von Juventus Turin im internationalen Kontext", lautete der Titel seiner Abschlussarbeit, in der der Abwehrrecke den italienischen Rekordmeister mit Real Madrid, Athletic Bilbao und dem FC Porto verglich. 2022 endet sein Vertrag und damit wohl auch seine Karriere. Ein Wechsel ins Juventus-Management gilt als beschlossene Sache.
Schöngeist und Buchautor
Auf dem Platz ist der Toskaner mit der Cäsaren-Nase der Mann fürs Grobe. "Der kann drei Gegner auf einmal decken", sagte Trainer Walter Mazzarri einst. Abseits des Rasens gilt Chiellini als Schöngeist, interessiert in Kunst und Kultur, ein Literatur-Fan.
VIDEO: Best of Giorgio Chiellini
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2014 hat er ein Buch über die viel zu früh bei einem Autounfall verstorbene Juventus-Legende Gaetano Scirea geschrieben. "Cè un angelo bianconero. Il mio maestro si chiama Scirea", so der Name des Buches über den "weiß-schwarzen Engel". Dass Scirea Verteidiger war, versteht sich fast von selbst. Die Einnahmen aus seiner 2020 erschienen Autobiographie "Io, Giorgio" gingen an Charity-Aktionen infolge der Covid-19-Pandemie.
Bonucci wiederum ist, auch als Verteidiger, eher für die schönen Dinge auf dem Feld verantwortlich. Punktgenaue Pässe über 60 Meter, linienbrechende Zuspiele. In Italien wurde der Kicker aus Viterbo schon oft mit Franz Beckenbauer verglichen.
Hitzkopf Bonucci
Gleichzeitig gilt Bonucci als wesentlich hitzköpfiger. Chiellini lächelt auf dem Platz gerne mal, sein Nebenmann wirkt stets verbissen. "Abseits des Feldes ist er anders als diese missmutige Figur, die wir am Rasen sehen. Ich würde nicht sagen, dass er nachdenklich ist, aber er ist nicht so ein Hitzkopf", beschreibt ihn Chiellini.
Im Sommer 2017 gingen auch abseits des Platzes die Pferde mit Bonucci durch. Nach dem verlorenen Champions-League-Finale gegen Real Madrid verließ er ein wenig überstürzt Juventus und heuerte beim AC Milan an. Reumütig kehrte er nach einer Saison wieder nach Turin zurück, um wieder an Chiellinis Seite zu spielen.
Chiellini konnte gegen den zwischenzeitlichen Abgang nichts machen, weil er während der Sommerpause über die Bühne ging: "Wenn es zu einer anderen Zeit passiert wäre, hätte ich ihn dazu gebracht, zu bleiben. Sie gehen immer, wenn ich nicht da bin… Ich hätte verstanden, wenn er zu Real Madrid gewechselt wäre, aber zu Milan!? Glücklicherweise hat sich alles wieder normalisiert."
Die Titelsammlung des Duos, das insgesamt 217 Länderspiele bestritten hat, ist nach Bonuccis Rückkehr angewachsen. Acht Mal Meister, fünf Mal Supercoppa, vier Mal Coppa – 17 Trophäen haben sie gemeinsam gewonnen.
Und jetzt ist auch der erste Titel mit Italien zum Greifen nahe.