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Jorginho: Brasilianer als Italiens "Professore"

Als Teenager lebte Italiens Herzstück von 20 Euro die Woche:

Jorginho: Brasilianer als Italiens Foto: © getty

Roberto Mancini hatte vor sechs Jahren eine klare Vorstellung, wie die "Squadra Azzurra" aussehen soll.

"Die italienische Nationalelf muss italienisch sein", sagte der damalige Trainer von Inter Mailand. Den Einsatz von im Ausland geborenen Spielern in der Landesauswahl lehne er ab. Diesen Standpunkt hat Mancini offenbar überdacht. Bei der EM kann er mit Taktgeber Jorginho auf einen Mann vertrauen, der seine Wurzeln weit entfernt in Brasilen hat.

Für den 29-Jährigen könnte die EM am Sonntag im Endspiel gegen Italien im Wembley-Stadion ebenso enden wie seine Saison bei Chelsea: mit einer Siegerehrung. Die "Blues" aus London holten auch dank Jorginho in der Champions League den Titel. Zumindest italienische Medien sehen im Mittelfeldmann dann auch einen Kandidaten für den Ballon d'Or bei der Wahl zum Weltfußballer. "Jorginho ist Gold", schrieb "Tuttosport" bereits.

Pirlo und Xavi als Vorbilder

Unspektakulär und leise, aber mit enormer Präzision, Laufbereischaft und Passgenauigkeit hat sich Jorge Luiz Frello Filho in den vergangenen Jahren zum Herzstück von Italiens Elf entwickelt. Im System von Mancini ist er unverzichtbar, als einziger Feldspieler Italiens stand er in fast allen EM-Spielen über 90 Minuten auf dem Platz. "Er ist für uns ein sehr wichtiger Spieler, weil er das Tempo vorgibt", lobte Mancini. In der Mannschaft wird Jorginho "Il Professore" oder "Radio Jorginho" genannt, weil er durchgehend Anweisungen erteilt.

"Er ist ein Phänomen, er macht kaum Fehler", sagte Nicolo Barella. Marco Verratti urteilte: "Er lässt alles sehr leicht aussehen. Er ist unersetzlich für diese Mannschaft." Die bisherige Krönung von Jorginhos EM: Der lässig verwandelter Elfer beim 4:2 nach Elfmeterschießen im Halbfinale gegen Spanien. Gegen Österreich legte Jorginho im Achtelfinale die meisten Kilometer aller Akteure zurück. Nach sechs Partien rangiert bei den Gesamt-Kilometern nur der Spanier Pedri (76,1 km) vor dem Italiener (72,3).

Dabei war Jorginhos Weg auf die größte Fußball-Bühne Europas alles andere als vorgezeichnet. Seine Mutter Maria Tereza, selbst eine leidenschaftliche Fußballerin, brachte ihrem Sohn früh den Sport nahe. Zunächst waren Ronaldo, Ronaldinho und Kaka die Vorbilder. Es folgte ein Wechsel in die defensivere Position, nun orientierte sich der aus Imbituba im südbrasilianischen Bundesstaat Santa Caterina stammende Jorginho an Andrea Pirlo und Xavi: "Diese Rolle hat mir gefallen."

Jorginho: "Wollte nie wieder Fußball spielen"

(Text wird unter dem Video fortgesetzt.)

Mit 15 ging Jorginho nach Italien, in die Heimat eines aus Vicenza stammenden Urgroßvaters. Er lebte in einem Kloster und versuchte, bei Zweitligist Hellas Verona den Durchbruch zu schaffen. Doch es folgten Rückschläge. Der Teenager lebte von 20 Euro in der Woche - bis ihn ein Landsmann darauf aufmerksam machte, dass ihn sein damaliger Berater um Geld betrog. "Ich wollte aufgeben, war am Boden zerstört. Ich habe geweint und zu Hause angerufen, wollte zu meiner Mutter zurück und nie wieder Fußball spielen", berichtete Jorginho. Diese habe ihn aber überredet, nicht aufzugeben.

Es folgten Einsätze für Verona und 2014 der Wechsel zum SSC Napoli, von wo ihn Coach Maurizio Sarri 2018 mit zu Chelsea nahm. Auch hier musste er Kritik einstecken, ehe er zum Stammspieler wurde. Auch seine Entwicklung in der Nationalelf - die Staatsbürgerschaft nahm er 2012 an - war nicht vorhersehbar. Nach dem Aus in der WM-Qualifikation 2018 blieb Jorginho unter Neo-Nationalcoach Mancini aber im Team, während andere gehen mussten.

"Ich habe die Kritik immer als Motivation gesehen, es besser zu machen", sagte Jorginho über die Widerstände in seiner Karriere. Neben ihm hat Mancini inzwischen auch andere gebürtige Brasilos in den EM-Kader nominiert. Emerson spielt wie Jorginho für Chelsea, Rafael Toloi für Atalanta Bergamo.

VIDEO - Roberto Mancini lobt Spanien für Halbfinal-Leistung:


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